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Psychiatrie
PD Dr. med. Dr. phil. Dipl. Psych. Ulrich Michael Hemmeter Psychiatrische Dienste Graubünden, Chur, und Psychiatrisches Zentrum Appenzell Ausserrhoden
«Die gute Zusammenarbeit mit den Kollegen der Somatik ist sehr erfreulich»
Welche neuen Erkenntnisse des abgelaufenen Jahres in Ihrem Fachgebiet fanden Sie besonders spannend? Im Fachgebiet der Psychiatrie und Psychotherapie hat es im vergangenen Jahr keine «revolutionären» Neuerungen gegeben. Die Themen, die bereits in meinem Rückblick des Jahres 2023 beschrieben wurden, haben auch im Jahr 2024 die Arbeit in unserem Fachgebiet bestimmt. All diese Themen wurden weiterbearbeitet und haben im Jahr 2024 zum Teil zu Konkretisierungen und Spezifizierungen geführt. Deutlich wurde im vergangenen Jahr der zunehmende Druck auf die Versorgung von Patienten mit psychischen Erkrankungen, dies sowohl im Bereich der psychiatrischen Institutionen wie auch im niedergelassenen Bereich. Die Wartezeiten für Patienten haben sich weiter erhöht und die Versorgung von Krisen und Notfällen ist für die Institutionen zunehmend schwieriger geworden. Die Gründe hierfür liegen in einer Zunahme der psychischen Erkrankungen, insbesondere mittelschwerer und schwerer Depressionen sowie Suizidversuche bei jüngeren Menschen, aber auch demografisch bedingt in der älteren Bevölkerung (1) sowie in dem sich zunehmend bemerkbar machenden Fachkräftemangel. Die Einführung des Anordnungsmodells für psychologische Psychotherapie hat hier bisher zu keiner markanten Entlastung geführt. Weiterhin bestehen lange Wartezeiten, v.a. im Kinder- und Jugendpsychiatrischen Bereich (2,3). Während sich die besonderen und auch belastenden Arbeitsbedingungen, die unter der COVID-Pandemie vorherrschten, im vergangenen Jahr wieder weitgehend normalisiert haben, hat die Verunsicherung durch die weltpolitische und ökonomische Lage (Kriege, Inflation, Migration) sowie klimabedingte Katastrophen weiter zugenommen, mit Auswirkungen auf unser Fachgebiet. Dementsprechend waren an den beiden grossen Tagungen der Psychiatrie und Psychotherapie in der Schweiz (SGPPTagung in Bern) und Deutschland (DGPPN-Tagung in Berlin) im Jahr 2024 die Auswirkungen des Klimawandels, aber auch von Krieg und Migration auf die psychische Gesundheit der Bevölkerung und die damit verbundene klinisch-psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung Themen, denen ein grosser Stellenwert eingeräumt wurde.
Psychische und somatische Belastungen durch klimatische Extremereignisse wie Hitzewellen führen zu mehr Todesfällen und zu einer Befundverschlechterung bei psychisch erkrankten Menschen wie Schizophrenie und Demenz. Klimaangst (die Befürchtung, in Zukunft selbst direkt vom Klimawandel betroffen zu sein) kann sich als ein globales Phänomen in einer Population entwickeln, das aber auch den Einzelnen betrifft und in entsprechender Intensität dann auch Krankheitswert erreicht, der eine Behandlung erfordert. Unmittelbare Auswirkungen des Klimawandels auf die psychische Gesundheit, z.B. aktuelle Naturkatastrophen und Wetterereignisse, werden von indirekten Effekten unterschieden. Diese können eine Nahrungsmittelknappheit, wirtschaftliche Krisen oder eine umweltbedingte Migration auslösen (4,5). Diese