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BERICHT
Arthrose
Das lange Warten auf den grossen Durchbruch
Ungeachtet der grossen Erfolge in der Behandlung entzündlich-rheumatischer Erkrankungen bleibt ein zahlenmässig sehr relevantes Problem bislang weitgehend ungelöst: Arthrosen des Knies und der Hände. Nach wie vor gibt es keine Therapie, die die Progression aufhalten kann. Symptomkontrolle und Optimierung der Funktion sind jedoch – auch mit nicht medikamentösen Massnahmen – möglich. Studien zeigen bei erosiver Arthrose der Hände nun vielversprechende Ergebnisse für den Einsatz von Osteoporosemedikamenten.
Weltweit dürften an die 600 Millionen Menschen von Arthrosen (engl. osteoarthritis) betroffen sein, erläuterte Prof. Dr. Cosimo de Bari von der University of Edinburgh (UK). Das am häufigsten betroffene Gelenk ist das Knie, gefolgt von Hand und Hüfte. Für die Arthrose typisch ist ein Verlust der Homöostase im Gelenk mit Abbau von Knorpel durch exzessiven Katabolismus im Vergleich zu Anabolismus und Reparatur. Es kommt zu Remodeling mit der Bildung von Chondro-Osteophyten und zu Synovitis – ob diese tatsächlich nur reaktiv auftritt, wie lange Zeit angenommen, oder die Gelenkzerstörung antreibt, ist aktuell in Diskussion, wie Prof. de Bari berichtete. Die European Alliance of Associations for Rheumatology (EULAR) publizierte 2019 Empfehlungen zum Management von Arthrosen von Hand, Hüfte und Knie, die 2023 an den aktuellen Evidenzstand angepasst wurden (1,2). Die Taskforce hielt darin fest, dass es keine krankheitsmodifizierenden Therapien für Arthrosen gibt und empfiehlt als symptomatische Firstline-Therapie topische nicht steroidale Antirheumatika (NSAR). Das Update von 2023 beschränkt sich auf nicht medikamentöse Massnahmen.
Unter den verschiedenen Formen der Handarthrose nimmt die erosive Handarthrose eine Sonderstellung ein, da sie eine ausgeprägtere entzündliche Komponente zeigt als andere Formen von Arthrose und zu Erosionen der proximalen und distalen Interphalangealgelenke führt (3). Es sei aktuell nicht möglich, die Prävalenz erosiver Handarthrosen zu quantifizieren, so Prof. de Bari, da Kriterien für die Klassifikation und Diagnose fehlen (4). Für die Forschung kommt erschwerend hinzu, dass es keine Tiermodelle für die erosive Handarthrose gibt.
Aktuell sind keine Therapien verfügbar, die die Progression einer erosiven Handarthrose aufhalten können. Das Management fokussiert daher auf nicht medikamentöse Massnahmen, Kontrolle von Symptomen, Schmerzlinderung, Selbstmanagement und Chirurgie als letzte Option. Gefragt ist letztlich ein multidisziplinärer Zugang, der die unterschiedlichen verfügbaren Therapien kombiniert. Orale An-
algetika sollen so kurz wie möglich und in der niedrigst möglichen Dosierung eingesetzt werden (5).
Therapieziel Synovitis: keine Erfolge in Studien Eine Metaanalyse mehrerer Studien zeigt, dass Synovitis und Läsionen des Knochenmarks mit Symptomen und radiologischer Progression assoziiert sind (6). Dieser Befund legt nahe, dass bei erosiver Handarthrose antiinflammatorische Therapien einen Stellenwert haben könnten. Leider konnte dies in klinischen Studien nicht oder nur in sehr begrenztem Rahmen gezeigt werden. In der HOPE-Studie wurde mit oralem Prednisolon eine Verbesserung von Schmerzen und der Synovitis gemäss Ultraschall erreicht. Nach dem Absetzen des Steroids kehrten Schmerz und Entzündung unvermindert zurück (7). Angesichts der Nebenwirkungen scheiden Steroide damit als Therapie der Handarthrose aus. Injektionen von Triamcinolon in betroffene Gelenke führen über sechs Monate zu einer signifikanten Schmerzlinderung, wobei die Effektgrösse von Monat zu Monat geringer wird (8).
