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Immer bessere Evidenz
Was Ernährung mit Rheuma zu tun hat
Epidemiologische Daten zeigen Zusammenhänge zwischen bekanntermassen ungesunden Ernährungsformen, insbesondere hoch verarbeiteten Lebensmitteln, und dem Risiko, eine entzündlich-rheumatische Krankheit zu entwickeln. Einen präventiven Effekt dürften hingegen Omega-3-Fettsäuren und Vitamin D haben. Auch bei bereits bestehender Erkrankung scheint eine Supplementation mit Omega-3 Vorteile zu bringen.
Autoimmunprozesse entstehen auf Basis eines ungünstigen Zusammenwirkens von genetischer Prädisposition und Umwelteinflüssen, das zunächst zur Immundysregulation mit subklinischer Erkrankung, erhöhten Zytokinen sowie dem Auftreten von Autoantikörpern und schliesslich zur manifesten Autoimmunerkrankung führt. Prof. Dr. Karen Costenbader von der Harvard Medical School (USA) untersucht seit Jahren die Rolle, die Ernährung in diesem Prozess spielt. Wichtige Daten dazu kommen aus zwei Kohorten der Nurses Health Study: aus NHS1, in die im Jahr 1976 mehr als 120 000 Frauen zwischen 30 und 55 Jahren eingeschlossen wurden, sowie aus der 1989 begonnenen NHS2 mit 116 671 Frauen, die im Alter zwischen 25 und 40 Jahren in die Studie aufgenommen wurden. In diesen Kohorten kam es bislang zum Auftreten von 1500 Fällen von rheumatoider Arthritis (RA) und 350 Fällen von systemischem Lupus erythematodes (SLE). Die Motivation der Teilnehmerinnen sei hoch, so Prof. Costenbader, und die regelmässig ausgeschickten, detaillierten und aufwendigen Fragebögen würden mit grosser Sorgfalt beantwortet. Eine sehr ähnliche Struktur weist die 1995 ins Leben gerufene Black Womens‘ Health Study (BWHS) mit 64 500 Teilnehmerinnen auf, in der es bislang zu 127 bestätigten Fällen von SLE gekommen ist.
Rheuma durch Junk-Food und «Western Diet» Hinsichtlich der Ernährung wurden unterschiedliche Muster wie eine «Western Diet» vs. «vernünftige Ernährung», «mediterrane Ernährung», die «Blutdruck-Diät» DASH (Dietary Approach to Hypertension), ein inflammatorisches Ernährungsmuster etc. abgefragt. In mehreren Auswertungen erwiesen sich die «Western Diet» und das inflammatorische Ernährungsmuster als assoziiert mit dem Auftreten einer RA. Prof. Costenbader: «Diese Assoziationen trafen insbesondere bei jüngeren und bei adipösen Frauen zu.» Ein hoher «Alternative Healthy Eating Index», der unter anderem den Konsum mehrfach ungesättigter Fettsäuren und langkettiger Omega-3-Fettsäuren erfasst, war mit einem um rund 40% reduzierten RA-Risiko assoziiert (1). Für den SLE wurden in der NHS keine Assoziationen mit Ernährungsmustern gefunden. Die Expertin weist allerdings darauf hin, dass angesichts der niedrigeren Lupus-Fallzahlen auch einfach die
statistische Aussagekraft gefehlt haben könnte, um Zusammenhänge aufzudecken. Entsprechende Trends seien jedenfalls zu beobachten. In der BWHS war ein hoher Konsum von Kohlenhydraten mit einem erhöhten Lupus-Risiko assoziiert. Die Risikodifferenz zwischen der obersten und der untersten Quintile betrug annähernd den Faktor zwei. Auch hier waren vor allem die Ernährungsgewohnheiten in der Jugend ausschlaggebend (2).
Als gesichert toxisch erwiesen sich auch aus rheumatologischer Sicht hoch verarbeitete Lebensmittel (ultraprocessed food, UPF), die man, so Prof. Costenbader, getrost als Junk-Food oder «really no food» bezeichnen könne. Industriell gefertigtes UPF enthält eine Vielzahl von Zusatzstoffen, «so gut wie keine Nährstoffe mehr» und ist assoziiert mit Krebs, Adipositas, Diabetes und erhöhter Mortalität (3). Der Konsum von UPF steigt beständig und machte in den USA im Jahr 2018 bereits 57% der Kalorienaufnahme aus. Sozial schwache und bildungsferne Schichten sind besonders betroffen (4). Für UPF konnten vor allem Assoziationen mit Lupus nachgewiesen werden. Im Populationsdrittel mit dem höchsten UPF-Konsum war das Risiko im Vergleich zum Drittel mit dem niedrigsten UPF-Konsum signifikant um 56 Prozent erhöht. Die Inzidenz von dsDNA positivem Lupus war mehr als verdoppelt.
