Transkript
ESC
Interview mit Prof. Dr. François Mach
«Hausärzte haben eine sehr wichtige Rolle»
Im Bereich der Dyslipidämie wurde am ESC-Kongress ein Update der Guidelines vorgestellt. Was geändert wurde und wie sich die Lipidsenkung in der Primär- und Sekundärprävention in naher Zukunft verändern wird, berichtete Mitautor Prof. Dr. François Mach im Interview mit Ars Medici.
(Foto: vh)
Zur Person
Prof. Dr. François Mach Prof. Dr. François Mach, Internist und Kardiologe, ist Chefarzt der Klinik für Kardiologie, Hôpitaux universitaire de Genève (HUG). Er ist ein Experte auf
dem Gebiet der Entstehung und Progression der Atherosklerose. 2019 hat er als Erstautor die Guidelines der European Society of Cardiology zum
Management von Dyslipidämien publiziert und 2025 ein»Focused
Update» davon.
Es gab neue Guidelines, die Sie mitverfasst haben. Was ist dabei die Aufgabe des Hausarztes? Prof. François Mach: Der Hausarzt spielt eine entscheidende Rolle. Die empfohlenen SCORE2- und SCORE2-OP-Algorithmen sind für gesunde Personen gedacht. Wenn jemand bereits Diabetes oder eine andere Erkrankung hat, ist der SCORE2-Rechner ungeeignet. Das bedeutet, dass Hausärzte hier stark gefordert sind. Der Patient sollte gefragt werden, ob er seine Risikofaktoren und das daraus resultierende Risiko wissen will und ob er bei dessen Reduktion mitwirken möchte. Gegebenenfalls kann schon eine Überweisung zum Facharzt oder in eine spezialisierte Klinik zur weiteren Abklärung notwendig werden.
Wann sollten die Patienten überwiesen werden? Beispielsweise dann, wenn das LP(a), das auch gemessen werden sollte, erhöht ist. Wir wissen, dass Lp(a) ein sogenannter Risikomodifikator für atherosklerotische Koronar- oder Gefässerkrankungen ist. Bei einem positiven Lp(a)-Wert, d.h. > 50 mg/dl, erhöht sich der Risikoscore von 5 auf 7% oder von 7 auf 10%. Ist der Wert normal, bleibt der Score unverändert, er sinkt nicht. Um früh genug dran zu sein, sollten Personen ab 40 Jahren demnach zur Vorsorgeuntersuchung zu ihrem Hausarzt gehen. Die gemessenen Werte lassen sich gut gemeinsam mit den Patienten besprechen.
Es gibt noch keine Therapie gegen erhöhtes Lp(a), warum soll man es messen? Erstens werden bald Medikamente auf den Markt kommen. Und zweitens ist es gut,
diesen Wert zu kennen. Ist er erhöht, sollten alle vorhandenen Risikofaktoren umso strenger unter Kontrolle gehalten werden. Das ist wie mit einem Autoreifen, der nicht ganz den richtigen Druck hat. Man kann zwar mit 120 km/h fahren, doch ist man dadurch gefährdet, einen Unfall zu erleiden. Korrigiert man diesen Druck, wird das Unfallrisiko kleiner.
Der Patient sollte gefragt werden, ob er seine Risikofaktoren und das daraus resultierende Risiko wissen will und ob er bei dessen Reduktion mitwirken möchte.
Was wird zur Abklärung in der Klinik untersucht? Bei der Vorsorgeuntersuchung suchen wir auch nach atherosklerotischen Plaques in der Carotis mittels Sonografie. Das ist eine günstige Untersuchung ohne Nebenwirkungen und Strahlenbelastung. Sie wird vom Angiologen durchgeführt. Werden in der Carotis Plaques gefunden, muss das kardiovaskuläre, aber vor allem das Hirnschlagrisiko reduziert werden. Denn diese Plaques führen im Fall einer Ruptur häufig zu ischämischen Hirnschlägen. Wir haben dafür gute, sichere, kostengünstige und wirksame Medikamente.
4 congressselection Dezember | 2025
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Und wenn in der Carotis keine Plaques zu finden sind? In diesem Fall empfehle ich dem Patienten, in der Radiologie den Koronarkalk(coronary artey calcium, CAC)-Score mittels Computertomografie (CT) zu messen, vorzugsweise mit intravenöser Injektion eines Kontrastmittels. Ist der CAC-Score erhöht, korreliert er linear mit dem Ausmass der Atherosklerose, und es besteht ein erhöhtes Myokardinfarktrisiko. Kleine nicht verkalkte Plaques von 1 mm können dabei gefährlicher sein, als grössere verkalkte. Denn die kleinen können aufgrund von Husten, COVID-19 etc. aufreissen, während die grossen so verkalkt sind, dass sie nicht reissen, und deshalb keine grosse Gefahr darstellen. Deshalb ist ein CAC-Score von null noch keine absolute Entwarnung.
Was wurde in den Guidelines geändert? Unter anderem wurden die Risikokategorien ergänzt. Zu den bestehenden Risikoklassen «tief», «moderat», «hoch» und «sehr hoch» ist eine neue Kategorie «extrem hoch» dazu gekommen. Darin enthalten sind die Patienten mit multiplen und rezidivierenden atherosklerotischen Ereignissen. Der LDLCholesterin(C)-Zielwert ist bei diesen Patienten auf < 1,0 mmol/l angesetzt. Denn wir wissen, dass man den LDL-C-Wert im Gegensatz zum Blutzucker und zum Blutdruck fast unendlich senken kann, ohne ein Risiko einzugehen.
