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BERICHT
Die kleinen, aber fatalen Unterschiede
Herzinsuffizienz bei Frauen zeigt sich anders
Die traditionellen Risikofaktoren für eine Herzinsuffizienz sind bei beiden Geschlechtern gleich: Hypertonie, Diabetes, Adipositas und Rauchen. Allerdings schädigen sie Frauenherzen stärker. Warum Frauen häufiger eine Herzinsuffizienz mit erhaltener und Männer eher eine Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion entwickeln, erklärten Expertinnen der Universitätsspitäler Genf und Basel.
Hauptrisikofaktoren für eine Herzinsuffizienz sind auch bei Frauen Hypertonie, Diabetes, Adipositas und Rauchen. Allerdings wirken sich diese bei Frauen stärker aus als bei Männern, wie Dr. Elena Tessitore, Service de Cardiologie, Hôpitaux Universitaires Genève, erklärte. Frauen sind von einer Herzinsuffizienz auch stärker betroffen: Etwa ein Drittel der Frauen kann ein Jahr nach einer herzinsuffizienzbedingten Hospitalisierung noch nicht an die Arbeit zurückkehren. Der funktionelle Status ist stärker beeinträchtigt, die Depressionsrate höher und die soziale Unterstützung geringer (1).
Eine gepoolte Analyse von Daten von weltweit 1201 bevölkerungsbasierten Studien mit 104 Millionen Teilnehmern ergab, dass Hypertonie bei Frauen unterdiagnostiziert und unterbehandelt ist: 41% der hypertensiven Frauen sind undiagnostiziert, und trotz einer korrekten Diagnose erreicht nur ein Viertel der Frauen Blutdruckwerte < 140/90 mmHg (2). Der Grund für diesen Missstand liegt möglicherweise darin, dass der Blutdruck bei Frauen lange Zeit stets tiefer ist als bei Männern. Allerdings verkehrt sich dieser Umstand ab dem Alter von 60 Jahren. Zudem ist der absolute Anstieg des Blutdrucks im Verlauf des Lebens mit 40 mmHg bei Frauen um einiges höher als bei Männern (ca. 25 mmHg) (3), wie Dr. Tessitore betonte. Aufgrund von physiologischen Unterschieden zwischen Frauen und Männern, wie hormo-
KURZ UND BÜNDIG
• Klassische Risikofaktoren für Herzinsuffizienz wie Hypertonie, Diabetes, Adipositas und Rauchen sind für beide Geschlechter gleich.
• Von einer HFpEF sind aber vor allem Frauen betroffen. • Gründe dafür sind Unterschiede in der Herzstruktur und
Funktion wie kleinere Arterien und grössere Arteriensteifheit und diastolische Dysfunktion als Folge. • Weitere Gründe sind frauenspezifische Risikofaktoren wie stattgehabte Schwangerschaftskomplikationen, (frühe) Menopause und kardiotoxische Brustkrebstherapien.
nellen (Schwangerschaft, Menopause, kardiotoxische Brustkrebstherapien) und genetischen Faktoren, unterschiedlichen Organgrössen, Umgebungs- und sozialen Einflüssen, ist eine Hypertonie für Frauen schädlicher als für Männer im gleichen Alter, und nach der Menopause ist sie ein grösserer Risikofaktor für Herzinfarkt (4). Auch von systemisch inflammatorischen und Autoimmunerkrankungen sind Frauen im Hinblick auf das Herz stärker betroffen. Diese sind zwar keine geschlechtsspezifischen Risikofaktoren, doch gelten sie bei Frauen als erschwerende Faktoren bei kardiovaskulären Erkrankungen. Denn viele für Autoimmunerkrankungen codierende Gene liegen auf dem X-Chromosom. Überdies sind postmenopausale Frauen für Endothelentzündungen prädisponiert, mit stärkerer Zytokinfreisetzung, stärkerer TZell-Aktivierung und höheren CRP-Spiegeln (1).
