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BERICHT
Typ-2-Diabetes
Praktische Überlegungen zur Therapie
Für die Therapie von Typ-2-Diabetes stehen verschiedene Substanzklassen zur Verfügung. Wann welche von Vorteil sind, wie die Patienten bei der Stange gehalten werden können und welche Komorbiditäten sehr häufig sind und deshalb gesucht werden sollten, erklärte Endokrinologin Dr. Lilian Sewing, Oberärztin Medizinische Poliklinik, Universitätsspital Basel, am FOMF Allgemeine Innere Medizin in Basel.
In der Schweiz sind derzeit etwa 400 000 Patienten mit Typ-2-Diabetes in Behandlung. Grundlage zur Therapieentscheidung bei Typ-2-Diabetes sind der HbA1c-Wert, das kardiovaskuläre Risikoprofil, die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) und der Body-Mass-Index (BMI) mit Gewichtsverlauf. Für die Therapie stehen je nach Behandlungsziel Metformin, GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA), SGLT2-Hemmer, DPP-4-Hemmer, Basal- und Bolusinsulin zu Verfügung.
Für die Patienten sei es oft schwierig, langfristig eine Therapie einer Erkrankung zu befolgen, deren Auswirkungen sie nicht spürten. Umso wichtiger sei es, dass die Patienten verstehen, dass die Therapie nicht nur symptomatisch ist, sondern Spätkomplikationen vermeiden soll, erklärte Dr. Sewing. Zudem sei es möglich, mit einer substanziellen Gewichtsreduktion eine Diabetesremission zu erreichen: In der DIRECTStudie erreichten dies 86% der Teilnehmer nach einem Gewichtsverlust von mindestens 15 kg (1). Diese Aussicht würde sich bei jungen Patienten mit noch kurzer Diabetesdauer besonders lohnen, so Dr. Sewing.
Bei den meisten Patienten gilt ein HbA1c-Wert von < 7% als Zielmarke. Mit zunehmendem Alter und Auftreten von Komorbiditäten sollte das HbA1c-Ziel jedoch gelockert werden, hier sind Werte um 7,5–8% anzustreben. Wenn bei betagten Patienten das Ziel mit der bisherigen oralen Therapie nicht mehr zu erreichen ist, sollte ein Umstellung auf eine Insulintherapie hinsichtlich Nutzen und Risiko gut abgewogen werden. Liegen lebenslimitierende Komorbiditäten vor, muss kein HbA1c-Ziel mehr erreicht werden, die Therapie ist in diesem Fall symptomatisch.
KURZ UND BÜNDIG
• Kurz- wie auch langfristige Therapieziele erklären. • Kardiovaskuläre Risiken unabhängig vom HbA1c-Wert
behandeln. • Typ-2-Diabetespatienten > 60 Jahre mittels NT-proBNP
oder BNP auf Herzinsuffizienz screenen. • Alle Patienten mit Typ-2-Diabetes mit dem FIB-4-Score
regelmässig auf MASLD screenen.
Bei Typ-2-Diabetespatienten soll weiter ein Fokus auf der körperlichen Aktivität liegen. Empfohlen sind ≥ 150 Minuten pro Woche Bewegung mittlerer Intensität oder wöchentlich ≥ 75 Minuten von hoher Intensität, sodass man ins Schwitzen kommt. Bei der körperlichen Aktivität soll aerobes mit Resistenztraining kombiniert oder ein hoch intensives Intervalltraining absolviert werden. Bei Patienten, denen das nicht möglich ist, empfiehlt die Referentin, sitzende Tätigkeiten nach 30 Minuten jeweils für einen kurzen Spaziergang, wie einen Gang ums Haus, zu unterbrechen.
Überlegungen zur Therapie Eine langjährige Therapie mit Metformin kann zu einem Vitamin-B12-Mangel führen. Dies nach ein paar Jahren zu kontrollieren, sei sinnvoll, so Dr. Sewing. Die beiden Substanzklassen GLP-1-RA (Semaglutid [Rybelsus®, Ozempic®], Dulaglutid [Trulicity®], Liraglutid [Xultophy®, Victoza®], Tirzepatid [Mounjaro®, Kombination GIP-/GLP-1-RA]) und SGLT2Hemmer (Dapagliflozin [Forxiga®], Empagliflozin [Jardiance®], Canagliflozin [Invokana®]) senken unterschiedlich stark den Blutzucker, dies jedoch ohne Hypoglykämien zu verursachen. Sie reduzieren beide das Gewicht, GLP-1-RA bzw. GIP-/ GLP-1-RA in stärkerem Ausmass als SGLT2-Hemmer. In kardiovaskulärer Hinsicht haben sie in unterschiedlicher Weise protektive Eigenschaften, ebenso auf die Niere (siehe Tabelle). Damit können je nach Krankheitskonstellation des Patienten mit GLP-1-RA oder SGLT2-Hemmern der Blutzucker und die Begleiterkrankung gezielt behandelt werden.
