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BERICHT
Management des akuten Koronarsyndroms
Take Home Messages der neuen Guideline
Das American College of Cardiology (ACC) und die American Heart Association (AHA) haben eine aktualisierte Guideline zum Management von Patienten mit akutem Koronarsyndrom publiziert. Darin wurden Take Home Messages formuliert, unter anderem zur Plättchenhemmung und zur Lipidsenkung. Weitere für die Praktiker wichtige Empfehlungen kommentierte Prof. Dr. Sunil Rao, Vorsitzender des GuidelineKomitees.
In den USA werden jährlich etwa 1,2 Millionen Personen mit akutem Koronarsyndrom (ACS) hospitalisiert. Zum akuten Koronarsyndrom zählen die instabile Angina pectoris, der ST-Hebungs-Myokardinfarkt (STEMI) und der NonST-Hebungs-Myokardinfarkt (NSTEMI). Als Auslöser gilt ein Thrombus infolge Plaqueruptur, der den Blutfluss erheblich einschränkt oder komplett blockiert. Weil Komplikationen nach einem ACS chronisch sein und eine Prävention von weiteren Ereignissen nötig machen können, sind solche Guidelines auch wichtig für Hausärzte, wie Prof. Rao in JAMA-News betonte.
Wichtige Take Home Messages 1. Für Patienten mit ACS ist eine duale Thrombozytenhem-
mung (DAPT) empfohlen. Bei Patienten mit bevorstehender perkutaner Koronarintervention (PCI) soll vorzugsweise Ticagrelor (Brilique® und Generika) oder Prasugrel (Efient® und Generika) vor Clopigogrel (Plavix® und Generika) eingesetzt werden. Bei Patienten mit Nicht-ST-Hebungs-ACS (NSTE-ACS) mit bevorstehendem invasivem Eingriff und bei denen die Koronarangiografie in > 24 Stunden geplant ist, kann eine vorgeschaltete Behandlung mit Clopidogrel oder Ticagrelor in Betracht gezogen werden, um grössere kardiovaskuläre Ereignisse zu reduzieren. 2. Für Patienten mit tiefem Blutungsrisiko ist eine DAPT mit Acetylsalicylsäure (ASS) (Aspirin Cardio® und Generika) und einem oralen P2Y12-Hemmer für mindestens 12 Monate standardmässig empfohlen. Dabei stehen nach durchgeführter PCI mehrere Strategien zur Verfügung: a) Bei bestehendem Risiko für gastrointestinale Blutungen ist die Einnahme eines Protonenpumpenhemmers empfohlen. b) Wurde die DAPT mit Ticagrelor vertragen, ist der Übergang zu einer Ticagrelor-Monotherapie mindestens einen Monat nach PCI empfohlen. c) Wird eine Langzeitantikoagulation benötigt, sollte ASS 1–4 Wochen nach der PCI gestoppt und mit einem P2Y12-Hemmer, vorzugsweise Clopidogrel, weiterbehandelt werden. 3. Für alle Patienten mit ACS ist eine Therapie mit hochwirksamen Statinen empfohlen, mit optionaler Zugabe von Ezetimib. Eine Nicht-Statin-Lipidsenkung, z.B. mit Ezetimib (Ezetrol® und Generika), Evolocumab (Repatha®), Alirocumab (Praluent®), Inclisiran (Leqvio®) oder Bempedoinsäure (Nilemdo®) ist für Patienten mit LDL-Choleste-
rin(LDL-C)-Werten ≥ 1,8 mmol/l (≥ 70 mg/dl) empfohlen, die mit Statinen die maximal verträgliche Dosierung erreicht haben. Bei Hochrisikopatienten mit LDL-C-Werten von 1,42– 1,80 mmol/l (55–69 mg/dl) ist es vernünftig, die Lipidsenkung zu intensivieren, wenn mit Statinen die maximal verträgliche Dosierung erreicht wurde. 4. Bei Patienten mit NSTE-ACS mit mittlerem oder hohem Risiko für ischämische Ereignisse ist eine Revaskularisation noch während des Spitalaufenthalts empfohlen. Patienten mit tiefem Risiko sollen mittels invasiver Diagnostik auf die Notwendigkeit einer Revaskularisation abgeklärt werden. 5. Zwei interventionelle Strategien werden für die Durchführung einer PCI empfohlen: a) Der radiale Zugangsweg wird gegenüber dem femoralen Zugangsweg bevorzugt, um Blutungen, vaskuläre Komplikationen und die Sterblichkeit zu reduzieren. b) Eine intrakoronare Bildgebung wird empfohlen, um die PCI bei Patienten mit ACS und komplexen Koronarläsionen zu steuern. 6. Eine vollständige Revaskularisation wird bei Patienten mit STEMI oder NSTE-ACS empfohlen. Die Wahl der Methode (z.B. Koronararterien-Bypassoperation vs. MehrgefässPCI) bei NSTE-ACS und Mehrgefässerkrankung sollte sich nach der Komplexität der Koronarerkrankung und den Komorbiditäten richten. Eine PCI von signifikanten Nicht-Verursacher-Stenosen bei Patienten mit STEMI kann entweder in einem einzigen Eingriff oder gestaffelt durchgeführt werden, wobei eine gewisse Präferenz für die Durchführung einer Mehrgefäss-PCI in einem einzigen Eingriff besteht. Bei Patienten mit ACS und kardiogenem Schock ist eine Notfallrevaskularisation des verursachenden Gefässes angezeigt; jedoch wird eine routinemässige PCI von nicht infarktbezogenen Arterien zum Zeitpunkt der PCI nicht empfohlen. 7. Nach der Spitalentlassung ist der Fokus auf die Sekundärprävention fundamental. Ein Nüchtern-Lipidprofil wird 4–8 Wochen nach Beginn oder Anpassung der lipidsenkenden Therapie empfohlen. Ebenso wird eine Überweisung zur kardiologischen Rehabilitation empfohlen, wobei für Patienten, die nicht vor Ort teilnehmen können oder möchten, auch Programme für zuhause in Betracht gezogen werden können.
