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Vielversprechende Therapieoption: Vitamin K2 gegen nächtliche Wadenkrämpfe
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Viele Personen leiden an nächtlichen Wadenkrämpfen. Oftmals stellen diese sowohl Patienten als auch Ärzte vor Herausforderungen. Therapien, die sich als sicher und wirksam erwiesen haben, gibt es bislang nicht. Das könnte sich nun ändern: Vitamin K2 scheint eine vielversprechende Option zur Linderung der Beschwerden, wie eine im «JAMA Internal Medicine» publizierte chinesische Studie zeigt.
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Rubrik
MEDIZIN — Studien
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82393
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STUDIE
Vielversprechende Therapieoption
Vitamin K2 gegen nächtliche Wadenkrämpfe
Viele Personen leiden an nächtlichen Wadenkrämpfen. Oftmals stellen diese sowohl Patienten als auch Ärzte vor Herausforderungen. Therapien, die sich als sicher und wirksam erwiesen haben, gibt es bislang nicht. Das könnte sich nun ändern: Vitamin K2 scheint eine vielversprechende Option zur Linderung der Beschwerden, wie eine im «JAMA Internal Medicine» publizierte chinesische Studie zeigt.
JAMA Internal Medicine

Bei 50–60% der Erwachsenen treten im Laufe des Lebens nächtliche Wadenkrämpfe auf. Je nach Häufigkeit und Ausmass der Beschwerden kann es zu Schlafstörungen und erheblichem Leidensdruck kommen. Die Wirksamkeit bisheriger Therapieansätze, u.a. die Einnahme von Magnesium oder von Kalziumkanalblockern, ist wissenschaftlich noch unzureichend belegt. Einzig Chinin hat sich als mässig wirksam erwiesen, allerdings wird es aufgrund der möglichen schweren Nebenwirkungen nicht mehr empfohlen.
Eine neue und vielversprechende Therapieoption scheint Vitamin K2 zu bieten, wie eine kürzliche Arbeit von Tan et al. zeigt. In einer doppelblinden, randomisierten, plazebokontrollierten Multizenterstudie untersuchten die Autoren zwischen September 2022 und Dezember 2023 Personen im Alter von 65 und mehr Jahren, bei denen innerhalb eines zweiwöchigen Screening-Zeitraums mindestens zwei Episoden unerklärter nächtlicher Wadenkrämpfe dokumentiert worden waren.
199  Studienteilnehmer (Durchschnittsalter 72,3  Jahre, 54,3% Frauen) wurden eingeschlossen und erhielten über 8 Wochen entweder Vitamin K2 (Menachinon 7 [MK-7]) 180 µg (n  =  103) oder Plazebo (n  =  96). Als primärer Endpunkt wurde die wöchentliche Anzahl nächtlicher Krampfepisoden definiert. Sekundäre Endpunkte umfassten die Dauer (in Minuten) und Intensität (anhand einer Skala von 0–10) der Krämpfe.
