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BERICHT
Abklärung und Therapie der Urtikaria
Wenn das Leben juckt
Eine chronische Urtikaria schränkt die Lebensqualität erheblich ein. Ziel ist deshalb die genaue Erfassung der Krankheitsaktivität und die komplette Krankheitskontrolle. Dafür stehen Antihistaminika und monoklonale Antikörper zur Verfügung, wie Dr. Carole Guillet, Dermatologische Klinik, Universitätsspital Zürich (USZ), an einer USZ-Fortbildung erklärte.
Eine chronische spontane Urtikaria ist zwar gutartig, dennoch sind die betroffenen Patienten in ihrer Lebensqualität stärker eingeschränkt als beispielsweise Patienten mit Psoriasis. Dies hinsichtlich Angst, Depression und Schlafproblemen, wie eine Untersuchung zeigte (1). Die chronische spontane Urtikaria hat einen grossen negativen Einfluss auf das Leben. Etwa 40% der Patienten erreichen auf dem Dermatology Life Quality Index (DLQI) > 10 von 30 möglichen Punkten, berichtete Dr. Guillet. Anhand dieses Index beziffern die Betroffenen die Einschränkung in verschiedenen Bereichen ihres Lebens der letzten sieben Tage. Die Einschränkung ist allerdings noch grösser, wenn zusätzlich Angioödeme, Depressionen und Angststörungen auftreten oder die Urtikaria von einem autoimmunen Endotyp ist.
Akute versus chronische Urtikaria Eine Urtikaria vom akuten Typ hält < 6 Wochen an und ist selbstlimitierend. Grundsätzlich ist dafür keine Abklärung nötig, ausser bei Typ-1-Allergien oder klaren Auslösern. Chronische Formen dauern dagegen > 6 Wochen an und können spontaner oder induzierbarer Natur sein (Tabelle).
Die Ursachen einer akuten Urtikaria sind häufig idiopathisch oder infektbedingt – vor allem der oberen Atemwege –, seltener Medikamente oder Nahrungsmittel. Etwa 8% der Fälle von akuter Urtikaria gehen in eine chronische Form mit einer durchschnittlichen Krankheitsdauer von 1–5 Jahren über (2,3). Von einer chronischen Urtikaria ist etwa 1% der Weltbevölkerung betroffen, darunter mehr Frauen (70%). Das typische Erkrankungsalter liegt zwischen 30 und 50 Jahren, die meisten (85%) erkranken erst nach dem 20. Lebensjahr (4,5).
Klinisch zeigt sich die chronische spontane Urtikaria durch Schwellungen mit Reflexerythem, Pruritus und Flüchtigkeit der Quaddel (< 24 Stunden). Etwa ein Drittel bis die Hälfte der Patienten mit Urtikaria hat auch ein Angioödem bzw. ein Ödem von Dermis und Subkutis. Dieses kann schmerzhaft sein und bis zu 72 Stunden persistieren. Möglich ist aber auch ein Angioödem ohne Urticae.
Abklärung mit diversen Tests Während bei der akuten Urtikaria keine Diagnostik erforderlich ist, empfehlen sich gemäss den internationalen Guide-
lines bei einer chronischen spontanen Urtikaria ein Blutbild und die Bestimmung von CRP (C-reaktivem Protein) und der Blutsenkungsgeschwindigkeit. Bei Patienten, die bei Allergologen oder Dermatologen in Behandlung sind, sollten noch IgG AntiTPO und Gesamt-IgE gemessen werden (6), so die Referentin. Eine erweiterte Diagnostik beinhaltet beispielsweise die Suche nach Infekten (z.B. Helicobacter pylori), Allergietests und die Messung von funktionellen Antikörpern zwecks Disease Endotyping. Bei der chronischen induzierbaren Urtikaria sind entsprechende Provokations-, Temperatur- oder Lichtschwellentests empfohlen (6).
