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KONGRESSBERICHT
Chronische Wunden
Neue Ansätze, damit chronische Wunden wieder zugehen
In den letzten Jahren konnten einige Externa entwickelt werden, die helfen, chronische Wunden doch noch zu schliessen. So stehen beispielsweise Lösungen zum enzymatischen Debridement auf Bromelaïn-Basis kurz vor der Zulassung für Ulcus cruris. Was sich sonst noch in der Entwicklungs-Pipeline befindet, stellte Dr. Ariela Hafner aus Tel Aviv (Israel) auf dem europäischen Dermatologen-Kongress vor.
Chronische Wunden sind eine Domäne der Hautärzte, wobei das venöse Ulcus cruris mit rund 70% den Hauptanteil ausmacht (1). Und es sind viele, die an den «offenen Beinen» leiden: Die Prävalenz wird auf etwa 2% der Bevölkerung geschätzt – Tendenz steigend, vor allem wegen der Zunahme der älteren Bevölkerung.
Leider lassen die Behandlungserfolge trotz aller Bemühungen zu wünschen übrig: Die Wunden gehen einfach nicht zu. Jüngste Schätzungen deuten darauf hin, dass nach 20-wöchiger Behandlung nur bei 25–50% der chronischen oder schwer heilenden Wunden, insbesondere bei venösen und diabetischen Geschwüren, ein vollständiger Wundverschluss erreicht wird (2). Die Gründe sind vielfältig. Nicht zuletzt sind es logistische Hürden, die eine leitliniengerechte Behandlung behindern; z.B. kann eine Kompressionstherapie nicht erfolgen, weil die alte Dame ihre Kompressionsstrümpfe nicht anziehen oder der Pflegedienst keinen Kompressionsverband anlegen kann. Aber auch medizinische Gründe können vorliegen, z.B. bei einem Ulcus cruris mixtum, bei dem sowohl eine arterielle als auch eine venöse Insuffizienz vorliegen und eine Kompression kontraproduktiv wäre.
Auch die Pathophysiologie der chronischen Wunde macht es schwierig, einen kausalen Therapieansatz zu finden. Denn im Gegensatz zu akuten Wunden, bei denen die Heilung die Stadien • Koagulation, • Inflammation, • Proliferation und Migration (von Immun- und Hautzellen wie
Keratinozyten) und • Restrukturierung nacheinander durchläuft, finden diese Prozesse in der chronischen Wunde gleichzeitig statt (siehe Abbildung). Wo soll da angesetzt werden? Wie Dr. Hafner erläuterte, gelten nach wie vor die Regeln der bestmöglichen Wundversorgung: • Debridement nekrotischen Gewebes, • feuchter Wundverband, • bakterieller Infektion entgegenwirken, • Schutz der Umgebungshaut.
Debridement mit Ananas-Enzym Gerade beim ersten Punkt, dem Debridement, sind in den letzten Jahren deutliche Fortschritte erzielt worden. Statt dem für
den Patienten schmerzhaften mechanischen Debridement, z.B. mit dem scharfen Löffel, ist es heutzutage möglich, totes Gewebe mittels enzymatischer Wirkstoffe zu entfernen.
Eines dieser Enzyme ist Bromelaïn, das aus dem Stamm der Ananaspflanze gewonnen wird. Für das enzymatische Debridement bei Brandverletzten ist bereits ein Präparat in der EU und auch in der Schweiz zugelassen: NexoBrid®, das als Gel auf die Wunden aufgebracht wird. Innerhalb eines Tages wird der Verbrennungsschorf aufgelöst, was deutlich schneller ist als bei der Standardbehandlung (3).
Was bei Brandwunden funktioniert, müsste auch beim Ulcus cruris gehen. Und tatsächlich: Wie Dr. Hafner berichtete, habe eine kleine Pilotstudie ergeben, dass sich nekrotisches Gewebe bei offenen Beinen mit NexoBrid® innerhalb von 24 Stunden komplett entfernen lasse. Allerdings seien noch weitere Studien mit grösserer Teilnehmerzahl erforderlich, bis hier eine Zulassungserweiterung erfolgen könne.
Für die Behandlung bei Ulcus cruris ist noch ein anderes Präparat auf Bromelaïn-Basis in der Pipeline: EscharEx. Dr. Hafner berichtete über eine aktuelle Studie mit 119 Ulcus-crurisPatienten, die entweder mit dem Bromelaïn-Gel, dem wirkstofffreien Vehikel oder einer nicht chirurgischen Standardtherapie behandelt wurden. Ergebnis: In der Verumgruppe erreichten zwei Drittel innerhalb von acht Tagen ein vollständiges Debridement, in der Gruppe mit wirkstofffreiem Gel waren es 30% und in der Standard-Care-Gruppe nur 14% (4).
