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FOKUS ERNÄHRUNGSMEDIZIN
Gestörter Stoffwechsel, Adipositas, Malnutrition
Ernährungsberatung bei Leberzirrhose
Patienten mit Leberzirrhose stellen in der Ernährungsberatung eine Herausforderung dar. Nicht selten besteht gleichzeitig eine Mangelernährung, die sich prognostisch ungünstig auswirkt. Die Diagnose ist oft schwierig, da der Muskelmassenverlust durch eine gleichzeitig bestehende Adipositas kaschiert sein kann. Dr. rer. physiol. Bettina Jagemann, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Zentrum für Versorgungsforschung IVDP, präsentierte die wichtigsten Punkte der Ernährungsberatung von Patienten mit fortgeschrittener Lebererkrankung.
In den letzten Jahrzehnten haben sich die Ursachen für eine fortgeschrittene Lebererkrankung gewandelt. Heute ist die Grundkrankheit häufiger eine metabolisch-assoziierte Lebererkrankung (metabolic dysfunction-associated steatotic liver disease, MASLD) oder eine metabolisch-assoziierte Steatohepatitis (metabolic dysfunction-associated steatohepatitis, MASH) als eine alkoholinduzierte Lebererkrankung oder eine virale Hepatitis. Da die Häufigkeit der Adipositas weltweit weiter steigt, ist auch mit einer weiteren Zunahme von metabolisch bedingten Lebererkrankungen zu rechnen. Für Patienten mit einer morbiden Adipositas birgt eine Lebertransplantation zusätzliche chirurgische Herausforderungen, so steigt die postoperative Infektionsrate an, Operationskomplikationen und die postoperative Mortalität nehmen zu (1,2).
Sarkopenie – sarkopene Adipositas Die Prävalenz der Sarkopenie bei Patienten mit Leberzirrhose ist hoch. In einer Untersuchung von 2017 waren 21% der Patientinnen und 45% der Patienten davon betroffen (3). Dies ist bedeutend, weil die Sarkopenie das Mortalitätsrisiko verdoppelt (4); nur mit einer rechtzeitigen Diagnose kann eine adäquate Therapie eingeleitet werden.
Bei Patienten mit MASLD oder MASH kann man den BodyMass-Index (BMI) nicht als Kriterium heranziehen. Bei starkem Übergewicht kann eine Sarkopenie leicht übersehen werden, da der Muskelmassenverlust durch die Adipositas kaschiert wird.
Aber auch bei Patienten, die schon optisch als mangelernährt erkannt werden, kann aufgrund des Aszites der BMI nicht verwendet werden (4).
Aus diesen Gründen sollte die Malnutrition standardisiert erfasst werden. Von den verschiedenen Tools (5) hat sich der Nutritional Risk Score (NRS) durchgesetzt, der grundsätzlich auch bei Patienten mit Leberkrankheit eingesetzt werden sollte. Wichtig sind Fragen zu veränderten Essgewohnheiten und zur Krankheitsschwere. Zudem können weitere Diagnose-
Definition: sarkopene Adipositas: überdurchschnittliche Abnahme der Muskelmasse und -kraft sowie BMI ≥ 30 kg/m2.
Tools, z.B. die Messung der Handkraft (6) oder des Phasenwinkels bei der bioelektrischen Impedanz-Analyse (BIA) zur Anwendung kommen (7).
Multifaktorielle Ursache für die Nebendiagnose einer Mangelernährung Bei Leberzirrhose kann es aus verschiedenen Gründen zu einer Mangelernährung kommen. Deshalb müssen bei individuellen Patienten auch unterschiedliche Schwerpunkte der Therapie gewählt werden.
• Ernährungsgewohnheiten – Alkoholkonsum – Fastenzeiten – suboptimale Energie- und Eiweisszufuhr
• veränderter Metabolismus – Hypermetabolismus, Inflammation – Malabsorption und intestinaler Eiweissverlust – Dysbiose des Mikrobioms im Darm
• Folgen der gestörten Leberfunktion – hormonelle Störungen – Dysregulation des Nährstoffmetabolismus mit verminderter hepatischer Proteinsynthese
Ernährungstherapie bei Lebererkrankungen – verschiedene Stadien Besteht bei einer sarkopenen Adipositas das Ziel in einer Reduktion der Fettmasse, ist im ersten Schritt durch eine verminderte Kalorienaufnahme mit angepasster Proteinzufuhr eine nachhaltige Gewichtsreduktion von 0,5–1,0 kg/Woche anzustreben.
