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BERICHT
Trotz Immunsuppression auf Reisen
Impfempfehlungen für Reisende unter immunmodulierenden Therapien
Wer unter einer chronisch autoimmun-entzündlichen Erkrankung leidet, trägt per se ein höheres Infektionsrisiko als immunologisch Gesunde. Hinzu kommt die immunsuppressive Wirkung der entsprechenden Therapien, welche das Infektionsrisiko zusätzlich steigert. Ein guter Impfschutz ist für diese Patienten deshalb noch wichtiger als für Gesunde. Wie man diesen erreichen kann, war eines der Themen am 26. Forum Reisen und Gesundheit in Berlin.
Die gute Nachricht vorweg: Chronisch autoimmun-entzündliche Erkrankungen sind mittlerweile gut behandelbar. Das ermöglicht den Betroffenen eine bessere Lebensqualität und kann sie dazu ermutigen, trotz ihrer Erkrankung wieder Reisepläne zu schmieden. Der Haken: Diese Patienten leiden unter einer immunologischen Dysbalance. Einerseits attackiert ihr Organismus körpereigene Strukturen, andererseits fallen die Immunantworten auf tatsächliche Erreger schwächer oder weniger gut reguliert aus. Das führt zu einem erhöhten Infektionsrisiko, welches durch die einschlägigen entzündungshemmenden und immunmodulierenden Therapien noch gesteigert wird.
Man schätzt, dass das Infektionsrisiko von Personen mit chronisch autoimmun-entzündlichen Erkrankungen im Allgemeinen um das 2- bis 4-Fache im Vergleich mit der immunologisch gesunden Bevölkerung erhöht ist, wobei es unter besonders immunsuppressiven Therapien und gegenüber bestimmten Erregern noch deutlich höher sein kann. Das Impfen ist für diese Patienten folglich noch wichtiger als für die
KURZ UND BÜNDIG
• Patienten mit chronisch autoimmun-entzündlichen Erkrankungen haben ein erhöhtes Risiko für Infektionen, welches durch immunsuppressive Therapien zusätzlich gesteigert wird.
• Der Impfschutz sollte möglichst vor dem Beginn einer immunmodulierenden Therapie komplettiert werden.
• Totimpfstoffe gelten auch unter Immunsuppression als sicher, ihre Wirksamkeit kann jedoch eingeschränkt sein.
• Lebendimpfstoffe sind unter Immunsuppression kontraindiziert.
• Lebendimpfstoffe können abhängig von Art und Ausmass der Immunsuppression, der Grunderkrankung und der individuellen Immunkompetenz des Patienten nach einer strengen Risiko-Nutzen-Analyse mitunter doch angewendet werden.
Allgemeinbevölkerung. Es ist jedoch je nach Impfstoff etwas komplizierter und es bestehen gewisse Kontraindikationen.
Totimpfstoffe sind kein Problem «Totimpfstoffe gelten auch bei Immunsupprimierten generell als sicher. Sie können aber möglicherweise weniger wirksam sein, weil das Immunsystem durch die Immunsuppression gehemmt ist», sagte Prof. Dr. Martina Prelog, Universitätsklinikum Würzburg, am 26. Forum Reisen und Gesundheit des CRM Centrum für Reisemedizin in Berlin. Das Impfen mit Totimpfstoffen ist zwar immer möglich, sollte besser aber in Remission bzw. in einer stabilen Phase der Grunderkrankung erfolgen. Ebenfalls wichtig: Das Impfen der Kontaktpersonen nicht vergessen!
Die Impfantwort immunsupprimierter Patienten charakterisierte Prof. Prelog als «lower, slower, shorter». Deshalb könne es sinnvoll sein, den Titer protektiver Antikörper im Serum zirka 4–6 Wochen nach der Impfung zu bestimmen – sofern aussagekräftige Antikörpertiterwerte definiert seien, was nicht für alle Erreger und Impfungen zutreffe. Antikörperbestimmungen können bei Immunsupprimierten beispielsweise nach der 2. Impfdosis gegen FrühsommerMeningoenzephalitis (Encepur®, FSME-Immun®) sinnvoll sein, um gegebenenfalls eine zusätzliche Dosis zu verabreichen. Ein weiteres Beispiel ist die Bestimmung des spezifischen Antikörpertiters, um über die Auffrischung einer Tollwutimpfung (Rabipur®) zu entscheiden.
