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Vektorassoziierte Erkrankungen in Zeiten des Klimawandels
Kleine Neozoen mit potenziell grosser Wirkung
Der Klimawandel wirkt sich auf vektorassoziierte Erkrankungen aus. Insbesondere die Häufigkeit und das Überleben der Vektoren, aber auch deren Aktivität und Stechfrequenzen hängen vom Klima ab. In naher Zukunft ist mit einem vermehrten Auftreten sowie auch mit der Etablierung von Infektionen, die bisher nur als Reisekrankheiten auftraten, zu rechnen. Aber auch einheimische Erreger, wie etwa die Borrelien, werden vermutlich vom Klimawandel profitieren.
Im Sachstandsbericht Klimawandel und Gesundheit des Robert Koch-Instituts wurden in einem der zahlreichen Beiträge zu den erwarteten Auswirkungen des Klimawandels die wesentlichen, zu erwartenden infektiologischen Folgen des Klimawandels für Mitteleuropa zusammengefasst (1). Hier spielen vornehmlich Vektoren eine Rolle, die von der globalen Erwärmung profitieren.
Zunahme vektorkompetenter Stechmücken Seit der Eradizierung der Malaria in der Mitte des 20. Jahrhunderts spielten Stechmücken als Vektoren von Infektionskrankheiten in Europa keine Rolle mehr. Das hat sich durch den Klimawandel geändert: Es etablieren sich in Mitteleuropa immer mehr Mückenarten, die als potenzielle Vektoren für Tropenkrankheiten in Betracht kommen (1).
Sowohl die Entwicklung und Vermehrung der Vektoren selbst als auch die der potenziellen Krankheitserreger im Vektor werden von der Aussentemperatur beeinflusst. Nach der Winterruhe setzen manche Stechmückenarten ihre Larvalentwicklung im Frühjahr bereits bei wenigen Grad oberhalb der Gefriertemperatur fort. Steigende Temperaturen führen zu einer Erhöhung der Stichfrequenz und beschleunigen den Blutmetabolismus, die Eibildung und den Generationszyklus der Vektoren, was insgesamt zu höheren Populationsdichten führt. Weiterhin verlängert sich auch die saisonale Aktivitätsperiode der Vektoren. Lediglich die bei höheren Temperaturen verkürzte Lebensdauer der Vektoren wirkt hier gegenläufig (1).
Warum treten Arbovirus-Infektionen vor allem in den Tropen auf? Viren, die durch Arthropoden (Gliederfüssler) übertragen werden, bezeichnet man als Arboviren (von engl. «arthropodeborne viruses»). Die von diesen Viren ausgelösten Erkrankungen nennt man Arbovirosen. Diese Erkrankungen treten bei den gestochenen oder gebissenen Wirbeltieren auf, zu denen auch der Mensch zählt, während die als Vektoren der Infektion fungierenden Arthropoden nicht erkranken. Somit handelt es sich bei den Arboviren um eine anhand des Infektionsweges zusammengefasste Gruppe, die nicht zwangsläufig Verwandtschaften innerhalb der Virus-Taxonomie nach sich zieht.
Gemeinsam ist aber vielen Arboviren, dass sie sich erst ab Temperaturen von 11–15 °C in ihren Vektoren vermehren und ihre Replikation umso schneller erfolgt, je höher die Temperaturen sind. Die erwartete Zunahme von Tropenkrankheiten in Mitteleuropa ist daher nicht nur auf die zunehmende Ausbreitung der Vektoren, sondern auch auf die vermehrte Replikation der Arboviren in ihren Vektoren zurückzuführen.
Durch die steigenden Temperaturen und die dadurch erst mögliche effektive Virusreplikation könnten zusätzlich einheimische Mückenarten, die bisher nicht als Arbovirus-Überträger galten, zu potenziellen Vektoren werden (1). Für das WestNil-Virus konnte bereits der Replikationsnachweis in Culex-Mückenarten, die in Mitteleuropa einheimisch sind, erbracht werden (2).
West-Nil-Virus auf dem Weg nach Europa Das West-Nil-Virus (WNV), ein Virus aus der Familie der Flaviviren, kommt auf allen Kontinenten vor und wird überwiegend durch Zugvögel verbreitet (3). Fälle in Europa wurden vor allem in Italien bekannt, mit mehreren 100 Fällen im Jahr 2022. Seit den 1950er-Jahren traten immer wieder endemische Ausbrüche in Europa auf (3). In der Schweiz wurde das WNV auch schon in Mücken nachgewiesen (4).