Gerade beim Übergang von der Fettleber in die Leberzirrhose besteht ein hohes Risiko für eine Mangelernährung. Hier ändern sich auch die Ernährungsempfehlungen aufgrund des veränderten Lebermetabolismus. Die Leber kann weniger Glykogen speichern, bei einer längeren Fastenzeit, beispielsweise über Nacht, kann die Glukose nur durch den Eiweissabbau gesichert werden, ein wichtiger Faktor für die Entstehung der Sarkopenie.
So ist ein wichtiger Bestandteil der Ernährungsberatung die Aufteilung der Ernährung auf kleine und regelmässige Mahl-
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zeiten. Ein besonderer Wert kommt dem Snack am späten Abend zu, denn er verkürzt die nächtliche Fastenperiode. Das ist manchmal nicht einfach zu kommunizieren, vor allem wenn vorher in der Ernährungsberatung wegen Adipositas andere Empfehlungen galten (2).
Hilft eine medikamentöse Therapie oder eine bariatrische Operation? Für die Unterstützung der Patienten beim Gewichtsverlust können unter Umständen auch GLP-1-Analoga eingesetzt werden. Zum Kollektiv der Patienten mit Lebererkrankung gibt es dazu noch nicht viele Daten.
Daten zu Gewichtsverlust und der damit verbundenen Verbesserung metabolischer Dysfunktion gibt es bei der bariatrischen Chirurgie. Es besteht auch die Hoffnung, dass damit die Entwicklung einer metabolisch bedingten Lebererkrankung (MASLD) zu einer Leberzirrhose verzögert oder verhindert werden kann.
Besteht allerdings schon eine MASH, ist Vorsicht geboten. Durch den bariatrischen Eingriff kann eine Mangelernährung entstehen, vor allem durch eine zu geringe Zufuhr an Proteinen und Mikronährstoffen (8). Dies kann zu einem Leberversagen führen, mit einer Häufung 20 Monate postoperativ in Abhängigkeit vom gewählten Operationsverfahren (9). Deshalb ist eine interprofessionelle Nachbetreuung der Patienten nach einer bariatrischen Operation wichtig. Auch empfehlen die Leitlinien zur MASLD klar, vor einem eventuellen bariatrischen Eingriff den Leberstatus zu prüfen (10).
Empfehlungen konkret Als Normalgewicht gilt das Gewicht nach Parazentese. Während normalgewichtige Patienten eher hyperkalorisch ernährt werden sollten, ist das bei Übergewicht und Adipositas nicht sinnvoll. Die Proteinzufuhr sollte hingegen bei allen Patienten erhöht sein. Eine Übersicht bietet die Tabelle 1.
Je ein Drittel der Proteine sollte aus fermentierten Milchprodukten wie Joghurt, Quark oder Buttermilch, pflanzlichen Nahrungsmitteln wie Hülsenfrüchten oder Sojaprodukten und aus tierischen Nahrungsmitteln wie Eiern, Fisch oder Fleisch stammen (2). Die Gefahr der Enzephalopathie ist bei dieser Aufteilung der Eiweissqualitäten kaum zu befürchten.
Erfolgskontrolle der Ernährungstherapie – interprofessionelle Zusammenarbeit In der Ernährungstherapie muss immer wieder nach den Ernährungsgewohnheiten gefragt werden. Auch sollte regelmässig geprüft werden, ob die Empfehlungen eingehalten werden und ob die Motivation weiterhin besteht. Bei der Gewichtskontrolle interessiert vor allem die Veränderung. Eine schnelle Zunahme deutet in der Regel auf eine Zunahme durch Wasser (Aszites) hin. Neben der Anamnese ist vor allem auch die bioelektrische Impedanz-Analyse (BIA) ein geeignetes Tool, um die Körperzusammensetzung, insbesondere auch die Veränderung unter der Therapie, zu beurteilen (7).
