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BERICHT
Management der chronischen Nierenerkrankung in der Hausarztpraxis
Früh erkennen und behandeln
Die Früherkennung der CKD bietet die Chance, einer wachsenden medizinischen und ökonomischen Belastung frühzeitig zu begegnen. Die Mittel dafür sind vorhanden – medizinisch, diagnostisch und therapeutisch. Es sei nun an der Zeit, diese auch breitflächig einzusetzen, erklärte Prof. Dr. Jan Galle, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft der Inneren Medizin und Direktor der Klinik für Nephrologie und Dialyseverfahren, Klinikum Lüdenscheid (D), an der Pressekonferenz des Jahreskongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). Denn ein frühzeitiger Test kann Dialyse, Herzinfarkt oder Hirnschlag verhindern.
Die chronische Nierenkrankheit (CKD) zählt zu den grössten und gleichzeitig am wenigsten wahrgenommenen Volkskrankheiten. Sie verläuft in bis zu 90% der Fälle asymptomatisch, was eine frühzeitige Diagnose erschwert. Dabei sind die Konsequenzen gravierend: CKD erhöht das Risiko für Herzinfarkt, Hirnschlag und vorzeitigen Tod und führt im Spätstadium zur Notwendigkeit regelmässiger Dialysen oder zu einer Transplantation. Seit wenigen Jahren stehen jedoch neue therapeutische Optionen zur Verfügung, mit denen sich das Fortschreiten der Erkrankung signifikant verlangsamen oder sogar stoppen lässt.
Trotz dieser Entwicklungen werde die CKD nach wie vor viel zu selten erkannt, insbesondere in hausärztlichen Praxen, beklagte Prof. Galle. Dies zeigen aktuelle Daten der InspeCKD-Studie, einer retrospektiven Querschnittstudie, mit 448 837 Patientendatensätzen aus 1244 deutschen Hausarztpraxen. Von den Teilnehmern litten 75,8% an einer Hypertonie, 35,1% an einer kardiovaskulären Erkrankung und 32,4% an einem Typ-2-Diabetes. Während des Followups von 1,7 Jahren wurde jedoch nur bei 45,5% das Serumkreatinin zur Berechnung der geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) bestimmt. Ein Urinstreifentest auf Albuminurie erfolgte bei 7,9% und eine Bestimmung des Urin-Albumin-Kreatinin-Quotienten (UACR) bei 0,4%. Trotz bekannter Risikofaktoren für eine CKD wurde die leitliniengerechte Labordiagnostik nicht ausreichend durchgeführt, was die Früherkennung einer CKD bei Risikopatienten erschwert (1). Das bedeute weiter, dass 99% der Patienten mit Risiko für eine CKD ohne quantitative Albuminbestimmung blieben, so Prof. Galle.
Als Risikopatienten für eine CKD gelten Patienten mit Typ-2-Diabetes, arterieller Hypertonie, kardiovaskulären Erkrankungen, Adipositas und familiärer CKD-Belastung. Mit der Einführung von Therapien wie SGLT2-Hemmern, nicht steroidalen Mineralokortikoid-Rezeptorantagonisten (Finerenon [Kerendia®]) bei gleichzeitigem Typ-2-Diabetes und GLP-1-Rezeptoragonisten stehen nun erstmals Medikamente zur Verfügung, die sowohl die Nierenfunktion erhalten als auch das kardiovaskuläre Risiko nachweislich senken. Die Früherkennung lohnt sich also, wie Prof. Galle betonte.
Neue Hausarzt-Guideline zur Unterstützung Ein zentraler Schritt zur Verbesserung der Früherkennung und Behandlung chronischer Nierenerkrankungen ist die im Dezember 2024 veröffentlichte S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) zur Versorgung von Patienten mit nicht dialysepflichtiger Niereninsuffizienz in der Hausarztpraxis (2) (siehe Linktipps). Die Leitlinie empfiehlt kein flächendeckendes Screening der Nierenfunktion (eGFR), dafür aber eine Untersuchung der Nierenfunktion bzw. Serumkreatininbestimmung mit eGFR bei Erstdiagnosen von Diabetes und Hypertonie sowie vor Verschreibung von nephrotoxischen Medikamenten oder von Medikamenten, die bei eingeschränkter Nierenfunktion kumulieren können (z.B. Methotrexat) (2).
