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BERICHT
Indikationserweiterung für IL-23-Antikörper
Neue Option für Patienten mit Colitis ulcerosa
Im Rahmen eines Medienroundtables in Zürich berichteten Experten, was die kürzlich erfolgte Zulassung von Risankizumab zur Behandlung der Colitis ulcerosa für die Betroffenen bedeutet. Beleuchtet wurde daneben auch die Rolle der IBD-Nurse in der Betreuung von Patienten mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa.
Colitis ulcerosa (CU) ist eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung (IBD), deren Bedeutung im Zunehmen begriffen ist – nicht nur in den westlichen Industrieländern, sondern immer mehr auch in Schwellenländern (1). Als Faktoren werden unter anderem Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten (und damit auch des Mikrobioms) und der westliche Lebensstil diskutiert. Lange galt sie als Erkrankung junger Menschen, doch heute ist zunehmend auch die ältere Bevölkerung betroffen. Eine Neudiagnose im höheren Alter ist keine Seltenheit mehr, berichtete Prof. Dr. Stephan Vavricka, Zentrum für Gastroenterologie und Hepatologie, Zürich (2).
Krankheitsschwere oft unterschätzt Betroffene leiden unter häufigem, teils blutigem Durchfall, Bauchschmerzen und vor allem unter massivem Stuhldrang («urgency»). Patienten berichten von einem «Toiletten-zentrierten Leben», das die Lebensqualität massiv einschränke. Die Erkrankung kann sehr unterschiedlich verlaufen und die Ausprägung der Beschwerden erheblich variieren. Die Nichtvorhersehbarkeit stellt dabei eine zusätzliche Herausforderung für die Betroffenen dar (3).
Im Vergleich zu chronischen Erkrankungen wie Migräne oder Asthma wird die Auswirkung einer Colitis ulcerosa auf das Leben der Betroffenen als schwerer eingeschätzt (4,5). Bei der Beurteilung orientieren sich Ärzte und Patienten an unterschiedlichen Parametern: Während Ärzte sich vorwiegend auf objektive Parameter wie Blut im Stuhl oder Durchfall fokussieren, leiden Patienten oftmals stärker unter Fatigue oder den Schmerzen (6).
Vom Kortison zur gezielten Therapie Im ersten Schub kann die Entzündung in der Regel mit Kortikosteroiden gut behandelt werden. Sie wirken rasch, sind aber nicht zur Langzeitbehandlung geeignet. Ihr Einsatz kann eine anhaltende oder fortschreitende Schädigung der Darmschleimhaut maskieren und belastende Nebenwirkungen mit sich bringen. Das Ziel einer modernen CU-Therapie ist mehr als die Freiheit von Symptomen; heute steht eine langfristige Kontrolle der Krankheitspathologie im Zentrum der Bemühungen, wie der Experte betonte. Das Erreichen dieses Ziels geht mit weniger Rezidiven, weniger Operationen, weniger
Hospitalisationen und einer besseren Lebensqualität einher. Angestrebt werden heute neben der klinischen Remission eine Normalisierung der Biomarker sowie eine endoskopische Verbesserung bzw. die mukosale Heilung; auch eine histologische Heilung ist mittlerweile im Gespräch. Der STRIDE-II-Algorithmus zeigt eine Treat-to-Target-Strategie mit kurz-, mittel- und langfristigen Zielen auf (7).
Risankizumab nun auch bei Colitis ulcerosa einsetzbar Bei der Erreichung dieser Ziele ist es hilfreich, verschiedene Pfeile im Köcher zu haben. Seit Februar dieses Jahres erweitert Risankizumab das Armamentarium für Patienten mit Colitis ulcerosa, bei denen bisherige Therapien nicht ausreichen (siehe Kasten S. 394). Der gegen die p19-Untereinheit von Interleukin(IL)-23 gerichtete monoklonale Antikörper ist bereits seit 2019 in der Dermatologie (Plaquepsoriasis), seit 2022 in der Rheumatologie (Psoriasisarthritis) und seit 2023 für die Therapie von Patienten mit moderatem bis schwerem aktivem Morbus Crohn zugelassen (8). Insgesamt könne man auf eine klinische Erfahrung von bald zehn Jahren zurückblicken, so Prof. Dr. Luc Biedermann, Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie, Universitätsspital Zürich.
