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BERICHT
Blutdruckvariabilität
Wie viel Schwankung darfs denn sein?
Nicht nur die Höhe des Blutdrucks, sondern auch die Variabilität bestimmt das Ausmass von hypertensiven Organschäden. Denn die Blutdruckvariabilität ist ein unabhängiger Prädiktor für kardiovaskuläre Ereignisse und sollte deshalb auch im Auge behalten werden, wie Prof. Dr. Thomas Dieterle, Merian Iselin Klinik, Basel, am Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie (SGK) in Zürich, empfahl.
Die Blutdruckvariabilität umfasst die Schwankungen mit jedem Herzschlag (beat-to-beat), Tag-NachtSchwankungen, Schwankungen von Tag zu Tag und saisonale Variationen.
Eine erhöhte Blutdruckvariabilität am Tag erhöht das kardiovaskuläre Risiko, eine normale nächtliche Blutdrucksenkung senkt es. Bei Patienten mit Hypertonie ist die Blutdruckvariabilität ausgeprägter und häufiger als bei Normotonikern, und sie nimmt mit dem Alter zu. Die klinisch relevanteste und einfach messbare Blutdruckvariabilität ist zirkadianer und saisonaler Art, wobei der saisonale Rhythmus mit höheren Werten im Winter am ehesten durch Kälte und Vitamin-D-Mangel bestimmt ist.
Die Regulation des Blutdrucks erfolgt langfristig ganz überwiegend hormongesteuert, kurzfristig im Wesentlichen über das vegetative Nervensystem, insbesondere den Sympathikus. Emotionale Stimuli, Bewegung oder Höhenunterschiede gehen mit einer Erhöhung des Blutdruckes einher, während er im Schlaf normalerweise sinkt. Humorale, rheologische und umweltbedingte Faktoren sowie das Alter beeinflussen den Blutdruck ebenfalls.
Im kurzfristigen Tageszeitraum können mit der ambulanten 24-Stunden-Blutdruckmessung (24-h-ABPM [ambulatory blood pressure measuring]) der Tag/Nacht-Rhythmus und auch das Ansprechen auf Antihypertonika hinsichtlich der Dosierung überprüft werden. Zudem können damit auch Anhaltspunkte zur Adhärenz gewonnen werden.
Eine erhöhte Blutruckvariabilität in der ABPM liefert Hinweise für die Existenz und Stärke von Organschäden an Herz, Nieren oder Augen (1). Je grösser die Variabilität, desto schwerer die Schädigung, so Prof. Dieterle. Die Blutdruckvariabilität ist unabhängig vom Blutdruck auch prädiktiv für die Gesamtmortalität und die kardiovaskuläre Mortalität wie eine 11,3 Jahre dauernde, bevölkerungsbasierte Kohortenstudie mit 8936 Patienten zeigte (2).
Auch über mittelfristige Zeiträume von mehreren Wochen ist ein Anstieg der Blutdruckvariabilität prädiktiv für die kardiovaskuläre Mortalitätsrate. Das zeigte die Ohasama-Studie, die die täglich zuhause gemessenen Blutdruckwerte während vier Wochen sammelte und die Teilnehmer während 12 Jahren nachverfolgte (3).
Nächtlicher Taucher erwünscht Eine Blutdruckvariabilität ist aber nicht in jedem Fall schlecht. Nachts sollte der Blutdruck generell um 10–20% tiefer sein («normal dipper») als tagsüber bzw. bei < 120/70 mmHg liegen. Ist das nicht der Fall oder besteht eine nächtliche Hypertonie, sollten verschiedene Ursachen in Betracht gezogen werden: Es können eine erhöhte Salzsensitivität oder eine Sympathikusdysfunktion vorliegen wie auch eine ob struktive Schlafapnoe, chronische Niereninsuffizienz, Herzinsuffizienz, eine strukturelle Herzerkrankung oder Diabetes (4). Ein hoher Blutdruck mit nächtlichem «non-dipping» in der 24-h-ABPM wie auch hoher Blutdruck plus hohe kurzzeitige Blutdruckvariabilität sind bei jungen Menschen (≤ 45 Jahre) stärkere Prädiktoren für kardiovaskuläre Ereignisse als nur hohe Blutdruckwerte allein, wie Prof. Dieterle erklärte. Bei einer Blutdruckvariabilität von 8,7 mmHg liegt das 10-Jahres-Risiko bei 1,33, bei einer Variabilität von 19,2 mmHg bei 2,98. Zusammen mit einem nächtlichen «dip» von nur 2% steigt das Risiko auf mehr als das 5-Fache (5). Die Blutdruckvariabilität sei demnach ein starker prognostischer Faktor für kardiovaskuläre Ereignisse, egal ob sie kurzzeitig