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KONGRESSBERICHT
Früh behandeln, langfristig profitieren
Neue Strategien bei pädiatrischen IMID
Die Behandlung von Kindern mit immunvermittelten chronisch-entzündlichen Erkrankungen erfordert besondere Aufmerksamkeit. Ein frühzeitiges, konsequentes Eingreifen kann nicht nur das Fortschreiten der Erkrankung, sondern auch die kumulative Lebensbelastung verhindern.
International werden chronisch-entzündliche Erkrankungen, die durch Fehlsteuerungen des Immunsystems entstehen, auch als IMID (immune-mediated inflammatory diseases) bezeichnet. Dazu gehören nicht nur dermatologische Erkrankungen, sondern auch Erkrankungen anderer Fachbereiche. Häufige chronisch-entzündliche Erkrankungen in der Pädiatrie sind u. a. die atopische Dermatitis, Typ-1-Diabetes, die juvenile idiopathische Arthritis, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Psoriasis und der systemische Lupus erythematodes. Alle IMID beeinflussen zahlreiche Organe und Organsysteme.
Verlauf bei Beginn im Kindesalter oft aggressiver «Kinder mit IMID zeigen häufig aggressivere Krankheitsphänotypen als Patienten, bei denen IMID erst im Erwach senenalter auftreten. Sie haben zudem ein erhöhtes Risiko, im Verlauf weitere IMID zu entwickeln», betonte Prof. Jan Gutermuth, Universitätsklinikum Brüssel (Belgien). Auch in der Pädiatrie wird die Behandlung zunächst nach einem Stufenschema durchgeführt. Dieses beginnt mit lokalen Therapien, physikalischen Massnahmen, Ernährungsanpassungen, nichtsteroidalen Antirheumatika und Schulungen der Patienten und ihrer Angehörigen. Reicht dies nicht aus, folgen systemische Glukokortikoide oder klassische Immunsuppressiva wie Methotrexat oder Ciclosporin. Erst in der dritten Stufe kommen Biologika oder JAK-Inhibitoren zum Einsatz. «Wir haben das Dilemma, dass die in zweiter Linie eingesetzten Arzneimittel weniger sicher und auch weniger effektiv sind als die Drittlinienmedikamente», sagte Prof. Gutermuth. Wären Ressourcen kein limitierender Faktor, würde man Biologika wahrscheinlich früher einsetzen als klassische Immunsuppressiva. Neuere europäische Leitlinien zur atopischen Dermatitis bei Kindern sehen Biologika, JAKHemmer und konventionelle Systemtherapeutika gleichrangig vor – ein sogenannter horizontaler Ansatz.
Auf Dosierung und Nebenwirkungsspektrum achten Im Kindesalter müssen Dosierungen nach Körpergewicht oder -oberfläche exakt berechnet werden. Zudem unterscheiden sich die Nebenwirkungsprofile von Medikamenten teils deutlich von denjenigen im Erwachsenenalter. Bezüglich Sicherheit verwies Prof. Gutermuth darauf, dass die Wahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen, besonders von Infek-
tionen, bei Kortikosteroiden am höchsten ist. Eine aktuelle Untersuchung mit Kindern mit glomerulären Erkrankungen an 71 Standorten in Europa und Nordamerika zeigte, dass Kortikosteroide mit dem höchsten Risiko für Infektionen verbunden sind (Hazard Ratio [HR]: 2,65), besonders wenn sie mit anderen Immunsuppressiva kombiniert werden (HR: 2,68) (1). «Wir geben diese Medikamente in ein Immunsystem, das sich noch entwickelt», so Prof. Gutermuth.
Wachstum und Knochengesundheit regelmässig kontrollieren Besonders problematisch im Kindesalter ist auch, dass Kortikosteroide mit Wachstumsstörungen verbunden sein können, dies gilt sogar für inhalative, nasal oder dermal verabreichte Steroide (2). Sie hemmen das Wachstum durch einen Einfluss auf das Wachstumshormon, die Knochen und die Kollagenbildung. Methotrexat trägt hierfür ein mittleres Risiko, das diesbezügliche Risiko bei Biologika und JAK-Hemmern liegt dazwischen. Deshalb sei es wichtig, Steroide möglichst zu vermeiden oder zumindest nach dem Motto «so niedrig wie möglich, so viel wie nötig» zu verordnen. Darüber hinaus müssen regelmässig Wachstum und Knochengesundheit kontrolliert werden. Es gibt keine strengen Regeln bezüglich der Therapieüberwachung von Kindern, ein Kontrolltermin alle drei bis sechs Monate sei ausreichend.
Immunsuppressiva bringen einerseits Vorteile wie die Reduktion von entzündlichen Darmläsionen, Mangelernährung oder kardiovaskulären Risiken. Andererseits steigt das Risiko für opportunistische Infektionen, Lymphome oder Hauttumoren. Die Therapie mit Thiopurinen geht mit einer Knochenmarksuppression Hand in Hand, bei Einnahme von Methotrexat kann es zu einer interstitiellen Pneumonitis kommen. Bei Kindern müsse zusätzlich das lebenslange kumulative Risiko für Malignome und die erhöhte Hautempfindlichkeit berücksichtigt werden. Leider gibt es in der Kindheit auch nur limitierte Studiendaten.
