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Schwerpunkt
«Unser heutiges Schönheitsideal ist irreal und gefährlich»
Was ist wichtig für eine positive Wahrnehmung des eigenen Köpers? Und wie gefährdet sind Kinder und Jugendliche, eine Essstörung zu entwickeln, wenn sie dem heutigen Schlankheitsideal nacheifern? Wir sprachen darüber mit den Psychologinnen Brigitte Lunardi und Julia Göllner, Sozialpädiatrisches Zentrum (SPZ) am Kantonsspital Winterthur.
W elche Störungen der Körperwahrnehmung kommen Ihrer Erfahrung nach am häufigsten bei Jugendlichen vor? Julia Göllner: Nach meiner Erfahrung ist die Unzufriedenheit mit der Figur am häufigsten. Das zeigen auch Studien, wie zum Beispiel eine grosse Studie der Gesundheitsförderung Schweiz. Demnach ist die Mehrheit der Schweizer Jugendlichen unzufrieden mit ihrem Körper, wobei sich Mädchen am häufigsten zu dick fühlen. Es gibt natürlich auch einige, die glauben, dass sie nicht hübsch genug seien. Am häufigsten ist jedoch die Unzufriedenheit mit der eigenen Figur. Brigitte Lunardi: Das ist auch meine Erfahrung. Nur sehr selten höre ich von erwachsenen Frauen, dass sie als Jugendliche zu dünn gewesen seien, wobei diese Frauen in der Jugend keine Essstörung hatten. Göllner: Was auch vorkommt, sind Empfindungen wie Dysmorphophobien, zum Beispiel die Wahrnehmung, die eigene Nase als unglaublich gross und entstellend zu empfinden. Oder im Grunde muskulöse Männer können glauben, viel zu wenig Muskeln zu haben. Aber es ist eher selten, dass jemand eine Psychotherapie beansprucht, weil er oder sie das Gefühl hat, dass die Nase, der Mund oder die Schulter entstellt sei.
Welche Folgen hat eine gestörte Körperwahrnehmung? Göllner: Eine gestörte Wahrnehmung, die eigene Figur als zu dick zu empfinden, ist nicht nur am häufigsten, sie ist auch am gefährlichsten. Essstörungen sind diejenigen psychischen Störungen mit der höchsten Rate tödlicher Folgen, bis zu 6 Prozent der Betroffenen sterben daran. Lunardi: Dies kann Folge einer schweren Kachexie sein oder einer assoziierten Infektion, wie zum Beispiel einer Lungenentzündung, weil das Immunsystem nicht mehr funktioniert. Göllner: Und auch Suizid zählt dazu. Es handelt sich wirklich um eine sehr gefährliche Krankheit!
Beginnt die Unzufriedenheit mit dem Körper schon im Kindesalter oder erst in der Pubertät? Göllner: Kinder sind meistens noch zufrieden mit ihrem Körper, und erst mit dem Eintritt in die Pubertät im Alter
von zehn, elf oder zwölf Jahren nimmt die Körperzufriedenheit ab. Lunardi: Heutzutage gibt es aber auch den Trend, dass bereits Kinder Schlankheitsdiäten machen. Ich kenne einen 8-jährigen Jungen, der schon die dritte Diät hinter sich hat. Bei dieser dritten Diät schlug sein Verhalten dann in eine echte Anorexie um. Die Diät war übrigens nicht von ihm ausgegangen, sondern von der Mutter. Es ist heutzutage auch so, dass durch den Trend zur Sportlichkeit und den gesellschaftlichen Fitnesswahn Kinder, die ein bisschen pummelig sind, überall ein bisschen gemobbt werden – von Gleichaltrigen, vom Schulleiter oder vom Fussballtrainer: «Du bist zu dick, du solltest dünner sein», und an die Mutter gerichtet: «Frau Sowieso, würden Sie bitte Ihrem Sohn etwas anderes zu essen geben als Pizza, ein Salat wäre noch gut!» Und das Kind steht daneben und fühlt sich nicht gut. Das fängt schon im jungen Alter an. Wer keine normale Figur hat, sondern ein bisschen fülliger ist, wird von der Gesellschaft ständig an diesen Makel erinnert.
