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KONGRESSBERICHT
Neue Horizonte bei atopischer Dermatitis
Von unspezifischer Immunsuppression zu zielgerichteter Modulation
Die atopische Dermatitis ist ein Paradebeispiel dafür, wie translationale Forschung die klinische Praxis verändert. Dank präziser Zielstrukturen wie IL-13, IL-31 oder OX40 eröffnen sich heute zunehmend individualisierte Behandlungsstrategien.
Die atopische Dermatitis (AD) ist die häufigste chronischentzündliche Hauterkrankung weltweit. In den USA sind nach Ausführung von Prof. Emma Guttman, Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York (USA) etwa 7% der Erwachsenen und bis zu 15% der Kinder betroffen; 20–40% leiden an moderaten bis schweren Verläufen.
Trotz zahlreicher Innovationen besteht ein ungebrochener Bedarf an einer langfristigen Krankheitskontrolle. «AD ist eines der besten Beispiele für translationale Forschung – wir haben pathogenetische Hypothesen in klinische Studien mit zielgerichteten Substanzen übersetzt», erklärte Prof. Guttman. Früher standen nur unspezifisch wirkende Medikamente wie Ciclosporin zur Verfügung. «Ciclosporin greift in alle Immunwege ein – darum hat es so viele Nebenwirkungen», so die Expertin. Das Wissen um die dominierende Rolle der Th2-vermittelten Entzündung mit partieller Beteiligung der Th1-Achse führte zur Entwicklung selektiver Biologika. Heute ist bekannt, dass die Entzündung nicht auf die Haut beschränkt ist und die AD daher eine systemische Erkrankung ist. So erklärt sich, dass einige Studien einen Zusammenhang zwischen AD und kardiovaskulären Erkrankungen fanden (1). Diese Erkenntnis untermauert den Ansatz, bei > 10 % betroffener Körperoberfläche systemisch zu therapieren.
IL-13: Schlüsselzytokin bei AD Der Durchbruch der zielgerichteten Therapie bei AD gelang mit Dupilumab, dem ersten zugelassenen IL-4/IL-13-Antagonisten: In den SOLO-1- und -2-Studien erreichten die Hälfte der Patienten den primären Studienendpunkt, eine Verbesserung des «Eczema Area and Severity Index» (EASI) um 75% (2). Prof. Guttman betonte: «Dupilumab ist ein sehr sicheres Medikament». Auch bei pädiatrischen Populationen zeigte sich, dass typische Nebenwirkungen von Dupilumab wie eine Konjunktivitis oder Infektionen nicht häufiger sind als bei Erwachsenen.
Dennoch blieb die Frage offen, ob eine IL-13-Blockade allein ausreiche oder IL-4-Signalwege weiterhin berücksichtigt werden müssen. Mit den ADVocate-1-Studien zu dem
IL-13-Blocker Lebrikizumab liegt nun eine Antwort vor: Seine Wirksamkeit bewegt sich «im gleichen Bereich wie bei Dupilumab». Für Prof. Guttman ist damit klar: «IL-13 ist das wichtigste Zytokin in der AD-Pathogenese.» (3). Auch der zweite alleinige IL-13-Blocker Tralokinumab demonstriert eine starke Wirksamkeit und einen erhaltenen Behandlungseffekt nach 52 Wochen (4).
Ein weiteres interessantes Therapieziel ist IL-31, das eine tragende Rolle bei Juckreiz spielt, jedoch auch die Entzündung beeinflusst. Dies zeigte sich in den ARCADIA-1- und -2-Studien, in denen AD-Patienten mit dem IL-31-Inhibitor Nemolizumab zusammen mit topischen Steroiden behandelt wurden (5).
