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BERICHT
ECCO 2025 – mehr spannende Studien
Globale Epidemiologie, Tasty&Healthy, Biologika-Exposition von Babys, …
Am 20. Jahreskongress der European Crohn’s and Colitis Organisation (ECCO) wurden neben Studien zur Therapie chronisch entzündlicher Darmerkrankungen (CED) auch spannende Arbeiten zu ganz anderen Fragen vorgestellt. Wie fortgeschritten ist die Erkrankung bei Neudiagnose Morbus Crohn? Welche epidemiologischen Tendenzen zeigten CED in den letzten 100 Jahren? Kann eine rein enterale Ernährung vermieden werden? Wie steht es um die Biologika-Exposition von Babys während Schwangerschaft und Stillzeit? Eine kleine Auswahl.
Studien zeigen, dass rund ein Drittel der Patienten mit Morbus Crohn schon zum Zeitpunkt der Diagnose Schäden an der Darmwand oder durch die Krankheit verursachte Komplikationen aufweisen. Zudem müssen gemäss einer Studie aus dem Jahr 2019 (EPI-IBD-Kohorte) im ersten Jahr nach Diagnose 23% der Patienten hospitalisiert und 13% resektioniert werden (1).
Morbus Crohn: Erstdiagnose sechs Monate nach Beschwerdebeginn In Berlin wurden nun neue Dreijahresdaten der prospektiven internationalen Crohn’s Disease Cohort (CROCO) Study vorgestellt, in der ebenfalls frisch diagnostizierte Morbus-Crohn-Betroffene aus Europa näher charakterisiert werden sollten (2). Die 399 Patienten aus 18 Zentren waren zum Diagnosezeitpunkt im Durchschnitt 34 Jahre, hatten zuvor rund sechs Monate Beschwerden und zu 42% eine positive Familienanamnese. 46% waren aktuell oder in der Vergangenheit Raucher. Bei 51% war das Ileum, bei 15% das Kolon und bei 34% waren beide Darmabschnitte betroffen, wie Dr. Sophie Vieujean, Centre Hospitalier Universitaire (CHU) de Liège, Belgien, berichtete. Die Hälfte der Patienten (51%) wurde im Laufe der Zeit mit Steroiden behandelt, 17% mit 5-Aminosalicylsäure (5-ASA), 1% mit Immunsuppressiva allein, 44% mit Biologika, darunter Tumornekrosefaktor(TNF)-Inhibitoren (42%), Anti-Interleukin(IL)12/23- oder Anti-IL-23-Substanzen (2%) sowie Anti-Integrine (2%). 31% erhielten eine Kombinationstherapie aus Biologika und Immunsuppressiva. Rund die Hälfte der Teilnehmer (48%) wies keine Beeinträchtigungen auf, dafür zeigten 24% milde, 15% moderate und 13% schwere Behinderungen. 22% der CROCO mussten trotz des relativ kurzen Beobachtungszeitraums hospitalisiert werden und von diesen benötigte rund jede zehnte Person direkt nach der Aufnahme eine Operation.
Vier Stufen der globalen CED-Zunahme «In der Vergangenheit war nur eine Handvoll Menschen von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen betroffen, heute sind es Millionen von Patienten». Der Gastroenterologe und Epidemiologe Dr. Gilaad Kaplan von der University of Calgary,
Kanada, wollte der Entwicklung dieses Phänomens auf den Grund gehen. Dafür sammelte er in einer umfangreichen Untersuchung mit seinem Team 520 epidemiologische Studien (3). Sie repräsentierten weltweit über 80 Länder und deckten einen Zeitraum von über 100 Jahren (1920 bis 2020) ab. Die Forscher konnten vier epidemiologische Stufen der globalen Zunahme chronisch entzündlicher Darmerkrankungen (CED) detektieren. In den Entwicklungsländern sind momentan weder die CED-Inzidenzen noch die CED-Prävalenzen hoch (Stufe 1). Dagegen verzeichnen die Schwellenländer zurzeit eine stark zunehmende Inzidenz bei (noch) relativ geringer Prävalenz (Stufe 2). Sie stehen damit noch am Anfang der Ausbreitung von CED. In der industrialisierten Welt flachen die Inzidenzen derzeit auf hohem Niveau ab, während die Prävalenzen nach wie vor ansteigen (Stufe 3). In den kommenden 20 Jahren wird sich dort ein Plateau gleichbleibender Inzidenzen und Prävalenzen auf hohem Niveau einstellen (Stufe 4). Zweifellos hat diese beängstigende Entwicklung mit dem Lebensstil in den industrialisierten Ländern zu tun. Die Frage ist: Kann man das aufhalten? Bislang existieren zwar keine validen Studien zur Prävention von CED, allerdings gebe es durchaus Hinweise, wie man dagegenhalten kann. So zeigte eine prospektive amerikanische Kohortenstudie, dass durch eine gesündere Lebensweise durchaus Erfolge zu erzielen sind (4). Menschen, die massvoll Alkohol konsumierten (z.B. Männer ≤ 2 Drinks/Tag), Übergewicht vermieden (Body-Mass-Index 18,5–25 kg/m2), sich regelmässig bewegten (> 7,5 Stunden/Woche), auf Rauchen verzichteten und sich gesund ernährten, konnten ihr Risiko, eine CED zu entwickeln, um rund 50% reduzieren.