Bei einer Urtikaria ohne Angioödem muss an eine Urtikariavaskulitis, autoinflammatorische Syndrome oder an das Schnitzler-Syndrom gedacht werden. Eine Biopsie ist angezeigt bei einer Persistenz > 24 Stunden, palpabler Purpura, Blasen- oder Hämatombildung (6). Tritt ein Angioödem ohne Urtikaria auf, kann dieses Bradykinin-vermittelt, z.B. durch ACE(Angiotensin-Converting Enzyme)-Hemmer, oder hereditär sein. Ein schweres Larynxödem, wie es beim ACE-Hemmerinduzierten oder hereditären Angioödem auftreten kann, ist jedoch immer Bradykinin-vermittelt und bei chronischer spontaner Urtikaria nicht dokumentiert (7).
Therapie stufenweise Bei autoimmuner chronischer spontaner Urtikaria gibt es zwei Endotypen. Typ I ist autoallergisch mit IgE-Autoantikörpern auf Selbst-Antigene und spricht gut auf Omalizumab (Xolair®) an. Typ IIb ist autoimmun mit mastzellaktivierenden bzw. -stimulierenden Autoantikörpern. Mit einem erhöhten IgG Anti-TPO und tieferem Gesamt-IgE spricht dieser Typ eher schlechter auf Omalizumab an.
Die chronische Urtikaria wird in Stufen mit Antihistaminika behandelt. Gestartet wird mit einer Standarddosis eines Anti-H1-Antihistaminikums der 2. Generation, das auf bis viermal täglich erhöht werden kann. Dazu gehören Bilastin (Bilaxten® und Generika), Cetirizin (Zyrtec® und Generika), Desloratadin (Aerius® und Generika), Fexofenadin maximal dreimal täglich (Telfast®, Telfastin® und Generika) und Levocetirizin (Xyzal® und Generika) (6). Anti-H1-Antihistaminika sollen nicht gemischt werden, weil die Gefahr einer Überdosierung besteht, so Dr. Guillet. Sind die Beschwerden nach
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BERICHT
Urtikariaformen
Akute Urtikaria
• meist selbstlimitierend
(< 6 Wochen) • grundsätzlich keine Abklärung nötig, Ausnahme: Typ-1-Allergien, klare Auslöser Chronische spontane • chronisch, rezidivierend Urtikaria • Basisdiagnostik, anschliessend je nach (> 6 Wochen) Verdacht
Chronische induzierbare • symptomatischer Dermografismus
Urtikaria (Urticaria factitia)
• Kälteurtikaria
• solare Urtikaria
• verzögerte Druckurtikaria
• Wärmeurtikaria
• vibratorisches Angioödem
• cholinerge Urtikaria
• Kontakturtikaria
• aquagene Urtikaria
Quelle: C. Guillet, USZ 2025
zwei bis vier Wochen immer noch nicht aushaltbar, kann zusätzlich zur Antihistaminikumtherapie Omalizumab 300 mg alle vier Wochen verabreicht werden mit der Option, dieses auf maximal 600 mg alle zwei Wochen zu erhöhen. Bessern die Beschwerden damit immer noch nicht oder zu wenig, kann in einem nächsten Schritt Ciclosporin bis 5 mg/kg Körpergewicht dazukombiniert werden (6). Laut der Expertin ist Ciclosporin für eine längerfristige Therapie die bessere Option als Steroide.
Ciclosporin zeigt gemäss einer Metaanalyse eine stärkere Reduktion im Urticaria Activity Score als die Kontrollpatienten (–17,89 vs. –2,3). Die Ansprechraten liegen nach vier Wochen bei 54%, nach acht Wochen bei 66% und nach zwölf Wochen bei 73%. Die Nebenwirkungen sind dosisabhängig (6–57%) und treten in Form von Hypertonie, erhöhten Kreatininwerten (6,2–12,8%), Übelkeit, Kopfschmerzen, Infekten und Parästhesien auf (8). Nach Absetzen der Therapie sind die Rückfallraten im Vergleich zu einer Prednisolon-Therapie tiefer, was auf eine krankheitsmodifizierende Eigenschaft von Ciclosporin hindeutet, so Dr. Guillet.