Die Infektion verläuft bei ca. 80% der Infizierten asymptomatisch. 19% entwickeln eine unkomplizierte, grippeähnliche Fiebererkrankung (5). Die plötzlich einsetzenden Symptome können Unwohlsein, Augenschmerzen, Kopfschmerzen, Myalgie, Magen-Darm-Beschwerden und Hautausschlag umfassen (6).
Bei etwa 1% der Infizierten entwickelt sich eine neuroinvasive Erkrankung, die bei etwa jedem 10. Betroffenen, in erster Linie bei älteren und immundefizienten Patienten sowie bei Patienten mit chronischen Erkrankungen (z.B. Diabetes), letal endet (5,6).
Die Epidemiologie der WNV-Erkrankungen wird durch heisse Sommer, veränderte Niederschlagsmuster sowie das veränderte Freizeitverhalten der Menschen beeinflusst. So ist in langen und heissen Sommern die saisonale Übertragung von WNV länger und intensiver, darüber hinaus begünstigen auch Niederschlagsmuster mit Starkregenereignissen, anschlies-
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sender Bildung von stehenden Wasserflächen und anschliessender Hitze die Zunahme der Vektorpopulationen (1). Da aktuell kein Impfstoff gegen die WNV-Infektion zur Verfügung steht, sind Vektorkontrolle und persönliche Schutzmassnahmen wichtig, um das Expositionsrisiko zu verringern (1).
Tigermücke – ein besonders effektiver Vektor Unter den sich neu etablierenden Vektoren nimmt die Tigermücke (Aedes albopictus, s. Abbildung 1) eine herausragende Stellung ein, denn sie gilt als die weltweit invasivste Stechmückenart, die zudem zahlreichen Krankheitserregern als besonders effizienter Vektor dient – dazu zählen das West-NilVirus, das Dengue-Virus, das Chikungunya-Virus, das Zika-Virus, das Sindbis-Virus und möglicherweise auch das Usutu-Virus (1). In den Tropen und Subtropen, so auch in beliebten Fernreiseländern wie Thailand, Indien und Brasilien, gehören Tigermücken zu den wichtigsten Überträgern dieser Arbovirus-Infektionen (1).
Inzwischen konnte sich die Tigermücke auch in vielen europäischen Ländern etablieren. Damit besteht die Gefahr, dass virämische Reiserückkehrer diese Infektionen durch gemeinsame Mückenstiche auch auf die hiesige Bevölkerung übertragen. Wärmere Sommer und verlängerte Hitzeperioden werden voraussichtlich solche autochthonen Übertragungen begünstigen (1).
Abbildung 1: Tigermücke (Aedes albopictus) (Foto: Jim Occi, BugPics, Bugwood.org)
Schildzecken profitieren von milden Wintern Die grösste Bedeutung in der Übertragung von Infektionserregern haben in Mitteleuropa allerdings immer noch die Schildzecken (1). Der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus, s. Abbildung 2) ist dabei die in der Schweiz immer noch am weitesten verbreitete Zeckenart; sie kommt bis auf eine Höhe von etwa 2000 Meter über dem Meeresspiegel vor und ist vor allem zwischen März und November aktiv (7). Aber auch die Gattung Hyalomma konnte sich aufgrund der zunehmend milden Winter in Zentraleuropa, so auch in der Schweiz, ausbreiten (8).
Alle Stadien der Schildzecken können auch Menschen befallen. Vor allem die Nymphen und die adulten Zecken können dabei verschiedene Pathogene übertragen; dazu zählen FSME(Frühsommer-Meningoenzephalitis)-Viren, Borrelien, aber auch weniger beachtete Pathogene wie Francisella tularensis (Erreger der Tularämie), Rickettsia spp. (Erreger des Fleckfiebers) oder Coxiella burnetii (Erreger des Q-Fiebers) etc. Voraussetzung für eine Übertragung dieser Pathogene auf den Säugetierwirt ist der Aufenthalt in Biotopen mit infizierten Zecken, eine ausreichend lange Anheftung der infizierten Zecke am Wirtskörper und das Ausbleiben von Massnahmen zum Infektionsschutz (1).