Regelmässige Impfungen: Bei Kindern mit IMID besonders wichtig Ein zentraler Punkt im Management chronisch kranker Kinder ist die Impfstrategie. Inaktivierte Impfstoffe gelten als sicher, allerdings kann ihre Wirksamkeit bei laufender immunsuppressiver Therapie abgeschwächt sein. Idealerweise
12 dermatologie & ästhetische medizin 4 | 2025
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erfolgt die Impfung mindestens zwei Wochen vor Therapiebeginn. Auch Angehörige im gleichen Haushalt sollten immunisiert werden. Besonders empfohlen werden Impfungen gegen HPV und Pneumokokken.
Lebendimpfstoffe bergen bei diesen Kindern dagegen das Risiko impfbedingter Infektionen. «Lebendimpfstoffe sollten daher mindestens vier Wochen vor Beginn einer immunsuppressiven Behandlung verabreicht werden», riet Prof. Gutermuth. Falls sie während einer laufenden Therapie notwendig sind, müsse das Immunsuppressivum pausiert und nach einer ausreichenden Auswaschzeit erst zwei bis vier Wochen nach der Impfung wieder aufgenommen werden.
VR-Brille und Tablet als Ablenkung beim Spritzen Kinder sind keine kleinen Erwachsenen – dieser Satz gilt besonders für die Pharmakotherapie. Viele Medikamente liegen nur in Tablettenform vor, was gerade bei kleinen Kindern schwierig ist. Daher sollte man bei oralen Medikamenten falls vorhanden zu kindgerechten Darreichungsformen wie Kautabletten, einem Sirup oder Flüssigpräparaten greifen.
Für Injektionen empfiehlt Prof. Gutermuth, eine ruhige Atmosphäre zu schaffen, das Kind mit freundlicher Stimme anzusprechen und aktiv einzubeziehen. Eine sichere Position auf dem Schoss der Betreuungsperson, lokale Anästhesie und Ablenkung durch Tablet oder VR-Brille könnten helfen, Angst und Schmerz zu reduzieren.
Im Kindesalter muss unbedingt die Familie eingebunden werden, denn dies wirkt sich unmittelbar auf die Adhärenz und damit auf den Therapieerfolg aus. Eltern müssen die Erkrankung verstehen, die Behandlung aktiv unterstützen und Vertrauen in das medizinische Team haben. «Eine multidisziplinäre und integrierte Betreuung – mit Dermatologen, Pädiatern, Rheumatologen, Pflegefachpersonen und Psychologen – ist der beste Weg, um langfristig gute Ergebnisse zu erzielen», so die Ansicht von Prof. Gutermuth.
heilte Hautveränderungen aufwiesen (3). Bei Kindern zwischen 6 und 11 Jahren waren nach einer medianen Followup-Zeit von 15,7 Wochen ohne Therapie nach einjähriger Dupilumabbehandlung sogar 60,3 % fast oder vollständig erscheinungsfrei (3). Zudem ergab eine retrospektive Analyse, dass Kinder unter Dupilumab im Vergleich zu Kindern, die mit einer konventionellen Systemtherapie behandelt wurden, ein um 40% geringeres Asthmarisiko und ein um 31% geringeres Risiko für eine allergische Rhinitis hatten (4). Gerade in jungen Jahren scheint also bei effektiver Therapie eine Krankheitsmodifikation möglich zu sein. «Je jünger die Patienten, desto grösser scheint der langfristige Nutzen», so das Fazit von Prof. Gutermuth.
Susanne Kammerer
Quelle: «Managing children with IMIDs», Vortrag von D. Gutermuth im Rahmen des SPIN am 4. Juli 2025 in Paris.
Referenzen: 1. Glenn DA et al.: Immunosuppression exposure and risk of infection-
related acute care events in patients with glomerular diseases. Kidney Medicine 2022;4(11):100553. 2. De Vleeschhauwer F et al.: Systemic adverse events associated with locally administered corticosteroids. Children 2024;11 (8):95. 3. Siegfried EC et al.: Clinical Remission and Off-Treatment Remission in atopic dermatitis pediatric patients with moderate-to-severe atopic dermatitis treated with dupilumab: Open-label extension study preliminary data. Daten präsentiert beim 23. Kongress der «European Society for Pediatric Dermatology (ESPD), 2. bis 4. Mai 2024 in Kosice (Slowakei). 4. Lin TL et al.: Reduced atopic march risk in pediatric atopic dermatitis patients prescribed dupilumab versus conventional immunomodulatory therapy: A population-based cohort study. J Am Acad Dermatol 2024;91(3):466-73.
Die Bedeutung der kumulativen Lebensbelastung Mehrere Studien zeigten in den letzten Jahren, dass IMID über die Jahre eine kumulative Lebensbelastung («cumulative life course impairment») verursachen können. Dazu zählen einerseits körperliche Probleme wie frühe Komorbiditäten, mindestens genauso belastend sind Stigmatisierungen durch nicht zu verbergende Hautveränderungen, soziale Ausgrenzung und psychische Belastungen. Eine stabile familiäre und psychosoziale Unterstützung sei daher entscheidend. «Wenn wir früh und konsequent behandeln, können wir diese kumulative Belastung deutlich verringern», betonte der Experte. Das aus der Rheumatologie bekannte Prinzip «hit hard and early» finde aus diesem Grund zunehmend auch in der Dermatologie Anwendung.
Eine derzeit noch laufende Studie über fünf Jahre zeigte, dass 43,3% der Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren mit atopischer Dermatitis, die mindestens ein Jahr lang mit Dupilumab behandelt wurden, 18 Wochen nach Absetzen der Therapie noch vollständig oder fast vollständig abge-
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