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FOKUS ERNÄHRUNGSMEDIZIN
Evidenzbasierte Prävention
Lifestyle-Medizin – Ziele und aktuelle Projekte
In der Schweiz sind über 80% aller Todesfälle durch chronische Krankheiten bedingt, entsprechend gross ist deren Anteil an den Gesundheitskosten (1). Doch für die Prävention werden nur weniger als 2% der Gesundheitskosten investiert (2). Dr. Denis Pfeiffer, Leiter der Lebensstilmedizin in der Klinik Arlesheim und Präsident der Lifestyle Medicine Society Switzerland, setzt sich dafür ein, dass die Lebensstilmedizin stärker ins Gesundheitswesen integriert wird.
Laut WHO nahmen die chronischen Krankheiten (NCDs: non-communicable diseases) in den letzten Jahren zu, 2019 waren sie weltweit für 74% der globalen Todesfälle verantwortlich. Der grösste Anteil entfällt dabei auf kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes, chronische Atemwegserkrankungen und Krebs (3). Wie die Global Burden of Disease Study zeigte, gehören Ernährungsrisiken und Nikotinkonsum zu den wichtigsten modifizierbaren Risikofaktoren (4,5). Metabolische Risikofaktoren umfassen erhöhte Plasma-Glukose, Adipositas oder erhöhtes LDL-Cholesterin, die ebenfalls stark mit der Ernährung zusammenhängen.
Die ungünstige Ernährung spiegelt sich auch in der Zunahme von Übergewicht und Adipositas wider. Besonders stark gestiegen ist der Anteil übergewichtiger Erwachsener in Ländern, die bisher niedrige Prävalenzraten aufwiesen – etwa in vielen Teilen Afrikas oder Südostasiens. In diesen Regionen hat sich der Anteil in den letzten 20 Jahren zum Teil verdoppelt (6). In Deutschland und Österreich sind über 50% der Erwachsenen übergewichtig oder adipös, in der Schweiz liegt der Anteil mit rund 43% noch etwas darunter (7).
Auch bei chronischen Krankheiten liegt der Fokus bislang vor allem auf medikamentösen und chirurgischen Verfahren. Dabei zeigen zunehmend Studien, dass gezielte, strukturierte Lebensstilinterventionen eine wirksame therapeutische Option darstellen können, betonte Dr. Pfeiffer.
Ziele der LSM • Reduktion der Krankheitslast nicht übertragbarer Erkran-
kungen (NCDs) und Steigerung der Lebensqualität • Medizin in Richtung ganzheitlicher, integrativer, nachhalti-
ger und evidenzbasierter Ansätze weiterentwickeln • Förderung der langfristigen Gesundheit und Zufriedenheit
von Patienten und Gesundheitsdienstleistenden
Lebensstilmedizin – Wissen umsetzen Die Lebensstilmedizin (LSM) versteht sich nicht nur als präventives Konzept, sondern als evidenzbasierter Behandlungsansatz zur Therapie, teils auch zur Remission chronischer Erkrankungen. Gezielte Lebensstilinterventionen werden dabei in eine nachhaltige Verhaltensmodifikation überführt. Diese Konzepte dienen der Vermeidung von Übergewicht und Adipositas, aber auch gastroenterologischen, onkologischen oder inflammatorischen Erkrankungen.
2004 gründete Dr. John Kelly das American College for Lifestyle Medicine (ACLM), mit dem Ziel, Standards und Kompetenzen im Bereich Lebensstilmedizin zu definieren (8). International werden folgende Säulen der Lebensstilmedizin integrativ im Rahmen eines umfassenden Therapiekonzepts umgesetzt: Ernährung, Bewegung, Schlaf, Stressmanagement, positive soziale Kontakte, Vermeidung von schädlichen Substanzen.
Mit der starken Fokussierung auf die evidenzbasierte Medizin grenzt sich die Lebensstilmedizin von anderen Strömungen ab.