Das zunehmende Alter der Betroffenen spiegelt sich in den Zulassungsstudien für Risankizumab – das Durchschnittsalter der Patienten lag bei Anfang 40. Etliche davon hatten Vortherapien, zum Teil bereits mehrere, hinter sich und etwa die Hälfte wies eine schwerer ausgeprägte Erkrankung (Mayo-Score > 7) auf. In der Induktionsstudie INSPIRE (n = 975) zeigten in Woche 12 unter dem Verum 64,3% ein klinisches Ansprechen (Plazebo: 35,7%). Eine Verbesserung der Symptome war bereits ab Woche 4 messbar, nach zwölf Wochen hatte einer von fünf Patienten eine klinische Remission erreicht (9). In der Erhaltungsstudie COMMAND (Risankizumab: 180 mg: n = 179, 360 mg: n = 186; Plazebo: n = 183) waren in Woche 52 signifikant mehr Patienten unter dem Verum in klinischer Remission als unter Plazebo (180 mg: 40,2% [p < 0,001], 360 mg: 37,6% [p = 0,002], Plazebo: 25,1%), und jeder zweite erreichte eine mukosale Heilung (9). Unter denjenigen, die zuvor noch kein unzureichendes Ansprechen und keine Unverträglichkeit auf eine Therapie mit einem Biologikum oder einem Small Molecule gezeigt hatten, fiel dieser
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BERICHT
Risankizumab bei Colitis ulcerosa
Risankizumab (SKYRIZI®) ist indiziert zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit mittelschwerer bis schwerer aktiver Colitis ulcerosa, die unzureichend auf eine konventionelle Therapie oder ein Biologikum angesprochen haben, nicht mehr ansprechen oder diese(s) nicht vertragen haben. Bei gastroenterologischen Patienten kommen vor allem in der Induktionsphase deutlich höhere Dosierungen als in der Dermatologie und in der Rheumatologie zum Einsatz, wie Prof. Biedermann ergänzte. Empfohlene Dosierung*: • Induktion: Die empfohlene Dosis beträgt 1200 mg als i.v. Infusion in
Woche 0, 4 und 8. • Erhaltung: ab Woche 12 und danach alle 8 Wochen, Dosierung abhängig
vom individuellen Ansprechen: – ausreichender therapeutischer Nutzen nach der Induktion:
180 mg s.c. – kein ausreichender therapeutischer Nutzen nach der Induktion:
360 mg s.c.
i.v.: intravenös; s.c.: subkutan
*Fachinformation SKYRIZI® Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. https://www.swissmedicinfo.ch
Effekt noch einmal stärker aus (10): Bis zu rund drei Viertel dieser Patienten (76,2%) erreichten unter 360 mg nach 52 Wochen eine endoskopische Verbesserung. Auch hinsichtlich Stuhldrang, Bauchschmerzen, nächtlicher Darmentleerung sowie Hospitalisationen zeigten sich deutliche Verbesserungen. Die Verträglichkeit war gut, es fanden sich keine neuen Sicherheitssignale.
Pflege und Patientensicht: die Rolle der IBD-Nurse Die Versorgung der Patienten war ebenfalls ein Thema: Barbara Dora, Pflegefachfrau am Universitätsspital Zürich, und Bruno Giardina von der Patientenorganisation Crohn Colitis Schweiz schilderten die Relevanz der IBD-Nurse im Versorgungsteam. Barbara Dora fungiert als Schnittstelle zwischen Patienten, Pflege und Arztteam. Patienten schätzen die kontinuierliche Betreuung und das niedrigschwellige Gesprächsangebot. Durch den engen Kontakt sei es manchmal einfacher, etwas mit der Nurse anzusprechen als mit dem Arzt, so Bruno Giardina – besonders im Kontext von Studien sei die enge Begleitung durch Studien-Nurses ein wichtiger Faktor für die Therapietreue und Zufriedenheit.
