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BERICHT
Sex, Psyche, Haut
Diabetes schlägt nicht nur aufs Herz
Diabetes begünstigt nicht nur Folgekomplikationen an Herz, Augen und Niere. Denn von glykämischen Schwankungen sind alle Zellen betroffen. Welche Auswirkungen Diabetes auf die Haut, die Sexualfunktion sowie auf die Psyche und das Gehirn haben kann, erklärten Experten am Deutschen Diabeteskongress (DDG) in Berlin.
Patienten mit Diabetes haben ein erhöhtes Risiko, andere Erkrankungen zu entwickeln, beispielsweise psychische oder neurologische: Eine Hypoglykämie kann unter an derem affektive und kognitive Störungen auslösen, zu Unruhe, Nervosität sowie neurologischen Defiziten führen. Unter den möglichen Langzeitfolgen von häufig erlittenen Hypoglykämien finden sich Depression sowie Demenz. Aber auch Hyperglyk ämien können das Demenzrisiko erhöhen, wie Dr. Cornelia Woitek, Diabetes Exzellenz Zentrum, Wurzen (D), ausführte.
Eine grosse britische Kohortenstudie mit ≥ 50-jährigen Teil nehmern zeigte über den Zeitraum von 30 Jahren ein umso höheres Demenzrisiko, je schlechter die glykämische Kontrolle war: Bestätigte hypoglykämische Ereignisse oder mikrovas kuläre Komplikationen erhöhten das Risiko für eine Demenz entwicklung um 30% im Vergleich zu Teilnehmern ohne Diabetes, und eine Zunahme des HbA1c-Werts um 1% verur sachte eine Steigerung des Demenzrisikos um 8% (1).
Veränderungen im Gehirn von Patienten mit Typ-2-Diabetes zeigen sich auch in Form von Aufmerksamkeitsdefiziten durch Degeneration der Exzitationsbahnen in den Amygdalae, den Frontallappen und den Gyri cinguli. Es findet eine Abschwä chung der Aktivierung von Frontallappen und Amygdala bei emotionaler Beanspruchung statt – besonders bei negativen Emotionen. In einer Studie konnten Typ-2-Diabetespatienten (n = 30) mittleren Alters mit schlecht eingestelltem Stoffwechsel schematisch gezeichnete Gesichtsausdrücke glücklich/neutral oder traurig deutlich langsamer erkennen als 30 Gesunde (2).
20–30% der Diabetespatienten erleiden im Lauf ihres Lebens eine Depression. Umgekehrt erhöht eine Depression auch das Risiko für die Entwicklung einer Diabeteserkrankung, dies durch körperliche Inaktivität. Der WHO-5-Wohlbefindens-
KURZ UND BÜNDIG
• Diabetes begünstigt die Entwicklung von Demenz und Depression.
• Zu häufigen Hautproblemen von Diabetespatienten gehören unter anderem Vitiligo, Follikulitis, Nagel- und Fusspilz sowie Pruritus.
• Eine Behandlung der bei Diabetespatienten häufig auftre tenden Sexualfunktionsstörungen steigert die Lebensqua lität erheblich.
Index mit fünf Fragen, die durch den Patienten ausgefüllt werden können, ist ein valides Instrument zum Depressions screening bei Patienten mit Diabetes (3). Der Patient fühlt sich durch diese Fragen zudem ernst genommen. Das Screening soll einmal jährlich durchgeführt werden. Bei weniger als 13 von 25 möglichen Punkten erhebt sich ein Verdacht auf eine klinisch bedeutsame Verstimmung, die eine spezifische De pressionsdiagnostik sinnvoll erscheinen lässt.
Neben direkten Folgen eines Diabetes mellitus kann auch der Umgang mit einer Diabeteserkrankung psychisch sehr belastend sein. Dieser dauerhafte Distress kann durch häufige Meldungen eines CGM(continuous glucose monitoring)-Sys tems noch verstärkt werden, wie die Referentin ergänzte.
Häufige Hautprobleme bei Diabetes Eine gestörte Hautbarriere, erhöhte Glukosekonzentrationen in der Epidermis und ein gestörtes Immunsystem führen dazu, dass Diabeteshaut viel häufiger von bakteriellen oder mykotischen Hautinfektionen betroffen und nicht in der Lage ist, den Erreger selbst zu bekämpfen. In der Regel sind diese Hautinfektionen aber leicht zu behandeln, wie Dr. Stella Belz, Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Venerologie, Universitätsklinikum Ham burg-Eppendorf (D), berichtete. Mehr als ein Drittel der Diabetes patienten entwickelt gemäss der Referentin Hautveränderungen oder Hauterkrankungen. Grund dafür ist die Glykierung von Hautzellstrukturen mit Störung der Signalkaskaden und der Funktion von Keratinozyten und Fibroblasten. Neuropathie und Mikroangiopathie führen ihrerseits zu Schweiss- und Talgdrü seninsuffizienz. Weiter schwächt eine Immunsuppression zu sammen mit einer gestörten Hautbarriere die Infektabwehr.