Kommt das objektiv betrachtet häufiger vor als früher, oder ist das eher Ihr persönlicher Eindruck? Lunardi: Das ist nicht nur meine Erfahrung, es kommt wirklich immer häufiger vor. Göllner: Das ist auch wissenschaftlich bewiesen. Medieneffekte sind belegt und auch, dass die Körperzufriedenheit in den letzten 50 Jahren wirklich abgenommen hat. Die Idealfigur wird immer dünner, während die Bevölkerung aufgrund des übermässigen Ernährungsangebotes im Durchschnitt immer mehr Körpergewicht aufweist. Lunardi: Nehmen Sie zum Beispiel Marilyn Monroe. Sie trug Konfektionsgrösse 42 und war das Schönheitsideal ihrer Zeit. Heute muss es schon Grösse 36 sein. Göllner: Es gibt auch das Schlagwort von der Size-zeroGeneration, also ein extrem schlankes Schönheitsideal mit entsprechenden Models, die in den sozialen Medien ihr alltägliches, scheinbar glamouröses Leben abbilden. Jedes Kind mit einem Smartphone und Zugang zu entsprechenden Social-Media-Kanälen ist täglich mit diesem Schönheitsideal konfrontiert. So etwas gab es früher gar nicht.
Brigitte Lunardi lic. phil. I, Leitende Psychologin SPZ, Fachpsychologin für klinische Psychologie und Psychotherapie FSP
Julia Göllner Psychologin SPZ, MSc, eidgenössisch anerkannte Psychotherapeutin
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«Essstörungen sind diejenigen psychischen Störungen mit der höchsten Rate tödlicher Folgen.»
«Auch bei den jüngeren Kindern muss man an Anorexie denken.»
Auch werden die Kinder, die abnehmen möchten, immer jünger. Ebenso die Kinder, die wegen lebensgefährlicher Essstörungen stationär aufgenommen werden müssen. Erst kürzlich haben wir auf unserer psychosomatischen Station ein 10-jähriges Mädchen und einen 12-jährigen Jungen aufgrund einer Anorexie behandelt. Auch Studien sagen uns, dass bei 8- bis 13-jährigen Kindern bereits 30 Prozent zwar noch kein essgestörtes Verhalten im engeren Sinne zeigen, jedoch Diät halten und sehr stark auf ihre Ernährung achten. Das muss man sich einmal vorstellen: Kinder von acht oder neun Jahren, die sich bereits Gedanken darüber machen, was sie essen sollen, damit sich ihre Figur nach einem Ideal entwickelt! Ein weiterer Trend ist, dass heute mehr Jungen betroffen sind als früher.
Wie häufig sind manifeste Essstörungen bei Jugendlichen in der Schweiz? Göllner: Von Anorexie ist 1 Prozent und von Bulimie sind etwa 3 Prozent der Gesamtbevölkerung in der Schweiz betroffen. Anorexie kommt eher bei Jugendlichen von 15 bis 18 Jahren vor, Bulimie findet man häufiger bei Personen in den Zwanzigern. Aber oft gibt es auch Mischformen von Anorexie und Bulimie. Typische Komorbiditäten sind Depression und Angststörungen, denn sowohl bei diesen als auch bei den Essstörungen ist das Selbstwertgefühl in der Regel niedrig.