Vorgehen bei Risikopatienten Zur Beurteilung der Nierengesundheit ist die eGFR allein unzureichend: Sie gibt zwar Auskunft über die Entgiftungsleistung, nicht aber über den Zustand des glomerulären Filtrationsvermögens, das Proteine und Zellen im Blut zurückhält. Gelangen Bluteiweisse wie Albumin in den Urin, weist dies auf eine glomeruläre Schädigung hin. Daher sollte zur Beurteilung der Nierengesundheit auch das Vorliegen einer Albuminurie, einer Hämaturie und eines erhöhten Blutdrucks erfasst werden.
Albuminmengen sollen mittels einer Spontanurinprobe anhand des Albumin-Kreatinin-Quotienten (UACR) bestimmt werden. Ein semiquantitativer Urinstreifentest ist zur Bestimmung einer Proteinurie nicht genug zuverlässig, vor allem für die Entdeckung einer Mikroalbuminurie. Zum Ausschluss einer Hämaturie reicht dagegen ein Urinstreifentest aus. Ein positiver Test soll aufgrund eines möglichen falsch positiven Ergebnisses nach einigen Tagen wiederholt werden (2).
Bei Erstdiagnose einer reduzierten eGFR < 60 ml/min/1,73 m2 sollen eine Urinuntersuchung auf Albumin und Kreatinin (UACR) und eine weitere Bestimmung der eGFR nach drei Monaten erfolgen. Bei Verdacht auf eine akute Nierenerkrankung (AKD) ist eine Kontrolle der eGFR innerhalb von zwei Wochen angezeigt und bei entsprechender Symptomatik eine Überweisung in eine Nephrologie. Dies ebenso, wenn die eGFR < 30 ml/min/1,73 m2 sinkt.
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LINKTIPP
KFRE-Risikorechner für Nierenversagen (deutsch)
S3-Leitlinie Chronisch eingeschränkte Nierenfunktion in der Hausarztpraxis
Bei Verdacht auf chronische Nierenkrankheit (eine CKD) empfiehlt die Leitlinie neu eine Sonografie des Urogenitalsystems. Bei Patienten mit einer diagnostizierten CKD soll eine Abschätzung des Risikos (eGFR und UACR) für eine Progression der CKD zum Nierenversagen erfolgen. Dabei sollten Alter und Komorbiditäten sowie Lebenserwartung und die individuellen Gesundheitsziele berücksichtigt werden. Hierfür können Risikoscores verwendet werden wie z.B. der KFRE (kidney failure risk equation) (siehe Linktipps) (2). Des Weiteren soll die Liste der verordneten Dauermedikation und der eingenommenen rezeptfreien Präparate mindestens einmal jährlich auf ihre Notwendigkeit überprüft werden.
Empfohlene Therapien und spezielle Situationen SGLT-2-Hemmer sind ein Fortschritt in der Prävention der Progression von CKD und bei anderen Erkrankungen (Herzinsuffizienz, Diabetes). Sie sind für Patienten mit Albuminurie (UACR ≥ 300 mg/g) oder eingeschränkter Nierenfunktion (eGFR < 45 ml/min/1,73 m2) empfohlen. In der Schweiz sind zur Senkung des CKD-Risikos Empagliflozin und Dapagliflozin zugelassen sowie Canagliflozin bei diabetischer Nierenerkrankung.
Mit sinkender eGFR steigt auch die Serumharnsäurekonzentration. Eine Therapie der asymptomatischen Hyperurik ämie wird jedoch nicht empfohlen (2). Denn neuere Studien zeigen keinen Vorteil einer primärpräventiven Behandlung der asymptomatischen Hyperurikämie mit einem Harnsäuresenker (Allopurinol, Febuxostat) für die Niere (3).
Bei Vorliegen einer Hypertonie (> 140/90 mmHg) empfiehlt die Leitlinie eine Therapie zur Blutdrucksenkung bei Patienten mit CKD. Dies bevorzugt mit ACE-Hemmern oder Angiotensin-Rezeptorblockern (ARB). Initial kann es darunter zu einem Abfall der eGFR um etwa 5 ml/min/1,73 m2 kommen. Eine Abnahme um 25% des Ausgangswerts kann toleriert werden. Nach 1–2 Wochen ist eine erneute Bestimmung der eGFR angezeigt. Bei einer weiteren Verschlechterung soll nach Ausschluss von Volumenmangel oder nephrotoxischer Medikation der ACE-Hemmer bzw. ARB tiefer dosiert werden (2). ACE-Hemmer und ARB sollten nicht miteinander kombiniert werden, dürfen aber auch bei chronischer Nierenkrankheit (eGFR < 30 ml/min/1,73 m2) in Übereinstimmung mit den KDIGO(Kidney Disease: Improving Global Outcomes)CKD-Leitlinien von 2023 fortgesetzt werden.
