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BERICHT
Endokrinologische Blickdiagnosen
Typische Zeichen erkennen
In der Endokrinologie basiert die Diagnosestellung meist auf Laborwerten. Einige Erkrankungen zeigen sich dennoch als Blickdiagnosen oder mithilfe einfacher klinischer Tests. Dr. Julia Beck, Endokrinologie, Diabetes und Metabolismus, Universitätsspital Basel, erklärte, woran bestimmte Erkrankungen erkennbar sind und wie man sie diagnostiziert.
Cushing-Syndrom
Das Cushing-Syndrom bzw. Hyperkortisolismus zeichnet sich
durch eine zentrale, viszerale Fettverteilung aus mit schlan-
ken Extremitäten und Muskelschwäche. Weitere
Zeichen sind Striae rubrae, Pergamenthaut,
Hämatome, ein Mondgesicht, Stiernacken
und schlechte Wundheilung. Die Patien-
ten sind häufig adipös, leiden an Hyper-
tonie und (Prä-)Diabetes, haben Depres-
sionen, periphere Ödeme, Akne,
Hirsutismus und Zyklusunregelmässig-
keiten. Thrombosen, Infekte, Osteopo-
rose, metabolisches Syndrom und eine
Julia Beck (Foto: zVg)
erhöhte kardiovaskuläre Mortalität sind häufige Komplikationen.
Die häufigste Ursache ist ein exo-
gener, d.h. Adrenocorticotropin(ACTH)-
unabhängiger Hyperkortisolismus, z.B. durch Langzeitthera-
pie mit Glukokortikoiden. Das viel seltenere endogene
Cushing-Syndrom mit erhöhter Sekretion von Cortisol oder
ACTH kann durch Adenome der Hypophyse, der Nebenniere
oder auch paraneoplastisch ausgelöst werden.
Diagnostizieren lässt sich das Cushing-Syndrom mit dem
Dexamethason-Hemmtest, der als Goldstandard gilt. Dabei
erhält der Patient um 23 Uhr 1 mg Dexamethason. Liegt der
Cortisol-Spiegel am nächsten Morgen um 8 Uhr ≥ 50 nmol/l,
weist das auf eine erhöhte Cortisol-Ausschüttung hin. An-
schliessende Analysen wie die freie Cortisol-Ausscheidung im
24-Stunden-Urin oder das Mitternachts-Cortisol im Speichel an
drei verschiedenen Tagen bestätigen die Verdachtsdiagnose.
Die Therapie richtet sich nach der Ursache, d.h. Adenome
der Hypophyse oder Nebennieren werden operativ entfernt.
Wichtig sind eine Thrombose- und Infektprophylaxe. Medika-
mentöse Therapieoptionen sind Kortikosteroid-Synthese-
Hemmer wie Ketokonazol, Metyrapon (Metopiron®) oder Osi-
lodrostat (Isturisa®).
Akromegalie Häufig werden die Zeichen einer Akromegalie erst bei augenfälliger Vergröberung der Gesichtszüge, Vergrösserung von Händen und Füssen wie auch häufig einer Makroglossie und Okklusionsstörung des Kiefers infolge einer Unterkieferver-
grösserung erkannt. Die Betroffenen leiden jedoch häufig schon lange Zeit vorher unter Kopf- und Gelenkschmerzen, Schwitzen, metabolischem Syndrom, gegebenenfalls Hypogonadismus. Auch ein beidseitiges Karpaltunnelsyndrom in jungen Jahren sollte den klinischen Verdacht wecken.
Die Ursache der Akromegalie sind meist Hypophysenadenome, die zu einer Produktion von Wachstumshormon führen und in der Leber die Produktion von Insulin-like Growth Factor 1 (IGF-1) stimulieren. In der Folge wachsen Knochen, Muskeln und Organe. Glukoseresistenz, metabolisches Syndrom und psychische Probleme sind ebenfalls mögliche Folgen der Akromegalie. Die Patienten leiden zusätzlich häufig an vermehrten Kolonpolypen und erhöhtem Risiko für ein Kolonkarzinom.
Die Akromegalie wird anhand eines erhöhten Wachstumshormons im oralen Glukose-Toleranztest (75 g Glukose) diagnostiziert.
Die Therapie besteht aus der operativen Resektion des Hypophysenadenoms. Medikamentöse Therapieoptionen sind Somatostatin-Analoga (Octreotid [Sandostatin® und Generika], Pasireotid [Signifor®]), Wachstumshormon-Rezeptorblocker (Pegvisomant [Somavert®]) oder Dopamin-Agonisten (Cabergolin [Cabaser®]).
Morbus Basedow Auf den ersten Blick fallen diese Patienten mit Struma und Exophthalmus auf. An den Augen zeigt sich weiter eine Lidretraktion. Die Augen sind gerötet und tränen, und die Patienten berichten von Doppelbildern. Weitere Symptome eines Morbus (M.) Basedow sind Palpitationen, Gewichtsverlust, Schwitzen und Schlafstörungen. Thyreotropin-RezeptorAutoantikörper (TRAK) stimulieren die Schilddrüsenhormonproduktion. Die Diagnose wird anhand von erniedrigtem Thyreotropin (TSH), erhöhten Trijodthyronin(T3)- und Thyroxin(T4)-Spiegeln und positiven TRAK gestellt. Letztere zeigen eine hohe Sensitivität und Spezifität für M. Basedow. Erhöhte Transaminasen, erhöhte alkalische Phosphatase, Leukopenie und Anämie können ebenfalls vorliegen.