Sie erwähnten vorhin eine Mutter, die ihren 8-jährigen Sohn Diät halten liess. Heisst das, dass heutzutage nicht nur Medien und Peergroup Druck machen, sondern auch die Familie? Lunardi: Nein, so kann man das nicht sagen. Es kommt natürlich auf die Einstellung der Familie an. Aber es gibt auch in Familien, die auf den ersten Blick keinen Schlankheitsdruck vermitteln, durchaus typische Situationen, in denen sie das eben doch tun. Da sitzen dann zum Beispiel Schwägerin und Mutter beisammen und reden über die Nachbarin, die «so schön abgenommen hat». Oder sie lassen sich über eine andere Nachbarin aus, die viel zu enge Hosen trägt für ihre Figur. Und das Kind hört das alles mit und übernimmt, mehr oder weniger bewusst, dass Schlanksein wichtig und gut ist. Göllner: Die Familie kann ein Schutzfaktor sein, wenn ein selbstbewusster Umgang mit dem Körper vorgelebt wird und das Kind so akzeptiert wird, wie es ist, inklusive seines Äusseren und seiner Figur. Negative Bemerkungen zur Figur können auch innerhalb von Familien vorkommen, und dies kann das Selbstwertgefühl und das Schlankheitsideal von Kindern beeinflussen. Häufig entstehen Essstörungen aus einer Diät heraus, die oft im Vorfeld durch das soziale Umfeld und das Elternhaus unterstützt und durch Komplimente beim Abnehmen aufrecht erhalten wird. Wenn Eltern regelmässig Diät machen ist das übrigens auch ein Risikofaktor, denn die Kinder lernen, dass die Figur sehr wichtig ist.
Gibt es Faktoren, welche die Zufriedenheit mit einem realistischen Körperbild fördern? Göllner: Man weiss, dass jüngere Frauen in Städten ein höheres Risiko für ein negatives Selbstwertgefühl haben als Frauen in ländlichen Regionen. Auch finanzieller Wohlstand führt laut Forschung zu einem höheren
Schlankheitsideal. Das sind einige der Risikofaktoren für eine höhere Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper. Einen grossen Einfluss haben natürlich auch die Medien. Dazu gibt es eine ganz spannende Studie: Untersucht wurde das Schönheitsideal nach Einführung westlicher TV-Sender auf den Fidschi-Inseln. Zuvor galten dort füllige Frauen als schön. Füllig sein galt als weiblich und wurde als Statussymbol angesehen. Doch bereits drei Jahre nach der Einführung des westlichen Fernsehens wuchs die Unzufriedenheit der Frauen mit ihrem Körper, und Essstörungen wurden häufiger. Heutzutage ist eine ausreichende Medienkompetenz sehr wichtig. Kinder und Jugendliche sollten wissen, dass zum Beispiel die Fotos von Models und Popstars stark bearbeitet werden und darauf oft eine virtuelle Scheinwelt zu sehen ist.
Man könnte ihnen vielleicht ein therapeutisches Fotoshooting spendieren … Göllner: Das wäre perfekt, um zu zeigen, wie man schummeln kann. Ich kenne viele anorektische Patientinnen, die ihr Körperideal von Social-Media-Stars auf Instagram übernehmen und all diese Fotos für bare Münze nehmen. In einigen Kantonen gibt es sogenannte Bodytalk-Workshops, in denen Jugendlichen ein kritischer Umgang mit den Medien nahegebracht und die Vielfalt von Schönheit vermittelt werden soll. Unser heutiges Schönheitsideal ist irreal und gefährlich. Ich denke, da braucht es noch viel Aufklärung. Wenn man aber Medien kritisch nutzen kann, ist das auch ein Schutzfaktor vor gestörter Körperwahrnehmung. Breite, vielfältige Interessen sind auch wichtig, denn dann sind die Figur und das Aussehen nicht so zentral für den Selbstwert. Ein breiter Freundeskreis, ein Hobby, ein unterstützendes, wertschätzendes soziales Umfeld, das alles sind Schutzfaktoren.
