Transkript
FOKUS ERNÄHRUNGSMEDIZIN
Fett und Zucker – Hauptursachen für das metabolische Syndrom
Proteine modulieren die metabolische Wirkung
Seit Langem ist bekannt, dass eine fett- und zuckerreiche Ernährung zur Entwicklung einer Insulinresistenz und eines Diabetes führt, mit vielen Folgekrankheiten. Prof. Dr. André Marette, Université Laval, Kanada, untersuchte mit seinem Team, ob die Zusammensetzung der Proteine in der Ernährung diese Effekte modulieren kann und präsentierte die wichtigsten Erkenntnisse.
Im Zentrum des Interesses steht weniger der quantitative Proteinanteil der Ernährung, sondern die qualitative Zusammensetzung aus unterschiedlichen Quellen. «Was passiert, wenn man die Ernährung von fleischbasiert auf pflanzenbasiert oder von fleischbasiert auf milchbasiert umstellt?», fragte Prof. Marette.
Schon vor Jahrzehnten wurde beobachtet, dass sich bei Adipositas eine Erhöhung von verzweigtkettigen und aromatischen Aminosäuren findet (1). Jahre später wurde festgestellt, dass ganz allgemein ein Zusammenhang zwischen dem Gehalt von bestimmten Aminosäuren und einer Insulinresistenz besteht (2). Der Gehalt an verzweigtkettigen und aromatischen Aminosäuren korrelierte auch in der Normalbevölkerung mit dem Auftreten eines Typ-2-Diabetes, die Korrelation war sogar besser als mit dem Body-Mass-Index (BMI) (3). Dies wurde in mehreren Studien bestätigt.
Im Tierversuch konnte gezeigt werden, dass Aminosäuren, vor allem verzweigtkettige, einen Mechanismus in Gang setzen (mTOR/S6-Kinase), der einige Wirkungen des Insulins unterdrückt, z.B. die Suppression der Glukoseproduktion und den Glukosetransport in den Muskel (4,5).
Auch beim Menschen konnte beobachtet werden, dass dieser Mechanismus in Gang gesetzt wird, wenn Probanden ein paar Stunden lang erhöhten Aminosäuren ausgesetzt werden (6).
Bei der Low-Fat-Ernährung hat die Proteinqualität einen geringen Einfluss. Bei High-Fat-Diät waren unter dem Proteinmix gegenüber Casein viele ungünstige metabolische Veränderungen stärker ausgeprägt. Die Zunahme des Körpergewichts war ausgeprägter, vor allem besassen die Tiere mehr viszerales und braunes Fettgewebe, auffällig war im braunen Fettgewebe auch eine Reduktion der Thermogenese, was möglicherweise zur Zunahme des Körpergewichts beitrug.
Metabolisch wiesen die Tiere mit dem Proteinmix stärkere Zeichen der Insulinresistenz auf, beispielsweise ein erhöhtes Nüchterninsulin und einen erhöhten Insulinanstieg unter einer Glukosebelastung. Auch hier konnte als Mechanismus für die Insulinresistenz die Aktivierung des bekannten Stoffwechselwegs (mTOR/S6-Kinase) identifiziert werden. Casein führt in diesem Modell also zu einer etwas geringeren Insulinresistenz.
Beim Mikrobiom fanden sich in der High-Fat-Gruppe unter Casein eine stärkere Diversität der Darmbakterien und eine höhere Dichte von Akkermansia, dem eine positive gesundheitliche Wirkung zugesprochen wird (7). Das Mikrobiom spielte für den Transfer einiger metabolischer Effekte eine Rolle, denn durch die Transplantation von Stuhlproben der Mäuse mit Proteinmix auf keimfreie Mäuse konnten einige der beobachteten Effekte auf den Metabolismus reproduziert werden.
Viele Tierversuche verwenden Casein Bei vielen Tierversuchen besteht die Eiweisskomponente aus reinem Casein. Das erschwert die Übertragung der Resultate auf den Menschen, denn kaum ein Mensch nimmt als Eiweiss nur Casein zu sich. Deshalb wurden einige Tierversuche wiederholt und jeweils den Tieren entweder Casein oder ein für Menschen repräsentativer Proteinmix zugeführt, um verschiedene Messgrössen wie Gewichtszunahme, metabolische Gesundheit und Darmmikrobiom zu bewerten. Verwendet wurde die USDA-Datenbank, die Nahrungsproteine einer durchschnittlichen Ernährung eines US-Amerikaners quantifiziert hat (6).
Mäuse erhielten entweder eine Low-Fat- (10% Fett) oder eine High-Fat-Diät (50% Fett), beide Gruppen erhielten den gleichen Proteinanteil (15%). Jedoch bekam jeweils die halbe Gruppe reines Casein, die andere den Proteinmix.