Zu häufigen Hautproblemen von Diabetespatienten, die vom Hausarzt behandelt werden können, gehören z.B. Vitiligo, Follikulitis, Nagel- und Fusspilz sowie Pruritus. Jeder zehnte Patient mit Typ-1-Diabetes leidet unter einer Vitiligo. Diese Autoimmundermatose ist in der Regel asymptomatisch, redu ziert aber die Lebensqualität der Betroffenen deutlich, so die Dermatologin. Auf Wunsch kann eine Therapie z.B. mit Mometason beim Hausarzt erfolgen. Wenn die Therapie nicht ausreichend anspricht oder im Gesicht durchgeführt werden soll, ist eine Überweisung zum Dermatologen sinnvoll. Die Kombination Typ-1-Diabetes und Vitiligo sollte auch an ein polyglanduläres Autoimmunsyndrom denken lassen. Ein UVSchutz ist bei Patienten mit Vitiligo ausserdem obligat.
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Bei Patienten mit Diabetes tritt auch häufig eine Follikulitis auf. Diese bakterielle Infektion der Haarfollikel, meist ausge löst durch Staphylococcus aureus, kann mit einer antisepti schen Waschlotion (z.B. Stellisept®) und mit FusidinsäureCreme (Fucidin®, Fusicutan®) 1–2 ×/Tag bis zur Abheilung behandelt werden. Bei starker Ausbreitung und/oder Abs zessbildung ist zusätzlich ein systemisches Breitbandanti biotikum angezeigt.
Häufig – auch ohne Diabetes – sind Onychomykosen, meist ausgelöst durch Dermatophyten. Bei Patienten mit Diabetes kann dies insofern problematisch werden, als dass verdickte Nagelplatten bei gleichzeitig vorhandener Mikroangiopathie zu Drucknekrosen und in der Folge zu diabetischen Fussulzera führen können. Die Therapie richtet sich nach der Stärke des Befalls der distalen Nagelplatte: Bei < 50% reicht eine topi sche Therapie z.B. mit ciclopiroxhaltigem Nagellack (z.B. Ci clocutan®, Ciclopoli®, Ciclopirox®) einmal täglich bis zum voll ständigen gesunden Nachwachsen des Nagels. Bei befallenen Fussnägeln kann dies bis zu 12 Monate in Anspruch nehmen. Bei einem > 50%igen Befall der distalen Nagelplatte ist zu sätzlich eine systemische Therapie mit Terbinafin angezeigt. Ein etabliertes Schema ist 250 mg/Tag während der ersten Woche, anschliessend einmal wöchentlich 250 mg für bis zu ein Jahr (4). In zweiter Linie kann Itraconazol 200 mg/Tag oder Fluconazol 150 mg/Woche angewendet werden.
Bei einer Tinea pedis reicht dagegen eine topische Therapie z.B. mit Miconazol-Creme (Decoderm®, Daktarin®) oder -Paste oder Ciclopirox-Creme (Mycoster®). Pasten eignen sich für aufgeweichte und feuchte Hautstellen, weil sie austrocknend wirken, Cremen eher für trockene oder schuppige Hautpartien. Das Therapeutikum soll 1–2 ×/Tag bis 2 Wochen über die Ab heilung hinaus aufgetragen werden. Überdies sollen die Füsse trocken gehalten, die Socken täglich bei 60° C gewaschen und die Schuhe täglich desinfiziert werden, wie die Expertin anfügte.
Ein weiteres häufiges (30%) Hautproblem bei Diabetespa tienten ist der Pruritus diabeticorum. Der Juckreiz entsteht aufgrund von Kratzläsionen bei Hauttrockenheit. Um in der Folge die Hautbarriere zu schützen, soll langes und heisses Duschen vermieden und die Haut täglich mit rückfettenden Cremes (z.B. mit Urea) eingecremt werden. Symptomatisch kann der Juckreiz mit Polidocanol (syn. Macrogollaurylether) enthaltenden Cremes (z.B. Optiderm®) behandelt werden. Diese Substanz wirkt juckreizlindernd, schmerzlindernd und lokalanästhetisch. Zusätzlich ist eine Optimierung der häufig schlechten Stoffwechsellage hilfreich.
Zu weiteren häufigen Hautkrankheiten bei Patienten mit Diabetes zählen z.B. Pyoderma gangraenosum, Lichen ruber, Acanthosis nigricans, Necrobiosis lipoidica. Diese Erkrankun gen sind nicht einfach zu behandeln, weswegen eine Über weisung zum Dermatologen sinnvoll ist.
