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Impfung
Massage statt Spritze:
neue Ansätze für Impfungen?
Die Haut, die den Körper einerseits vor äusseren Einflüssen
schützt, reagiert gleichzeitig auf mechanische Reize wie
Dehnung oder Reibung. Dieser mechanische «Stress»
macht die Hautbarriere vorübergehend durchlässiger und
aktiviert das Immunsystem, wie ein französisch-britisches
Forschungsteam von Inserm, Institut Curie und King’s Col-
lege London nun gezeigt hat. Ein 20-minütiger Massage-
impuls öffnet die Haarfollikel kurzzeitig und macht die Haut
sogar für grössere Moleküle durchlässig. Gleichzeitig ge-
langen Bestandteile des natürlichen Hautmikrobioms in
tiefere Schichten, was eine entzündliche Reaktion und die
Aktivierung der adaptiven Immunität auslöst – also jener
Immunantwort, die gezielt Krankheitserreger eliminiert und
eine Erinnerung des Immunsystems aufbaut. Diese Reaktion
deutet darauf hin, dass mechanischer Stress als Gefahren-
signal wirkt und damit eine Abwehrreaktion in Gang setzt.
Bei Mäusen wurde ein Influenza-Impfstoff (H1N1) mit
einem eigens dafür entwickelten Gerät appliziert und mit
der Auswirkung einer klassischen Verabreichung via intra-
muskuläre Injektion verglichen. Auch über die massierte
Haut liess sich eine qualitativ hochwertige Immunantwort
auslösen. Damit zeigen die Experimente, dass eine Impf-
strategie ohne Nadeln prinzipiell möglich ist.
Die Forscher betonen jedoch, dass noch erheblicher For-
schungsbedarf besteht: Zum einen unterscheiden sich
menschliche und tierische Haut, zum anderen muss geklärt
werden, welche Zellen und welche Bestandteile des Mikro-
bioms genau die Immunantwort antreiben. Zudem weisen
die Ergebnisse auf eine weitere Dimension hin: Mechani-
scher Stress könnte auch die Aufnahme schädlicher Sub
stanzen wie Allergene oder Schadstoffe fördern und damit
unerwünschte Immunreaktionen begünstigen.
Dennoch eröffnet der Ansatz neue Perspektiven für die
Impfstoffentwicklung und die Medikamentengabe. Eine
wirksame, nadelfreie Methode könnte nicht nur die Akzep-
tanz von Impfungen steigern, sondern auch die Anwendung
im Alltag erheblich erleichtern.
Mü
«Masser la peau pour vacciner : une alternative possible aux injections ?», Medienmitteilung Inserm vom 17.09.2025
Zur Originalpublikation: Benaouda F et al.: Transient skin stretching stimulates immune surveillance and promotes vaccine delivery via hair follicles. Cell Rep. 2025;64(11):116224. doi:10.1016/j.celrep.2025.116224
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