Grundsätzlich sollten Immunsupprimierte unabhängig von Reiseplänen mit Totimpfstoffen gegen Influenza (Fluarix Tetra®, Influvac Tetra®, Vaxigrip Tetra®, Flucelvax Tetra®, Efluelda®), COVID-19 (Comirnaty®, Spikevax®), Pneumokkken (Prevenar 20®), Respiratorisches Synzytial-Virus (Abrysvo®, Arexvy®), Meningokokken (Menveo®, MenQuadfi®, Bexsero®) und Herpes Zoster (Shingrix®) geimpft sein. Für die Reiseimpfung gegen Hepatitis A (Havrix®), ebenfalls ein Totimpfstoff, wird eine zusätzliche Impfdosis empfohlen (parallel zur 1. Dosis oder 4 Wochen nach der 1. Dosis; für Langzeitschutz: 3. Dosis im Abstand von 6–12 Monaten). Auch eine Kombination mit einem Hepatitis-B-Impfstoff (Twinrix®) ist möglich,
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LINKTIPPS
Über das Portal Infovac ist der Webservice der viavac GmbH verlinkt, der über den Inhalt und die Verfügbarkeit von Impfstoffen informiert, die in der Schweiz vertrieben werden oder wurden. www.rosenfluh.ch/qr/impfstoffe-ch
wobei auch hier eine Titerkontrolle erfolgen sollte; die separate Impfung ist zu bevorzugen. Auch für die Japanische Enzephalitis ist ein Totimpfstoff verfügbar (Ixiaro®).
Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen können lebensgefährlich an Cholera oder Typhus erkranken oder schwere Schübe der Grunderkrankung durch diese Erreger erleiden. Sie sollten deshalb mit einem Totimpfstoff gegen diese Erreger geschützt werden. In der Schweiz sind nur orale Lebendimpfstoffe verfügbar, die bei Immunsupprimierten kontraindiziert sind. Überdies sollten Lebendimpfstoffe gegen Cholera und Typhus Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen grundsätzlich nicht gegeben werden.
Tropische Regionen meiden Generell keinen Totimpfstoff gibt es gegen Gelbfieber. Der vorhandene Lebendimpfstoff weist überdies eine hohe Replikationsfähigkeit auf, sodass er unter Immunsuppression kontraindiziert ist. Ausnahmen seien nur bei niedrig dosierter Medikation und einer strengen Nutzen-Risiko-Abwägung möglich. Wer eine eingeschränkte Immunfunktion habe, solle es sich deshalb gut überlegen, ob er wirklich in eine Region mit hohem Gelbfieberrisiko reisen müsse, so Prof. Prelog.
Dasselbe gilt für Regionen mit hohem Risiko für Denguefieber, auch hier ist in der Schweiz nur ein Lebendimpfstoff verfügbar. Gegen das Chikungunyafieber wurde erst kürzlich ein Totimpfstoff (Vimkunya®) in der EU zugelassen.
Lebendimpfstoffe immer kontraindiziert? «Bei einer starken Immunsuppression sind Lebendimpfstoffe absolut kontraindiziert», sagte Prof. Prelog. Das bedeute jedoch nicht, dass alle Immunsupprimierten generell auf solche Impfungen verzichten müssten. Vielmehr sei die Option einer Impfung mit Lebendimpfstoffen von der Art und dem Ausmass der Immunsuppression sowie der Grunderkrankung und der individuellen Immunkompetenz des Patienten abhängig.