Keine Auffälligkeiten bei Babys durch BiologikaExposition Eine immer wieder sorgenvoll gestellte Frage von werdenden Müttern mit CED lautet: Hat eine Therapie mit Biologika während Schwangerschaft und Stillzeit einen negativen Einfluss auf das Baby? In einer grossen spanischen Multizenter-Studie wollte man sich nun des Einflusses solcher Medikamente auf das Wachstum des Kindes annehmen (5). Die Wissenschaftler um Dr. Laura María Palomino Perez vom Hospital Infantil Uni-
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versitario Niño Jesús in Madrid untersuchten dafür 352 Säuglinge von 343 Frauen mit CED. Von den Babys waren 134 während und 80 nach der Schwangerschaft Biologika ausgesetzt. Bei den Biologika handelte es sich um Infliximab (37%), Adalimumab (32%), Ustekinumab (20%), Vedolizumab (10%), Certolizumab (2,2%) und Golimumab (0,7%). Es zeigten sich weder vor noch im ersten Jahr nach der Geburt Auffälligkeiten. Im Vergleich zu den nicht exponierten Babys wiesen die «Biologika-Kinder» nach der Geburt keine Unterschiede im Gewicht oder der Körperlänge auf. Im Gegenteil: Das GewichtKörperlänge-Verhältnis war nach dem ersten Lebensmonat bei Säuglingen mit Malnutritionsrisiko signifikant besser bei exponierten Kindern als in der nicht exponierten Gruppe (33% vs. 21%; p < 0,05). Mit drei Monaten zeigten nicht exponierte Säuglinge eine höhere Prävalenz für moderate bis schwere Mangelernährung (47% vs. 20%; p < 0,05). Die Exposition von Babys während der Schwangerschaft und der Stillzeit sei daher nicht nur sicher, sondern habe sogar Vorteile für das Wachstum der Kinder, so Dr. Palomino Perez während der Vorstellung der Daten. Möglicherweise sei dies auf die bessere Kontrolle der mütterlichen Darmentzündung zurückzuführen. Gutes Essen ist möglich Bei jungen Patienten mit Morbus Crohn kann eine Diät klinisch genauso vorteilhaft sein wie eine enterale Ernährung. Dies wurde in einer in Berlin vorgestellten israelisch-europäischen Studie mit 83 Kindern und Jugendlichen (Alter zwischen 6 und 25 Jahren) mit mildem bis moderatem Morbus Crohn deutlich (6). Die eine Gruppe erhielt eine spezielle Diät («Tasty&Healthy», T&H), bei der prozessierte Nahrung, bestimmte Getreideprodukte mit Gluten, rotes Fleisch, frittiertes und tiefgefrorenes Essen sowie Milchprodukte (ausser Joghurt) vermieden werden sollten. Alles andere, also Eier, Fisch, Geflügel, glutenfreies Getreide, Gemüse, Obst, Nüsse, Honig oder Naturjoghurt, war erlaubt, wie Dr. Luba Plotkin vom Shaare Zedek Medical Center, Jerusalem, erklärte. Die zweite Gruppe wurde ausschliesslich enteral ernährt (EEN). Es zeigten sich nach acht Wochen keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Gruppen hinsichtlich des Erreichens einer klinischen Remission (56% und 38%, Intention-to-treat-Analyse). Auch die Level des Calprotectins und des C-reaktiven Proteins (CRP) sanken in beiden Gruppen gleichermassen, die CRP-Werte hatten sich bei etwa der Hälfte aller Teilnehmer normalisiert. Allerdings konnten in der T&H-Gruppe im Darmmikrobiom eine höhere Diversität und eine gesündere Bakterienzusammensetzung festgestellt werden (siehe dazu auch das Interview mit Prof. Gerhard Rogler auf Seite 248). Klaus Duffner Quelle: 20th Congress of the European Crohn’s and Colitis Organisation (ECCO), 19.–22. Februar 2025, Berlin (D) Referenzen: 1. Burisch J et al.: Natural disease course of Crohn’s disease during the first 5 years after diagnosis in a European population-based inception cohort: an Epi-IBD study. Gut. 2019;68(3):423-433. doi:10.1136/gutjnl-2017-315568 2. Vieujean S et al.: Characterization of a European population with recently diagnosed Crohn’s Disease: results from the prospective Crohn’s Disease Cohort (CROCO) Study. ECCO 2025; DOP087. doi:10.1093/ecco-jcc/ jjae190.0126 3. Kaplan G et al.: Epidemiology in 2030 – prevalence, costs, climate change. ECCO 2025; Session 11: Emerging challenges. 4. Lopes EW et al.: Lifestyle factors for the prevention of inflammatory bowel disease. Gut. Published online December 6, 2022. doi:10.1136/ gutjnl-2022-328174 5. Palomino Perez L et al.: Impact of prenatal and breastfeeding exposure to biologic drugs on the first-year anthropometric development of infants born to mothers with inflammatory bowel disease from DUMBO registry of GETECCU. ECCO 2025; DOP038. doi:10.1093/ecco-jcc/jjae190.0077 6. Aharoni Frutkoff Y et al.: Tasty & Healthy Flexible Diet Induces clinical and biological Remission in Children and Young Adults with Mild-Moderate Crohn’s Disease similar to EEN: results from the “TASTI-MM” randomized, physician blinded, controlled trial. ECCO 2025; OP02. doi:10.1093/ ecco-jcc/jjae190.0002 ars medici 7 | 2025 259