Welche Faktoren sind ausserdem noch wichtig? Lunardi: In der Therapie schauen wir uns zunächst das Essverhalten der anorektischen Patienten an. Das primäre Ziel ist, dass sie überleben. Später geht es um Fortschritte in Richtung Normalität, um Fragen wie: Wer bist du? Was kannst du? Was hast Du gern? Was tut dir gut? Wie erlebst du die Welt? Wie gehst du mit deinen Ängsten um? Wie kannst du es erreichen, kompetenter zu werden? Es geht darum, all die anderen Lebensbereiche neben der Körperlichkeit zu stärken. Man sollte übrigens diejenigen, die schon am Abnehmen sind, einmal fragen, wie viel sie noch abnehmen wollen. Viele sagen dann: «Ich weiss es nicht, ich nehme noch mehr ab, so 10 oder 15 Kilo.» Sie sind sich nicht bewusst, dass sie damit nie zufrieden sein werden. Ich habe noch nie eine anorektische, untergewichtige Jugendliche getroffen, die gesagt hätte, es reiche jetzt. Nein, für die meisten wird es nie genug sein. Statt auf das Körpergewicht zu fokussieren, müssen wir diese Jugendlichen dazu bringen, andere Dinge in den Blick zu nehmen. Bewegung ist auch ein wichtiger Faktor in der Therapie. Zum einen baut Bewegung Stress ab, und zum anderen muss man auch genug essen, um ein bisschen Sport treiben zu können. Göllner: Positive und sinnliche Körpererfahrungen sind auch Schutzfaktoren, wie zum Beispiel Massage oder
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Körperpflege. Im Rahmen der Anorexie wird der Körper teilweise zu einer Maschine; der Hunger wird ignoriert, die Bedürfnisse des Körpers werden überhaupt nicht mehr wahrgenommen. Ein guter Zugang zum eigenen Körper ist auch ein Schutzfaktor für ein positives Körpergefühl und die eigene Körperwahrnehmung. Lunardi: Ich frage diese Jugendlichen oft einmal: «Wie viel von deinem gesamten Denken ist frei und wie viel ist besetzt durch Essen und Schlanksein?» Häufig ist nur noch ein erschreckend kleiner Teil des Denkens frei verfügbar. Irgendwann hat mir einmal eine Jugendliche gesagt, es sei so langweilig, immer nur an diesen «Seich» zu denken. Da konnte ich ihr nur gratulieren, denn das war ihr erster Schritt heraus aus der Essstörung.
Wie verhält es sich mit dem «Auswachsen» einer gestörten Körperwahrnehmung? Verliert sich diese bei den meisten nicht sowieso nach der Pubertät? Göllner: Gemäss Studien entwickeln 50 Prozent der Jugendlichen mit einem negativen Körperbild keine Essstörung. Dennoch sollte man so rasch wie möglich handeln und nicht erst dann, wenn eine Person schon gefährlich abgemagert ist. Wir raten dringend dazu, aktiv das Gespräch zu suchen, wenn man bemerkt, dass ein Kind oder Jugendlicher unglücklich und unzufrieden mit seinem Aussehen ist. Es ist wichtig, den Selbstwert von Kindern und Jugendlichen zu stärken und sich Zeit zu nehmen.
Welche Anzeichen sprechen für eine drohende Essstörung? Göllner: Beispielsweise wenn man bemerkt, dass zunehmend weniger gegessen wird, sich jemand sozial zurückzieht, ein niedriges Selbstwertgefühl, Schuld- oder Ekelgefühle hat oder sich in übergrossen Kleidungsstücken versteckt. Oder wenn man bemerkt, dass sich ein junger Mensch sehr über den Körper definiert. Dann muss man frühzeitig reagieren und das Gespräch mit Schule und Eltern suchen. Falls man damit nicht weiterkommt, ist es wichtig, Fachpersonen aufsuchen. Ich möchte niemandem empfehlen zuzuwarten, wenn das Kind unglücklich oder der Jugendliche unzufrieden mit seinem Körperbild ist. Lunardi: Hinzu kommt, dass es umso schwieriger wird, das krankmachende Essverhalten wieder zu ändern, je länger es besteht. Es wird immer schwieriger, ein destruktives Muster in ein konstruktives zu ändern. Wir hatten hier schon Patienten, die sagten: «Ich weiss nicht mehr, wie man normal isst, ich habe es vergessen.» Göllner: Um frühzeitig aufmerksam werden zu können, könnte der Kinder- oder Hausarzt seine jungen Patienten auch fragen, welche soziale Medien sie nutzen. Er könnte sich einmal die Profile zeigen lassen und nach Internetvorbildern fragen. Dabei kann man diagnostisch sehr viel erfahren. Wenn man im Internet Modezeitschriften oder Instagram-Profile von Models anschaut, wächst die Unzufriedenheit mit dem Körper fast automatisch. Lunardi: Ja, das ist ein wirklich wichtiger Tipp für die Praxis, sich einmal das Handy zeigen zu lassen, denn das ist für viele ja ihr Ein und Alles. Auf diesem Weg kommt man auch besser in Kontakt mit den Jugendlichen. Ich spreche mit ihnen auch oft über TV-Sendungen wie
«Germany’s Next Topmodel», denn so etwas schauen sich viele an. Ich versuche ihnen bewusst zu machen, wie destruktiv es bei solchen Casting-Shows zugeht, weil dort nur das Negative betont und die Teilnehmer im Grunde systematisch kritisiert, verunsichert oder geradezu fertiggemacht werden.