Studiendaten zu Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren Untersucht wurden auch Assoziationen zwischen der Aufnahme von Vitamin D und dem Auftreten entzündlich-rheumatischer Erkrankungen. Die Rationale für das rheumatologische Interesse am pleiotropen Hormon Vitamin D liegt in seinem Wirkmechanismus. Nach der Bindung an seinen Rezeptor reguliert Vitamin D eine Reihe von Genen, die sowohl mit Inflammation als auch mit angeborener und adaptiver Immunantwort in Zusammenhang stehen.
Auch die Omega-3-Fettsäuren Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) unterdrücken die Produktion von proinflammatorischen Eicosanoiden aus Arachidonsäure und führen zur Synthese antiinflammatorischer sogenannter «specialiszed pro-resolving mediators» (SPM). Prof. Costenbader: «Wir haben heute eine Vielzahl von In-vitro-Studien, Studien im Tiermodell und Beobachtungsstudien mit Men-
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schen, die vorteilhafte immunmodulatorische und antiinflammatorische Effekte sowohl von Vitamin D als auch von Omega-3-Fettsäuren zeigen. Zum Teil betreffen diese Daten auch entzündlich-rheumatische Erkrankungen. So war in der Iowa Womens’ Health Study eine höhere Vitamin-DAufnahme bei Einschluss elf Jahre später mit einem reduzierten Risiko, eine RA zu entwickeln, assoziiert (5). Im Gegensatz dazu waren in einer niederländischen Fallkon trollstudie die 25-OH-D-Spiegel nicht mit der Inzidenz von RA assoziiert (6). In den NHS-Kohorten konnte kein Einfluss von Ernährungsempfehlungen betreffend Vitamin D oder von Vitamin-D-Supplementation auf das RA-Risiko gefunden werden (7). Sehr wohl zeigte sich jedoch, dass in den vier Jahren vor Beginn einer RA-Erkrankung die Plasma-Vit amin-D-Spiegel erniedrigt sind (8). Dies könne allerdings bereits eine Folge des Krankheitsbeginns sein, erläuterte Prof. Costenbader, da Vitamin-D-Spiegel im Verlauf von inflammatorischen Erkrankungen typischerweise niedrig sind.
VITAL-Studie liefert Antworten Antworten liefert die randomisierte, kontrollierte VITALStudie mit mehr als 25 000 Patienten, die den Einfluss von Omega-3- und Vitamin-D-Supplementation auf die Inzidenzen von Krebs und kardiovaskulären Erkrankungen in einem komplexen Cross-over-Design untersuchte. Autoimmunerkrankungen waren sekundäre Endpunkte dieser Studie. Die Studie verfehlte zwar ihren primären Endpunkt (9), die Auswertung hinsichtlich der Autoimmunerkrankungen zeigte jedoch einen signifikanten Vorteil unter Einnahme von Vitamin D. Im Gegensatz dazu ergab sich für die Omega3-Fettsäuren nur numerisch ein protektiver Effekt, der jedoch Signifikanz verfehlte. Unerwünschte Ereignisse waren im Verumarm nicht häufiger als unter Plazebo. Es zeigte sich keine Interaktion zwischen den beiden untersuchten Interventionen. Vitamin D interagierte allerdings mit dem BodyMass-Index, die Wirksamkeit war bei schlanken und normal gewichtigen Personen besser. Insgesamt ergab sich über fünf Jahre eine Reduktion bestätigter Autoimmunerkrankungen um 22% in der Vitamin-D-Gruppe. Der Behandlungseffekt setzt nach ungefähr drei Jahren ein. Eine Auswertung, in der alle Behandlungsarme berücksichtigt wurden, zeigt z.T. noch deutlichere Effekte mit Risikoreduktionen von mehr als 30% (10). Prof. Costenbader: «In allen Armen, in denen zumindest ein Verum gegeben wurde, schneiden die Probanden besser ab als nach ausschliesslicher Behandlung mit Plazebo.» Eine Risikoreduktion wurde auch für Polymyalgia rheumatica beobachtet, wenngleich aufgrund der niedrigen Fallzahlen für keine einzelne Erkrankung Signifikanz erreicht wurde. Zwei Jahre nach Ende der verblindeten Studie war im Vergleich der ehemaligen Vit amin-D- und Plazebogruppen kein signifikanter Effekt mehr nachweisbar, wobei die Probanden in diesen Jahren einnehmen durften, was sie wollten. Sehr wohl anhaltende Effekte zeigten sich jedoch, wenn in die Betrachtung alle Arme des Crossover-Designs einbezogen wurden. In dieser Auswertung schnitten alle Interventionsarme auch zwei
Jahre nach Ende der Studie noch besser ab als der Plazebo/ Plazeboarm. Selbst Probanden, die nur Omega-3-Fettsäuren und kein Vitamin D erhalten hatten, zeigten nach sieben Jahren ein geringeres Risiko, eine Autoimmunerkrankung zu entwickeln (11). Die Biologie scheine hier also komplexer zu sein als angenommen, so Prof. Costenbader.
