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BERICHT
Rheuma bei älteren Menschen
Therapie grundsätzlich gleich, aber ...
Etwa ein Drittel der Patienten mit rheumatoider Arthritis erkrankt erst nach dem 65. Lebensjahr daran. Bei älteren Patienten präsentiert sich die Neuerkrankung anders als bei jüngeren. Die Therapie gestalte sich prinzipiell gleich, doch müsse auf veränderte Parameter und Komorbiditäten Rücksicht genommen werden, erklärte Rheumatologe Erik Deman, Universitätsspital Basel, am FOMF Allgemeine Innere Medizin in Basel.
Vor dem Hintergrund, dass die Lebenserwartung seit 1876 um mehr als das Doppelte, von ca. 40 auf über 80 Jahre gestiegen ist (1), sind auch rheumatische Erkrankungen im Alter häufiger geworden. Im Vergleich zu jüngeren Patienten mit rheumatischen Erkrankungen gibt es in der Diagnostik einige Besonderheiten bei älteren Patienten. Beispielsweise kann die Präsentation der Erkrankung atypisch sein, und es zusätzlich zu unspezifischen Symptomen wie Veränderungen des mentalen Status oder vermehrten Stürzen kommen. Zudem weisen ältere Patienten häufig schon eine arthrotische Vorschädigung der Gelenke auf, und die Blutsenkungsrate (BSR) ist erhöht (2). Aufgrund solcher Vorschädigungen und erhöhter Entzündungsmarker kann die Krankheitsaktivität bei älteren Patienten mit einer rheumatoiden Arthritis (RA) gemäss Deman überschätzt werden, da diese anhand der Anzahl druckdolenter, geschwollener Gelenke und eines erhöhte BSR- oder CRP-Werts eingeschätzt werde, so Deman.
körperwasser vermindert und die Albuminspiegel tiefer sind. Durch die reduzierte Leberdurchblutung, -grösse und -leistung (z. B. Produktion von Proteinen und Lipiden) kommt es zudem zu einer verminderten metabolischen Clearance. Des Weiteren führt eine altersbedingte Reduktion der Nierenfunktion zu einer reduzierten Elimination (3). Auch das Immunsystem altert. Davon am meisten betroffen seien gemäss Deman wahrscheinlich die T-Zellen, denn die Produktion von neuen T-Zellen sinkt. Die vorhandenen peripheren T-Zellen proliferieren und erschöpfen sich, es kommt zu Rezeptorveränderungen und zu einer reduzierten CD28Expression, was zu einer reduzierten Immuntoleranz und damit zu einer erhöhten Inzidenz von Autoimmunerkrankungen führt. Während die adaptive Immunität schwächer wird, verstärken sich schädigende Einflüsse der angeborenen Immunität. Bei einer RA ist die Immunoseneszenz überdies inadäquat gesteigert, mit einer vorzeitigen Alterung um 20 bis 30 Jahre im Vergleich zu Gesunden (4).
Alterung des Körpers hat Konsequenzen
Die Therapie gestaltet sich gleich wie bei Jüngeren, doch ist bei den Älteren auf eine veränderte Pharmakokinetik zu achten. Beispielsweise ist die Absorption aufgrund einer verminderten Produktion von Speichel und Magensäure, einer erhöhten Magenentleerungszeit sowie einer reduzierten Darmmotilität reduziert. Ältere Menschen weisen auch ein tieferes Verteilungsvolumen auf, weil der kardiale Auswurf, die Durchblutung von Niere und Leber reduziert, das Gesamt-
KURZ & BÜNDIG
� Therapieempfehlungen in der Rheumatologie gelten grundsätzlich auch für ältere Patienten.
� Alter ist keine Kontraindikation für Biologika. � Die Therapie sollte jedoch an das Vorhandensein von Komor-
biditäten und an den veränderten Metabolismus angepasst werden.
Andere Symptome als bei Jungen
Etwa ein Drittel aller Patienten mit RA erkrankt erst nach dem 65. Lebensjahr daran (4). Die Erkrankung startet oft abrupt mit einer starken Symptomatik, wie zum Beispiel einer ausgeprägten Morgensteifigkeit, und dem Befall von grösseren proximalen Gelenken, wie zum Beispiel Schultern, was zu Schwierigkeiten in der Differenzierung von einer Polymyalgia rheumatica oder von Kristallerkrankungen führen kann. Die Krankheitsaktivität (DAS28) ist bei Diagnosestellung tendenziell höher als bei Jüngeren, die radiologische Progressionsrate ebenso (5). Zusätzlich vorhandene geriatrische Syndrome erhöhen das Risiko für ein schlechtes Outcome der RA. Dazu gehören beispielsweise kognitive Einschränkung, Depression, Stürze, Delir oder Malnutrition. Letztere führt zu einer Erhöhung der Krankheitsaktivität und zu einer Verschlechterung des funktionellen Outcomes. Eine höhere Krankheitsaktivität oder eine bereits länger bestehende Erkrankung leistet wiederum der Entwicklung von geriatrischen Syndromen Vorschub, eine chronische systemische Entzündung erhöht ihrerseits das Risiko für kognitive Dysfunktion (4).