Hinsichtlich Nebenwirkungen sind es bei GLP-1-RA vor allem solche gastrointestinaler Natur, die infolge einer verlangsamten Magenentleerung entstehen können. Daher sei es wichtig, den Patienten zu empfehlen, jeweils kleine Portionen zu sich zu nehmen und auf Lebensmittel, die den Magen belasten (z.B. scharfe Speisen), zu verzichten. Bei SGLT2-Hemmern sind vermehrte Balanitiden und Harnwegsinfekte bekannt, die aber begleitend in der Regel gut behandelt werden können. Des Weiteren sollte bei sehr schlanken Patienten oder solchen, die fasten, wegen einer drohenden Ketoazidose auf SGLT2-Hemmer verzichtet werden. Bei Patienten, die sich sehr krank fühlen, Fieber, Bauchschmerzen, Erbrechen oder Durchfall haben, sollten SGLT2-Hemmer ausgesetzt werden (sick day rules). Des Weiteren muss daran gedacht werden,
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BERICHT
Tabelle: Wirkungen von GLP-1-RA und SGLT2-Hemmern
GLP-1-RA SGLT2-Hemmer
keine Hypoglykämien
✓
✓
Gewicht
↓↓ (4–12%)
↓ (2–3%)
HbA1c
↓↓ (1–2%)
↓ (0,7–0,9%)
schwere kardiovaskuläre
↓
↓
Ereignisse (MACE)
Nephropathie
↓ (Semaglutid) ↓↓
nicht tödlicher Hirnschlag
↓
Herzinsuffizienz
↓↓
Quelle: Dr. Sewing, FOMF Basel 2025
dass der blutzuckersenkende Effekt von SGLT2-Hemmern bei einer eGFR < 45 ml/min/1,72 m3 abnimmt.
Um sich der unterschiedlichen Vorteile beider Substanzklassen zu bedienen, kann eine Kombination sinnvoll sein. Dafür braucht es meist eine Kostengutsprache, solange die SGLT-2 Hemmer nicht in renaler oder kardialer Indikation verordnet werden können, so die Referentin. Beide Substanzklassen senken den Blutzucker und haben kardiovaskuläre und renale Vorteile bei Patienten mit Typ-2-Diabetes. Eine Metaanalyse zeigte, dass sich die Wirkungen von SGLT2Inhibitoren auf kardiovaskuläre und renale Ergebnisse unabhängig von der gleichzeitigen Anwendung von GLP-1-RA entfalten (2). Somit kann eine Kombination beider Substanzklassen neben der verstärkten blutzuckersenkenden Wirkung auch einen additiven Nutzen bezüglich kardiovaskulären Risikos erzielen, wie die Referentin betonte.
Bei Insulinbedarf Abzuklären ist immer, ob ein Insulinmangel besteht. Patienten mit einer Adipositas haben häufig eine Insulinresistenz, schlanke Patienten eher einen Insulinmangel. Aber auch insulinresistente Patienten können einen Insulinmangel entwickeln. Das zeige sich beispielsweise bei übergewichtigen Patienten, die trotz Gewichtsverlust eine Zunahme des HbA1cWerts entwickelten, wie Dr. Sewing erklärte.
Patienten im Verlauf der Behandlung auf Insulin umzustellen, sei gar nicht so einfach. Denn häufig verbänden sie diesen Schritt mit einer persönlichen Niederlage dahingehend, dass ihre Lebensstilbemühungen erfolglos gewesen seien. Möglicherweise macht es die zukünftig verfügbare einmal wöchentliche subkutane Verabreichung eines Basalinsulins (Insulin icodec [Awiqly®]) für die Patienten jedoch einfacher, eine Insulintherapie zu akzeptieren. Die Zulassungsstudie zeigte, dass Insulin icodec hinsichtlich der Senkung des HbA1c dem täglich verabreichten Basalinsulin glargin U100 ebenbürtig ist, dies bei ähnlich seltener Rate von klinisch relevanten Hypoglykämien (3). Weitere wöchentlich zu verabreichende Basalinsuline sind in Entwicklung.
Regelmässiges Screening auf Komorbiditäten Zum jährlichen Check von Patienten mit Typ-2-Diabetes gehört auch die Kontrolle hinsichtlich mikrovaskulärer Kompli-
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Pocketcard Schweizer Empfehlungen 2024 zur Früherkennung von Herzinsuffizienz bei Patienten mit Diabetes
kationen wie Retinopathie, Nephropathie und Polyneuropathie sowie makrovaskulärer Komplikationen wie koronarer Herzkrankheit, Hirnschlag, peripherer arterieller Verschlusskrankheit und Herzinsuffizienz. Im Auge zu behalten sind auch kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Nikotin, Körpergewicht, Blutfette, Blutdruck sowie die Fettleber.