Falls nach einer strengen Risiko-Nutzen-Analyse doch die Impfung mit einem Lebendimpfstoff erwogen wird, sollte diese erfolgen, wenn der Patient in Remission ist und nur eine niedrige Immunsuppression aufweist. Möglich wäre das bei niedrig dosierten Immunsuppressiva, bei einigen niedrig dosierte Biologika oder wenn eine Pause von mindestens 2–4 Halbwertszeiten der immunmodulierenden Therapie eingelegt werden kann, sagte Prof. Prelog.
Mittlerweile sind Dutzende von immunsuppressiven Substanzen, Biologika und Small Molecules zur Behandlung von
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Reiseimpfungen und ihre Besonderheiten bei chronisch autoimmun-entzündlichen Erkrankungen
Gelbfieber Nur als Lebendimpfstoff mit hoher Replikationsaktivität
verfügbar (Stamaril®). Bei Immunsuppression kontra-
indiziert, da die Gefahr einer schweren Erkrankung
besteht. Ausnahmen nur bei niedrig dosierter immun-
suppressiver Medikation und nach strenger Nutzen-
Risiko-Abwägung.
Cholera,
Orale Lebendimpfstoffe sollten besonders bei Patienten
Typhus
mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen vermieden
werden; in der EU sind Totimpfstoffe zugelassen, auf die
man ausweichen kann, in der Schweiz sind nur orale
Lebendimpfstoffe verfügbar.
Japanische Hohes Erkrankungsrisiko für Immunsupprimierte.
Enzephalitis Totimpfstoff ist verfügbar (Ixiaro®).
Hepatitis A Totimpfstoff ist verfügbar (Havrix®). Doppelte Impfdosis
oder Wiederholungsimpfung nach 4 Wochen empfohlen,
da die Wirksamkeit der Impfung unter Immunsuppression
vermindert ist.
Influenza
Bei Reisen in die Tropen ganzjährig relevant. Mehrere
Totimpfstoffe in der Schweiz verfügbar (Fluarix Tetra®,
Influvac Tetra®, Vaxigrip Tetra®, Flucelvax Tetra®, Efluelda®).
Frühsommer- Totimpfstoffe verfügbar (Encepur®, FSME-Immun®).
Meningonze- Aufgrund herabgesetzter Wirksamkeit unter Immun-
phalitis
suppression werden zusätzliche Impfdosen empfohlen
(FSME)
(Antikörpertiter bestimmen).
Tollwut
Totimpfstoff verfügbar (Rabipur®). Aufgrund herab-
gesetzter Wirksamkeit unter Immunsuppression werden
zusätzliche Impfdosen empfohlen (Antikörpertiter
bestimmen; Impfung alle 2–5 Jahre auffrischen).
Quelle: Pressemappe CRM-Tagung Berlin 2025; Medikamentenangaben gemäss www.infovac.ch und www.compendium.ch
Patienten mit chronisch entzündlichen, autoimmunen oder onkologischen Erkrankungen in Gebrauch. Alle modulieren das Immunsystem auf unterschiedliche Weise, unterschiedlich intensiv und mit sehr unterschiedlichen Halbwertszeiten. Zur Klärung der schwierigen Frage, ob und wie ein solcher Patient eventuell doch mit einer Lebendvakzine geimpft werden könne, solle man nicht nur einen Reisemediziner hinzuziehen, sondern auch den entsprechenden Facharzt sowie Labormediziner und Immunologen, empfahl die Referentin.
Renate Bonifer
Quelle: CRM Zentrum für Reisemedizin: «26. Forum Reisen und Gesundheit 2025» am 7. und 8. März 2025 in Berlin. Pressekonferenz und Vortrag «Prävention unter Therapie mit neuen Immunmodulanzien: Wann kann ich was wem impfen?» von Prof. Dr. Martina Prelog. Alle Produktnamen von Impfstoffen wurden von der Autorin des Berichts anhand der Angaben des Portals www.infovac.ch (s. Linktipp) und des Schweizerischen Arzneimittelkompendiums (www.compendium.ch) ergänzt. Aufgeführt werden nur in der Schweiz zugelassene und verfügbare Impfstoffe (Stand: 14. März 2025).
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