Transkript
Was steckt hinter d
Der medizinische Ansatz, nicht die Behandlung von Krankheiten, sondern die Förderung von Gesundheit in den Mittelpunkt zu stellen, hat entscheidend zur Wellnessbewegung beigetragen.
von Sabine Schritt*
Googelt man im Internet den Begriff «Wellness», ergeben sich rund 98 Millionen Treffer. Darunter sind Tausende Seiten mit Reiseangeboten, Hotelinformationen, Schönheitsratgebern, Kochrezepten, Ernährungsberatung sowie unzählige Anleitungen zu Fitness- und Entspannungsmethoden. Fast alles, was wir tun können, um unser persönliches Wohlbefinden zu steigern, verdient anscheinend das Etikett «Wellness». Ob in den Ferien, in der Freizeit, in Restaurants oder in Fitnesszentren – der Begriff ist heute allgegenwärtig. Aber vielleicht ist das, was wir heute als Wellness bezeichnen, gar nicht so neu. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte der deutsche Pfarrer Sebastian Kneipp eine Gesundheitslehre, die auf fünf Säulen beruht: die Anwendung von Wasserkuren, Bewegung, Heilkräuter, Ernährung und Lebensordnung, das heisst ein insgesamt ausgeglichener Lebensstil. Kneipps Ansatz, durch eine gesundheitsfördernde Lebensweise Krankheiten vorzubeugen, findet sich in zahlreichen Wellnessmethoden wieder.
Neues Verständnis
von Gesundheit Den Begriff Wellness, zusammengesetzt aus den Wörtern «wellbeing» und «fitness», soll der amerikanische Arzt Halbert L. Dunn erstmals in den Sechzigerjahren verwendet haben. Der Ursprung der Wellnessbewegung liegt demnach in den USA, wo einige Jahre später auch ein Umdenken in der Gesellschaft begann: Jeder kann aktiv etwas für die Ge-
sundheit tun, indem er seinen Lebensstil ändert. Damit erwachte das Bewusstsein für die eigene gesundheitliche Verantwortung. Gesundheit wurde zunehmend mit bewusster Ernährung in Verbindung gebracht, und gleichzeitig wuchs ein Esoterikmarkt, der Wellness auch auf spiritueller Ebene versprach. Damit änderte sich das Verständnis von Gesundheit. Gesundheit wurde fortan nicht mehr nur als Abwesenheit von Krankheit definiert, sondern weiter gefasst. Auch Lebensglück, Wohlbefinden und Lebensqualität gehörten jetzt dazu. Als Antwort auf die gestiegenen Erwartungen und die neue Gesundheitsbewegung fand 1986 in Ottawa die erste internationale Konferenz zur Gesundheitsförderung der WHO statt. Es wurde eine Charta verabschiedet, wonach Gesundheitsförderung ein Prozess ist, der allen Menschen ein höheres Mass an Selbstbestimmung über die eigene Gesundheit ermöglicht und sie zur Stärkung ihrer Gesundheit befähigt. «Wir können hier klar von einem Paradigmenwechsel sprechen», erklärt Felix Gutzwiller, Direktor des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich. Die Entwicklung der weltweiten Gesundheitsbewegung sei auch darauf zurückzuführen, dass sich der Ansatz in der Medizin während dieser Zeit verändert habe. Stand bis anhin die Krankheitsforschung und Krankheitslehre (Pathologie) im Vordergrund, lauteten nun die zentralen
Fragen: Wie lässt sich Gesundheit erhalten, und wie kann man Krankheiten vorbeugen?