Tipps für die hausärztliche Behandlung Ein Funktionsverlust der Haut und ein gestörtes Immunsystem begünstigen Infektionen. Deshalb seien eine gute Basispflege der Haut mit Urea 10–15% und eine Rückfettung wichtig, so die Dermatologin. Fuss- und Nagelpilze bei Patienten mit Dia
betes sollten wegen des Risikos für Drucknekrosen unbedingt behandelt werden. Dazu eignen sich Ciclopirox bzw. Nystatin (Multilind®) bei Intertrigo. Für die Therapie von nicht infektiö sen Dermatosen bei Diabetespatienten eignen sich Kortison präparate wie Mometasonfuroat (Ovixan®, Klasse III) und Methylprednisolonaceponat (Advantan®, Klasse II). Diese zwei Steroidpräparate haben gemäss der Referentin den besten therapeutischen Index.
Sexualfunktion häufig gestört Störungen der Sexualfunktion sind die häufigsten Komplika tionen bei Diabetes. Die Patienten schweigen aus Scham dar über und die Therapeuten aus Zeitmangel, wie Prof. Dr. Thomas Haak, Diabetes Zentrum Mergentheim (D), berichtete. Die Frage danach sei aber wichtig und das Angebot einer separaten Sprechstunde mit diesem Thema eine gute Investition. Denn eine sachgerechte Intervention trage erheblich zur Steigerung der Lebensqualität bei Betroffenen bei.
Eine gestörte Sexualfunktion findet sich bei etwa einem Drittel der Normalbevölkerung, bei Patienten mit Diabetes liegt die Inzidenz bei 40–70%. Störungen der Sexualfunktion definieren sich als Unfähigkeit, auf sexuelle Stimulation eine entsprechende Reaktion zu erzielen und aufrechtzuerhalten, um einen erfüllten Orgasmus zu erleben. Das gilt sowohl für Männer als auch für Frauen. Als eine Folge von Diabetes kann es bei Frauen zu Vulvo dynie kommen, die sich häufig mit Brennen, Schmerzen und Juckreiz äussert. Diese Symptome seien mit Analgetika schlecht behandelbar, so der Referent. Besser zu behandeln seien eben falls häufige Folgekomplikationen bei Diabetes wie Lubrikations störungen und Dyspareunie. Hierfür könnten Gleitcremes, Be ckenbodengymnastik, Stimulationsgeräte (z.B. Cefar Peristim™️) hilfreich sein. Auch hormonelle Therapiemassnahmen könnten helfen, sollten jedoch von der Gynäkologin eingeleitet werden.
Die Sexualität bei Männern mit Diabetes wird vor allem durch die erektile Dysfunktion gestört. Ursache sind vaskuläre und neuronale Prozesse. Die erste Massnahme ist die Kontrolle der Medikation von allfälligen Begleiterkrankungen, die möglicher weise einen Einfluss auf die Sexualfunktion ausüben. Auch psy chische und Partnerschaftskonflikte sollten als mögliche Ursache für die Sexualstörung ausgeschlossen werden. Die erektile Dys funktion lasse sich mit Phosphodiesterase-5-Hemmern (Silde nafil, Vardenafil, Tadalafil) gut behandeln, wie der Referent aus führte. Auch Penisprothesen oder Vakuumpumpen sind eine Option. Bei letzteren existieren elektrische Systeme mit ein facher Handhabung (wie z.B. Active3® Erection System).
Für weitere Sexualstörungen sorgen Genital- und Harn wegsinfektionen, die bei Patienten mit Diabetes bei beiden Geschlechtern häufiger auftreten, insbesondere bei Patienten mit schlecht eingestelltem Diabetes (5). Eine Behandlung mit SGLT2-Hemmern kann Genitalinfektionen als Nebenwirkung ebenfalls begünstigen.
Valérie Herzog
Quelle: Jahreskongress der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), 25.–27. Juni, Berlin
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Referenzen: 1. Zheng B et al.: Glycemic Control, Diabetic Complications, and Risk of
Dementia in Patients With Diabetes: Results From a Large U.K. Cohort Study. Diabetes Care. 2021;44(7):1556-1563. doi:10.2337/dc20-2850 2. Hou D et al.: Facial expression recognition in patients with type 2 diabetes mellitus. Ann Transl Med 2019;7;654 3. World Health Organization (WHO): The World Health Organization-Five Well-Being Index (WHO-5). https://www.who.int/publications/m/item/ WHO-UCN-MSD-MHE-2024.01. Letzter Abruf: 25.6.25 4. Tietz HJ: Onychomykose bei Erwachsenen und Kindern. Erfolgreiche Therapie in der täglichen Praxis. Allgemeinarzt. 2017;639: 42-47. 5. Hirji I et al.: Incidence of genital infection among patients with type 2 diabetes in the UK General Practice Research Database. J Diabetes Complications. 2012;26(6):501-505. doi:10.1016/j.jdiacomp.2012.06.012
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