Und noch einen weiteren Vorteil könnte das Bromelaïn-Gel haben: In einer kleinen Studie wurde nicht nur der Effekt auf das Debridement untersucht. Das Präparat löste nicht nur Nekrosen wirksam bei venösen Unterschenkelulzera und diabetischen Fussgeschwüren, sondern reduzierte auch den auf den Wunden befindlichen Biofilm und die Bakterienlast. Das resultierte am Ende der Beobachtungszeit nach zwei Wochen in einer um 35% verkleinerten Wundfläche (1).
Maden-Enzyme Eine kleine Renaissance scheint das Debridement mittels Enzymen tierischen Ursprungs zu erfahren – jedoch in veränderter Form. In den 1990er-Jahren war die Auflösung des Wundbelags durch Maden en vogue. Die Fliegenmaden wurden in kleinen Gaze-Säckchen auf die Wunden gelegt und konnten
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dann durch ihre Enzyme das nekrotische Gewebe auflösen und auffressen. Dies hinterliess einen sauberen Wundgrund. Allerdings war die Akzeptanz dieser Therapie verständlicherweise nicht gross. Heute wird das Enzym Tarumase rekombinant aus den medizinischen Maden gewonnen. Tarumase ist ein Trypsin-Serin-Protease-Enzym mit selektiver Aktivität gegen Fibrin, Kollagen und Elastin. Nicht-klinische Studien mit Tarumase haben verschiedene positive Aspekte ergeben, darunter die selektive Auflösung von Fibrin, und die Verringerung der bakteriellen Belastung des Wundbetts.
Aktuell sind nun Ergebnisse von ersten klinischen Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit veröffentlicht worden. Danach gab es bei der Anwendung des Tarumase-Gels keine Hinweise auf eine systemische Resorption, Bildung von Antikörpern oder systemische Auswirkungen auf die Gerinnung. Lokal wurde weder über Schmerzen noch über Juckreiz geklagt. Auch Erytheme, Ödeme, Exsudat oder Blutungen nahmen nicht zu. Vielmehr wurde ein schnelleres, effektives Wund-Debridement registriert. Im Verlauf des 4-wöchigen Behandlungszeitraums konnten auch Trends zur Abheilung beobachtet werden. So bildete sich mehr Granulationsgewebe, und die Wundfläche verringerte sich (2).
Mit Phagen gegen Bakterien Dr. Hafner berichtete auch über Innovationen zum Therapiebereich der mikrobiellen Wundbesiedlung. Besonders im Trend liegt hier die Phagen-Therapie. Prinzip: Gegen die pathogenen Bakterien gerichtete Viren werden in einer Lösung auf die Wunde aufgebracht und zerstören die pathogenen Zielkeime. Dies könnte eine Alternative beispielsweise bei AntibiotikaUnverträglichkeit oder bei Lieferengpässen von Antibiotika sein. Zudem können Antibiotika und Bakteriophagen auch kombiniert eingesetzt werden.
Allerdings ist die Phagen-Therapie aufwendig. Auch wenn fast 80% der Erreger in chronischen Wunden auf Staphylococcus aureus und Pseudomonas aeruginosa entfallen, empfiehlt es sich zunächst, die auf dem Biofilm der jeweiligen Wunde befindlichen Keime zu identifizieren und die entsprechenden wirksamen Bakteriophagen zu ermitteln. Es wird somit ein individuelles Phagogramm angefertigt und ein massgeschneiderter Phagen-Cocktail zusammengestellt. Dr. Hafner berichtete von mehreren Studien, in denen die Phagen-Therapie sich als erfolgreich erwiesen hat. In einer indischen Studie wurde bei 48 Patienten mit chronischen Wunden unterschiedlicher Genese eine solche massgeschneiderte Phagen-Therapie mit durchgeführt, wobei die Wunden mehrmals mit der Phagen-Lösung gespült wurden, bis die Wunde frei von infizierenden Bakterien war. Nach der Beobachtungszeit von 3 Monaten waren im Gesamtkollektiv die Wunden bei 81% der Patienten frei von pathogenen Keimen, bei den Diabetikern lag die Rate bei 74,1% (5).