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BERICHT
Wissenswertes für Praktiker In der neuen Guideline werden bei den Plättchenhemmern Ticagrelor und Prasugel dem Einsatz von Clopidogrel vorgezogen. Grund dafür ist der schnellere Wirkbeginn der ersteren beiden, was laut Prof. Rao vielen nicht bewusst ist.
Nach einer ACS-bedingten PCI entsprachen bis jetzt zwölf Monate Plättchenhemmung plus ASS der Standardtherapie. Das sei zwar immer noch Standard, doch empfehle die Guideline bei Personen mit höherem Blutungsrisiko, wie z.B. älteren Personen oder Patienten mit Nierenerkrankung, ein anderes Vorgehen. Hierbei solle die duale Plättchenhemmung deeskaliert werden, um das Blutungsrisiko zu reduzieren, aber ohne den ischämischen Nutzen zu verringern. Das kann beispielsweise mithilfe eines Protonenpumpenhemmers geschehen oder dem Austausch von ASS gegen Clopidogrel.
Auch die kardiale Rehabilitation ist gemäss der neuen Guideline eine Klasse-1A-Empfehlung für alle Patienten mit ACS. Es wird auch vorgeschlagen, dass die Patienten in die Rehaklinik geschickt werden sollen, noch bevor sie aus dem Spital entlassen werden. Der Nutzen einer Kardio-Rehabilitation ist belegt: Nach einem 36-Sitzungs-Kurs ist das Risiko für die Gesamtmortalität halbiert (47%) und für nachfolgende Myokardinfarkte um 31% reduziert, wie Prof. Rao erklärte. Das Problem sei, dass viel zu wenig Patienten davon Gebrauch machen. Einerseits, weil sie das Angebot gar nicht erst erhielten und andererseits, weil nicht genügend Rehabilitationsplätze zur Verfügung stünden. Deshalb habe das Komitee auch eine «home-based cardiac rehabilitation» in ihre Empfehlungen aufgenommen (Empfehlungsgrad 2a), damit alle Patienten profitieren könnten, die dies bräuchten.
Des Weiteren habe Colchicin wegen einer angeblichen Risikoreduktion von Myokardinfarkten bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit inklusive ACS viel Aufmerksamkeit erhalten. Die Evidenzlage zur Wirksamkeit von Colchicin sei aber gemischt. In der neuen Guideline kann Colchicin in einer täglichen Dosierung von 0,5–0,6 mg mit Empfehlungsgrad 2b (schwach) verabreicht werden. Das könne hauptsächlich bei Patienten nach ACS zum Tragen kommen, um das Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse zu senken. Gastrointestinale Nebenwirkungen seien aber zu beachten, so Prof. Rao.
Zu guter Letzt sei die jährliche Grippeimpfung erwähnt, die das Risiko für Tod und für schwere kardiovaskuläre Ereignisse senkt. In der neuen Guideline hat diese Massnahme einen Klasse-1-Empfehungsgrad erhalten.
Valérie Herzog
Quellen: 1. Kumbhani DJ et al.: 2025 Acute Coronary Syndromes Guideline-at-a-
Glance. J Am Coll Cardiol. 2025 Feb 27:S0735-1097(25)00202-5. doi: 10.1016/j.jacc.2025.01.018. Epub ahead of print. PMID: 40013745 2. Medical News: 7 Takeaways for Primary Care Clinicians From the Updated Acute Coronary Syndromes Guideline. JAMA 2025;333(16). doi:10.1001/jama.2025.2931
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