Der Effekt war besonders bei Patienten mit starkem Pruritus ausgeprägt, doch Nemolizumab führte auch zu einer guten klinischen Verbesserung der Hautläsionen. Beim EADV-Kongress 2024 wurden die Ergebnisse der offenen Verlängerungsstudie der Zulassungsstudie ARCADIA vorgestellt: Hier erreichte bei Behandlung bis Woche 56 die Hälfte der Patienten eine vollständige oder fast vollständige Abheilung der Ekzeme. Die andauernde Therapie führte zu einer weiteren Verbesserung der EASI-Scores seit Beginn der Verlängerung, ca. 73% erreichten an Woche 56 ein EASI-75 Ansprechen (in der As-Observed-Analyse). In der Studie wurde auch die Schlafqualität (im SCORAD Schlaf, Visuelle Analogskala [VAS]) untersucht, die sich bei 71% besserte. Über 80% erreichten eine Verbesserung des Juckreizes um mindestens vier Punkte (erhoben im SCORAD Pruritus VAS) seit Studienbeginn, was als klinisch relevant gilt (6). Zudem betonte Prof. Guttman, dass es bei Therapie mit Nemolizumab kein Konjunktivitissignal gibt – ein Vorteil gegenüber der IL-4/IL-13-Blockade (5).
Die nächste Generation zielgerichteter Therapien: Angriff an IL-22 und OX40 Mit der Identifikation des IL-22/IL-22R-Signalwegs wird ein weiteres wesentliches Therapieziel definiert, da eine erhöhte Expression von IL-22 mit epidermaler Hyperplasie und gestörter Barrierefunktion Hand in Hand geht. In einer Pilot-
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studie, die beim EADV-Kongress 2024 vorgestellt wurde, zeigte der IL-22-Blocker Temtokibart einen vergleichbaren Einfluss auf den EASI-Score und Juckreiz wie Dupilumab.
Mit der OX40-Rezeptorachse rückt ein anderer immunregulatorischer Mechanismus in den Fokus: Die OX40-Blockade hemmt die T-Zell-Aktivierung und zeigt laut Prof. Guttman eine «lange Persistenz der therapeutischen Wirkung auch nach Therapieende» wie sich in der Phase-IIIStudie ROCKET mit Rocatinlimab zeigte. Hier blieb ein EASI75-Ansprechen bis Woche 20 nach der letzten Dosis erhalten – ein Hinweis auf ein immunologisches Remodeling (7). Häufige Nebenwirkungen waren Fieber und Schüttelfrost nach der ersten Dosis, meist selbstlimitierend innerhalb von 48 Stunden. Mit Amlitelimab befindet sich ein zweiter OX40-Blocker in der Pipeline. Auch diese Substanz war in der Phase IIb-Studie STREAM-AD effektiv und relativ gut verträglich (8).
AD: eine heterogene Erkrankung In ihrem Vortag wies Prof. Guttman darauf hin, dass AD eine extrem heterogene Erkrankung ist, an der zahlreiche Zytokine wie IL-4, IL-13, IL-22 und Interferon Gamma beteilig sind. Zudem unterscheiden sich Morphologie und Verteilung der AD-Läsionen zwischen den Altersgruppen: Zeigen sich beim Säugling Läsionen häufig im Gesicht, so befinden sie sich beim Kleinkind eher in Armbeugen und Kniekehlen, beim Erwachsenen an den Händen. Es gibt auch ethnische Unterschiede zwischen AD bei Asiaten, bei Europäern und Amerikanern und bei Afroamerikanern. Die Beteiligung zahlreicher Zytokine erklärt die gute Wirksamkeit von Sub stanzen mit breiterem Ansatzpunkt wie den JAK-Inhibitoren. Zudem ermöglichen sie eine orale Therapie. «Mit den JAK-Hemmern können Sie die Wirksamkeitsdecke in den Bereich EASI90 und EASI100 verschieben – diese Ziele werden erreichbar», erklärte Prof. Guttman. Die schnell eintretende Wirksamkeit der JAK-Hemmer zeigte sich auch in der Heads-Up-Studie, in der der JAK-Hemmer Upadacitinib über einen Zeitraum von 24 Wochen mit Dupilumab verglichen wurde (9). Upadacitinib führte zu einer rascheren Beseitigung des Juckreizes: 61% der Patienten erreichten an Woche 16 ein EASI-90-Ansprechen im Vergleich zu 39% mit Dupilumab. Eine vollständige Abheilung (EASI-100- Ansprechen) erreichten zu diesem Zeitpunkt 28% der mit Upadacitinib behandelten Patienten im Vergleich zu 8% der mit Dupilumab behandelten Patienten. Bezüglich der Sicherheit war Dupilumab überlegen: Hierunter ereigneten sich vier Fälle von Herpes Zoster und zwei schwere Infektionen, opportunistische Infektion traten nicht auf. Unter 30 mg Upadacitinib kam es zu einer schweren Nebenwirkung mit Todesfolge, 12 Herpes-zoster-Infektionen, vier schweren und drei opportunistischen Infektionen.