Im Fokus – kurzkettige Fettsäuren Eine wichtige Wirkung des Mikrobioms ist die Produktion von kurzkettigen Fettsäuren (Acetat, Propionat und Butyrat), die durch die Fermentation von Faserstoffen entstehen und wichtige Funktionen im Metabolismus haben. Wie zu erwarten war, ist die Produktion von kurzkettigen Fettsäuren in der High-FatDiät insgesamt reduziert. Erhöht war der Anteil der verzweigtkettigen Fettsäuren, die aus der Fermentation von verzweigtkettigen Aminosäuren (branched chain fatty acid, BCFA) vor allem bei High-Fat-Diät unter dem Proteinmix entstehen.
In einer In-vitro-Studie konnte gezeigt werden, dass in Leberzellen durch diese BCFA dosisabhängig die Glukoseproduktion gesteigert werden konnte. Werden BCFA direkt in die Portalvene von Versuchstieren gegeben, kann wieder die Aktivierung des schon früher beschriebenen Mechanismus (mTOR/S6-Kinase) beobachtet werden (8).
122 ars medici 3 | 2025
FOKUS ERNÄHRUNGSMEDIZIN
Mit einer High-Fat-Diät kann man also ein metabolisches Syndrom und Adipositas erzeugen, auch mit Casein. Verglichen mit einem Proteinmix wird aber nicht die Vollform der metabolischen Erkrankung erreicht.
Ist Joghurt noch besser? In vielen Studien zeigte sich Milchkonsum neutral in Bezug auf die Entwicklung eines metabolischen Syndroms. Beim Konsum von fermentierten Milchprodukten, besonders Joghurt, fand sich jedoch eine inverse Korrelation zur Entwicklung eines Diabetes (9).
Um die bisher nicht bekannte Ursache für diese Beobachtung zu erforschen, wurden die Tierversuche so gestaltet, dass ein Teil der Proteine durch Joghurt ersetzt wurde. So gab es neben der Kontrollgruppe mit einer Low-Fat/Low-SugarDiät zwei Gruppen mit Low-Fat/High-Sugar-Diät, beide mit 15% Eiweiss. Während eine Tiergruppe den üblichen Proteinmix bekam, wurde bei der anderen der Proteinmix zu einem Teil durch Joghurt ersetzt.
Nach zwölf Wochen wiesen die Tiere, die mit einem Joghurtanteil gefüttert wurden, eine geringere Gewichtszunahme auf, auch der Nüchternblutzucker und vor allem das Nüchterninsulin waren tiefer. So konnte die Insulinsensitivität in der Leber und im Muskel verbessert und sogar die Steatose in der Leber günstig beeinflusst werden (10). Diese kleine Zufuhr von Joghurt konnte also tatsächlich die Entwicklung der Insulinsensitivität verbessern.
Sekundäre Gallensäuren Ein deutlicher Unterschied zwischen der Joghurt- und der Proteinmix-Gruppe fand sich bei den sekundären Gallensäuren (hyodeoxycholic acid, HDCA), die ja vom Mikrobiom produziert werden. Diese waren unter High-Fat-Diät grundsätzlich reduziert, mit der Joghurt-Gruppe jedoch in deutlich geringerem Ausmass (11).
In anderen Tierversuchen konnte man verschiedene positive Wirkungen dieser HDCA zeigen, sie senken die Triglyzeridspiegel (12), die Blutglukose (13), hingegen führt eine Abnahme der HDCA zu unerwünschten Leberveränderungen (14). Dass unter Joghurt also die HDCA weniger stark reduziert wurden, scheint eine protektive Wirkung für metabolische Krankheiten, inklusive Steatose zu haben. Wieder konnten einige metabolische Wirkungen durch Stuhltransplantation reproduziert werden. Bei Tieren, die den Stuhl der JoghurtGruppe bekamen, konnte das Plasmainsulin nüchtern und nach Glukosebelastung gesenkt werden (11).
Fermentation ist entscheidend In der Leber und auch im Plasma der mit Joghurt gefütterten Tiere konnten ein paar Substanzen gefunden werden, die im Joghurt, nicht aber in der Milch vorhanden sind, denn sie entstehen durch die Fermentation von verzweigtkettigen Aminosäuren. Diese «branched chain hydroxy acids» (BCHA) sind bei Adipositas erniedrigt. Durch die Fütterung von Joghurt aber ist die Reduktion deutlich geringer, denn diese Substanzen werden durch das Joghurt aktiv zugeführt.
Diese Metaboliten konnten mit günstigen metabolischen Auswirkungen in Verbindung gebracht werden, so korrelieren diese mit einer geringeren Nüchternglukose und einem geringeren Triglyzeridgehalt in der Leber. Bei der Zufuhrt dieser hydroxylierten Aminosäuren wird die Glukoseproduktion in der Leber reduziert und damit die Insulinausschüttung verringert. So konnte festgestellt werden, dass das Darmmikrobiom über die BCHA, die durch Fermentation entstehen, zumindest bei Adipositas im Tierversuch einen gesundheitlichen Benefit bewirkt (15).