Zu Colchicin liegen widersprüchliche Studienergebnisse vor, wie Prof. de Bari ausführte. Eine Post-hoc-Analyse einer grossen Phase-III-Studie, die Colchicin in der kardiovaskulären Sekundärprävention untersuchte (9), zeigte in der Verumgruppe ein reduziertes Risiko für den Bedarf nach Hüft- oder Knieprothesen. Dieser Effekt blieb auch erhalten, wenn Patienten mit Gicht in der Anamnese ausgeschlossen wurden (10). Dem steht unter anderem die COLAH-Studie gegenüber, die für Colchicin in der Behandlung von Handarthrosen keinen Vorteil gegenüber Plazebo zeigen konnte (11). Der Experte unterstrich, dass auch synthetische DMARD (Disease Modifying Anti-Rheumatic Drugs) wie Hydroxy chloroquin oder Methotrexat (MTX) in der Indikation erosive Handarthrose untersucht wurden. Eine Metaanalyse klinischer Studien zu Hand- und Kniearthrosen konnte für MTX im Vergleich zu Plazebo eine signifikante Schmerzreduktion, jedoch keine Verbesserung der Lebensqualität zeigen (12). Die laufende, plazebokontrollierte MERINO-Studie soll mehr
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Klarheit zum Stellenwert von MTX bringen, so Prof. de Bari. Für die in der Therapie der rheumatoiden Arthritis eingesetzten Anti-Tumornekrosefaktor(TNF)-Biologika konnte keine Wirksamkeit bei Handarthrosen nachgewiesen werden, wie zum Beispiel die mit Adalimumab durchgeführte doppelblinde, plazebokontrollierte Crossover-Studie HUMOR ergab (13).
Denosumab bremst die strukturelle Progression Grund zur Hoffnung geben jedoch Studienergebnisse mit Denosumab, einem für Osteoporose zugelassenen und mittlerweile gut etablierten monoklonalen Antikörper gegen den RANK-Liganden. Angesichts der Misserfolge mit antiinflammatorischen Therapieversuchen habe sich die Frage aufgedrängt, so Prof. de Bari, ob die Synovitis tatsächlich ein geeignetes Ziel in der Therapie der Handarthrose darstelle. Alternativ wurde versucht, in den Knochenstoffwechsel einzugreifen, und dabei wurden erstmals relevante Erfolge in der Behandlung der erosiven Handarthrose erzielt. In einer randomisierten, doppelblinden, plazebokontrollierten Phase-IIa-Studie wurden 100 Patienten mit erosiver Handarthrose über 48 Wochen mit Denosumab oder Plazebo behandelt. Primärer Endpunkt war die Veränderung im «Ghent University Scoring System»(GUSS)-Gesamtscore zu Woche 24. In der offenen Verlängerung wurden 92 Patienten mit Denosumab weiterbehandelt oder von Plazebo auf Denosumab umgestellt. Der primäre Endpunkt wurde mit einer signifikanten Differenz im GUSS von 8,9 Punkten erreicht. Bis Woche 48 nahm der Vorteil für die Denosumab-Gruppe auf 14,3 Punkte (95%-Konfidenzintervall [KI]: 4,6–24,0; p = 0,003) zu. Zu Woche 48 zeigten sich auch Hinweise auf eine krankheitsmodifizierende Wirkung, da es in der Plazebogruppe viermal häufiger zu neu aufgetretenen Gelenkerosionen kam als unter Denosumab. Zu Woche 48 wurde allerdings keine Schmerzreduktion und keine Verbesserung der Lebensqualität durch Denosumab registriert. In der Verlängerungsstudie bis Woche 96 zeigten die Patienten, die bereits in der verblindeten Phase Denosumab erhalten hatten, im Vergleich zu den ehemaligen Plazebopatienten ein signifikant geringeres Schmerzlevel. Prof. de Bari: «Die verlängerte Behandlung mit Denosumab reduzierte die strukturelle Progression. Möglicherweise braucht es einfach mehr Zeit, bis auch symptomatische Verbesserungen eintreten. Jedenfalls wird Denosumab nun in einer Phase-III-Studie in der Indikation erosive Handosteoarthritis untersucht.» (14).