Weniger häufig, weniger stark, weniger lang Zu Beginn der Untersuchung war die Häufigkeit der Krampfepisoden in den beiden Gruppen vergleichbar (im Mittel 2,60 bzw. 2,71 pro Woche). Im Laufe der achtwöchigen Intervention nahm die Anzahl Krämpfe unter Vitamin K2 jedoch deutlich, auf durchschnittlich 0,96 pro Woche, ab (unter Plazebo: Anstieg auf 3,63). Dieser Unterschied zwischen den beiden Gruppen war statistisch signifikant (–2,67; 95%-Konfidenzintervall: –2,86 bis –2,49; p  <  0,001) und hatte sich bereits von der ersten Interventionswoche an abgezeichnet. Die Dau- er und die Intensität der nächtlichen Beinkrämpfe nahmen in beiden Gruppen ab, deutlicher stärker jedoch unter Vitamin  K2; diese Unterschiede waren allerdings nicht signifikant. Nebenwirkungen unter Vitamin K2 wurden keine dokumentiert. Diese Studie basiert auf einer früheren Untersuchung (1), an der Erstautor Tan mitbeteiligt war, die zeigte, dass Vitamin  K2 bei Hämodialysepatienten einen positiven Effekt auf Muskelkrämpfe hat. Bei ihnen konnte ebenfalls eine Reduktion der Häufigkeit, Dauer und Intensität der Krämpfe festgestellt werden. Die Autoren räumen auch Limitationen der aktuellen Studie ein. So habe sie weder die Schlaf- noch die Lebensqualität der Studienteilnehmenden näher untersucht. Um die Auswirkung von Vitamin K2 auf die Schlaf- und Lebensqualität beurteilen zu können, seien weitere Studien nötig. Eine andere Einschränkung seien die eher milden Beschwerden der Studienpopulation (durchschnittlich 2,6–2,7 Episoden pro Woche; 3,3–3,6/10 auf der Schwereskala; 1,15–1,3 Minuten pro Episode), was keine Aussage über die Wirksamkeit von Vitamin  K2 bei schwerer Symptomatik erlaube. In der vorangehenden Studie, an der Tan beteiltig war, konnte es zwar die schwerer ausgeprägten Krampfbeschwerden der Hämodialysepatienten ebenfalls lindern, dennoch müssten hierzu weitere Untersuchungen erfolgen, schreiben die Autoren. In einem Kommentar (2) zur Studie wird auf weitere Limitationen hingewiesen und die Wichtigkeit von Folgestudien bekräftigt. So sei die Studienpopulation für eine allgemeine Aussage zu klein und zu wenig representativ gewesen; verschiedene Altersgruppen, Ethnien und geografische Regionen müssten mitberücksichtigt werden. Auch seien Follow-upStudien nötig zur Beurteilung von Langzeitwirkung und Sicherheit. Ferner könnte anhand objektiver Messinstrumente (Elektromyografie, Fragebögen) die Aussagekraft erhöht werden. 474 ars medici 14 | 2025 STUDIE Mechanismus noch weitgehend unbekannt Vitamin K2 ist ein fettlösliches Vitamin, das an der Carboxylierung und damit Aktivierung verschiedener Vitamin-K-abhängiger Proteine beteiligt ist. Diese wiederum spielen für die Blutgerinnung, Gefässverkalkung sowie den Knochenstoffwechsel eine Rolle. Laut den Autoren ist der genaue Mechanismus hinter der Wirkung von Vitamin K2 auf Muskeln allerdings noch wenig verstanden; man vermutet aufgrund verschiedener Studien, dass es an der Regulierung des Kalzium-Haushaltes beteiligt ist. Die Autoren schreiben weiter, Vitamin K2 sei ein nachweislich sicheres Nahrungsergänzungsmittel – es gebe keine unerwünschten Nebenwirkungen bei gesunden Individuen, weshalb die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) keine zulässigen Höchstwerte für die Einnahme festgelegt hätten. Allerdings sei die Anwendung bei Patienten unter Antikoagulation mit Warfarin nicht empfohlen, da Vitamin K2 deren Wirkung aufhebe, warnen die Autoren. Fazit Basierend auf ihre Studienergebnisse schliessen Tan et  al., dass die tägliche Einnahme von Vitamin K2 eine wirksame und sichere Behandlungsmöglichkeit von nächtlichen Waden- krämpfen bei