Bis zu einem Drittel der > 60-jährigen Patienten mit Typ2-Diabetes leidet an einer Herzinsuffizienz, häufig an der Form mit erhaltener Pumpfunktion (4). Die Mortalität von Patienten mit Typ-2-Diabetes und Herzinsuffizienz ist deutlich höher als bei jenen ohne Herzinsuffizienz (5). Aus diesem Grund empfiehlt die Schweizerische Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie (SGED) bei allen > 60-jährigen Typ2-Diabetespatienten auch ohne Symptome oder Anzeichen einer Herzinsuffizienz die jährliche Messung des NT-proBNP oder BNP. Bei einem auffälligen Wert besteht der nächste Schritt in der Überweisung zum Kardiologen zur Abklärung mittels Echokardiografie (6) und der entsprechenden Behandlung (siehe QR-Link).
Auch die metabolisch assoziierte Fettleber (MASLD) ist eine sehr häufige (≥ 70%) Komorbidität bei Patienten mit Typ-2Diabetes. Darunter ist eine steatotische Lebererkrankung mit mindestens einem kardiometabolischen Risikofaktor zu verstehen. Eine Untersuchung zeigte, dass Patienten mit Typ2-Diabetes und MASLD ein signifikant höheres Risiko für eine hepatische Dekompensation und für ein hepatozelluläres Karzinom haben als MASLD-Patienten ohne Diabetes (7,8). Das bedeute, dass man Typ-2-Diabetespatienten mit MASLD identifizieren sollte, um zu verhindern, dass aus der Steatose eine Zirrhose wird, wie die Referentin empfahl. Das gelinge am besten, am einfachsten und am kostengünstigsten mit dem FIB-4-Score, berechnet aus Alter, Thrombozyten und Transaminasen (Alanin-Aminotransferase [ALT] und Aspartat-Aminotransferase [AST]). Bei einem FIB-4-Wert ≥ 1,3 besteht ein erhöhtes Risiko für eine Zirrhose, und der Patient sollte weiter hepatologisch abgeklärt werden. Bei Werten < 1,3 sollte das Screening alle 1–2 Jahre wiederholt werden (8). Die Therapie der Fettleber besteht zurzeit aus einer intensivierten Lebensstilmodifikation mit Ernährungstherapie, vermehrter körperlicher Aktivität und dem Ziel einer Gewichtsreduktion von 7–10%. Es gebe zudem neue Daten, dass sich GIP-/GLP-1-RA positiv auf die Steatose auswirken können, so die Referentin abschliessend.
Valérie Herzog
Quelle: «Diabetes mellitus Typ II: Leitliniengerechte Therapie und neue Perspektiven». FOMF Allgemeine Innere Medizin Update Refresher, 21.–25. Januar 2025, Basel
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Referenzen: 1. Lean ME et al.: Primary care-led weight management for remission of
type 2 diabetes (DiRECT): an open-label, cluster-randomised trial. Lancet. 2018;391(10120):541-551. doi:10.1016/S0140-6736(17)33102-1 2. Apperloo EM et al.: Efficacy and safety of SGLT2 inhibitors with and without glucagon-like peptide 1 receptor agonists: a SMART-C collaborative meta-analysis of randomised controlled trials. Lancet Diabetes Endocrinol. 2024;12(8):545-557. doi:10.1016/S22138587(24)00155-4 3. Rosenstock J et al.: Weekly Icodec versus Daily Glargine U100 in Type 2 Diabetes without Previous Insulin. N Engl J Med. 2023;389(4):297-308. doi:10.1056/NEJMoa2303208 4. Boonman-de Winter LJ et al.: High prevalence of previously unknown heart failure and left ventricular dysfunction in patients with type 2 diabetes. Diabetologia. 2012;55(8):2154-2162. doi:10.1007/s00125012-2579-0 5. Bertoni AG et al.: Heart failure prevalence, incidence, and mortality in the elderly with diabetes. Diabetes Care. 2004;27(3):699-703. doi:10.2337/diacare.27.3.699 6. Schweizerische Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie (SGED): Schweizer Empfehlungen 2024 zur Früherkennung von Herzinsuffizienz (HF) bei Patienten mit Diabetes. www.sgedssed.ch. Letzter Abruf: 7.2.25 7. Huang DQ et al.: Type 2 diabetes, hepatic decompensation, and hepatocellular carcinoma in patients with non-alcoholic fatty liver disease: an individual participant-level data meta-analysis. Lancet Gastroenterol Hepatol. 2023;8(9):829-836. doi:10.1016/S24681253(23)00157-7 8. American Diabetes Association (ADA). 4. Comprehensive Medical Evaluation and Assessment of Comorbidities: Standards of Care in Diabetes—2025. Diabetes Care 2025;48(Suppl.1):S59-S85
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