Makro- und mikroklimatische Einflussfaktoren wirken sich unmittelbar auf die Vermehrung von Schildzecken aus. So werden bei höheren Temperaturen und geeigneter Luftfeuchtigkeit unter anderem Entwicklungsprozesse beschleunigt und dadurch die Dauer der Häutungen von einem Stadium zum nächsten oder auch die Dauer der Eiablage verkürzt (1). Daher ist im Zuge des Klimawandels in geeigneten Biotopen, wie zum Beispiel in Eichen-Buchen-Mischwäldern mit Unter-
Abbildung 2: Gemeiner Holzbock (Ixodes ricinus), ausgewachsenes Weibchen (Foto: AZA)
holz, ausreichend Wirten und schützender Laubstreu, eine Zunahme der Zeckendichte zu erwarten (1). Ausserdem sind mit dem Klimawandel auch eine Verlängerung des Zeitraums der Zeckenaktivität sowie ein vermehrter Aufenthalt der Menschen im Freien zu erwarten, was insgesamt die Kontakthäufigkeit zwischen Menschen und Zecken erhöhen dürfte (1). Andererseits sind heisse und trockene Sommerperioden für Ixodes ricinus eher ungeeignet. Wie sich diese klimatische Änderung auf andere Zeckenarten auswirkt, ist bislang noch wenig erforscht (1).
Zu der durch Schildzecken übertragenen Lyme-Borreliose gibt es Berichte, dass die Ausbreitung und Inzidenz dieser Erkrankung in den letzten Jahren auch im Zusammenhang mit der zunehmenden Erwärmung – und dadurch gemässigteren Wintern und feuchtwarmen Sommern – zugenommen habe, so zum Beispiel im Mittleren Westen der USA und in Kanada (9). Auch aus Nordeuropa wird eine verstärkte Ausbreitung der Lyme-Borreliose beobachtet (10). Eine US-Analyse fand einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Durchschnittstemperatur und der Inzidenz der Lyme-Borreliose; unter der Annahme eines Anstiegs der mittleren Jahrestemperatur um 2 °C in den nächsten Dekaden wurde eine Zunahme der Fälle von Lyme-Borreliose in den USA um über 20% prognostiziert (11). Insgesamt ist davon auszugehen, dass
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klimatische Faktoren wie mildere Winter und wärmere, feuchte Frühjahr- und Herbstperioden zu einem Anstieg der Infektions- und Erkrankungsinzidenz der Lyme-Borreliose in bestimmten Regionen führen könnten (1).
Fazit Höhere Durchschnittstemperaturen, veränderte Niederschlagsmuster sowie die Veränderungen des menschlichen Verhaltens können die Epidemiologie von vektorassoziierten Infektionskrankheiten beeinflussen. Dabei sind es insbesondere eine verstärkte Aufmerksamkeit für die Problematik und Verhaltensänderungen, wie konsequenter Insekten- und Zeckenschutz und die Beseitigung von möglichen Vektor-Brutstätten, mit denen wir das Risiko beeinflussen können. Langfristig sollte aber auch die globale Erwärmung unter diesem Aspekt betrachtet und als gesundheitliches Risiko für die Bevölkerung ernst genommen werden.
Adela Žatecky
Referenzen: 1. Beermann S et al.: Auswirkungen von Klimaveränderungen auf
Vektor- und Nagetier-assoziierte Infektionskrankheiten. Journal of Health Monitoring. 2023;8(S3: 36-65). doi:10.25646/11392 2. Jansen S et al.: Culex torrentium: A Potent Vector for the Transmission of West Nile Virus in Central Europe. Viruses. 2019;11(6):492. doi:10.3390/v11060492 3. Hubálek Z, Halouzka J: West Nile fever--a reemerging mosquito-borne viral disease in Europe. Emerg Infect Dis. 1999;5(5):643-650. doi:10.3201/eid0505.990505 4. BAG: West-Nil-Virus (WNV). www.bag.admin.ch 5. Petersen LR et al.: West Nile virus: review of the literature. JAMA. 2013;310(3):308-315. doi:10.1001/jama.2013.8042 6. Lim SM et al.: West Nile Virus: Immunity and Pathogenesis. Viruses. 2011;3(6):811-828. doi:10.3390/v3060811 7. BAG: Zeckenübertragene Krankheiten. www.bag.admin.ch 8. https://swissticks.ch/de/zecken/ 9. Semenza JC et al.: Climate Change and Cascading Risks from Infectious Disease. Infect Dis Ther. 2022 Aug;11(4):1371-1390. doi: 10.1007/ s40121-022-00647-3 10. Millins C et al.: Emergence of Lyme Disease on Treeless Islands, Scotland, United Kingdom. Emerg Infect Dis. 2021;27(2):538-546. doi: 10.3201/eid2702.203862 11. Dumic I, Severnini E: «Ticking Bomb»: The Impact of Climate Change on the Incidence of Lyme Disease. Can J Infect Dis Med Microbiol. 2018;2018:5719081. doi: 10.1155/2018/5719081
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