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Evidenz und Risiken
Die antientzündliche Ernährung
Bei verschiedenen Krankheiten kann eine antientzündliche Ernährung einen günstigen Effekt haben. Sie sollte eine medikamentöse Therapie aber nicht ersetzen. Prof. Dr. Kim Lauper, Leitende Ärztin, Rheumatologie, Universitätsspital Genf (HUG), präsentierte die aktuellen Erkenntnisse zur Wirkung antientzündlicher Ernährung und zeigte auch deren Grenzen auf.
Die Entzündung stellt eine Schutzreaktion des Körpers vor äusseren Krankheitserregern dar oder ist ein Faktor bei der Reparatur von Gewebeschäden. Es handelt sich um komplexe molekulare, immunologische und physiologische Prozesse (1). Eine grosse Rolle bei der Entzündung spielen Zytokine, die von den Makrophagen produziert werden. Die wichtigsten proentzündlichen Zytokine sind Interleukin-6 (IL-6), Tumornekrosefaktor (TNF) und Interleukin-1 (IL-1). Klinisch wird der Grad der Entzündung anhand des C-reaktiven Proteins (CRP) gemessen, dessen Bildung durch IL-6 ausgelöst wird (1).
Bei der chronischen Entzündung kommt es bei längerer Dauer zu einer Schädigung des Gewebes. Oft sind die Entzündungsmarker IL-6, TNF-alpha, IL-1-beta und CRP nur leicht erhöht. Im Alter nimmt die Häufigkeit entzündlicher Vorgänge zu, es finden sich mehr proinflammatorische Moleküle (2).
Entzündung – Rolle bei chronischen Krankheiten Die Entzündung spielt bei vielen chronischen Krankheiten eine Rolle (2). Bei der Atherosklerose können eine Hypertonie oder Toxine wie Tabak das Endothel schädigen und zu einer Verdickung der Gefässwand führen und somit die Bildung von Plaques fördern: der Startpunkt für einen Gefässverschluss (3). Dass dieser Vorgang über eine Entzündungsreaktion vermittelt wird, konnte in einer Studie gezeigt werden: Ein IL-1-Antagonist konnte die entzündliche Reaktion vermindern. Bei Hochrisikopatienten nach einem Herzinfarkt konnte durch den IL-1-Antagonisten die Rate eines erneuten kardiovaskulären Ereignisses unabhängig vom Lipidspiegel vermindert werden (4).
KURZ UND BÜNDIG
• Antientzündliche Ernährung moduliert die Entzündung. • Am meisten Evidenz liegt bei der mediterranen Diät oder
DASH vor. • Antientzündliche Ernährung ersetzt nicht die Behandlung
einer chronischen Krankheit, aber • ist Teil der umfassenden Behandlung einer chronischen
entzündlichen Erkrankung.
Beim Typ-2-Diabetes sind das CRP und andere inflammatorische Marker häufig erhöht. Sie können sogar vor dem Ausbruch eines manifesten Diabetes erhöht sein und somit einen Risikofaktor für die Entwicklung eines Diabetes darstellen (5). Chronische Entzündungszustände finden sich auch bei Adipositas (5) und der Entstehung von Krebs (6). Die rheumatoide Arthritis ist gekennzeichnet durch synoviale Entzündungen der Gelenke, die zur Zerstörung von Knorpel und Knochen führen, die verschiedenen Entzündungsfaktoren können auch systemische Effekte haben (7).
Assoziation verschiedener Krankheiten Zwischen diesen verschiedenen Krankheiten gibt es enge Interaktionen. So weisen Patienten mit rheumatoider Arthritis und anderen entzündlichen Gelenkerkrankungen ein bis zu 50% erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Krankheiten auf. Das Risiko kann verringert werden, wenn neben der Behandlung der kardiovaskulären Risikofaktoren auch die Krankheitsaktivität der entzündlichen rheumatischen Krankheiten behandelt wird (8).
Die Gicht ist gekennzeichnet durch eine Hyperurikämie, ein Abbauprodukt der Purine. Bei Adipositas, Diabetes, aber auch im Alter tritt sie häufiger auf. Auch hier ist die kardiovaskuläre Mortalität mit der Krankheitsaktivität der Gicht assoziiert (9). In einer Studie konnte gezeigt werden, dass in den 60 bis 120 Tagen nach einem Gichtanfall das Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis um 50% erhöht ist (10).
Antientzündliche Ernährung – Evidenz und Risiken Eine antientzündliche Ernährung ist nicht leicht zu definieren. Aus Bevölkerungsstudien in den 1950er-Jahren kamen erste Hinweise, dass Personen mit einem bestimmten Ernährungsstil ein geringeres kardiovaskuläres Risiko aufweisen. Verschiedene Ernährungsformen wurden dazu gerechnet: mediterran, nordisch, Okinawa, mexikanisch, DASH (Dietary Approaches to Stop Hypertension) (11).
Diese Ernährungsformen haben gemeinsame Merkmale: Sie sind reich an Früchten und Gemüse, Nüssen und Samen, enthalten eher Vollkorngetreide, sind reich an Omega-3- Fettsäuren und einfach ungesättigten Fetten. Sie enthalten aber wenig verarbeitete Nahrungsmittel, wenig rotes oder verarbeitetes Fleisch und wenig gezuckerte Getränke oder raffinierten Zucker.
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Eine Übersicht, welche Lebensmittel in kardiovaskulärer Hinsicht protektiv wirken bzw. einzuschränken sind, bietet das Universitätsspital Genf (12), siehe auch Linktipp.