Globale Bewegung Inzwischen ist die LSM eine globale Bewegung mit zahlreichen internationalen Konferenzen (9). In verschiedenen Ländern konnten Projekte umgesetzt werden, wie kürzlich beim nationalen Forum für Lifestyle Medicine im Parlament in Rumänien (10). Auch in den Philippinen ist die Lebensstilmedizin bereits institutionell verankert und wird von der nationalen Ärzteschaft offiziell anerkannt. In den USA ist sie seit 2024 zudem durch die Aufnahme in das House of Delegates der American Medical Association auf höchster professioneller Ebene vertreten.
LSM – Projekte in der Schweiz In der Abteilung für Lebensstilmedizin in der Klinik Arlesheim werden bereits seit zwei Jahren Programme für Einzel- und Gruppensettings entwickelt. Bisher nehmen Patienten mit kardiovaskulären, onkologischen oder anderen chronischen Erkrankungen teil. Erste Ergebnisse sind erfreulich, auch wenn die definitiven Daten noch nicht publiziert sind. Die Lifestyle Medicine Society Switzerland (11) ist Mitglied des International Board of Lifestyle Medicine (12), einem Zusammenschluss von über 30 verschiedenen nationalen Fachorganisationen. Das Board bietet Zertifizierungsprogramme an, die auf Deutsch übersetzt werden, wobei auch auf nationaler Ebene Lernprogramme in Kooperation mit medizinischen Fachgesellschaften und Bildungsinstitutionen entwickelt werden.
Barbara Elke
Quelle: Nutrition 2025, 24. Dreiländertagung der AKE, DGE und GESKES, 22.-24. Mai 2025, St. Gallen, «Lebensstilmedizin – ein neuer medizinischer Fachbereich», Dr. Denis Pfeiffer, Klinik Arlesheim
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FOKUS ERNÄHRUNGSMEDIZIN
Referenzen: 1. Bundesamt für Statistik (BFS): Statistik der Bevölkerung und der
Haushalte https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung/ erhebungen/statpop.html Bundesamt für Statistik (BFS): Todesursachenstatistik https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/gesundheit/ erhebungen/ecod.html 2. BFS: Kosten und Finanzierung des Gesundheitswesens https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/gesundheit/ erhebungen/cou.html 3. Global Epidemiological Patterns in the Burden of Main Non-communicable Diseases, Int. J. Public Health, 2023 https://www.ssph-journal.org/journals/international-journal-of-publichealth/articles/10.3389/ijph.2023.1605502/full?utm WHO (2023): Noncommunicable diseases. Fact sheet. World Health Organization. https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/noncommunicablediseases 4. GBD 2019 Risk Factors Collaborators: Global burden of 87 risk factors in 204 countries and territories, 1990-2019: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2019. Lancet. 2020;396(10258):1223-1249. doi:10.1016/S0140-6736(20)30752-2 5. GBD 2017 Risk Factor Collaborators: Global, regional, and national comparative risk assessment of 84 behavioural, environmental and occupational, and metabolic risks or clusters of risks for 195 countries and territories, 1990-2017: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2017. Lancet. 2018;392(10159):1923-1994. doi:10.1016/S0140-6736(18)32225-6 6. World Obesity Federation, 2024 https://data.worldobesity.org/tables/prevalence-of-adult-overweightobesity-2/ 7. - für Deutschland Schienkiewitz et al.: Overweight and obesity among adults in Germany – Results from GEDA 2019/2020-EHIS. Journal of Health Monitoring. 2022; 7(1): 3-17. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC9520353/ - für Schweiz Bundesamt für Statistik (BFS) (2023): Gesundheit der Bevölkerung: Körpergewicht und Body Mass Index (BMI). Erhebungsjahre: 2022 / 2023, BFS Webartikel. https://www.bfs.admin.ch/news/en/2024-0164 - für Österreich Statistik Austria (2019): Gesundheitsbefragung 2019 – Übergewicht und Adipositas. https://www.statistik.at/statistiken/bevoelkerung-und-soziales/ gesundheit/gesundheitsverhalten/uebergewicht-und-adipositas 8. https://lifestylemedicine.org 9. https://lifestylemedicineglobal.org/ 10. Press release National Forum on lifestyle Medicine, May 20 2025 Romania https://www.senat.ro/StiriSenatDetaliu.aspx?ID=50AA46D5-B8FF425B-955E-D55E865E212B 11. https://lmsswitzerland.org/ https://iblm.org/
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