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Bei rheumatischen Erkrankungen sind überdies Instabilitäten häufig, sie führen zu Stürzen und infolgedessen zu verminderter physischer Aktivität aus Angst vor erneuten Stürzen. Die Folgen sind Muskelabbau und Sarkopenie. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, bedarf es einer effizienten Behandlung mit dem Ziel, den physischen und mentalen Zustand zu verbessern (2). RA-Patienten haben beispielsweise auch eine akzelerierte Atherosklerose, was zu kardiovaskulären Erkrankungen führt, an denen sie meist sterben. Eine effiziente RA-Therapie reduziert demnach auch die kardiovaskuläre Morbidität (2, 4).
Was bei der der Therapie beachtet werden sollte
Häufig vorhandene Komorbiditäten können das Ansprechen auf die Therapie verschlechtern. Dazu gehört die chronische Niereninsuffizienz mit eingeschränkter geschätzter glomerulärer Filtrationsrate (eGFR), die bei der Medikamentendosierung berücksichtigt werden muss. Bei eGFRWerten von s 60 ml/min/1,73 m2 können alle Rheumamedikamente in
normaler Dosierung gegeben werden. s 60–45 ml/min/1,73 m2: Es bedarf bei Methotrexat einer
Dosisanpassung um 30 Prozent, bei Baricitinib, nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) und Coxiben eine Reduktion von 50 Prozent, Indomethacin ist kontraindiziert. s 30–45 ml/min/1,73 m2: Methotrexat ist kontraindiziert, Anakinra nur noch jeden 2. Tag 100 mg s.c. zu verabreichen, NSAR sind zu vermeiden oder kontraindiziert. s 15–30 ml/min/1,73 m2: Bei Sulfasalazin bedarf es einer Dosisreduktion um 50 Prozent, Anakinra soll nur noch 3-mal/Woche 100 mg s.c. verabreicht werden, für Tofacitinib und Apremilast braucht es eine Dosisreduktion um 50 Prozent. s < 15 ml/min/1,73 m2: Etanercept 25 mg 1-mal/Woche (6).
Hauptsorge der RA-Patienten seien Infektionen, wofür aber auch das Alter ein unabhängiger Risikofaktor sei, so Deman. Krankheitsmodifizierende immunsuppressive Therapien (disease modifying antirheumatic drug [DMARD]) können dieses Risiko leicht erhöhen (2, 4), Glukokortikoide (> 10 mg/d) dagegen verdoppeln es (7). Die Gabe von zu viel Kortikosteroiden über einen längeren Zeitraum wie auch von NSAR sollte gemäss Deman bei älteren Patienten daher vermieden werden. Das Risiko für Malignome, insbesondere für Lymphome, ist durch die Erkrankung selbst erhöht, der eindeutige Beweis für eine Risikoerhöhung durch konventionelle oder biologische DMARD fehlt dagegen. Möglicherweise ist das Risiko für nicht melanotische Hauttumoren (NMSC) erhöht, für andere solide Tumoren dagegen nicht, so Deman. Unter dem Januskinasehemmer Tofacitinib gab es diesbezüglich kontroverse Daten (8). Bei einem RA-Patienten mit einem Tumor
wäre daher ein Einsatz von Tofacitinib nicht angezeigt, so der Referent.