Hohe Verbreitung von Behandlungen ohne Evidenz Die aktuellen Empfehlungen der EULAR zum Management von Arthrosen sind, wie erwähnt, relativ spärlich. Eine im Rahmen des diesjährigen EULAR-Kongresses publizierte Studie (15) des Zentrums für Medical Data Science, Institut für Outcomes Research der Medizinischen Universität Wien, zeigt jedoch, dass auch diese Empfehlungen nicht eingehalten werden. Bei vielen Betroffenen kommen nicht evidenzbasierte Therapieversuche zum Einsatz. Die Studie wurde auf Basis des BLOAR-Registers (Better Life in Osteoarthritis
Registry) durchgeführt, das Informationen von Ärzten und Therapeuten ebenso erfasst wie Patient-reported Outcomes. Abgefragt werden unter anderem Schmerz, Lebensqualität, körperliche Aktivität und Schwere der Erkrankung. Eine Auswertung von 1716 Patienten zeigte, dass die häufigste Diagnose die Kniearthrose ist (52,2%), gefolgt von Arthrosen an Hand (23,5%), Hüfte (17,7%) und anderen Gelenken (6,7%). Mehr als 80% der Personen im Register waren moderat oder schwer betroffen, 16% gaben an, ihre Arbeitszeit reduziert oder den Arbeitsplatz verloren zu haben. Auf einer Skala von 0 bis 100 wurde der Schmerz mit durchschnittlich 24,7 in Ruhe und 42,8 bei Bewegung angegeben.
Insgesamt 67% gaben Arztbesuche an, 61,4% hatten Physiotherapie erhalten (aktive, funktionale Therapie bei zugelassenen Physiotherapeuten) und 60,4% physikalische Therapien (ärztlich verordnete passive Modalitäten wie Elektrotherapie, Hitze-, Kälte-, Ultraschall- oder Hydrotherapie). Allerdings gaben nur 11,8% an, eine Ernährungsintervention bekommen oder an einem Programm zum Gewichtsmanagement teilgenommen zu haben. Nur 37,5% nahmen Medikamente, inklusive Analgetika. Jedoch gaben 40,3% an, Vitamine einzunehmen, und 12,6% Phytopharmaka. Damit zeigt sich eine deutliche Abweichung der Praxis von den EULAR-Empfehlungen, die ausdrücklich Wert auf Gewichtsmanagement legen. Für die Einnahme von Vitaminoder Phytopräparaten gibt es im Arthrosemanagement hingegen keine Evidenz und folglich auch keine entsprechenden Empfehlungen. Diese hohe Prävalenz nicht evidenzbasierter Therapien ist laut Studienautoren überraschend. Die Studie zeige, dass das Bewusstsein für die Empfehlungen der EULAR in der Ärzteschaft und den Gesundheitsberufen geschärft werden sollte. Auch sollten Betroffene über Evidenz oder eben fehlende Evidenz zu den verschiedenen Interventionsversuchen aufgeklärt werden.
Reno Barth
Quelle: «HOT (How to Treat): Erosive Hand Osteoarthritis» und «Navigating the field of osteoarthritis: American and European interprofessional approaches», EULAR 2025, 12. Juni 2025, Barcelona
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the management of hand osteoarthritis. Ann Rheum Dis. 2019;78:16-24. doi:10.1136/annrheumdis-2018-213826 2. Moseng T et al.: EULAR recommendations for the non-pharmacological core management of hip and knee osteoarthritis: 2023 update. Ann Rheum Dis. 2024;83:730-740. doi.10.1136/ard-2023-225041 3. Marshall M et al.: Hand osteoarthritis: clinical phenotypes, molecular mechanisms and disease management. Nat Rev Rheumatol. 2018;14(11):641-656. doi:10.1038/s4(1584-018-0095-4 4. Favero M et al.: Erosive hand osteoarthritis: latest findings and outlook. Nat Rev Rheumatol. 2022;18(3):171-183. doi:10.1038/s41584-021-00747-3 5. Kloppenburg M et al.: Osteoarthritis. Lancet. 2025;405(10472):71-85. doi:10.1016/S0140-6736(24)02322-5 6. Obotiba AD et al.: Synovitis and bone marrow lesions associate with symptoms and radiographic progression in hand osteoarthritis: a systematic review and meta-analysis of observational studies. Osteoarthritis Cartilage. 2021;29(7):946-955. doi:10.1016/j.joca.2021.03.018 7. Kroon FPB et al.: Results of a 6-week treatment with 10 mg prednisolone in patients with hand osteoarthritis (HOPE): a double-blind, randomised, placebo-controlled trial. Lancet. 2019;394(10213):1993-2001. doi:10.1016/S0140-6736(19)32489-4 8. Favero M et al.: Efficacy and Safety of Ultrasound-Guided Intra-articular Glucocorticoid Injection in Erosive Hand Osteoarthritis. Pain Med.
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