LINKTIPP
Welche Evidenz hat eine antientzündliche Ernährung? Nach den Beobachtungsstudien wurden die Ernährungsformen auch in Interventionsstudien untersucht. Eine Metaanalyse hat verschiedene randomisierte, kontrollierte Studien vom Typ «mediterran» und «nicht mediterran» verglichen und auch den Einfluss auf die Biomarker gemessen. Die mediterrane Diät zeigt die deutlichste Reduktion von Entzündungsparametern wie IL-1 und IL-6 sowie CRP. Bei den anderen Diäten wie DASH, vegetarischer und veganer Ernährung sind die Tendenzen weniger klar (13).
Eine andere systematische Literaturübersicht untersuchte, welche Nahrungsmittel das CRP beeinflussen. Rotes und verarbeitetes Fleisch, Bier, wenig Früchte, wenig Gemüse, wenig Vollkornprodukte sind mit einer Erhöhung von CRP assoziiert, der Konsum von viel Früchten, Gemüsen, Vollkornprodukten und Fisch mit einer Erniedrigung (14).
Indizes Verschiedene Studien haben Indizes erstellt und versucht, Lebensmitteln und Nährstoffe in eher entzündungsfördernde und entzündungshemmende Gruppen einzuteilen. Sie verwendeten dazu beispielsweise «empirische Entzündungsmuster in der Ernährung», Resultate aus Kohortenstudien, die Nahrungsmittel kategorisierten, die bestimmte Biomarker senken oder erhöhen (15–17).
Klinische Studien Eine grosse randomisierte und kontrollierte Studie aus Spanien verglich eine mediterrane mit einer fettarmen Diät. In der Gruppe der mediterranen Diät gab es zwei Untergruppen, entweder angereichert mit Olivenöl oder mit Nüssen. Personen mit einem hohen kardiovaskulären Risiko erlitten unter einer mediterranen Diät, ergänzt mit Olivenöl oder mit Nüssen, weniger Herz-Kreislauf-Ereignisse als Patienten mit einer fettreduzierten Diät (18).
Rheumatoide Arthritis Bei der rheumatoiden Arthritis wurden kontrollierte Studien mit verschiedenen Diäten untersucht. Eine grosse Metaanalyse kam zum Schluss, dass mehrfach ungesättigte Fettsäuren als Teil der Ernährung und Supplementation von Omega-3-Fettsäuren (> 2 g/Tag) einen positiven Effekt auf die Aktivität der rheumatoiden Krankheiten haben können. So konnten sowohl klinische Symptome wie Gelenkschmerzen als auch Laborparameter günstig beeinflusst werden. Die Reduktion der Entzündungen in den Gelenken hat auch einen Einfluss auf das kardiovaskuläre Risiko (19,20).
So empfiehlt die Société Française de Rhumatologie denn auch eine mediterrane Ernährung und ausreichend Omega3-Fettsäuren. Diese können allenfalls auch bis zu 2 g/Tag supplementiert werden.
Ernährungsempfehlungen zur kardiovaskulären Gesundheit, Universitätsspital Genf (Fiches de nutrition cardiovasculaire)
Empfehlungen für Gicht Einige Nahrungsmittel fördern eine Hyperurikämie, so z.B. Bier, Likör, Wein, Kartoffeln, rotes Fleisch, während andere die Urikämie verringern: Eier, Erdnüsse, Getreide, entrahmte Milch, Käse, Vollkornbrot, Margarine, Früchte ausser Zitrusfrüchten. Die westliche Ernährung kann das Risiko für die Gicht stark erhöhen, DASH und auch «prudent diet» (eine fett- und cholesterinkontrollierte Ernährung) senken das Risiko (21). Bei Patienten, die bereits an einer Gicht leiden, spielt allerdings die Genetik ebenfalls eine wichtige Rolle, der Einfluss der Ernährung ist begrenzt (22).
Grenzen der Ernährungsberatung Die Ernährungsempfehlungen ersetzen eine medizinische Therapie der chronischen Krankheiten nicht. Man sollte nicht nur Nahrungsmittelgruppen weglassen, sondern auch einen Vorschlag für den Ersatz machen. Wird Fleischverzicht empfohlen, sollte darauf geachtet werden, dass andere eiweissreiche Nahrungsmittel auf den Speiseplan kommen, um eine Mangelernährung zu vermeiden (z.B. Milchprodukte). Gewisse Personen können auch Probleme haben, so viel Gemüse und Früchte zu essen. Bei Supplementen wie z.B. Omega-3-Fettsäuren muss man darauf achten, Überdosierungen zu vermeiden. Ungünstig ist auch, wenn sich die Patienten aus lauter Angst stark einschränken und sich dadurch sozial isolieren.
Barbara Elke
Quelle: PD Dr. med. Kim Lauper, Leitende Ärztin, Service de Rhumatologie, Hôpitaux universitaires de Genève (HUG), Faculté de Médecine, Université de Genève: «Alimentation anti-inflammatoire: evidences et risques», 37ème Journée genevoise de nutrition clinique 2025, 27.3.25
Referenzen: 1. Netea MG et al.: A guiding map for inflammation. Nat Immunol. 2017
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12. Hôpitaux Universitaires Genève: Fiche nutrition – Les aliments protecteurs. Nov 2024. https://www.hug.ch/sites/interhug/files/ documents/fiches-nutrition.pdf
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