Therapieablauf grundsätzlich gleich
Die Therapie der rheumatoiden Arthritis ist gemäss den Guidelines der European Alliance of Associations for Rheumatology (EULAR) 2022 bei jüngeren oder älteren Patienten nicht unterschiedlich. Sie beginnt mit Methotrexat mit oder ohne Kurzzeitsteroidtherapie, bei Unverträglichkeit kommt Leflunomid zum Einsatz. Bei fehlender Besserung nach 6 Monaten folgt der Zusatz eines DMARD, entweder als Biologikum oder als synthetisches DMARD (Leflunomid, Sulfasalazin plus eventuell Glukokortikoide). Bleibt der Effekt weiterhin unbefriedigend, soll das Biologikum ausgetauscht oder durch einen Januskinasehemmer ersetzt werden (9). Synthetische DMARD haben ein ähnliches Wirksamkeitsprofil in allen Altersgruppen, für Methotrexat bedarf es in der Erhaltungsphase eventuell einer Dosisanpassung. Biologische DMARD wirken ebenfalls in jedem Alter ähnlich. Bei älteren Patienten kann die Wirkung von Rituximab möglicherweise etwas geringer sein, die Retentionsrate ist unter Tocilizumab höher (10). Auch die Verträglichkeit ist in allen Altersklassen ähnlich. Das Infektionsrisiko ist unter biologischen DMARD leicht erhöht, dies auch aufgrund des höheren Alters, der aktiven Erkrankung, der höheren Kortikosteroiddosen und der Komorbiditäten. Unter Januskinasehemmern besteht ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse, ebenfalls für Herpes zoster, wogegen man seit 1 Jahr mit einem Totimpfstoff impfen kann; unter Tofacitinib ist das Malignomrisiko etwas erhöht, ebenso das Thromboserisiko (4, 10). Auch wenn die EULAR-Guidelines für alle Altersgruppen denselben Therapiealgorithmus empfehlen, sollte bei > 60-jährigen RA-Patienten nach Hochrisiko- und Tiefrisikopatienten unterschieden werden. Ein hohes Risiko besteht bei Vorhandensein von Komorbiditäten, von Polypharmazie oder bei kognitiver Dysfunktion. Die Komorbiditäten sind bei der DMARD-Therapie hinsichtlich der Nebenwirkungen zu berücksichtigen. Tiefrisikopatienten können nach Behandlungsziel (treat to target) behandelt werden (4).
Komplikationsrisiko verringern
Bei der Gabe von NSAR sind je nach Präparat das kardio-
vaskuläre oder das gastrointestinale Risiko erhöht. Napro-
xen birgt das geringste kardiovaskuläre Risiko, hat dafür ein
hohes gastrointestinales Risiko. Bei Diclofenac ist das
Risiko für einen Myokardinfarkt erhöht. Unter Ibuprofen
(1,2 g/Tag) besteht ein geringes kardiovaskuläres Risiko und
unter COX-2-Hemmern ist das kardiovaskuläre Risiko er-
höht, dafür das gastrointestinale Risiko verringert. Für den
Referenten fiel die Wahl auf Naproxen plus einem Protonen-
pumpenhemmer, um das gastrointestinale Risiko zu reduzie-
ren, falls das sonstige kardiovaskuläre Risiko nicht erhöht
ist. (11, 12).
s
Nützlicher Link: Therapieempfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie www.rosenfluh.ch/qr/therapieempfehlungen-sgr
Valérie Herzog
Quelle: «Management rheumatischer Erkrankungen im Alter», FOMF Allgemeine Innere Medizin, 24.1.2023, in Basel.
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Referenzen: 1. Bundesamt für Statistik. https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/
statistiken/bevoelkerung/geburten-todesfaelle/lebenserwartung. html. Letzter Abruf: 6.2.23. 2. van Onna M et al.: Challenges in the management of older patients with inflammatory rheumatic diseases. Nat Rev Rheumatol. 2022;18(6):326334. 3. Ranganath VK et al.: Disease-modifying antirheumatic drug use in the elderly rheumatoid arthritis patient. Rheum Dis Clin North Am. 2007;33(1):197-217. 4. Serhal L et al.: Rheumatoid arthritis in the elderly: Characteristics and treatment considerations. Autoimmun Rev. 2020;19(6):102528. 5. Krams T, Ruyssen-Witrand A, Nigon D, et al. Effect of age at rheumatoid arthritis onset on clinical, radiographic, and functional outcomes: The ESPOIR cohort. Joint Bone Spine. 2016;83(5):511-515. 6. Weiner SM: Therapie rheumatischer Erkrankungen mit Niereninsuffizienz. Orthopäde. 2019;48(11):927-935. 7. Riley TR et al.: Risk for infections with glucocorticoids and DMARDs in patients with rheumatoid arthritis. RMD Open. 2021;7(1):e001235. 8. Sepriano A et al.: Safety of synthetic and biological DMARDs: a systematic literature review informing the 2019 update of the EULAR recommendations for the management of rheumatoid arthritis. Ann Rheum Dis. 2020;79(6):760-770. 9. Smolen JS et al.: EULAR recommendations for the management of rheumatoid arthritis with synthetic and biological disease-modifying antirheumatic drugs: 2022 update. Ann Rheum Dis. 2023;82(1):3-18. 10. Novella-Navarro M et al.: Difficult-to-reat rheumatoid arthritis in older adults: implications of ageing for managing patients. Drugs Aging. 2022;39(11):841-849. 11. Soubrier M et al.: Rheumatoid arthritis in the elderly in the era of tight control. Drugs Aging. 2013;30(11):863-869. 12. Schjerning AM et al.: Cardiovascular effects and safety of (non-aspirin) NSAIDs. Nat Rev Cardiol. 2020;17(9):574-584.
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