Bei einer endokrinen Orbitopathie, die als Komplikation auftreten kann, sind Tränenersatz, Rauchstopp und in schweren Fällen eine hochdosierte Steroidtherapie sowie eine chirurgische Dekompression angezeigt.
ars medici 4 | 2025 139
BERICHT
Auf einen Blick
Cushing-Syndrom Muskelschwäche, Striae rubrae, Hämatome, Mondgesicht
Akromegalie
Vergröberung der Gesichtszüge/Akren, Kopfschmerzen, Schwitzen, metabolisches Syndrom
Morbus Basedow endokrine Orbitopathie, Palpitationen, Schwitzen
Hypothyreose
periorbitale Gesichtsschwellung, Bradykardie, Kälteintoleranz
Morbus Addison
Hyperpigmentierung der Haut, Schwäche, Gewichtsverlust, Hypotonie
Hypergonadotroper Turner-Syndrom, Klinefelter-Syndrom Hypogonadismus
Als Therapie des M. Basedow ist die Behandlung mit Thyreostatika (Carbimazol) während 12–18 Monaten angezeigt. Das Redizivrisiko liegt bei 50%. Eine Agranulozytose als seltene Nebenwirkung der Therapie muss beachtet werden. Zu Therapiebeginn sollen die Leukozyten und Neutrophilen engmaschig (alle 10–14 Tage) kontrolliert werden. Treten nach der Therapie Rezidive auf, kann eine Radiojodtherapie, die jedoch eine allfällig vorhandene Orbitopathie verschlechtern kann, durchgeführt werden. Als Alternative kann eine Operation erwogen werden.
Hypothyreose Patienten mit einer schweren Hypothyreose können eine teigige Hautschwellung, insbesondere im Gesicht und periorbital, aufweisen. In schweren Fällen sind sie bradykard und apathisch. Kälteintoleranz, Gewichtszunahme, Haarverlust und Zyklusstörungen sowie Hyporeflexie und verlangsamte Erholung der Reflexe sind weitere mögliche Zeichen.
Die Diagnose wird anhand des TSH- und des fT4-Spiegels gestellt. Bei autoimmuner Ursache können erhöhte Thyreoperoxidase-Antikörper (TPO) nachweisbar sein. Hyponatriämie, Anämie und Hypercholesterinämie können ebenfalls auftreten. Als seltene und schwere Komplikation gilt das Myxödem-Koma mit einer Mortalität bis 15%.
Die Therapie besteht aus einer Behandlung mit Levothyroxin 1,6 µg/kg/Tag (Eltroxin®, Tirosint®) als Zieldosis mit langsamer Aufdosierung bei älteren und kardial vorerkrankten Patienten. Besteht ein Myxödem und bei Verdacht auf weitere Hormonausfälle muss erst eine Nebenniereninsuffizienz ausgeschlossen werden, bevor mit Levothyroxin 300–500 µg i.v. begonnen wird, um eine Addison-Krise zu verhindern. Bei subklinischer Hypothyreose wird bei einem TSH-Wert > 10 mU/l ein Therapiebeginn empfohlen.
Bei akuter Krankheit, z.B. im stationären Setting, können die Schilddrüsenwerte nicht sicher interpretiert werden (nonthyroidal illness).
Morbus Addison Die primäre Nebennierenrindeninsuffizienz ist unter anderem erkennbar an der Hyperpigmentierung an Handinnenfalten, Narben und Mundschleimhaut durch das Prohormon von Adrenocorticotropin (ACTH) (POMC). Die Patienten leiden an Schwäche, Adynamie, Gewichtsverlust, Hypotonie und zeigen einen verminderten Insulinbedarf bei Typ-1-Diabetes oder neue Hypoglykämien. Bei Verdacht auf M. Addison muss zeitnah mit einer Hydrokortison-Substitution begonnen werden, um eine Addison-Krise zu verhindern. Elektrolytentgleisungen wie Hyponatriämie und Hyperkaliämie sind weitere Komplikationen.
Ein basaler Cortisol-Wert morgens um 8 Uhr < 150 nmol/l bestätigt die Diagnose, ein Wert > 300 nmol/l schliesst sie aus.
Als mögliche Ursache für den M. Addison gilt die Autoimmunadrenalitis, in selteneren Fällen liegen auch ein Nebennierenrindenkarzinom, Metastasen, infektiöse Erkrankungen (z.B. Tuberkulose, Zytomegalievirus) sowie infiltrative Erkrankungen wie Lymphome oder Amyloidose zugrunde.
Die Erhaltungstherapie besteht aus Hydrokortison, z.B. 15-5-0 mg plus Stressprophylaxe und gute Schulung des Patienten. Bei Aldosteronmangel ist Fludrokortison (Florinef®) 0,1 mg indiziert.
Hypogonadismus Bei weiblichen Personen zeigt sich ein hypergonadotroper Hypogonadismus (Turner-Syndrom) in Kleinwuchs, Pterygium colli, primärer Amenorrhö, bikuspider Aortenklappe und Aortenwurzeldilatation. Ursache für das Turner-Syndrom ist eine X-Chromosomenanomalie (Monosomie X oder Mosaike). Bei männlichen Personen präsentiert sich der hypergonadotrope Hypogonadismus (Klinefelter-Syndrom) dagegen mit Hochwuchs und langen Extremitäten, mit Gynäkomastie und weiblicher Fettverteilung. Es bestehen eine testikuläre Atrophie, eine verminderte Körperbehaarung, auch beim Bartwuchs. Ursache ist ein zusätzliches X-Chromosom (47, XXY, oder Mosaike). Der männliche Hypogonadismus wird häufig erst bei Infertilitätsabklärung erkannt.
Valérie Herzog
Quelle: «Blickdiagnosen Endokrinologie». FOMF Allgemeine Innere Medizin Update Refresher, 21.–25. Januar 2025, Basel
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