Themen, Belastung durch Klimawandel und durch Kriege, bekommen für alle medizinischen Fachrichtungen, insbesondere auch für die Psychotherapie zunehmend mehr Gewicht. Auch die Neuerungen der ICD-11 (im Vergleich zu ICD-10) waren auf den Tagungen im Jahr 2024 weiterhin ein grosses Thema, wenngleich sich hinsichtlich der Einführung und Anwendung der ICD-11 im Jahr 2024 im Vergleich zu 2023 wenig geändert hat. Grundsätzlich kann zu diesem Thema aus Sicht der Psychiatrie gesagt werden, dass die ICD-11 noch nicht alltagspraxistauglich ist. Die Abrechnungen erfolgen weiterhin nach ICD-10, da noch nicht alle Kapitel übersetzt sind und die ICD-11 in den Abrechnungstools noch gar nicht hinterlegt ist. Dennoch kann es im Einzelfall Sinn ergeben, neben der ICD-10-Diagnose auch die ICD-11-Diagnose zu verwenden, da sie bei einzelnen Erkrankungen die klinisch vorliegende Konstellation besser erfasst als die ICD-10. Als Beispiel sei hier die klinische Diagnose einer Demenz genannt, die in der Kategorie «Neurokognitive Störungen» beschrieben wird. Durch die Möglichkeit in der ICD-11 (gegenüber ICD-10), die behavioralen und psychischen Symptome der Demenz, d.h. auch die Verhaltensstörungen, zu erfassen (6), lassen sich aus der ICD-11-Diagnose auch genauere Rückschlüsse auf die Art und Schwere der Demenzerkrankung ableiten und damit auch über den Betreuungsaufwand, der eine Grundlage für eine leistungsbezogene, adäquate tarifliche Vergütung darstellen kann. Die ICD-11 bietet im Gegensatz zur ICD-10 auch die Möglichkeit, Insomnien besser zu erfassen. Neu kann die Diagnose einer chronischen Insomnie gestellt werden, auch als Komorbidität z.B. bei einer Depression oder einer anderen zusätzlichen somatischen oder psychischen Erkrankung, wenn die Schlafstörung länger als drei Monate besteht. Damit ergibt sich die Möglichkeit, die Insomnie zusätzlich spezifisch zu behandeln. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Verschreibung des seit 2022 zugelassenen Hypnotikums Daridorexant (Quiviq®) von Relevanz (siehe unten).
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Wurden 2024 in Ihrem Fachbereich Medikamente zugelassen, die die Therapie erheblich verbessern? Antipsychotika Das Antipsychotikum Brexpiprazol (Rexulti®) wurde im September 2024 zusätzlich für die Indikation «Agitation bei Demenz» zugelassen. Es stellt somit eine Alternative wie auch eine Ergänzung zur bisher einzigen zugelassenen Psychopharmakotherapie mit Risperidon in dieser Indikation dar. Im Gegensatz zu Risperidon treten bei Brexpiprazol die bei Risperidon möglichen unerwünschten Nebenwirkungen, wie extrapyramidalmotorische Symptomatik, QT-Zeit-Verlängerung, starke Sedierung oder auch anticholinerge Nebenwirkungen, nahezu nicht auf. Es stellt somit aufgrund des günstigen Nebenwirkungsprofils eine gute Behandlungsalternative dar, gerade bei älteren Patienten mit Demenz und Verhaltensstörungen in Form von Agitiertheit dar (7,8). In der klinischen Anwendung wie auch auf der Grundlage der vorhandenen Studiendaten dauert es jedoch länger als bei Risperidon, bis die volle Wirkung eintritt (3–6 Wochen), sodass zur Akutbehandlung schwerer agitierter Zustände und Aggressivität bei Demenz Risperidon weiterhin der Vorzug zu geben ist (Ausnahme Lewy-Körper- und Parkinson-Demenz).
