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KONGRESSBERICHT
Jahreskongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO), Juni 2023
Brustkrebs im Frühstadium
Neue Ansätze in der adjuvanten Therapie
In der adjuvanten Behandlung bei hormonrezeptorpositiven (HR+) Mammakarzinomen zeichnen sich neue Strategien ab gemäss wichtiger Studien am ASCO 2023: Ein Verzicht auf Chemotherapie bei einem Grossteil der Frauen mit HER2-positiven Tumoren (unter dualer HER2-Blockade) und der Einsatz von CDK4/6-Hemmern bei Frauen mit HR+, HER2-negativen Tumoren gehören zu den vielversprechenden Ansätzen nach differenzierter Patientinnenselektion. Neue Erkenntnisse gabs auch bei sehr jungen Patientinnen.
HER2-positive (HER2+) Tumore: Wer kann auf Chemotherapie verzichten?
Die Studie PHERGain (1) untersucht, in welcher Situation auf eine neoadjuvante Chemotherapie im Rahmen einer dualen HER2-Blockade mit Trastuzumab und Pertuzumab bei Frauen mit frühem, operablem, HER2-positivem Brustkrebs verzichtet werden kann. Dazu wurde eine PET-basierte, an das pathologische vollständige Ansprechen (pCR) angepasste Strategie angewandt. In einer früheren Analyse dieser internationalen, randomisierten, offenen Studie (2) waren unter dieser Strategie 227 (79,7%) von 285 Patientinnen identifiziert worden (Gruppe B dieser Studie). Sie galten als sogenannte PET-Responder und von ihnen erreichten 86 von 227 eine pCR. Diese Patientinnen wurden identifiziert als solche, die wahrscheinlich von einer Chemotherapiefreien dualen HER2-Blockade mit Trastuzumab und Pertuzumab profitieren. Am ASCO 2023 wurden nun Studienresultate zum 3-Jahres-invasiv-krankheitsfreien Überleben (iDFS) präsentiert für die Patientinnen, die nach neoadjuvanter Therapie operiert wurden (zweiter primärer Endpunkt). Verglichen wurden die PET-Responder, die nur Trastuzumab/ Pertuzumab (sowie eine endokrine Therapie, sofern HR-positiv) erhielten (Studiengruppe B) mit denen, die keine PET-Responder waren und zudem neoadjuvant Chemotherapie erhielten (Studiengruppe A). Resultate: Der zweite primäre Endpunkt wurde erreicht: Die 3-Jahres-iDFS-Rate für die Patientinnen der Gruppe B (ITT-Population, n = 84) betrug 95,4%
(95%-KI: 92,8–98,0). Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 43,3 Monaten (Spanne: 2,4–63,0) wurden insgesamt 12 iDFS-Ereignisse gemeldet, darunter 8 Fernrezidive (3,0%), 3 ipsilaterale Lokalrezidive (1,1%) und ein nicht damit zusammenhängender Todesfall (0,4%). Von den PET-Respondern mit pCR (n = 86) hatte nur eine Patientin ein invasives Ereignis (lokoregionäres ipsilaterales Rezidiv); dies entspricht einer 3-Jahres-iDFS-Rate von 98,8% (95%-KI: 96,3–100,0). Die Nebenwirkungen in dieser Studie waren erwartungsgemäss am höchsten in der Gruppe A unter Chemotherapie plus dualer HER2-Blockade (Grad ≥ 3: 61,8% vs. 32,9%). Die PET-Responder mit pCR hatten eine sehr geringe Therapienebenwirkungsrate (Grad ≥ 3: 1,2%) und gar keine schweren Nebenwirkungen. Die Studienleiter stellten fest, dass diese PET-basierte, pCR-adaptierte Strategie etwa ein Drittel der Patientinnen mit HER2+, frühem Brustkrebs identifizieren kann, bei denen unter dualer HER2-Blockade eine neoadjuvante Chemotherapie entfallen sollte. Meist ohne belastende Nebenwirkungen können diese Frauen ein deutliches 3-Jahres-iDFS erreichen.