Topische Betablocker Ein sauberer Wundgrund, frei von nekrotischem Gewebe und pathogenen Keimen, ist zwar eine gute Basis für die Heilung chronischer Geschwüre, doch er ist nicht alles. Heilungsfördernd könnte eine Substanzgruppe sein, die eher als Anti-
Wundheilungsstadien
Akute Wunden
Lineare Abfolge Koagulation
Chronische Wunden
nicht lineare Abfolge Koagulation
Inflammation
Proliferation Migration
Remodeling
Remodeling Zeit Inflammation
Proliferation Migration
Quelle: Vortrag Hafner
hypertensivum bekannt ist: die Betablocker. Erste Versuche mit Timolol-haltigen Augentropfen waren vielversprechend. Mittlerweile sind auch die pathophysiologischen Mechanismen entschlüsselt, die dieser Heilungsförderung zugrunde liegen: Weichteilschäden regen sympathische Nerven dazu an, grosse Mengen an Katecholamin-Hormonen freizusetzen, die an β-adrenerge Rezeptoren (β-AR) auf der Zellmembranoberfläche binden. Das aktiviert die nachgeschalteten Effektormoleküle und beeinträchtigt die Wundheilung. Betablocker hemmen spezifisch die Aktivierung von β-AR bei akuten/chronischen Hautläsionen. Sie beschleunigen auch die Wundheilung des Weichgewebes, indem sie die Dauer der Entzündung verkürzen, die Migration und Reepithelisierung von Keratinozyten beschleunigen, die Wundkontraktion und Angiogenese fördern und bakterielle Virulenz-Effekte hemmen (6).
Diese Wirkung auf die Wundheilung lässt sich via topischer Betablocker-Zubereitungen nutzen, die bereits in der Augenheilkunde bei grünem Star eingesetzt werden. Dr. Hafner berichtete unter anderem von einer plazebokontrollierten Untersuchung bei Ulcus-cruris-Patienten, die über 12 Wochen mit einem Timolol-Gel behandelt wurden. Ergebnis: In Woche 12 wurde bei 67% der Timolol-Behandelten eine Reduktion der Ulkusfläche um ≥ 40% festgestellt, gegenüber 32% unter Standardbehandlung (7).
Inzwischen liegt auch eine Metaanalyse zu topischem Timolol bei chronischen Wunden vor. Diese kommt zu dem Schluss, dass es als wirksame und sichere Zusatzbehandlung bei refraktären Wunden, vor allem bei venösen Beingeschwüren und diabetischen Fussgeschwüren, gewertet werden kann. Zudem ist die Anwendung einfach und kostengünstig, aber dennoch derzeit eine Off-Label-Anwendung (8). Klinische Studien für die Zulassung bei chronischen Wunden sind bereits in Arbeit.
Angelika Ramm-Fischer
Quelle: Session «Update Woundhealing» beim Jahreskongress der European Academy of Dermatology and Venereology (EADV) 2024, am 27. September 2024 in Amsterdam (NL)
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Referenzen: 1. Snyder R et al.: An Open-Label, Proof-of-Concept Study Assessing the
Effects of Bromelain-Based Enzymatic Debridement on Biofilm and Microbial Loads in Patients With Venous Leg Ulcers and Diabetic Foot Ulcers Wounds. 2023;35(12):E414-E419. doi: 10.25270/wnds/23099 2. Fairlamb DM et al.: First clinical evaluation of the safety and efficacy of tarumase for the debridement of venous leg ulcers. Int Wound J. 2024;21:e14805. doi: 10.1111/iwj.14805 3. Shoham Y et al., for the DETECT Investigators: Early Enzymatic Burn Debridement: Results of the DETECT Multicenter Randomized Controlled Trial, Journal of Burn Care & Research. 2024;45(2):297–307. https://doi.org/10.1093/jbcr/irad142 4. Shoham, Y et al.: Once daily Bromelain-based enzymatic debridement of venous leg ulcers versus gel vehicle (placebo) and non-surgical standard of care: a three-arm multicenter, double blinded, randomized controlled study. EClinicalMedicine. 2024;75:102750. doi: 10.1016/j.eclinm.2024.102750 5. Patel DR et al.: Use of Customized Bacteriophages in the Treatment of Chronic Nonhealing Wounds: A Prospective Study. Int J Low Extrem Wounds. 2021;20(1):37-46. doi: 10.1177/1534734619881076 6. Jia S et al.: Mechanism and application of β-adrenoceptor blockers in soft tissue wound healing. Med Res Rev. 2024;44(1):422-452. doi:10.1002/med.21984 7. Baltazard T et al.: Evaluation of timolol maleate gel for management of hard-to-heal chronic venous leg ulcers. Phase II randomised-controlled study. Ann Dermatol Venereol. 2021;148(4):228-232. doi:10.1016/j. annder.2020.11.009 8. Cornwell D et al.: Timolol in the treatment of hard-to-heal wounds: a comprehensive review. J Wound Care. 2024;33(4):243-252. doi:10.12968/jowc.2024.33.4.243
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