Nicht nur eine persönliche Angelegenheit Gerade in den westlichen Industrieländern wird auch ein Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Problemen und der Gesundheit der Bürger hergestellt. Die Sorge um das körperliche und psychische Wohlergehen ist deshalb mehr als
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ILLUSTRATION: WA-DESIGN
WELLNESS
em Wellnessboom?
nur eine persönliche Angelegenheit. Auch der Staat hat gros-
ses Interesse an einer gesunden Bevölkerung, dies aus wirtschaftlichen, gesundheits- und sozialpolitischen Gründen. «Die Frage, wie wir mit uns selbst umgehen, wird immer wichtiger, etwa in Bezug auf Suizid, Gewalt, Unfälle oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen», hält Gutzwiller fest. Auch aufgrund der demografischen Perspektive, mit einer
gestiegenen Lebenserwartung von 90 bis 100 Jahren, sei die Eigenverantwortung sehr stark ins Zentrum gerückt: «Es geht darum, das Bewusstsein für Gesundheitsförderung, in welcher Form auch immer, in der gesamten Bevölkerung zu
wecken.» Doch sei die Bereitschaft, in die eigene Gesundheit zu investieren, in der Gesellschaft noch stark schichtgeprägt. Während besser gebildete Bevölkerungsgruppen sich ihre Gesundheit etwas kosten liessen, sei bei bildungsfernen Gruppen noch wenig Bewusstsein vorhanden, und dies nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen. Zum Begriff Wellness meint Felix Gutzwiller: «Letztlich ist alles, was unsere Gesundheit fördert, Wellness.» Streng genommen gehöre hierzu auch die Lebenseinstellung, nicht zu rauchen oder keinen Alkohol zu trinken. Der Präventivmediziner kann dem kommerziellen Wellnessboom durchaus positive Sei-
ten abgewinnen: «Um die nötige Selbstverantwortung für die Gesundheit umsetzen zu können, braucht es natürlich eine Infrastruktur.» Fitness und Kraft seien zwei Grundkomponenten der Gesunderhaltung. «Und Kraft lässt sich im Fitnessstudio an entsprechenden Maschinen eben effizienter trainieren als ohne Hilfsmittel.»
Hauptsache, man tut es Die Motivation für Wellness kann ganz unterschiedlich sein. Sie reicht von Spass an der Bewegung über das Bedürf-
nis, durch Entspannungsübungen ganz bei sich selbst zu sein bis hin zum Wunsch, schön und jugendlich zu bleiben, so wie es den Normvorstellungen unserer Gesellschaft entspricht. Längst nicht jeder, der Wellness betreibt, ist sich über den präventivmedizinischen Nutzen im Klaren. «Mir scheint die Wellness-Massenbewegung nicht fragwürdig, solange sie dem Wohlbefinden und vielleicht sogar der Gesundheitsförderung dient», sagt Gutzwiller. «Primär ist nicht wichtig, ob jemand ins Fitnessstudio geht, weil er schlank werden will oder weil er einfach Spass daran hat. Hauptsache, er tut es.» Mit dem Wellnessboom werde einerseits vieles vermarktet, was nicht unbedingt Wellness sei, meint Gutzwiller, andererseits liesse sich Wellness auch dort finden, wo man es nicht unbedingt vermute. Auch Betätigungen ohne dieses Etikett könnten durchaus gesundheitsfördernd sein. «Ein Beispiel dafür ist der Vitaparcours, eines der grössten Fitnessangebote in der Schweiz, das jedem jederzeit zugänglich ist.» Manche Angebote hingegen würden Wohlbefinden und Fitness vorgaukeln, seien aber für die Gesundheit ohne Resultat. Gerade im Bereich Fitness liessen sich grosse Unterschiede bei der Qualität der Angebote beobachten. In unserer schnelllebigen Zeit, die durch hohe Mobilität und fast unbegrenzte Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten geprägt ist, haben immer mehr Menschen das Bedürfnis, sich zu entspannen und etwas nur für sich selbst zu tun. Dabei seien bewusste Phasen der Entspannung für die Erhaltung der Gesundheit nachweislich sinnvoll und wichtig, bemerkt der Präventivmediziner. «Doch nicht jede Wellnesseinrichtung, die aussieht wie eine Tropfsteinhöhle, ist auch tatsächlich gesundheitsfördernd.»
*Sabine Schritt arbeitet als freie Journalistin und lebt in Pfaffhausen (ZH).
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