Zusammenfassung Im Tierversuch wird oft als Protein Casein gewählt. Unter Casein ist jedoch der negative Effekt auf den Metabolismus durch eine zucker- und fettreiche Ernährung etwas weniger ausgeprägt als beim einem Proteinmix, der einer durchschnittlichen Ernährung entspricht. Joghurt weist noch günstigere Effekte auf als Casein.
Barbara Elke
Quelle: 46th ESPEN (European Society for Clinical Nutrition and Metabolism) Congress, Milan, 7.–10.9.2024. «A mechanistic perspective on protein sources and effects on health». Prof. André Marette, PhD, Pfizer Research Chair in the pathogenesis of diabetes and DVD, Faculty of Medicine, Laval University, Canada
Referenzen: 1. Felig P et al.: Plasma amino acid levels and insulin secretion in obesity.
N Engl J Med. 1969 Oct 9;281(15):811-6. doi: 10.1056/ NEJM196910092811503 2. Newgard CB et al.: A branched-chain amino acid-related metabolic signature that differentiates obese and lean humans and contributes to insulin resistance. Cell Metab. 2009 Apr;9(4):311-26. doi: 10.1016/j. cmet.2009.02.002 Erratum in: Cell Metab. 2009 Jun;9(6):565-6 3. Wang TJ et al.: Metabolite profiles and the risk of developing diabetes. Nat Med. 2011;17(4):448-453. doi:10.1038/nm.2307 4. Tremblay F et al: A. Amino acid and insulin signaling via the mTOR/p70 S6 kinase pathway. A negative feedback mechanism leading to insulin resistance in skeletal muscle cells. J Biol Chem. 2001;276(41):3805238060. doi:10.1074/jbc.M106703200 5. Tremblay F et al.: Role of dietary proteins and amino acids in the pathogenesis of insulin resistance. Annu Rev Nutr. 2007;27:293-310 doi:10.1146/annurev.nutr.25.050304.092545 6. Tremblay F et al.: Overactivation of S6 kinase 1 as a cause of human insulin resistance during increased amino acid availability. Diabetes. 2005;54(9):2674-2684. doi:10.2337/diabetes.54.9.2674 7. Cani PD et al.: Akkermansia muciniphila: paradigm for next-generation beneficial microorganisms [published correction appears in Nat Rev Gastroenterol Hepatol. 2022 Oct;19(10):682. doi: 10.1038/s41575-02200650-6]. Nat Rev Gastroenterol Hepatol. 2022;19(10):625-637. doi:10.1038/s41575-022-00631-9 8. Choi BS et al.: Feeding diversified protein sources exacerbates hepatic insulin resistance via increased gut microbial branched-chain fatty acids and mTORC1 signaling in obese mice. Nat Commun. 2021;12(1):3377. doi:10.1038/s41467-021-23782-w 9. Guo J et al.: The Impact of Dairy Products in the Development of Type 2 Diabetes: Where Does the Evidence Stand in 2019? Adv Nutr. 2019;10(6):1066-1075. doi:10.1093/advances/nmz050 10. Nachbar R et al.: Yogurt Consumption Improves Insulin Sensitivity and Hepatic Insulin Action in a Diet Induced Mouse Model of Obesity and Type 2 Diabetes. Curr Dev Nutr. 2020;4(Suppl 2):1664. doi:10.1093/cdn/ nzaa063_062 11. Daniel N et al.: Gut microbiota and fermentation-derived branched chain hydroxy acids mediate health benefits of yogurt consumption in obese mice. Nat Commun. 2022;13(1):1343. doi:10.1038/s41467-02229005-0 12. Watanabe S et al.: Dietary hyodeoxycholic acid exerts hypolipidemic effects by reducing farnesoid X receptor antagonist bile acids in mouse enterohepatic tissues. Lipids. 2014;49(10):963-973. doi:10.1007/ s11745-014-3947-y
ars medici 3 | 2025 123
FOKUS ERNÄHRUNGSMEDIZIN
13. Shih DM et al.: Hyodeoxycholic acid improves HDL function and inhibits atherosclerotic lesion formation in LDLR-knockout mice. FASEB J. 2013;27(9):3805-3817. doi:10.1096/fj.12-223008
14. Kodama M et al.: Decrease in major secondary bile acid, hyodeoxycholic acid, was the main alteration in hepatic bile acid compositions in a hypertensive nonalcoholic fatty liver disease model. J Hepatobiliary Pancreat Sci. 2019;26(12):557-567. doi:10.1002/jhbp.678
15. Daniel N et al.: Gut microbiota and fermentation-derived branched chain hydroxy acids mediate health benefits of yogurt consumption in obese mice. Nat Commun. 2022;13(1):1343. Published 2022 Mar 15. doi:10.1038/s41467-022-29005-0
124 ars medici 3 | 2025