Wichtig ist die interprofessionelle Zusammenarbeit. Die regelmässigen ärztlichen Kontrollen betreffen vor allem die Le-
Tabelle 1:
Empfehlung zur Kalorienzufuhr bei Leberzirrhose (2) • Mindestens 30–35 kcal/kg KG bei Normalgewicht • 25–35 kcal/kg KG bei BMI 30–40 kg/m2 • 20–25 kcal/kg KG bei BMI ≥ 40 kg/m2
Empfehlung zur Eiweisszufuhr bei Leberzirrhose (2) • 1,2–1,5 g/kg KG Normalgewicht • Bei Mangelernährung und Muskelverlust 1,5 g/kg KG Normalgewicht
Tabelle 2: Ärztliche Checkliste zur Erfolgskontrolle einer Ernährungstherapie (10)
Bei jeder Konsultation sollten folgende Parameter geprüft werden: • Körpergewicht • Volumenstatus (klinischer Eindruck)
– dehydriert, euvoläm, überwässert • Frage nach ungewollter Gewichtsänderung, Bauchumfang
– Wie viel? In welchem Zeitraum? • Frage nach Verzehr am Vortag im Vergleich zur «normalen»
Nahrungsmenge: – 50%, 25%, nichts • Ist eine (erneute/regelmässige) Ernährungsberatung erfolgt? • Frage nach Art und Quantität der zuletzt praktizierten Ernährungstherapie – Keine erfolgt? Eiweissreiche Spätmahlzeit eingeführt? Orale
Nahrungssupplemente eingenommen? Enterale Sondenernährung oder parenterale Ernährung notwendig?
berfunktion und den Volumenstatus, siehe Tabelle 2. Auch sollte regelmässig die Physiotherapie beigezogen werden, denn die körperliche Betätigung ist ebenfalls ein wichtiger Pfeiler der Betreuung.
Barbara Elke
Zusammenfassung des Beitrags von Dr. rer. physiol. Bettina Jagemann, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Zentrum für Versorgungsforschung IVDP, durch Dr. med. Barbara Elke nach der gemeinsamen Jahrestagung DGEM, VDOE, BDEM, Onlineveranstaltungstag 22. Juni 2024: Zirrhose – Ernährung als «must have»
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Referenzen: 1. Klein S et al.: Weissbuch Adipositas. MWV Medizinisch Wissenschaft-
liche Verlagsgesellschaft. Berlin; 2016. https://www.iges.com/presse/2016/weissbuch-adipositas/e14613/e14614/attr_objs14616/ Weissbuch_Adipositas_Klein_et_al_ger.pdf 2. Leoni L et al.: Unlocking the Power of Late-Evening Snacks: Practical Ready-to-Prescribe Chart Menu for Patients with Cirrhosis. Nutrients. 2023; 15(15):3471. doi:10.3390/nu15153471 3. Carey EJ et al.: A multicenter study to define sarcopenia in patients with end-stage liver disease. Liver Transpl. 2017;23(5):625-633. doi:10.1002/lt.24750 4. Tantai X et al.: Effect of sarcopenia on survival in patients with cirrhosis: A meta-analysis. J Hepatol. 2022;76(3):588-599. doi:10.1016/j.jhep.2021.11.006 5. Traub J et al.: Validation of Malnutrition Screening Tools in Liver Cirrhosis. Nutrients. 2020;12(5):1306. doi:10.3390/nu12051306 6. Xue QL: The frailty syndrome: definition and natural history. Clin Geriatr Med. 2011;27:1–15. doi:10.1016/j.cger.2010.08.009 7. Bellido D et al.: Future lines of research on phase angle: Strengths and limitations. Rev Endocr Metab Disord. 2023;24(3):563-583. doi:10.1007/s11154-023-09803-7 8. Khalaj A et al.: Protein-Calorie Malnutrition Requiring Revisional Surgery after One-Anastomosis-Mini-Gastric Bypass (OAGB-MGB): Case Series from the Tehran Obesity Treatment Study (TOTS). Obes Surg. 2019 Jun;29(6):1714-1720. doi: 10.1007/s11695-019-03741-7. 9. Addeo P et al.: Liver transplantation for bariatric surgery-related liver failure: a systematic review of a rare condition. Surg Obes Relat Dis. 2019;15(8):1394-1401. doi:10.1016/j.soard.2019.06.002 10. Plaut M et al.: 2k-Leitlinie Klinische Ernährung in der Gastroenterologie (Teil 1) – Leber der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) e.V. in Zusammenarbeit mit der DGVS, AKE, GESKES. https:// register.awmf.org/assets/guidelines/073-024l_S3_Klinische-Ernaehrung-Gastroenterologie-Teil-1-Leber_2024-04.pdf
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