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Schlafqualität verbessern
Insomnie kann behandelt werden
Der Leidensdruck von Patienten mit chronischer Insomnie ist hoch. Nach Ausschluss von sekundären Ursachen stehen einige nicht pharmakologische und pharmakologische Optionen zur Verfügung, um den Schlaf bei chronischer Insomnie zu verbessern, wie PD Dr. Dagmar Schmid, Zentrum für Schlafmedizin, Kantonsspital St. Gallen, am Frühjahrskongress des Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM) in Basel erklärte.
Die Insomnie ist eine Störung der Schlaf-Wach-Regulation mit Hyperarousal bzw. Übererregbarkeit des zentralen Nervensystems. Sie tritt häufig komorbid
auf und begünstigt die Entwicklung anderer Krankheitsbil-
der oder verschlechtert diese. Weil mit der Insomnie ein
hohes Chronifizierungsrisiko einhergeht, sollte
sie rasch behandelt werden. Verkürzter
oder nicht effizienter Schlaf kann das
Risiko für somatische Folgeerkran-
kungen erhöhen, wie z.B. Stress-
erkrankungen, Hypertonie, Typ-2-
Diabetes, Hörsturz, Reizdarm, In-
fektanfälligkeit und Übergewicht,
tiefere Schmerzschwelle oder ko-
gnitive Einbussen.
Die Prävalenz von Schlafstö
Dagmar Schmid
rungen beträgt in der Schweiz
(Foto: zVg)
ca. 30%, wobei Insomnien bis zu
10% dieser Fälle ausmachen.
Frauen sind häufiger betroffen, vor allem Mütter sowie
Frauen ab dem vierten Lebensjahrzent. Mögliche Gründe
dafür könnten hormonelle Veränderungen, Doppelbelas-
tung wie auch psychische Erkrankungen sein. Bei Kindern
und Jugendlichen wird die Insomnie unterschätzt: 25–
62% sind davon betroffen. Eine mögliche Erklärung dafür
kann unter dem Begriff sozialer Jetlag zusammengefasst
werden, der den Betroffenen unter der Woche ein dichtes
Schulpensum mit frühen Anfangszeiten abverlangt, wie PD
Dr. Schmid berichtete.
KURZ UND BÜNDIG
• Insomnie kann chronifizieren und andere Erkrankungen hervorrufen oder verschlechtern.
• Sekundäre Ursachen mit «5P» ausschliessen.
• Kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (KVT-I) ist die First-Line-Therapie bei chronischer Insomnie.
• Bei pharmakologischen Therapien auf Nebenwirkungen und Suchtpotenzial achten.
Schlafprofil und Chronotyp können sich ändern Schlaf ist essenziell und erfüllt viele Aufgaben. Dazu gehören unter anderem «Gehirnwäsche» bzw. Regeneration durch Abtransport von Stoffwechselabfällen, die Regulation von Energiehaushalt, Appetit und Gewicht, die Modulation von Entzündungsmarkern sowie die Kognition und Gedächtnisbildung, wie PD Dr. Schmid ausführte. Ein Schlafmangel kann demnach zu körperlichen Beeinträchtigungen führen.
Im Lauf des Lebens ändert sich das Schlafprofil. Während die Schlafdauer im Säuglings- und Kleinkindesalter etwa bei 15 Stunden liegt, beträgt sie bei Erwachsenen etwa 6–8 Stunden. Der REM-Schlaf verringert sich mit steigendem Alter deutlich, der Non-REM-Schlaf nimmt im Verhältnis weniger stark ab. Auch der Chronotyp (Lerchen/Eulen) kann sich im Verlauf des Lebens ändern. Der Schlaf-Wach-Rhythmus ist aber unter anderem genetisch determiniert und nur teilweise konditionierbar. Ein Experiment mit Stadtbewohnern von eher eulenartigem Chronotyp wurden eine Woche in Campingferien geschickt. Aufgrund von mehr Lichtexposition wandelte sich ihr Rhythmus zu einem eher lerchenartigen Chronotyp (1), wodurch sich zeige, dass Licht den stärksten Zeitgeber für den menschlichen Schlaf darstellt, so PD Dr. Schmid.
