Transkript
Den Körper verschönern
Zur Ethik des Enhancements
Schwerpunkt
Wie gehen Sie als Arzt mit dem Wunsch einer 16-Jährigen nach einer Schönheitsoperation um? Welche Überlegungen können Ihnen helfen, Ihren Standpunkt zu finden und zu vertreten?
Von Oswald Hasselmann
Stellen Sie sich vor, eine junge Frau von 16 Jahren bittet sie als Vater oder als zuständigen Arzt um Unterstützung bei der Durchführung einer Schönheitsoperation. Die Frau berichtet überzeugend, dass sie sich seit mehr als einem Jahr mit diesem Thema beschäftigt habe. Sie habe alle Vor- und Nachteile geprüft und einen zertifizierten plastischen Chirurgen mit ausreichender Erfahrung gefunden, der den Eingriff durchführen würde, sie würde diesen auch aus «eigener Tasche» bezahlen. Möglicherweise sind Sie von dieser Anfrage zunächst überrascht und bitten sich vor Ihrer Stellungnahme ein paar Tage Bedenkzeit aus. Sie beginnen, die Ihnen zur Verfügung stehende Literatur zu studieren, und fragen sich vielleicht, ob Ihre Tochter/Patientin eventuell unter einer tiefgreifenden Verzerrung der Körperwahrnehmung (Body Dysmorphic Disorder, BDD) leide, ob Sie eventuell bei ihr eine Angststörung, eine Depression oder eine Zwangsstörung übersehen haben? Vielleicht würde sich beim Vorliegen von solchen Belastungen nach einer erfolgreichen Psychotherapie auch der Wunsch nach einer Operation der Lippen, der Nase, der Brust, der Schamlippen oder des Gesässes auflösen. Sie haben die Langzeitperspektive im Auge, denn die junge Frau sei schliesslich noch im Wachstum. Eine jede Operation würde irreversibel auch Narben hinterlassen, und das ideale Körperbild könne sich noch wandeln. Eventuell haben Sie als Arzt noch in Erinnerung, dass es vor gut 16 Jahren in Deutschland eine «Koalition gegen den Schönheitswahn» gab, gut besetzt, unter anderem mit der damaligen Gesundheitsministerin, dem Präsidenten der Ärztekammer, dem Vorsitzenden der Zentralen Ethikkommission, den leitenden Vertretern beider Kirchen, Pädagogen, Chirurgen und Krankenkassenvertretern. Sie hatten in einem gemeinsamen Papier formuliert, es dürfe nicht sein, «dass unsere Kinder sich in ihrem Selbstwertgefühl vor allem durch suggerierte Defizite gegenüber Stars und Sternchen definieren und die sogenannte Schönheitschirurgie zum Jugendkult hochstilisiert wird.» Doch dieser Aufruf liegt fast eine Gene-
ration zurück. Heute, so erfahren Sie, würden Schön-
heitsoperationen immer alltäglicher und die Patientin-
nen stetig jünger. Die veröffentlichten Zahlen aus Eng-
land sprechen zurzeit von 1,5 Prozent aller chirurgischen
Eingriffe bei Minderjährigen, die nicht medizinisch be-
gründet seien, sondern dem Erreichen eines spezifischen
Körperideals dienen.
Hat es das nicht schon immer gegeben, zum Beispiel
eine Operation bei abstehenden Ohren, bei einer Trich-
terbrust, nach unfallbedingten Entstellungen? Gibt es
wirklich eine scharfe Grenze, an der von den gängigen vier medizinethischen Prinzipien (Schaden vermeiden, Fürsorge, Gerechtigkeit und Berücksichtigung des wohl abgewogenen eigenen Willens) der
Schönheitsoperationen scheinen immer alltäglicher und die Patientinnen stetig jünger.
potenzielle «Schaden» eindeutig höher
zu werten ist als der autonome Entscheid
für eine Operation?
Müssen Sie sich als verantwortlicher Erwachsener nicht
auch ethisch rechtfertigen, wenn Sie die Zustimmung zu
diesem Eingriff nicht geben? Sie erfahren, dass bei Be-
troffenen mit einer BDD das Selbstmordrisiko erhöht sei.
Was, wenn sich die Situation nach einer Verunmögli-
chung des Eingriffes weiter zuspitzen würde und der ver-
mutete Leidensdruck der jungen Frau nicht mehr zu
kompensieren wäre?