Auch langfristig sind JAK-Hemmer effektiv, wie die Daten der JADE-EXTEND-Studie mit Abrocitinib zeigen: Die Wirksamkeit blieb nicht nur erhalten, sondern nahm mit beiden Dosen Abrocitinib bis Woche 96 weiter zu (10). Gleichwohl sind JAK-Hemmer nicht für jeden Patienten geeignet: «Man
weiss, wann man JAK-Inhibitoren nicht einsetzen sollte – nicht bei Rauchern, malignen Erkrankungen oder Menschen über 65 Jahren», erklärte Prof. Guttman. Diese differenzierte Nutzen-Risiko-Abwägung zeigt, dass personalisierte Therapieentscheidungen bei AD zunehmend an Bedeutung gewinnen werden.
Susanne Kammerer
Quelle: «What you really need to know on AD in 2025», Vortrag von E. Guttman im Rahmen des SPIN am 3. Juli 2025 in Paris.
Referenzen: 1. Silverwood RJ et al.: Severe and predominantly active atopic eczema in
adulthood and long-term risk of cardiovascular disease: population-based cohort study. BMJ. 2018;361:k1786. 2. Simpson EL et al.: Two phase 3 trials of dupilumab versus placebo in atopic dermatitis. N Engl J Med. 2016;375:2335-2349. 3. Silverberg JI et al.: Two phase 3 trials of lebrikizumab for moderate-tosevere atopic dermatitis. N Engl J Med. 2023;388:1080-1091. 4. Wollenberg A et al.: Tralokinumab for moderate-to-severe atopic dermatitis: results from two 52-week, randomized, double-blind, multicentre, placebo-controlled phase III trials (ECZTRA 1 and ECZTRA 2). Br J Dermatol. 2021;184(3):437-449. 5. Silverberg JI et al.: Nemolizumab with concomitant topical therapy in adolescents and adults with moderate-to-severe atopic dermatitis (ARCADIA 1 and ARCADIA 2): results from two replicate, double-blind, randomised controlled phase 3 trials. Lancet. 2024;404(10451):445460. 6. Thaçi D et al.: Nemolizumab long-term safety and efficacy up to 56 weeks in ARCADIA open-label extension study in adolescents and adults with moderate-to-severe atopic dermatitis. Late-breaking abstract, präsentiert beim EADV 2024, 25.–28. September 2024, Amsterdam (Niederlande). 7. Guttman E et al.: Rocatinlimab improves clinical responses in patients with moderate-to-severe atopic dermatitis by week 2 in a randomized double-blind placebo-controlled phase 2b study (P5023). Präsentiert beim AAD 2024, 8.–12. März 2024, San Diego (USA). 8. Weidinger St et al.: Phase 2b randomized clinical trial of amlitelimab, an anti-OX40 ligand antibody, in patients with moderate-to-severe atopic dermatitis. J Allergy Clin Immunol. 2025;155(4):1264-1275. 9. Blauvelt A et al.: Efficacy and safety of upadacitinib vs dupilumab in adults with moderate-to-severe atopic dermatitis. JAMA Dermatol. 2021;157(9):1047-1055. 10. Geng B et al.: Long-term efficacy of abrocitinib as monotherapy over 96 weeks in the JADE clinical program. Ann Allergy Asthma Immunol. 2024;133(6 Suppl):S100.
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