Allerdings ist das Angebot bislang vor allem grösseren Zentren vorbehalten. Die fehlende Refinanzierung in der Tarifstruktur erschwert eine flächendeckende Etablierung, obwohl sich aus Sicht vieler Experten dadurch langfristig auch Kosten einsparen liessen.
Fazit Die Zulassung von Risankizumab bei Colitis ulcerosa ist ein weiterer Schritt in der personalisierten Behandlung der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Die Studiendaten belegen Wirksamkeit und Sicherheit, auch bei schwerer oder bislang therapieresistenter Erkrankung. Die Einbindung von Pflegekräften wie IBD-Nurses sowie die Berücksichtigung der Patientenperspektive sollten integraler Bestandteil eines modernen Behandlungsansatzes sein. Die Zukunft der IBD-Therapie liegt nicht nur in innovativen Molekülen, sondern auch in einer interdisziplinären, patientenzentrierten Versorgung.
Christine Mücke
Quelle: «IBD-Update: Chronisch entzündliche Darmerkrankungen mit all ihren Facetten erfassen», Medienroundtable AbbVie vom 3. März 2025, Zürich
Referenzen: 1. Ng SC et al.: Worldwide incidence and prevalence of inflammatory
bowel disease in the 21st century: a systematic review of populationbased studies. Lancet. 2017;390:2769-2778. doi:10.1016/S01406736(17)32448-0 2. Chouraki V et al.: The changing pattern of Crohn's disease incidence in northern France: a continuing increase in the 10- to 19-year-old age bracket (1988-2007). Aliment Pharmacol Ther. 2011;33:1133-1142. doi:10.1111/j.1365-2036.2011.04628.x 3. Rapport F et al.: Patient views about the impact of ulcerative colitis and its management with drug treatment and surgery: a nested qualitative study within the CONSTRUCT trial. BMC Gastroenterol. 2019;19(1):166. doi:10.1186/s12876-019-1085-y 4. Gower-Rousseau C et al.: Validation of the Inflammatory Bowel Disease Disability Index in a population-based cohort. Gut. 2017;66(4):588-596. doi:10.1136/gutjnl-2015-310151 5. Rubin DT et al.: The impact of ulcerative colitis on patients' lives compared to other chronic diseases: a patient survey. Dig Dis Sci. 2010;55(4):1044-1052. doi:10.1007/s10620-009-0953-7 6. Rubin DT et al.: International Perspectives on Management of Inflammatory Bowel Disease: Opinion Differences and Similarities Between Patients and Physicians From the IBD GAPPS Survey. Inflamm Bowel Dis. 2021;27(12):1942-1953. doi:10.1093/ibd/izab006 7. Turner D et al.: STRIDE-II: An Update on the Selecting Therapeutic Targets in Inflammatory Bowel Disease (STRIDE) Initiative of the International Organization for the Study of IBD (IOIBD): Determining Therapeutic Goals for Treat-to-Target strategies in IBD. Gastroenterology. 2021;160:1570-1583. doi:10.1053/j.gastro.2020.12.031 8. Fachinformation SKYRIZI®, www.swissmedicinfo.ch 9. Louis E et al.: Risankizumab for Ulcerative Colitis: Two Randomized Clinical Trials. JAMA. 2024;332:881-897. doi:10.1001/jama. 2024.12414 10. Panaccione R et al.: Risankizumab efficacy and safety based on prior inadequate response or intolerance to advanced therapy: post hoc analysis of the INSPIRE and COMMAND phase 3 studies. J Crohns Colitis. 2025;19(1):jjaf005. doi:10.1093/ecco-jcc/jjaf005
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