Haben Sie einen Tipp, was Kinderärzte in der Praxis tun können, wenn sie eine negative Veränderung der Körperwahrnehmung oder eine Essstörung bei ihren jungen Patienten wahrnehmen? Lunardi: Ich kenne eine Kinderärztin, die solchen Patientinnen erst einmal recht unverblümt sagt, was Untergewicht im Einzelnen bewirken kann. Sie erklärt die biologischen Fakten, und oft bekommt sie dann von den Jugendlichen zu hören, dass ihnen das «vorher noch nie jemand gesagt» habe. Aber die magersüchtigen Kinder und Jugendlichen und deren Eltern müssen wissen, wie sehr sie in Gefahr sind! Göllner: Die Jugendliche ernst nehmen ist wichtig. Bei Verdacht auf eine Essstörung sollte der Arzt auch rechtzeitig psychologisches beziehungsweise psychiatrisches Fachpersonal für eine spezifische Anamnese beiziehen. Falls es eine beginnende Essstörung ist, braucht es wöchentliche Gesprächstermine und die Vermittlung von Strategien für den Umgang mit Emotionen, wie Angst, Unsicherheit, Enttäuschung und so weiter. So viel Zeit haben die meisten Haus- und Kinderärzte gar nicht. Lunardi: Um es ganz klar zu sagen: Da geht es um wenige Wochen! Jugendliche mit Essstörungen sollten in einem Intervall von einer Woche einen Termin beim Spezialisten haben. Besonders Gefährdete könnten sonst in der Zwischenzeit sterben! Und: Unbedingt Blutdruck messen, unbedingt Elektrolyte, unbedingt Blutbild veranlassen, unbedingt auf drohende Dekompensation achten. Ich erinnere mich an eine Patientin mit einem BMI auf der 50. Perzentile. Sie hatte innerhalb von drei Monaten zwölf Kilo abgenommen, sah aber noch nicht kachektisch aus. Aufgrund zunehmend alarmierender körperlicher Symptome, wie zum Beispiel niedrigem Puls, Schwindel und Schwarzwerden vor den Augen, musste sie in die medizinische Abteilung des Spitals zugewiesen werden, weil der ambulante Rahmen medizinisch nicht mehr hinreichend war. Göllner: Auch bei den jüngeren Kindern muss man an Anorexie denken, ich glaube, das ist vielen Ärzten nicht bewusst. Bei einem zehnjährigen Kind denken viele nicht primär an eine Essstörung und warten vielleicht zu. Doch das ist gefährlich. Lunardi: Eine Mangelernährung lässt sich oft auch schon vor dem wirklich gefährlichen Stadium einer Essstörung feststellen. Das sollte man bei entsprechendem Verdacht abklären und das Kind regelmässig zur Gewichtskontrolle einladen, damit die Familie auch merkt, wie ernst es ist und welch grosse Gefahr im Verzug ist. Göllner: Darum veranlassen auch wir, wenn jemand mit einer Essstörung von der Station entlassen wurde, wöchentliche Gewichtskontrollen beim Haus- oder Kinderarzt, um einen erneuten eintretenden negativen Trend nicht zu verpassen.
Das Interview führte Dr. Renate Bonifer.
«Man sollte so rasch wie möglich handeln und nicht erst dann, wenn eine Person schon gefährlich abgemagert ist. Da geht es um wenige Wochen!»
«Der Kinderoder Hausarzt könnte sich von den jungen Patienten einmal die Profile zeigen lassen und nach Internetvorbildern fragen. Dabei kann man diagnostisch sehr viel erfahren.»
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