Transkript
LANDARZTGLOSSE
Es lebe die Wellness
von Dr. med. Kurt Hausammann*
Mit Wellness ist ursprünglich ein Zustand von Wohlbefinden und Zufriedenheit gemeint, und dazu gehören Selbstverantwortung, Ernährungsbewusstsein, körperliche Fitness, Stressmanagement und Umweltsensibilität. Also kurz: «gesund und genussvoll leben». Heute aber wird der Begriff in der Werbung inflationär missbraucht für Mineralwasser, Socken, Tees, Müesli und Nahrungsergänzungsmittel und natürlich für Fremdenverkehrseinrichtungen wie Hotels mit Schwimmbädern und Kureinrichtungen wie Massagen, exotische Bäder und Saunas mit Tages-, Wochenende- oder Wochenangeboten. Sogar Erdstrahlenentstörungsgeräte, Magnetmatratzen und esoterische Wasserbehandlungen werden mit dem Argument Wellness verkauft. Auch dies eine typische Entwicklung unserer Zeit: vom aktivem Gesundheitsbewusstsein mit Umweltsensibilität hin zum passiven «sich etwas Gutes angedeihen lassen». Man pickt sich nur das Problemlose und Angenehme aus dem Gesamtkonzept heraus. Nach möglichst langer Autofahrt zum Wellnesszentrum, man hat es sich ja verdient bei diesem täglichen Stress zu Hause, konsumiert man Wellness in Form von diversen Bädern, wie türkisch, arabisch oder indisch. Dazu noch Massagen, Sauna, autogenes Training, Meditation und gesunde Ernährung – ausgenommen natürlich das Sechs-Gang-Romantikdinner am Abend. Abrackern sollen sich doch die anderen, welche die Gäste mit den diversen Angeboten bedienen. Man liegt entspannt und lässt sich massieren und pflegen. Nicht zu vergessen sind Schönheitsapplikationen wie Maniküre, Pediküre, Masken, Ganzkörperpeelings oder sogar Hot Stones und andere so wohltuende, unnötige Verjüngungsversprechungen. Natürlich sollte man mit zwei bis drei Ta-
gen Wellness alle drei Monate auskommen, und wenn das Ziel nicht erreicht wird, sind die anderen schuld. Sehr viel kosten sollte der Spass ja auch nicht. Am besten lässt man sich Wellness sowieso schenken, vom Chef zum Arbeitsjubiläum oder vom Partner und der Familie zum Geburtstag. Sie sind schliesslich auch verantwortlich für den täglichen Stress. Am besten wirkt Wellness, wenn man erst durch die ganze Schweiz oder quer durch Mitteleuropa reist, um sie sich angedeihen zu lassen. Störend ist nur, dass die Krankenkassenbeiträge jährlich steigen und immer weniger vom Budget für Wellness übrig bleibt. Dabei sind Wellnessprogramme viel angenehmer als der vom Arzt vorgeschlagene Diätplan und die körperlich anstrengenden Fitnessübungen. Trotzdem wirkt Wellness nur richtig gut, wenn sie etwas kostet. Sonst könnte man ja auch täglich joggen, zweimal pro Woche auf den Vitapar-
ILLUSTRATION: WA-DESIGN
cours sowie dreimal pro Woche Sex haben und sich beim Essen etwas einschränken. Das ist zwar noch wirkungsvoller, aber eben gratis. Wellness wirkt letztlich auch nur in der Gruppe, sonst wäre es nach dem Sechs-Gang-Menü beim Schlummerbier und den Longdrinks an der Bar langweilig. Somit bringt Wellness eigentlich nur jenen etwas, die leer stehende Hotels mit Badeanlagen füllen müssen. Oder sie nützen den Herstellern von neuen, nutzlosen Produkten, die ein Werbeargument brauchen. Wellness bringt eigentlich nur den Anbietern die beabsichtigte Wirkung, nämlich Wohlbefinden und Spass. Es lebe die Wellness.
*Kurt Hausammann ist Hausarzt mit einer Praxis in Ermatingen (TG).
20SPRECHSTUNDE 3/10