HR+, HER2-negative Tumore: CDK4/6-Hemmer in der Adjuvanz
Der zyklinabhängige Kinase 4/6- (CDK4/6)Hemmer Palbociclib war der erste seiner Art, der für fortgeschrittenen HR+, HER2-negativen Brustkrebs zugelassen wurde infolge der sehr positiven Ergebnisse der PALOMA-Studien. Auch der
CDK4/6-Inhibitor Ribociclib plus endokrine Therapie brachte bei prä- und postmenopausalen Patientinnen mit HR+/ HER2-negativem fortgeschrittenem Brustkrebs in den MONALEESA-Studien einen deutlichen Überlebensvorteil; er ist in der Schweiz ebenfalls zugelassen.
NATALEE-Studie mit 5101 Patientinnen und Patienten Aktuell wurde der Einsatz des CDK4/6Hemmers Ribociclib in der adjuvanten Situation in der Ergänzung zur endokrinen Therapie untersucht: Die Phase-IIIStudie NATALEE mit Ribociclib/Aromatasehemmer fand in einer ersten, vordefinierten Zwischenanalyse eine signifikante, klinisch bedeutsame Verbesserung des iDFS unter guter Verträglichkeit bei Frauen und auch Männern mit HR+, HER2- frühem Brustkrebs (3). Eingeschlossen waren Patienten und Patientinnen im Stadium II oder III mit Rezidivrisiko. Da laut der Studienautoren eine längere Behandlungsdauer entscheidend ist, um den Stillstand des Zellzyklus zu verlängern und mehr Tumorzellen in die Seneszenz oder den Tod zu treiben, wurde eine Behandlungsdauer von drei Jahren mit Ribociclib in einer Dosis von 400 mg gewählt, womit die Verträglichkeit verbessert und gleichzeitig die Wirksamkeit erhalten werden sollte. Prä- und postmenopausale Frauen sowie Männer wurden 1:1 randomisiert für Ribociclib plus Aromatasehemmer (Letrozol oder Anastrozol) versus Aromatasehemmer allein. Männer und prämenopausale Frauen erhielten zusätzlich Goserelin. Die Patienten und Patientinnen hatten einen guten Allgemeinzustand (PS 0 bis 1) und waren im Stadium IIA, IIB, oder III; eine vorangegangene (neo-)adjuvante Hormontherapie war erlaubt, wenn sie ≤ 12 Monate vor der Randomisierung begonnen worden war. Die vordefinierte Zwischenanalyse zum invasiven krankheitsfreien Überleben (iDFS; primärer Endpunkt) wurde festgesetzt bei zirka 425 iDFS-Ereignissen. Nach der Randomisierung zwischen Januar 2019 und April 2021 wurden 2549
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bzw. 2052 PatientInnen behandelt; nach Daten-Cut-off im Januar 2023 betrug das mediane Follow-up 34 Monate (mindestens 21). Eine Therapie von 3 oder 2 Jahren durchliefen 515 Patienten und Patientinnen (20,2% bzw. 56,8%). Die restlichen 3810 (74,7%) blieben unter ihrer Behandlung. Wichtige Resultate: Die Zwischenanalyse zeigte unter der Kombination Ribociclib/Aromatasehemmer ein signifikant längeres invasiv krankheitsfreies Überleben (iDFS) als unter Aromatasehemmer allein (Hazard Ratio, HR: 0,748; 95%-KI: 0,618–0,906). Die 3-Jahres-iDFS-Raten betrugen 90,4% gegenüber 87,1%. Der Benefit des iDFS war generell konstistent bei allen vordefinierten Stratifizierungsfaktoren (Menopausenstatus, Krankheitsstadium, vorherige Chemotherapie, geografische Wohnregion). Die erhobenen sekundären Endpunkte wie Gesamtüberleben, rezidivfreies und fernmetastasenfreies Überleben waren günstiger unter der Ribociclib-Zugabe. Diese Behandlung zeigte wie erwartet ein gutes Verträglichkeitsprofil. Die Studienärzte folgern aus diesem Ergebnis, dass Ribociclib plus Aromatasehemmer Therapie der Wahl für eine sehr breite Palette von Patientinnen und Patienten mit frühem, HR+/HER2-Brustkrebs im Stadium II oder III respektive bei N0-Erkrankung sein wird.