älteren Patienten sei. Sie empfehlen ausserdem weitere Studien zur Untersuchung des Einflusses von Vit- amin K2 auf die Schlaf- und Lebensqualität. AC  Quelle: Tan J et al.: Vitamin K2 in Managing Nocturnal Leg Cramps: A Randomized Clinical Trial. JAMA Intern Med. 2024;184(12):1443-1447. doi:10.1001/jamainternmed.2024.5726 Interessenlage: Die referierte Studie wurde unterstützt vom The Third People’s Hospital of Chengdu Scientific Research Project (2023PI05) und der China Health Promotion Foundation (Grant Z093001). Dr. Tan deklarierte zudem nicht finanzielle Unterstützung von Sungen Biotech während der Durchführung der Studie; ausserdem persönliche Zuschüsse von Beigene, AbbVie, Pfizer, Xian Janssen Pharmaceutical und Takeda Pharmaceutical, unabhängig von der eingereichten Arbeit. Es wurden keine weiteren Interessenkonflikte angegeben. Referenzen: 1. Xu D et al.: Vitamin K2 as a potential therapeutic candidate for the prevention of muscle cramps in hemodialysis patients: A prospective multicenter, randomized, controlled, crossover pilot trial. Nutrition. 2022;97:111608. doi:10.1016/j.nut.2022.111608 2. Yuan Y, Wang X: Vitamin K2 for Nocturnal Leg Cramps: Future Directions to Enhance Clinical Translation. JAMA Intern Med. 2024 Oct 30; available from: https://jamanetwork.com/journals/ jamainternalmedicine/fullarticle/2825457 3. Cirilli I et al.: Carboxylative efficacy of trans and cis MK7 and comparison with other vitamin K isomers. Biofactors. 2022;48(5):1129-1136. doi:10.1002/biof.1844 4. Szterk A et al.: Identification of cis/trans isomers of menaquinone-7 in food as exemplified by dietary supplements. Food Chem. 2018;243:403409. doi:10.1016/j.foodchem.2017.10.001 5. Marles RJ et al.: US Pharmacopeial Convention safety evaluation of menaquinone-7, a form of vitamin K. Nutr Rev. 2017;75(7):553-578. doi:10.1093/nutrit/nux022 6. Lal N, Berenjian A: Cis and trans isomers of the vitamin menaquinone-7: which one is biologically significant? Appl Microbiol Biotechnol. 2020;104(7):2765-2776. doi:10.1007/s00253-020-10409-1 Vitamin K2: Steckbrief (3–6) Vitamin K2 (Menachinon) gehört mit Vitamin K1 (Phyllochinon) zu den natürlich vorkommenden K-Vitaminen. Diese umfassen eine Gruppe strukturverwandter, fettlöslicher Verbindungen, die u.a. für Prozesse im Rahmen der Blutgerinnung, Knochenmineralisation und Prävention von Arteriosklerose wichtig sind. Im Gegensatz zu Vitamin K1, das 75–90% des via Lebensmittel zugeführten Vitamin K ausmacht, ist Vitamin K2 in der Nahrung nur in geringen Mengen verfügbar und wird auch von Darmbakterien produziert. Allerdings wird es besser resorbiert und in extrahepatisches Gewebe wie Knochen und Gefässwände verteilt. Dies trifft insbesondere auf seine Unterform Menachinon-7 (MK-7) zu, das unter den K-Vitaminen die höchste Bioverfügbarkeit und biologische Aktivität aufweist. MK-7 findet sich in geringen Mengen in tierischen Produkten (Eier, Fleisch) sowie in fermentierten Lebensmitteln, insbesondere Natto (fermentierte Sojabohnen, Japan), aber auch Käse oder Sauerkraut. In Anbetracht der physiologischen Bedeutung von Vitamin  K2 (u.a. Prävention von Osteoporose und kardiovaskulären Erkrankungen) und der geringen natürlichen Verfügbarkeit rückt die Entwicklung von Supplementen zunehmend in den Vordergrund. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass MK-7 in Form verschiedener geometrischer Isomere – cis, trans, cis/trans  – vorliegt, wobei sich einzig die all-trans-Form als biologisch aktiv erwiesen hat. Die Zusammensetzung eines Substitutionspräparates ist also von entscheidender Bedeutung für dessen Wirksamkeit. ars medici 14 | 2025 475