Was die Zukunft bringt Neue Ansätze in der Therapie der Urtikaria gibt es in Bezug auf Interleukin(IL)-4 und -13. Beide Signalwege werden durch
Dupilumab gehemmt. In Phase-III-Studien zeigte Dupilumab bei Omalizumab-naiven Patienten mit chronischer spontaner Urtikaria eine signifikante Reduktion der Urtikariaaktivität im Vergleich zu Plazebo (9). Bei Patienten, die mit Omalizumab vorbehandelt waren und nicht gut darauf angesprochen hatten, erreichte Dupilumab dagegen keine signifikante Verbesserung gegenüber Plazebo. Dupilumab ist in der Indikation chronische spontane Urtikaria noch nicht zugelassen (9).
Vielversprechend ist weiter ein Anti-KIT monoklonaler Antikörper, der selektiv die Stammzellfaktor-mediierte Aktivierung von KIT hemmt. Der Anti-KIT-Antikörper Barzolvolimab verhindert die Mastzellaktivierung und bewirkt eine Mastzelldepletierung. In einer Phase-II-Studie zeigten Zwischenresultate eine signifikante Symptomreduktion nach zwölf Wochen bei Patienten, die auf Antihistaminika nicht angesprochen hatten. Das Therapieansprechen war sehr gut (10). In der in diesem Jahr folgenden Phase-III-Studie müssen die guten Resultate bestätigt werden.
Valérie Herzog
Quelle: «Urtikaria – Was gibt es Neues?». Allergologie – Neues und Spannendes, Universitätsspital Zürich, 20. Februar 2025, Zürich
Referenzen: 1. Mendelson MH et al.: Patient-reported impact of chronic urticaria
compared with psoriasis in the United States. J Dermatolog Treat. 2017;28(3):229-236. doi:10.1080/09546634.2016.1227421 2. Kolkhir P et al.: Urticaria. Nat Rev Dis Primers. 2022;8(1):61. doi:10.1038/s41572-022-00389-z 3. Balp MM et al.: Clinical Remission of Chronic Spontaneous Urticaria (CSU): A Targeted Literature Review. Dermatol Ther (Heidelb). 2022;12(1):15-27. doi:10.1007/s13555-021-00641-6 4. Fricke J et al.: Prevalence of chronic urticaria in children and adults across the globe: Systematic review with meta-analysis. Allergy. 2020;75(2):423-432. doi:10.1111/all.14037 5. Kolkhir P et al.: Chronic Spontaneous Urticaria: A Review. JAMA. 2024;332(17):1464-1477. doi:10.1001/jama.2024.15568 6. Zuberbier T et al.: The international EAACI/GA2LEN/EuroGuiDerm/ APAAACI guideline for the definition, classification, diagnosis, and management of urticaria. Allergy. 2022;77(3):734-766. doi:10.1111/ all.15090 7. Maurer M et al.: Differences and Similarities in the Mechanisms and Clinical Expression of Bradykinin-Mediated vs. Mast Cell-Mediated Angioedema. Clin Rev Allergy Immunol. 2021;61(1):40-49. doi:10.1007/ s12016-021-08841-w 8. Kulthanan K et al.: Cyclosporine for Chronic Spontaneous Urticaria: A Meta-Analysis and Systematic Review. J Allergy Clin Immunol Pract. 2018;6(2):586-599. doi:10.1016/j.jaip.2017.07.017 9. Maurer M et al.: Dupilumab in patients with chronic spontaneous urticaria (LIBERTY-CSU CUPID): Two randomized, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trials. J Allergy Clin Immunol. 2024;154(1):184-194. doi:10.1016/j.jaci.2024.01.028 10. Metz M et al.: Oral presentation Global Urticaria Forum 2024, Study ID: NCT05368285
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