Wann Diuretika stoppen? Weil die Fähigkeit der Nieren, Natrium auszuscheiden, bereits in frühen Stadien der CKD abnimmt, kann es infolge Natriumretention und Erhöhung der extrazellulären Flüssigkeitsmenge zu peripheren Ödemen oder erhöhtem Blutdruck kommen, was eine Herzinsuffizienz bei CKD-Patienten begünstigt. Diuretika können somit eine sinnvolle medikamentöse Massnahme sein, weil sie den Salzhaushalt günstig beeinflussen und einer Volumenüberladung entgegenwirken. Bei Patienten, die unter Diuretikatherapie eine Hypovolämie entwickeln oder dehydrieren, kann die gleichzeitige Gabe von nicht steroidalen Antiphlogistika (NSAR) eine akute Nierenkrankheit auslösen. Bei Patienten mit CKD mit zusätzlichen schweren Erkrankungen, die die Gefahr einer akutauf-chronischen Nierenkrankheit bergen, sollen alle potenziell nephrotoxischen oder renal eliminierten Medikamente pausiert oder mit erhöhter Aufmerksamt dosiert werden. Zu diesen Medikamenten zählen auch Diuretika (2).
Anämie, Schmerzen, Knochenstoffwechsel Liegt eine Anämie als Komplikation einer CKD vor – vor allem in höheren Stadien (eGFR < 30 ml/min/1,73 m2) –, handelt es sich meist um eine Eisenmangelanämie. Blutverlust und eine beeinträchtigte Freisetzung von körpereigenem Speichereisen können Gründe dafür sein. Zusätzlich kann im Spätstadium einer CKD die Lebensdauer von Erythrozyten durch den erhöhten Harnstoffspiegel verkürzt sein. Die Entscheidung zur Therapie ist klinisch und richtet sich nach Symptomen, Patientenpräferenz, klinischem Zustand und Komorbiditäten. Eine orale Eisensubstitution ist nicht immer ausreichend, hier kann eine parenterale Substitution erwogen werden (2).
Bei CKD-Patienten mit Schmerzen sind bei einer eGFR < 30 ml/min/1,73 m2 NSAR kontraindiziert. Diese sollen bei > 30 ml/min/1,73 m2 nur so kurz und niedrigdosiert wie möglich eingesetzt werden. Alternativ kann Paracetamol oder Metamizol eingesetzt werden. Opiode sind, so nötig, mit niedrigen Dosen anzufangen. Besteht die Gefahr eines akuten Nierenversagens, sollen alle nephrotoxischen oder nierenfunktionsbeeinträchtigenden oder renal eliminierten Medikamente evaluiert werden (2).
In Bezug auf den Knochenstoffwechsel und den KalziumPhosphat-Haushalt können Veränderungen bereits in frühen CKD-Stadien auftreten. Diese werden aber in den Stadien G1–3 (eGFR ≥ 90–30 ml/min/1,73 m2) selten symptomatisch. Es wird empfohlen, Kalzium, Phosphat und Vitamin D erst ab CKD-Stadium 4–5 (eGFR < 29 bis < 15 ml/min/1,73 m2) zu messen (2). Bei Störungen im Kalzium- und Phosphathaushalt und dem Verdacht auf CKD-MBD (Chronic Kidney Disease – Mineral Bone Disorder) sollte eine Überweisung in die Nephrologie erfolgen. Eine routinemässige Vitamin-DSubstitution bei Patienten mit CKD ist nicht angezeigt.
Valérie Herzog
Quelle: Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM) anlässlich des 131. Kongresses der DGIM, 23. April 2025
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Referenzen: 1. Wanner C et al.: InspeCKD – Analyse zur Nutzung von Labordiagnostik
im Kontext der chronischen Nierenerkrankung. MMW Fortschr Med. 2024;166(Suppl 4):9-17. doi:10.1007/s15006-024-3684-y 2. Kiel S et al.: Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Versorgung von Patient*innen mit chronischer, nicht-nierenersatztherapiepflichtiger Nierenkrankheit in der Hausarztpraxis – Chronisch eingeschränkte Nierenfunktion in der Hausarztpraxis. S3-Leitlinie 2024, V 2.0. www.awmf.org. Letzter Abruf: 29.4.25 3. Kiel S et al.: Hausärztliche Versorgung der nichtnierenersatztherapiepflichtigen chronischen Nierenkrankheit. Dtsch Arztebl Int. 2025;122:49-54. doi:10.3238/arztebl.m2024.0230
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