Transkript
FORTBILDUNG
Wissenschaftlich gesicherter Platz
Ginkgo in der Prävention und Therapie von Hirnleistungsstörungen
Den aktuellen Schweizer Empfehlungen zufolge kann Ginkgo biloba in allen Stadien der Demenz eingesetzt werden. Da es bei demenziellen Erkrankungen hinsichtlich Effektgrösse mit den klassischen Antidementiva vergleichbar ist, wird wenn immer möglich eine Kombinationstherapie empfohlen. Angesichts neuerer Daten ist auch anzunehmen, dass Gingko in der Primärprävention von Bedeutung ist.
Reto W. Kressig
Standardisierter Ginkgo-biloba-Extrakt bei gesicherter Demenzerkrankung Der Nachweis des therapeutischen Nutzens von Ginkgo-biloba-Spezialextrakt bei der Behandlung von Hirnleistungsstörungen konnte in den letzten Jahren dank neuer Publikationen weiter gestärkt werden. Bei einer diagnostisch gesicherten demenziellen Erkrankung wissen wir seit rund 15 Jahren, dass die Effektgrösse von Ginkgo biloba mit derjenigen der klassischen Antidementiva (Cholinesterasehemmer, Memantin) vergleichbar ist (1–3), weshalb in gängigen Empfehlungen wenn immer möglich deren Kombination empfohlen wird (4) (Abbildung 1).
Dabei beziehen sich die nachgewiesenen positiven Effekte von Ginkgo biloba nicht nur auf die Kognition, sondern auch auf die Auftretenshäufigkeit von demenzassoziierten Verhaltensauffälligkeiten (5).
Standardisierter Ginkgo-biloba-Extrakt bei frühen Hirnleistungsstörungen In neueren Arbeiten gibt es immer mehr Hinweise, dass Ginkgo biloba auch bei sehr frühen Stadien von Hirnleistungsstörungen (mild cognitive impairment [MCI] / subjective cognitive decline [SCD]) eine wichtige Rolle spielt. Allerdings scheinen
MERKPUNKTE
• Ginkgo-biloba-Spezialextrakt kann in allen Stadien der Demenzerkrankung eingesetzt werden, auch in sehr frühen Stadien von Hirnleistungsstörungen.
• Hinsichtlich Effektgrösse ist es vergleichbar mit Cholinesterasehemmern und Memantin, weshalb nach Möglichkeit eine Kombinationstherapie der drei empfohlen wird.
• Neuere Daten lassen auch eine Bedeutung in der Primärprävention annehmen.
• Ginkgo biloba interferiert in keiner Weise mit der Blutgerinnung, wie zahlreiche plazebokontrollierte Studien bestätigen konnten.
hier positive Behandlungseffekte an eine längere Therapiedauer gebunden zu sein.
Bereits aus der GuidAge-Studie (6) haben wir gelernt, dass das Risiko einer Demenz bei MCI erst nach einer Behandlungsdauer mit Ginkgo biloba von fünf oder mehr Jahren wirksam (über 50%) gesenkt werden kann. Für kürzere Behandlungsdauern konnte kein Therapieeffekt gefunden werden. Eine kürzliche Expertenübersicht (7) kommt zum Schluss, dass Ginkgo biloba als einziger pharmakologischer Wirkstoff mit einer Dosierung von 240 mg/Tag zur symptomatischen Behandlung der kognitiven Einschränkungen und der neuropsychiatrischen Symptome bei MCI zu empfehlen ist. Eine solche Therapie sollte stets mit den aus der FINGER-Studie (8,9) bestens bekannten nicht medikamentösen Lebensstilveränderungen (regelmässiges körperliches und geistiges Training, mediterrane [Mediterranean-DASH Diet Intervention for Neurodegenerative Delay, MIND] Ernährung und gute Kontrolle vaskulärer Risikofaktoren) begleitet werden.
Eine ebenfalls neuere Übersicht zur möglichen Bedeutung von Ginkgo biloba beim subjektiven kognitiven Decline (SCD) konnte angesichts der relativen Neuheit dieser Diagnoseentität nur wenige diesbezügliche Studien identifizieren (10). Die gefundenen Daten weisen auch hier auf die Bedeutung der richtigen Tagesdosis (240 mg) sowie einer Mindesttherapiedauer von sechs Monaten hin. Die gefundenen Haupteffekte betreffen vor allem eine positive Wirkung auf kognitive Flexibilität, Aufmerksamkeit und Gedächtnis (verbal und nonverbal). Weiter waren die Effekte stärker bei jüngeren (45–65 Jahren) Patienten.
Angesichts dieser Daten ist anzunehmen, dass Ginkgo biloba auch in der Primärprävention von demenziellen Erkrankungen Bedeutung hat. Insbesondere bei Menschen mit einem hohen Demenzrisiko (vaskulär, genetisch) sollte neben den anzustrebenden nicht medikamentösen FINGER-Lebensstiländerungen auch an Ginkgo biloba gedacht werden.