Jüngere Patientinnen: Starker Effekt der ovariellen Ablation/ Suppression
Wie wichtig ist die Unterdrückung der Funktion der Eierstöcke bei prämenopausalen Brustkrebspatientinnen für die langfristige Rezidivprophylaxe und Überlebensprognose? Eine Metaanalyse 25 relevanter randomisierter Studien mit knapp 15 000 jüngeren Brustkrebspatientinnen, in denen die ovarielle Ablation bzw. Suppression mit keiner solchen in der Tumorbehandlung verglichen wurde, fand Antwort. In die Primäranalyse waren prämenopausale Frauen unter 55 Jahren mit HR-positivem oder unbekanntem Tumorstatus einbezogen und stratifiziert in eine Gruppe, die keine Chemotherapie erhielten oder die nach einer Chemotherapie prämenopausal blieben, und in eine andere Gruppe, bei der der Menopau-
Sehr junge Patientinnen haben meist aggressive Tumorbiologie
Für eine Entscheidungshilfe, ob sich eine Intensivierung der endokrinen Therapie unter ovarieller Suppression bei prämenopausalen Brustkrebspatientinnen lohnt, waren bisher keine Biomarker bekannt. Eine sekundäre Analyse der SOFT-Studie untersuchte nun die prognostische und prädiktive Fähigkeit der sogenannten intrinsischen PAM50-Subtypen und der ROR-Scores bei prämenopausalen Frauen mit HR+/HER2negativem Brustkrebs (5).
Die Bewertung erfolgte mittels Genexpressionsanalysen an RNA (NanoString Breast Cancer 360 Assay), die aus Tumorproben der Studienteilnehmerinnen isoliert wurden. Die mittlere Nachbeobachtungszeit betrug 12 Jahre. Erste Resultate: Die Auswertung zeigte, dass die Verteilung des intrinsischen Subtyps und der ROR-Kategorie sich signifikant zwischen sehr jungen (< 40 Jahre) und jungen prämenopausalen (> 40 J.) Frauen unterscheidet: Die sehr jungen Frauen erwiesen sich mit dieser Analyse als weniger luminal A, mehr luminal B und hatten häufiger nicht luminale Tumore. Von den knotennegativen Patientinnen gab es signifikant mehr ROR-High-Scores bei den sehr jungen als bei älteren prämenopausalen Frauen (36% vs. 14%, p < 0,001). Dies bedeutet gemäss der Studienleiter, dass Brustkrebs, der bei sehr jungen Frauen diagnostiziert wird, eine besonders aggressive Krankheitsbiologie hat.
Rolle der TIL-Subtypen bei jungen Patientinnen
Eine weitere Studie untersuchte die Assoziation der sogenannten tumorinfiltrierenden Lymphozyten (TIL) mit klinisch pathologischen Charakteristika und die Prognosen bei jungen Frauen mit HR+/HER2-negativem Brustkrebs (6).
Bisher wird eine erhöhte Anzahl der TIL mit einer besseren Prognose bei triplenegativem Brustkrebs in Verbindung gebracht. Die Rolle der TIL bei HR+/HER2-negativen Tumoren ist aber nach wie vor unklar; zudem gibt es nur wenige Daten über junge Patientinnen, bei denen die Immunmikroumgebung zwischen Wirt und Tumor anders als bei älteren sein könnte. Im Rahmen der prospektiven Kohortenstudie mit 390 Patientinnen unter 40 Jahren wurden diejenigen mit HR+/HER2-negativen Brustkrebs im Stadium I-III und verfügbarem Tumorgewebe vor der Behandlung identifiziert. Mittels Multiplex-Immunfluoreszenz wurden dann zytotoxische T-Zellen (CD8+), T-Helferzellen (Th, CD3+CD8-), regulatorische T-Zellen (Tregs, FOXP3+CD3+) und erschöpfte T-Zellen (PD1+CD8+) in Stroma und Tumor quantifiziert. In weiteren Analysen untersuchten die Studienleiter den Zusammenhang zwischen klinisch-pathologischen Variablen und Immunmarkern mit hoher oder niedriger Expression: Hohe versus niedrige TIL wurden in Cox-Regressionsanalysen für das invasive brustkrebsfreie Überleben, das fernmetastasenfreien und das Gesamtüberleben bewertet. Wichtige Ergebnisse: Ein Alter von 36 bis 40 Jahren war mit einer hohen Expression von CD8+ und PD1+CD8+ tumorinfiltrierenden Lymphozyten (TIL) im Stroma und CD3+CD8- TIL im Tumor verbunden. Tumoren des Grades 3 hatten eine höhere stromale und intratumorale Expression