HFpEF ist eher weiblich Trotz des Umstands, dass Frauen häufiger an einer Herzinsuffizienz mit erhaltener Auswurffraktion (HFpEF) leiden als Männer – je nach Register sind es zwischen 55 und 63% –, sind sie in Herzinsuffizienz-Studien mit einem durchschnittlichen Anteil von 28% stark unterrepräsentiert. Das heisst, dass die Erkenntnisse, die aus diesen Studien hinsichtlich Prognose und Therapie gewonnen werden, vorwiegend von männlichen Studienteilnehmern stammen und auf Frauen übertragen werden, wie Prof. Dr. Christine Meyer-Zürn, CoLeiterin Frauenherzsprechstunde, Universitätsspital Basel, die Situation schilderte.
Gründe für das vermehrte Auftreten einer HFpEF bei Frauen liegen in der kardialen Struktur und der Funktion. Frauenherzen sind kleiner und steifer und tendieren im Gegensatz zu männlichen Herzen weniger zur Narbenbildung nach einem Myokardinfarkt, die eine Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion (HFrEF) begünstigen würde, sondern zeigen eher ein konzentrisches Remodelling und diastolische Dysfunktion, was in eine HFpEF mündet. Ausserdem ist ihre linksventrikuläre Auswurffraktion (LVEF) im Durchschnitt höher (57 vs. 53% bei Männern), ebenso die rechtsventrikuläre (69 vs. 62%) (1).
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Ein weiterer Grund für eine vermehrte Tendenz zur HFpEFEntwicklung ist der abrupte und grosse Abfall des kardioprotektiv wirkenden Östrogens bei Eintreten der Menopause. Frauen mit früh beginnender Menopause haben ein noch höheres Risiko, ebenso nullipare Frauen. Es gibt keine überzeugenden Daten, dass eine Hormonersatztherapie das Risiko senken kann (2), wie die Referentin anführte. Adipositas ist ebenfalls ein starker Trigger für eine HFpEF. Im Vergleich zu nicht adipösen Frauen, adipösen und nicht adipösen Männern zeigen adipöse Frauen die höchste HFpEF-Inzidenz (3).
Herzinsuffiziente Frauen weisen zudem mehr Komorbiditäten auf: Neben den klassischen wie Hypertonie, Diabetes und Adipositas leiden sie auch häufiger an Anämie, chronischer Nierenerkrankung, Frailty, Depression und chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD), wie Prof. MeyerZürn erläuterte.
Im Vergleich zu Männern sind Frauen mit HFpEF älter, haben häufiger Vorhofflimmern, Diabetes und sind häufiger hyperton und adipös (4). Zudem bestehen stärkere Stauungssymptome und eine tiefere Lebensqualität. Demgegenüber haben Männer eine tiefere Auswurffraktion und ein höheres NT-ProBNP, das bei postmenopausalen Frauen allerdings auch steigt (4).
Risikofaktoren für Frauen Was also macht Frauen so empfindlich für eine HFpEF? Der kardiometabolische Phänotyp mit Adipositas, Diabetes, Hypertonie, Hyperlipidämie und Menopause induziert einen proinflammatorischen Zustand, der die mikrovaskuläre Koronarfunktion beeinträchtigt. Das wiederum führt zu kardialen Struktur- und Funktionsabnormitäten wie linksven trikulärer Hypertrophie, interstitieller Fibrose, linksventrikulärer Steifheit mit gestörter Relaxation und zu diastolischer Dysfunktion (5).
Aber nicht nur das biologische Geschlecht ist ein Risikofaktor, sondern auch soziokulturelle Faktoren wie die Rolle in der Gesellschaft («Gender»), Ernährung, Bewegung, Gewalterfahrung, Zugang zu Gesundheitseinrichtungen und die Behandlungsqualität können zu einem höheren Risiko beitragen (6).