oder über lange Zeiträume bestehe, so Prof. Dieterle. Referenzwerte existierten jedoch nicht, doch aus den Studien gehe hervor, dass eine Variabilität bei Selbstmessung an mehreren Tagen < 8 mmHg liegen sollte. Im Gegensatz zur Blutdruckvariabilität liegt eine Blutdrucklabilität dann vor, wenn Blutdruckschwankungen unabhängig von einem Rhythmus auftreten und die Ausschläge nach oben wie auch nach unten höher sind als normal. Auslöser und Folgen einer labilen Hypertonie sind ähnlich wie bei einer erhöhten Blutdruckvariabilität. Einer Mehrheit von ischämischen Ereignissen geht ein akuter Anstieg des systolischen Blutdrucks voraus (6). Ein vorübergehender Anstieg des diastolischen Blutdrucks ist mit einem erhöhten Risiko für anhaltende Hypertonie und Diabetes, mit Hirnschlag, ventrikulärer Arrhythmie und Gesamtmortalität assoziiert (6). Time in Range auch beim Blutdruck wichtig Aus diesen Gründen sei es wichtig, einen transient oder permanent erhöhten Blutdruck so zu kontrollieren, dass die 550 ars medici 16 | 2025 BERICHT Zeit im normalen Bereich (time in therapeutic range, TTR) möglichst lang ist, so Prof. Dieterle. Eine Studie mit 689 051 amerikanischen Veteranen mit starker (54%) und mittelstarker Hypertonie (19,9%) bzw. normalem Blutdruck (26,1%) untersuchte während zehn Jahren den Einfluss der TTR (120–140 mmHg) auf die Gesamtmortalität. Das Ergebnis zeigte eine inverse und graduelle Assoziation zwischen der TTR und der Gesamtmortalität. Die Mortalitätsrate der antihypertensiv behandelten Teilnehmer, die sich jederzeit im TTR befanden, betrug 6,5%, während sie bei jenen über und unter dem TTR auf 21,9% bzw. 33,1% stieg (7). Für die Behandlung sei es somit wichtig, mit den gewählten Medikamenten eine zeitlich möglichst lange Blutdruckkontrolle zu erreichen, empfahl Prof. Dieterle. Dabei wiesen der Kalziumkanalbocker Amlodipin mit 35–50 Stunden (9) und der ACE-Hemmer Perindopril mit 25–120 Stunden (10) die längsten Halbwertszeiten auf. Valérie Herzog Quelle: «Blood pressure variability». Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie (SGK), 4.–6. Juni 2025, Zürich Referenzen: 1. Parati G et al.: Relationship of 24-hour blood pressure mean and variability to severity of target-organ damage in hypertension. J Hypertens. 1987 Feb;5(1):93-8. doi: 10.1097/00004872-198702000-00013. PMID: 3584967 2. Hansen TW et al.: Prognostic value of reading-to-reading blood pressure variability over 24 hours in 8938 subjects from 11 populations. Hypertension. 2010 Apr;55(4):1049-57. doi: 10.1161/HYPERTENSIONAHA.109.140798 3. Kikuya M et al.: Day-by-day variability of blood pressure and heart rate at home as a novel predictor of prognosis: the Ohasama study. Hypertension. 2008;52(6):1045-1050. doi:10.1161/HYPERTENSIONAHA.107.104620 4. Tang A et al.: Non-Dipping Blood Pressure or Nocturnal Hypertension: Does One Matter More?. Curr Hypertens Rep. 2024;26(1):21-30. doi:10.1007/s11906-023-01273-1 5. Palatini P et al.: Dipping pattern and short-term blood pressure variability are stronger predictors of cardiovascular events than average 24-h blood pressure in young hypertensive subjects. Eur J Prev Cardiol. 2022;29(10):1377-1386. doi:10.1093/eurjpc/zwac020 6. Sanidas E et al.: Labile hypertension: a new disease or a variability phenomenon?. J Hum Hypertens. 2019;33(6):436-443. doi:10.1038/s41371-018-0157-8 7. Doumas M et al.: Time in Therapeutic Range, as a Determinant of All-Cause Mortality in Patients With Hypertension. J Am Heart Assoc. 2017;6(11):e007131. doi:10.1161/JAHA.117.007131 8. https://www.ksa.ch/dokumente/kantonsspital-aarau/fachbereiche/ spitalpharmazie/calciumantagonisten-vergleichstabelle-spitalpharmazie-ksa.pdf. Letzter Abruf: 22.7.25 9. https://www.ksa.ch/dokumente/kantonsspital-aarau/fachbereiche/ spitalpharmazie/ace-hemmer-vergleichstabelle-spitalpharmazie-ksa. pdf. Letzter Abruf: 22.7.25 ars medici 16 | 2025 551