der T-Helferzellen CD3+CD8- und der FOXP3+CD3+ TILs. Eine hohe stromale Expression von CD3+CD8- TILs war mit einem besseren invasiven brustkrebsfreien Überleben (Hazard Ratio, HR: 0,49) und fernmetastasenfreien Überleben (HR: 0,57) assoziiert, was auch nach Adjustierung für T/N-Stadium, Grad und Chemotherapie signifikant blieb. Eine hohe stromale Expression von CD3+CD8- und FOXP3+CD3+ TILs war mit einem besseren Gesamtüberleben (HR: 0,47) assoziiert (bei adjustierten Analysen). Fazit: Die Verteilung der TIL-Subtypen bei jungen Frauen mit HR-positivem Brustkrebs variiert gemäss der Studienautoren je nach Ethnie, Alter und Grad. Eine hohe stromale und intratumorale Expression von Thund Tregs war mit besseren Ergebnissen als bei niedriger Expression verbunden. hir
senstatus nach der Chemotherapie nicht ermittelt wurde. Mit Standard-LogRank-Methoden wurden ER-gewichtete jährliche Ereignisraten (relative Risiken; RR) geschätzt. Wichtige Resultate: Insgesamt zeigte sich, dass weniger Tumorrezidive auftraten, wenn eine ovarielle Suppression bzw. Ablation erfolgt war (RR: 0,82; 95%KI: 0,77–0,88). Zu signifikant mehr Verrin-
gerungen von Rezidiven kam es bei den Frauen, die vor der Suppression prämenopausal waren (RR 0,70) als bei denjenigen, deren Menopausenstatus nach der Chemotherapie unbekannt war (RR: 0,91; p = 0,03). Bei den prämenopausalen Frauen wurde das 15-Jahres-Rezidivrisiko um 12,1% verringert (28,9% vs. 41,0%). Auch die 15-Jahres-Brustkrebsund Gesamtmortalität reduzierte sich um
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8,0% (20,9% vs. 28,9%; RR: 0,69) respektive um 7,2% (26,0% vs. 33,1%; RR: 0,73). Sehr interessant war zudem, dass der grösste Effekt die prämenopausalen Frauen unter 45 Jahren betraf und mit signifikanten Verringerungen des Rezidivrisikos (RR: 0,63) einherging im Vergleich zu prämenopausalen Patientinnen im Alter 45 bis 55 Jahren (RR: 0,84), ohne dass deutliche Unterschiede bei anderen Patientinnen- oder Tumorcharakteristika relevant waren. Die Studienleiter folgern, dass die ovarielle Ablation/Suppression insbesondere
für jüngere Patientinnen unter 45 Jahren
mit Brustkrebs im Frühstadium essenziell
ist zur Sicherung der langfristigen Rezi-
divprophylaxe.
n
Quelle: ASCO-Jahreskongress 2023.
Bärbel Hirrle
Referenzen: 1. Cortes J et al.: 3-year invasive disease-free survival (iDFS) of the strategy-based, randomized phase II PHERGain trial evaluating chemotherapy (CT) de-escalation in human epidermal growth factor receptor 2-positive (HER2[+]) early breast cancer (EBC). ASCO 2023; Abstract #LBA506. 2. Perez-Garcia JM et al.: Chemotherapy de-escalation using an 18F-FDG-PET-based pathological response-adapted strategy in patients with HER2-positive early breast cancer (PHERGain): a
multicentre, randomised, open-label, non-comparative, phase 2 trial. Lancet Oncology 2021; 22 (6): 858-871. 3. Slamon DJ et al.: Phase III NATALEE trial of ribociclib + endocrine therapy as adjuvant treatment in patients with HR+/ HER2– early breast cancer. Oral Abstract Session. ASCO 2023; Abstract #LBA500. 4. Gray RG et al.: Effects of ovarian ablation or suppression on breast cancer recurrence and survival: Patient-level meta-analysis of 14,993 pre-menopausal women in 25 randomized trials. ASCO 2023 (oral abstract session), Abstract #503). 5. Brown LC et al.: Evaluation of PAM50 intrinsic subtypes and risk of recurrence (ROR) scores in premenopausal women with early-stage HR+ breast cancer: A secondary analysis of the SOFT trial. ASCO 2023; Abstract #504. 6. Tesch ME et al.: Association of tumor-infiltrating lymphocytes (TILs) with clinicopathologic characteristics and prognosis in young women with HR+/HER2- breast cancer (BC). ASCO 2023; Abstract #505.
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