Wie sieht die Therapie aus? Momentan haben wir Statine oder Bempedoinsäure mit Ezetimib. Wenn das nicht ausreicht, sollten alle drei zusammen verwendet oder weitere Therapien dazu kombiniert werden. Wir haben aus der Blutdruckforschung und der Diabetologie gelernt, dass man frühzeitig kombinieren muss. Denn wird nur die Statindosis verdoppelt, z.B. Rosuvastatin von 10 auf 20 mg, sinkt der LDL-C-Wert nur um 6%. Das ist wenig. Die Kombination dieser Wirkstoffe bringt dagegen mehr als eine reine Dosiserhöhung und generiert dabei weniger Nebenwirkungen und mehr adhärente Patienten. Und das bei niedrigen Kosten.
Bei Patienten mit hohem, sehr hohem oder extrem hohem Risiko, die mit Statinen, Ezetimib und Bempedoinsäure die Zielwerte nicht erreichen, hängt es von ihrer Lebens-
situation ab, ob die Zugabe eines PCSK9Hemmers sinnvoll ist. Bei jungen Patienten ist es natürlich sehr sinnvoll, die Prognose langfristig zu verbessern, bei alten Patienten ist es fraglich. Bei Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie ist es keine Frage.
Wir haben aus der
Blutdruckforschung
und der Diabetologie
gelernt, dass man
frühzeitig kombi-
nieren muss.
Wann würden Sie Inclisiran wählen? Das ist eine gute Frage. Ich bin davon überzeugt, dass LDL ein Treiber der Atherosklerose ist. Deshalb sollte man LDL auf jede erdenkliche Weise senken. Lebensstiländerungen bringen maximal 15%. Die beiden monoklonalen Antikörper senken das LDL etwa um 60%, mit Inclisiran sind es maximal 40%. Alle drei Substanzen generieren wenig bis keine Nebenwirkungen. Zur Verabreichung von Inclisiran muss der Patient kurz ins Spital kommen – damit erreicht man eine hundertprozentige Compliance. Bei den PCSK9-Hemmern weiss man dagegen nicht, ob die Patienten sie tatsächlich regelmässig spritzen. Momentan läuft die kardiovaskuläre Outcome-Studie HORIZON 4 mit Inclisiran, die im nächsten Jahr Resultate zeigen wird.
Wird es noch andere, neue Lipidsenker geben? Evinacumab, ein weiterer PCSK9-Hemmer, ist bereits in den Guidelines, in der Schweiz aber noch nicht verfügbar. Er ist jedoch nur für Patienten mit homozygoter familiärer Hypercholesterinämie vorgesehen, wenn Statine nicht wirken oder gar nicht infrage kommen und wird deshalb nur sehr spezialisierten Lipidkliniken vorbehalten sein.
Des Weiteren werden in den nächsten drei bis fünf Jahren orale PCSK9-Hemmer auf den Markt kommen, die aber anders wirken. Deshalb braucht es wieder Outcome-Studien, aber die laufen bereits. Obacetrapib, ein oraler Cholesterolester-Transferprotein
(CETP), reduzierte in den Wirksamkeitsstudien das LDL und Lp(a). Vermutlich liegen im nächsten Jahr die Resultate der kardiovaskulären Outcome-Studie vor. Ein anderer neuer Wirkstoff ist Pelacarsen, das ebenfalls in den Studien LDL und Lp(a) gesenkt hat. Wenn diese Studien positiv ausfallen, wird Lp(a) gemessen und behandelt werden müssen. Und dann sind weitere small-interfering-RNA(siRNA)-Substanzen zu Senkung des Lp(a) in Entwicklung.
Was ist bei den Triglyzeriden in der Pipeline? Wir hoffen, dass wir neue Medikamente zur Behandlung von erhöhten Triglyzeriden erhalten. Statine senken den Triglyzeridspiegel nur um 20%. Das Antisense-Oligonukleotid Olezarsen senkte die Triglyzeride bei Patienten mit erhöhtem kardiovaskulären Risiko dagegen um bis zu 60%. Aber auch hier sind zusätzliche siRNA-Therapien zu erwarten. Es herrscht ein grosser Wettstreit zwischen der Antisense-Entwicklung, die einfach, günstig und schnell umzusetzen ist, und der RNA-Silencing-Methode, die kaum Nebenwirkungen hat und nur etwa drei- bis viermal im Jahr injiziert werden muss.
Das altbekannte Icosapent ethyl ist auch in der Guideline aufgenommen. Denn es hat in der REDUCE-IT-Studie eine deutliche Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen bewirkt. Warum, wissen wir aber eigentlich nicht genau. Empfohlen ist eine Dosis von 2 x 2 g täglich in Kombination mit einem Statin bei Patienten mit hohem bis sehr hohem kardiovaskulären Risiko und erhöhten Triglyzeriden zur Senkung der kardiovaskulären Ereignisrate. Ob es auch das Lp(a) bei Patienten mit erhöhten Werten gesenkt hat, wird in Subgruppen derzeit analysiert.
Das Interview führten Christine Mücke und Valérie Herzog.
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