Sicherheit von standardisiertem Ginkgo-bilobaExtrakt Basierend auf vereinzelten historischen Case-Reports wurde Ginkgo biloba über lange Zeit mit einem erhöhten Risiko für
292 ars medici 8 | 2025
FORTBILDUNG
Foto: Sora Sagano / Unsplash
Krankheitsstadium
Leichte kognitive Störung Leichte neurokognitive Erkrankung
Leichte Demenz (frühes Stadium)
Medikamentöser Therapieansatz
Ginkgo-Spezialextrakt 2 × 120 mg bzw. 240 mg/Tag
Cholinesterasehemmer
Klinische Verschlechterung (nach 6 Monaten) MMSE < 20 Lebensende Erhöhung Dosis Cholinesterasehemmer + Memantin (20 mg) (Kombinationstherapie*) *Limitatio: zulässig, aber nicht kassenp ichtig Abbildung 1: Aktuelle Schweizer Empfehlungen zur stadiengerechten symptomatisch-medikamentösen Therapie der Demenz (Quelle: Prof. Reto W. Kressig) MMSE: Mini Mental State Examination Blutungen assoziiert. Dieses Risiko wurde in mittlerweile zahlreich vorliegenden plazebokontrollierten Interventionsstudien nicht bestätigt. Vielmehr ist heute klar, dass Ginkgo biloba in keiner Weise mit der Blutgerinnung interferiert, wie eine systemische Metaanalyse (11) von 18 randomisierten, plazebokontrollierten Studien mit 1985 erwachsenen Patienten zeigen konnte. Sie ergab hinsichtlich Blutfluss, Thrombozytenaggregation und Koagluationsparametern (Fibrinogenkonzentration, aktivierte partielle Thromboplastinzeit [aPTT], Prothrombinzeit [PT]) keine signifikanten Unterschiede des Ginkgo-biloba-Extraktes im Vergleich mit Plazebo bzw. zum Ausgangswert; einzig die Blutviskosität war unter Ginkgo signifikant reduziert. Fazit Für Hausärzte und Spezialisten bleibt es auch in Zukunft das höchste Ziel, Patientenklagen zur Hirnleistung (auch bei Normalbefund!) ernst zu nehmen, richtig abzuklären und mittels geschilderter Massnahmen so früh wie möglich zu adressieren. Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Reto Werner Kressig Professor und Ordinarius für Geriatrie der Universität Basel Universitäre Altersmedizin FELIX PLATTER Burgfelderstrasse 101 4002 Basel RetoW.Kressig@felixplatter.ch Zusammenfassung anlässlich der 38. Jahrestagung der Schweizerischen Medizinischen Gesellschaft für Phytotherapie (SMGP), 28.November 2024, Baden Interessenlage: Der Autor gibt an, Referentenhonorare für Vorträge unabhängigen Inhaltes von om-pharma und Schwabe AG erhalten zu haben. Referenzen: 1. Ihl R et al.; GOTADAY Study Group: Efficacy and safety of a once-daily formulation of Ginkgo biloba extract EGb 761 in dementia with neuropsychiatric features: a randomized controlled trial. Int J Geriatr Psychiatry. 2011 Nov;26(11):1186-94. doi:10.1002/gps.2662 2. Bachinskaya N et al.: Alleviating neuropsychiatric symptoms in dementia: the effects of Ginkgo biloba extract EGb 761. Findings from a Ginkgo biloba: Typisch sind die zweilappigen (bi-loba), fächerartigen Blätter des Baumes, deren Extrakt pharmazeutisch genutzt wird. randomized controlled trial. Neuropsychiatr Dis Treat. 2011;7:209-15. doi:10.2147/NDT.S18741 3. Herrschaft H et al.: Ginkgo biloba extract EGb 761® in dementia with neuropsychiatric features: a randomised, placebo-controlled trial to confirm the efficacy and safety of a daily dose of 240 mg. J Psychiatr Res. 2012 Jun;46(6):716-23. doi:10.1016/j.jpsychires.2012.03.003 4. Kressig RW: Demenz vom Alzheimer-Typ: Nicht-medikamentöse und medikamentöse Therapie [Dementia of the Alzheimer type: non-drug and drug therapy]. Ther Umsch. 2015 Apr;72(4):233-8. German. doi:10.1024/0040-5930/a000670 5. von Gunten A et al.: Efficacy of Ginkgo biloba extract EGb 761® in dementia with behavioural and psychological symptoms: A systematic review. World J Biol Psychiatry. 2016 Dec;17(8):622-633. doi:10.3109/ 15622975.2015.1066513 6. Vellas B et al.; GuidAge Study Group: Long-term use of standardised Ginkgo biloba extract for the prevention of Alzheimer's disease (GuidAge): a randomised placebo-controlled trial. Lancet Neurol. 2012 Oct;11(10):851-9. doi:10.1016/S1474-4422(12)70206-5 7. Kasper S et al.: Management of mild cognitive impairment (MCI): The need for national and international guidelines. World J Biol Psychiatry. 2020;21(8):579-594. doi:10.1080/15622975.2019.1696473 8. Kivipelto M et al.: The Finnish Geriatric Intervention Study to Prevent Cognitive Impairment and Disability (FINGER): study design and progress. Alzheimers Dement. 2013 Nov;9(6):657-65. doi:10.1016/ j.jalz.2012.09.012 9. Ngandu T et al.: A 2 year multidomain intervention of diet, exercise, cognitive training, and vascular risk monitoring versus control to prevent cognitive decline in at-risk elderly people (FINGER): a randomised controlled trial. Lancet. 2015 Jun 6;385(9984):2255-63. doi:10.1016/S0140-6736(15)60461-5 10. Gruenwald J et al.: The Effects of Standardized Ginkgo Biloba Extracts (GBE) on Subjective Cognitive Decline (SCD) in Middle-Aged Adults: A Review. Advances in Aging Research. 2020;9(3):45-65. doi:10.4236/ aar.2020.93005 11. Kellermann AJ, Kloft C: Is there a risk of bleeding associated with standardized Ginkgo biloba extract therapy? A systematic review and meta-analysis. Pharmacotherapy. 2011 May;31(5):490-502. doi:10.1592/phco.31.5.490 294 ars medici 8 | 2025