Zwei Prozesse sind verantwortlich für die Schlafregulation. Der homöostatische, schlaftiefeabhängige Prozess beschreibt den mit zunehmender Wachdauer wachsenden Schlafdruck. Der zirkadiane Prozess ist zeitabhängig und beschreibt die innere Uhr. Ein Schlafentzug bewirkt eine Zunahme des Schlafdrucks. Der anschliessende Schlaf enthält in der Folge einen grösseren Anteil von Tiefschlaf, der Erholungsschlaf ist aber nur unwesentlich länger, wie PD Dr. Schmid berichtete.
Bei der chronischen Insomnie stärken PET(PositronenEmissions-Tomografie)-Daten die Vermutung, dass eine erhöhte Stoffwechselaktivität in wachheitsfördernden Hirnregionen wie dem anterioren cingulären Kortex mit der Unfähigkeit einzuschlafen zusammenhängt (2,3). Umgekehrt können die Beeinträchtigungen am Tag auf eine verminderte Aktivität im präfrontalen Kortex zurückzuführen sein (2).
congressselection allgemeine innere medizin | hausarztmedizin | Oktober 2025 17
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«5P» zur Abgrenzung Bei einer chronischen Insomnie treten die Beschwerden seit ≥ 3 Monaten ≥ 3×/Woche auf, beeinträchtigen wichtige Lebensbereiche und haben keine somatische oder psychische Erkrankung als Ursache. Eine eingehende Anamnese umfasst die subjektiven Beschwerden, wie z.B. eine lange Schlaflatenz, kurze Schlafdauer, häufige und/oder lange Wachphasen oder zu frühes Erwachen. Die Erfragung nach der Schlafhygiene liefert ebenfalls Hinweise. Eine Insomnie kann psychophysiologischer oder idiopathischer Natur sein oder eine Schlafwahrnehmungsstörung. Eine hilfreiche Faustregel für mögliche Ursachen von sekundären Insomnien sind die «5P». Sie stehen für physisch (z.B. Herz-Kreislauf, Atmung, Restless-Legs-Syndrom), physiologisch (z.B. Alter, Jetlag), psychologisch (z.B. Stress, Schlafhygiene), psychiatrisch (z.B. Angst, Depression, Demenz) und pharmakologisch (z.B. Schilddrüsen-, Blutdruckmedikation, Alkohol, Nikotin).
In der International Classification of Diseases ICD-10 sind die Schlafstörungen in organische und nicht organische Schlafstörungen unterteilt. In der ICD-11 haben SchlafWach-Störungen ein eigenes Kapitel erhalten, darunter auch die chronische insomnische Störung inklusive subjektiver Aspekte. Mit Fragebogen wie beispielsweise der Epworth Sleepiness Scale (ESS) mit acht Fragen können die allgemeine Tagesschläfrigkeit und die Wahrscheinlichkeit des Einschlafens in verschiedenen Situationen erhoben werden, der Insomnia Severity Index (ISI) mit sieben Fragen bewertet die Schwere der Insomnie. Mit apparativen Untersuchungsmethoden wie der Polysomnografie, Aktigrafie und einem Schlafapnoe-Screening wie der Pulsoxymetrie können weitere Erkenntnisse gewonnen werden.
Einige Therapieoptionen Gemäss den schweizerischen «Behandlungsempfehlungen Insomnie» der Gruppe «Schlaf & Psychiatrie» der Schweizerischen Gesellschaft für Schlafforschung, Schlafmedizin und Chronobiologie (SGSSC) (4) und den S3-Leitlinien «Insomnie bei Erwachsenen» (5) ist die kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (KVT-I) die bevorzugte psychotherapeutische Behandlung einer Insomnie bei erwachsenen Personen jeden Alters. Diese besteht aus vier bis acht Sitzungen mit Psychoedukation und Empfehlungen für einen gesunden Schlaf, Entspannungsübungen, Bettzeitrestriktion, Stimuluskontrolle und kognitiver Therapie. Ist die KVT-I nicht ausreichend wirksam oder nicht durchführbar, kann eine medikamentöse Therapie angeboten werden. Zu weiteren nicht pharmakologischen Massnahmen gehören Bewegung, Achtsamkeit, Musik sowie warme, das heisst gut durchblutete Füsse (6).