Omega-3-Fettsäuren in der Therapie rheumatischer Erkrankungen Studiendaten gibt es mittlerweile auch für Ernährungsinterventionen in der Behandlung der RA. In der Studie «Plants for Joints» wurde eine Intervention bestehend aus einer «plant based diet», Bewegung und Stressmanagement mit «usual care» verglichen, wobei sich eine signifikante Reduktion der Krankheitsaktivität, gemessen mit dem DAS28 (Disease Activity Score 28), sowohl bei seronegativen als auch bei seropositiven Patienten zeigte. Zusätzlich wurden eine Gewichtsabnahme, eine Reduktion des Taillenumfangs, eine Senkung des LDL-Cholesterins sowie des HbA1c beobachtet (12). Die Autoren empfehlen Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte und Vollkornprodukte, zusätzlich jedoch auch den Konsum von Fisch. Fleisch und Milchprodukte sollten eingeschränkt werden, sind jedoch nicht verboten. Prof. Costenbader weist in diesem Zusammenhang auch auf eine Metaanalyse von 20 Studien hin, die einen ausgeprägten und günstigen Effekt für die Einnahme von Omega-3-Fettsäuren bei RA zeigt (13): «Wenn Patienten fragen, ob sie neben ihren Medikamenten noch etwas einnehmen können, dann haben wir ausreichend Evidenz, Omega-3-Fettsäuren sowohl bei der RA als auch beim Lupus zu empfehlen.»
Reno Barth
Quelle: «Nutrition, Microbiome & Immune System: The inseparable link for the prevention and cure of autoimmune diseases», EULAR Joint Session im Rahmen des EULAR 2025, 11. Juni 2025, Barcelona
Referenzen: 1. Hu Y et al.: Long-term dietary quality and risk of developing rheumato-
id arthritis in women. Ann Rheum Dis. 2017;76(8):1357-1364. doi:10.1136/annrheumdis-2016-210431 2. Castro-Webb N et al.: Association of macronutrients and dietary patterns with risk of systemic lupus erythematosus in the Black Women's Health Study. Am J Clin Nutr. 2021;114(4):1486-1494. doi:10.1093/ajcn/nqab224 3. Monteiro CA et al.: The UN Decade of Nutrition, the NOVA food classification and the trouble with ultra-processing. Public Health Nutr. 2018;21(1):5-17. doi:10.1017/S1368980017000234 4. Juul F et al.: Ultra-processed food consumption among US adults from 2001 to 2018. Am J Clin Nutr. 2022;115(1):211-221. doi:10.1093/ajcn/nqab305 5. Merlino LA et al.: Vitamin D intake is inversely associated with rheumatoid arthritis: results from the Iowa Women's Health Study. Arthritis Rheum. 2004;50(1):72-7. doi:10.1002/art.11434 6. Nielen MM et al.: Vitamin D deficiency does not increase the risk of rheumatoid arthritis: comment on the article by Merlino et al. Arthritis Rheum. 2006;54(11):3719-20. doi:10.1002/art.22191 7. Costenbader KH et al.: Vitamin D intake and risks of systemic lupus erythematosus and rheumatoid arthritis in women. Ann Rheum Dis. 2008;67(4):530-5. doi:10.1136/ard.2007.072736 8. Hiraki L et al.: Circulating 25-hydroxyvitamin D level and risk of developing rheumatoid arthritis. Rheumatology (Oxford). 2014;53(12):2243-8. doi:10.1093/rheumatology/keu276 9. Manson JE et al.: Vitamin D Supplements and Prevention of Cancer and Cardiovascular Disease. N Engl J Med. 2019;380(1):33-44 . doi:10.1056/NEJMoa1809944 10. Hahn J et al.: Vitamin D and marine omega 3 fatty acid supplementation
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