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Typ-1-Diabetes
Die Progression nach Neudiagnose kann verlangsamt werden
Typ-1-Diabetes ist eine chronische Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem fälschlicherweise die Betazellen angreift und zerstört. Dadurch kommt die Insulinproduktion fast oder ganz zum Erliegen. Die Erkrankung wird typischerweise im Kindes- oder Jugendalter diagnostiziert, kann aber in jedem Alter auftreten. Die meisten Betroffenen benötigen schon früh eine lebenslange Insulintherapie. Am Jahreskongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD) wurden drei Studien mit altbekannten Wirkstoffen vorgestellt, die ein Potenzial für eine Verzögerung der Krankheitsprogression bei Neudiagnostizierten Typ-1-Diabetes-Patienten gezeigt haben.
Die australische BANDIT-Studie zeigte vor zwei Jahren, dass eine tägliche Tablette des Januskinaseinhibitors Baricitinib die körpereigene Insulinproduktion erhalten und das Fortschreiten von Typ-1-Diabetes (T1D) bei kürzlich diagnostizierten Personen verlangsamen könnte (1). Baricitinib wird üblicherweise zur Behandlung von rheumatoider Arthritis, atopischer Dermatitis und Alopezie eingesetzt.
An der BANDIT-Studie nahmen 91 Personen im Alter von 10–30 Jahren teil, die innerhalb der letzten 100 Tage mit T1D diagnostiziert worden waren. Die Teilnehmer erhielten entweder einmal täglich Baricitinib 4 mg oder Plazebo über 48 Wochen. Zu Beginn, nach 12, 24 und 48 Wochen wurden C-Peptid-Werte, ein Marker der Betazellfunktion, und der HbA1c-Wert gemessen. Die Ergebnisse zeigten, dass die tägliche Einnahme von Baricitinib über 48 Wochen die Betazellfunktion erhielt, Blutzuckerschwankungen verringerte und den Insulinbedarf bei neu diagnostiziertem Typ-1-Diabetes reduzierte. Dies bei guter Verträglichkeit und ohne behandlungsbedingte Nebenwirkungen.
Die nun am EASD-Kongress vorgestellten 2-Jahresdaten zeigten, dass sich der Diabetes der Teilnehmenden verschlechterte, sobald die Baricitinib-Behandlung beendet wurde. Sie produzierten weniger Insulin und hatten weniger stabile Blutzuckerspiegel, die sich nicht signifikant von denen unter Plazebo unterschieden. Der C-Peptid-Wert sank von ursprünglich 0,65 unter Baricitinib (Plazebo: 0,43) nach 72 Wochen auf 0,49 (Plazebo: 0,36) und auf 0,37 (Plazebo: 0,26) nach 96 Wochen. Das belegt eine reduzierte Insulinproduktion nach Therapieende. Auch der Insulinbedarf stieg wieder an, und der HbA1c-Wert verschlechterte sich. Nach 72 und 96 Wochen waren die Unterschiede zwischen der ursprünglichen Baricitinib- und der Plazebogruppe nicht mehr statistisch signifikant (2).
Revival für Antithymozytenglobulin Auch das altbekannte Antithymozytenglobulin (ATG) bietet sich in einer tiefen Dosis nach ermutigenden Resultaten der MELD-ATG-Studie als krankheitsmodifizierende Therapie zur Progressionsverhinderung eines frisch diagnostizierten Typ-1-Diabetes (Stadium 3) bei Kindern und Jugendlichen an. ATG ist ein immunsuppressiv wirkendes Gemisch polyklonaler Antikörper, das meist zur Therapie von Abstossungsreaktionen nach Organtransplantation eingesetzt wird. In der aktuellen Studie waren die 117 Teilnehmer 5–25 Jahre alt, und ihre Typ-1-Diabetesdiagnose lag 3–9 Wochen zurück. Sie erhielten in einem 1:1:1:1-Design während zwei aufeinanderfolgenden Tagen eine ATG-Infusion (n = 33: 2,5 mg/kg; n = 34: 0,5 mg/kg; n = 6: 0,1 mg/kg; n = 11: 1,5 mg/kg) oder Plazebo (n = 30). Als primärer Endpunkt galt die individuelle Veränderung der stimulierten C-Peptid-Antwort während eines zweistündigen Mischmahlzeiten-Toleranztests 12 Monate nach der Infusion. Das Resultat zeigte, dass ATG in den Dosierungen von 2,5 mg/kg und 0,5 mg/kg den Verlust der Betazellfunktion im Vergleich zu Plazebo bei guter Verträglichkeit reduzierte. Die minimal wirksame Dosis lag bei 0,5 mg, was die Infusionszeit auf 1 Tag reduziert, wie die Studienleiterin Prof. Dr. Mathieu, Department of Endocrinology, UZ Leuven, Belgien, anführte. Die Studienresultate zeigten ihr zufolge eine neue, krankheitsmodifizierende und erschwingliche Therapie für junge Menschen mit neu diagnostiziertem Typ-1-Diabetes auf. Die Studie wurde zeitgleich zur Präsentation im «Lancet» publiziert (3).
Kalziumkanalblocker mit zusätzlichem Potenzial Der Kalziumantagonist Verapamil, bekannt als Blutdrucksenker, wurde in der europäischen doppelblind randomisierten Multizenterstudie VER-A-T1D bei 136 neudiagnostizierten Typ-1- Diabetespatienten auf diese Fragestellung
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hin untersucht. Primärer Endpunkt war das Ausmass der stimulierten C-Peptid-Antwort während eines zweistündigen Mischmahlzeiten-Toleranztests nach 12 Monaten. Das Ergebnis verpasste knapp die statistische Signifikanz (p = 0,063). Es zeige sich jedoch ein ermutigender Trend hinsichtlich der Erhaltung der Betazellfunktion, so Studienleiter Prof. Dr. Pieber, Medizinische Universität, Graz (A). Weil der Abfall der C-Peptid-Antwort in der Plazebogruppe viel langsamer als erwartet gewesen sei, und damit auch die Krankheitsprogression, sei die Studie zur Aufdeckung eines klinisch relevanten Unterschieds im Nachhinein zu wenig gepowert gewesen.
Valérie Herzog Quelle: «Towards arresting type 1 diabetes: breaking results of the MELD-ATG trial and Ver-A-T1D trial using the INNODIA masterprotocol». Jahreskongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD), 15. bis 19. September 2025, Wien Referenzen: 1. Waibel M et al.: Baricitinib and β-Cell Function in Patients with New-On-
set Type 1 Diabetes. N Engl J Med. 2023;389(23):2140-2150. doi:10.1056/NEJMoa2306691 2. Waibel M et al.: Baricitinib in new-onset type 1 diabetes: BANDIT 2-year outcomes. Abstract 220, presented at Annual Meeting of The European Association for the Study of Diabetes (EASD), 15-19 Sept, Vienna 3. Mathieu C et al.: Minimum effective low dose of antithymocyte globulin in people aged 5-25 years with recentonset stage 3 type 1 diabetes (MELD-ATG): a phase 2, multicentre, double-blind, randomised, placebo-controlled, adaptive dose-ranging trial. Lancet. Published online September 18, 2025. doi:10.1016/S0140-6736(25)01674-5
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