In der pharmakologischen Behandlung stehen verschiedene Optionen zur Verfügung. Benzodiazepine und Z-Substanzen können in der Kurzzeittherapie (≤ 4 Wochen) die Schlafqualität verbessern, zur längeren Behandlung sind sie wegen des hohen Abhängigkeitspotenzials jedoch nicht empfohlen (4). Für tiefdosierte sedierende Antidepressiva wie Agomelatin, Amitriptylin, Doxepin, Mirtazapin, Trazodon
und Trimipramin ist die Evidenz bei Insomnie vorhanden und für die längerfristige Therapie bei Insomnie mit depressiver Symptomatik empfohlen, auch wenn die Zulassung für die Indikation Insomnie fehlt. Mögliche Nebenwirkungen müssen jedoch gegenüber dem erwarteten Nutzen abgewogen werden (4). Sedierende Antipsychotika wie Quetiapin sind dagegen nicht empfohlen, dies wegen des ungünstigen Nebenwirkungsprofils (4). Auch sedierende Antihistaminika sind für den Einsatz bei Insomnie nicht empfohlen, allerdings aufgrund rascher Toleranzentwicklung. Melatonin ist für die Behandlung der Insomnie bei Erwachsenen ≥ 55 Jahre zugelassen (4). Phytopharmaka wie Baldrian, Hopfen, Melisse und Passionsblume können eine positive Wirkung entfalten, die Evidenz dazu ist jedoch spärlich. Allerdings ist die Akzeptanz in der Bevölkerung hoch, was sie für einen niederschwelligen Einsatz bei weitgehend fehlenden Nebenwirkungen prädestiniert (4). Vorsicht ist allerdings mit alkoholischen Formulierungen geboten (4).
Die neueste Entwicklung zur Behandlung der Insomnie ist Daridorexant (Quiviviq®), ein dualer Orexin-Rezeptoragonist (DORA). Dieser zielt nicht auf eine Sedierung, sondern hemmt die gesteigerte Wachheit und fördert die Einund Durchschlaffähigkeit. Dies ohne Toleranzentwicklung oder Rebound-Insomnie. Daten zum Langzeiteinsatz stehen aufgrund der erst kurzen Verfügbarkeitsdauer allerdings noch aus (4).
Gut zu wissen Patienten mit obstruktiver Schlafapnoe und komorbider Insomnie (comorbid insomnia and sleep apnea, COMISA) erfahren mit der CPAP(continuous positive airway pressure)-Therapie zwar oft eine deutliche Verbesserung der Fatigue, so PD Dr. Schmid. Allerdings könne die Einschlafstörung weiter bestehen bleiben. Die Gründe dafür können im Umgang mit dem CPAP-Gerät liegen: beispielsweise in der Schwierigkeit, sich mit der Abhängigkeit von diesem Gerät anzufreunden oder mit der CPAP-Maske zu entspannen. Um die Adhärenz der CPAP-Therapie zu verbessern, sei eine spezifische Behandlung mit KVT-I sinnvoll.
Valérie Herzog
Quelle: «Der Schlaf». Frühjahrskongress des Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM). 21.–23. Mai 2025, Basel
Referenzen: 1. Wright KP Jr et al.: Entrainment of the human circadian clock to the
natural light-dark cycle. Curr Biol. 2013;23(16):1554-1558. doi:10.1016/j.cub.2013.06.039 2. Nofzinger EA et al.: Functional neuroimaging evidence for hyperarousal in insomnia. Am J Psychiatry: 2004;161:2126-2128. doi:10.1176/appi.ajp.161.11.2126 3. Buysse DJ et al.: A Neurobiological Model of Insomnia. Drug Discov Today Dis Models. 2011;8(4):129-137. doi:10.1016/j.ddmod.2011.07.002. 4. Mikotheit T et al.: Behandlungsempfehlungen Insomnie der Gruppe «Schlaf & Psychiatrie» der SGSSC. Swiss Med Forum. 2023;23(50):1500-1505. doi:10.4414/smf.2023.1316824571 5. S3-Leitlinie «Insomnie bei Erwachsenen» - Update 2025 (AWMF-Registernummer 063-003). Version 2.0. www.awmf.org. Letzter Abruf: 24.6.25 6. Kräuchi K et al.: Warm feet promote the rapid onset of sleep. Nature. 1999;401(6748):36-37. doi:10.1038/43366
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