Insgesamt fördern die signifikante Komorbiditätslast, emotionaler Stress, steife Gefässe, systemische Entzündung, hypertensive Störungen in der Schwangerschaft, Brustkrebstherapien und ein stärkeres konzentrisches Remodelling die Entzündung des Endothels und eine koronare mikrovaskuläre Dysfunktion, was einer Entwicklung von HFpEF, aber auch einer Takotsubo- wie auch peripartalen Kardiomyopathie Vorschub leistet. Das mündet in eine grössere Leistungsintoleranz und eine tiefere Lebensqualität als bei Männern (6).
einer vorwiegend makrovaskulären Erkrankung bzw. einer HFrEF führt. Faktoren wie Adipositas tragen ebenfalls dazu bei, fördern bei Männern aber eher die Entwicklung einer HFrEF. Männer sind zudem jünger, haben sehr oft eine Hypertonie und konsumieren häufiger Alkohol und Drogen als Frauen. HFrEF weist eine hohe Mortalität auf, jedoch im Durchschnitt eine bessere Lebensqualität als HFpEF (7).
Valérie Herzog
Quelle: «HFpEF: Why are women more susceptible?» und «The diagnostic challenge of HF in women». Wintermeeting Heart Failure, 11.1. 2025, Les Diablerets
Referenzen: 1. Lala A et al.: Sex Differences in Heart Failure. J Card Fail.
2022;28(3):477-498. doi:10.1016/j.cardfail.2021.10.006 2. Zhou B et al.: Worldwide trends in hypertension prevalence and
progress in treatment and control from 1990 to 2019: a pooled analysis of 1201 population-representative studies with 104 million participants. Lancet. 2021;398(10304):957-980. doi:10.1016/S0140- 6736(21)01330-1 3. Ji H et al.: Sex Differences in Blood Pressure Trajectories Over the Life Course. JAMA Cardiol. 2020;5(3):19-26. doi:10.1001/jamacardio. 2019.5306 4. Gerdts E et al.: Sex differences in arterial hypertension. Eur Heart J. 2022;43(46):4777-4788. doi:10.1093/eurheartj/ehac470 5. St Pierre SR et al.: Sex Matters: A Comprehensive Comparison of Female and Male Hearts. Front Physiol. 2022;13:831179. doi:10.3389/ fphys.2022.831179 6. Sabbatini AR et al.: Menopause-Related Estrogen Decrease and the Pathogenesis of HFpEF: JACC Review Topic of the Week. J Am Coll Cardiol. 2020;75(9):1074-1082. doi:10.1016/j.jacc.2019.12.049 7. Savji N et al.: The Association of Obesity and Cardiometabolic Traits With Incident HFpEF and HFrEF. JACC Heart Fail. 2018;6(8):701-709. doi:10.1016/j.jchf.2018.05.018 8. Dewan P et al.: Sex-Related Differences in Heart Failure With Preserved Ejection Fraction. Circ Heart Fail. 2019;12(12):e006539. doi:10.1161/ CIRCHEARTFAILURE.119.006539 9. Tibrewala A et al.: Heart Failure with Preserved Ejection Fraction in Women. Heart Fail Clin. 2019;15(1):9-18. doi:10.1016/j. hfc.2018.08.002 10. Regitz-Zagrosek V et al.: Gender medicine: effects of sex and gender on cardiovascular disease manifestation and outcomes. Nat Rev Cardiol. 2023;20(4):236-247. doi:10.1038/s41569-022-00797-4 11. Lam CSP et al.: Sex differences in heart failure. Eur Heart J. 2019;40(47):3859-3868c. doi:10.1093/eurheartj/ehz835
Andere Folgen für Männer Demgegenüber steht für Männer der Herzinfarkt als grösster Risikofaktor für eine Herzinsuffizienz im Vordergrund, was zu Myozytenuntergang und Narbenentwicklung und zu
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