Autonomie, so lesen Sie weiter, beinhalte heutzutage auch das Recht, den geburtsgegebenen Körper verändern zu dürfen. Es brauche lediglich einer «informierten» Zustimmung zu diesem Eingriff, dieser
Die rechtliche Orientierung für den behandelnden Arzt ist lückenhaft.
sollte ohne Druck von aussen erfolgen.
Doch wie ist in diesem Zusammenhang der Druck der
Medien nach einem allgemein akzeptierten Schönheits-
ideal zu interpretieren? Stehen wir nicht alle bereits
schon von jeher unter dem Druck nach einer «aesthetic
correctness»?
Weiterhin unsicher, wie Sie sich positionieren sollen,
könnten Sie in der Neuauflage des Buches über «Recht-
liche Grundlagen im medizinischen Alltag» der Schwei-
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Schwerpunkt
zerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften
von 2013 nachlesen. Dort finden Sie zu dem Thema
Schönheitsoperationen lediglich den Hinweis, dass zur
«Vermeidung von Haftungsrisiken zu empfehlen sei,
grundsätzlich sowohl den vermutlich urteilsfähigen
Jugendlichen als auch zusätzlich dessen gesetzliche Ver-
treter in die Aufklärung einzubeziehen
Müssen Sie sich nicht und von beiden die Einwilligung einzuho-
auch ethisch rechtferti- len». Da die junge Frau sich schon positiv
gen, wenn sie die Zu-
entschieden hat, bleibt die endgültige
stimmung nicht geben? Entscheidung, jedenfalls soweit es das
Haftungsrisiko betrifft, bei den erzie-
hungsberechtigten Eltern.
Die rechtliche Orientierung für den behandelnden Arzt
ist ähnlich lückenhaft. Eine EU-Richtlinie empfiehlt keine
Brustvergrösserung vor Abschluss des Wachstums
durchzuführen. Doch wann ist das Wachstum der Nase
oder der Schamlippen endgültig abgeschlossen? Hier-
über gibt es kaum Literatur, möglichweise handelt es
sich gerade um das Alter, in dem die junge Frau ihre An-
frage an Sie stellt.
Versuchen Sie empathisch und zurückhaltend die Beweggründe für die gewünschte Operation zu eruieren.
Sie kommen schliesslich zurück zu den vier medizinethischen Prinzipien. Die Gerechtigkeitsfrage stellt sich für Sie nicht, da der Eingriff nicht zulasten anderer erfolgt. Die Frage nach der autonomen Entscheidungskompetenz ist für Sie nicht
eindeutig zu beantworten. So konzentrie-
ren Sie sich auf die Prinzipien «Schaden
vermeiden» und «Gutes tun». Diese Ideale sind Ihnen
sowohl als Vater als auch als Arzt wichtig.
In dem Gespräch nach Ihrer Bedenkzeit versuchen Sie
empathisch und zurückhaltend die Beweggründe für die
gewünschte Operation zu eruieren. Liegt dem Wunsch
nach dem Eingriff eher ein Leiden zugrunde, mit dem
Ziel, eine negativ gefärbte Aufmerksamkeit zu vermindern, oder ist es vielmehr ein Wunsch nach Vermehrung positiver Aufmerksamkeit? Ihnen ist klar, dass es sich bei beiden Beweggründen möglicherweise nur um die zwei Seiten derselben Medaille handelt, doch kann Ihnen die Schwerpunktsetzung in die eine oder die andere Richtung helfen, sich zu dem Anliegen der jungen Frau zu positionieren. Eine wohl erwogene Stellungnahme von Ihnen kann im Idealfall nachfolgend von der Jugendlichen als Leitplanke für ihre endgültige Entscheidung konstruktiv genutzt werden. Eine «gemeinsame Entscheidungsfindung» hat meist dann Bestand, wenn sich ihr in Schritten genähert wird. In der Theorie der Konsensbildung wird für diesen Prozess gerne der lateinische Begriff der «Deliberation» (Beratschlagung, Betrachtung, Bedenken) genutzt. Zusammenfassend wäre eine Antwort auf die Frage nach der Zustimmung zu einer gewünschten Schönheitsoperation bei einer Minderjährigen also weder ein uneingeschränktes Ja noch ein absolutes Nein. Die gegebene Empfehlung sollte sich vielmehr personenzentriert am Leidensdruck, an den möglichen Alternativwegen zum Erreichen des gewünschten Ziels, am Ausmass der Intervention und am Prozess der Entscheidungsfindung orientieren.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Oswald Hasselmann Leitender Arzt Neuropädiatrie Klinische Ethik Ostschweizer Kinderspital Claudiusstrasse 6 9006 St. Gallen E-Mail: oswald.hasselmann@kispisg.ch
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