Antidementiva Weiter haben sich bei den im vergangenen Jahr bereits erwähnten weiteren Substanzen einige neue und wichtige Aspekte ergeben. Dies betrifft insbesondere die Therapie mit dem monoklonalen Antikörper Lecanemab bei Alzheimer-Erkrankung, der Amyloid-beta 1–42 erkennt, bindet und dadurch die Amyloidplaques auflösen kann. In der Schweiz hat die Firma Eisai im Jahr 2023 einen Antrag auf Zulassung gestellt, über den bisher noch nicht abschliessend entschieden wurde. In der EU hat sich am 18. November 2024 der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) für eine Zulassung des Wirkstoffs in der EU ausgesprochen. Die Substanz ist bereits in weiteren Ländern wie u.a. den USA, Japan, China und Südkorea zugelassen (9). Lecanemab kann jedoch nur unter sehr engen Indikationsbedingungen eingesetzt werden; nämlich bei Patienten, die bisher nur leicht betroffen sind, d.h. die im Schweregrad der Beeinträchtigung die Kriterien einer leichten kognitiven Störung oder eine leichtgradige Demenz erreichen, und bei denen ein positiver Nachweis von Amyloidplaques (im Amyloid-PET oder im Liquor), d.h. eine AlzheimerNeuropathologie, vorliegt (10). Die Therapie ist aufwändig mit wiederholten Infusionstherapien und nicht frei von Nebenwirkungen. Es können im MRI darstellbare ARIAVeränderungen (amyloid related imaging abnomalities) auftreten, die in den meisten Fällen asymptomatisch bleiben. Sie können sich auf ein Hirnödem beschränken (ARIAE), aber auch zu Einblutungen in das Hirnparenchym führen (ARIA-H). In seltenen Fällen kann es so zu schweren und lebensbedrohlichen Hirnödemen kommen. Die Gefahr von
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schweren intrazerebralen Blutungen besteht vor allem bei Patienten, die das ApoE-E4-Allel homozygot aufweisen (11). Daher ist ein entsprechender Gentest vor der Behandlung in einigen Ländern, in denen die Substanz bereits zugelassen ist, zwingend. Zudem müssen im Verlauf der Therapie aufgrund der möglichen Mikrohämorrhagien und Hirnödeme wiederholt MRI-Untersuchungen durchgeführt werden. Ein Fortschritt, der nicht nur diese Therapie, sondern die gesamte Diagnostik bei Morbus Alzheimer betrifft, ist die bereits vorhandene Möglichkeit, Amyloid-beta 1–42 aus dem Blut zu bestimmen, wodurch nicht nur die Diagnostik, sondern auch das Therapiemonitoring bei Alzheimer-Patienten wesentlich einfacher werden kann. Tests dazu befinden sich derzeit in der Schweiz im Zulassungsverfahren. Ein weiterer monoklonaler Antikörper der Firma Eli Lilly, Donazemab, ist bereits in den USA und Grossbritannien zugelassen und befindet sich in der Antragsphase bei der europäischen Arzneimittelzulassungsbehörde EMA und in der Schweiz bei Swissmedic.
Hypnotika Mit dem im Jahr 2022 zugelassenen Hypnotikum Daridorexant (Quviviq®) wurden im letzten Jahr zunehmend klinische Erfahrungen gesammelt, zudem liegen weitere, neue Daten zur Anwendung der Substanz vor (12). Während die klassischen Hypnotika (Benzodiazepine, Z-Substanzen wie Zolpidem und Zopiclon) aufgrund der Toleranz- und Abhängigkeitsproblematik nur für die kurzzeitige Anwendung (bis zu vier Wochen) zugelassen sind, ist Daridorexant als einziges Hypnotikum im deutschsprachigen Raum in der Indikation «chronische Insomnie» für eine längere Anwendung zugelassen. Die ICD-11 bietet (im Gegensatz zur ICD-10) nun die Möglichkeit, eine chronische Insomnie zu diagnostizieren (Kriterium: Ein- und/oder Durchschlafstörungen über drei Monate mit Auswirkung auf die Alltagsfunktionalität). Sind diese Kriterien erfüllt, kann auch bei Komorbiditäten, wie z.B. einer Depression, eine chronische Insomnie diagnostiziert und Daridorexant «on-label» eingesetzt werden (Code: Chronische Insomnie 7A00). Seit der Zulassung hat sich im klinischen Einsatz gezeigt, dass diese Substanz sehr gut verträglich ist und v.a. kein Potenzial zur Toleranzentwicklung und zur somatischen Abhängigkeit besitzt. Im Vergleich zu den bestehenden Hypnotika hat Daridorexant einen völlig anderen Wirkmechanismus, indem es antagonistisch im Orexin-Rezeptor-System und somit direkt in die Schlaf-Wach-Regulation eingreift. Neben einer Verbesserung des Ein- und Durchschlafens zeigen sich auch Effekte auf die Schlafarchitektur im Sinn der Entwicklung eines normalen Schlafprofils mit einer Zunahme von Tief- und REM-Schlaf, ohne dass die Vigilanz am Tag beeinträchtigt ist (13). Es gibt keine Altersbeschränkung. Etwa 40% der Teilnehmer in den bisherigen Studien waren über 65 Jahre alt, sodass die Substanz auch in dieser Altersgruppe, die ja häufig
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von Schlafstörungen wie auch von Komorbiditäten betroffen ist, gut angewendet werden kann (14).
Psychedelika Bereits in meinen letzten Jahresrückblicken wurde auf das wieder zunehmende Interesse am Einsatz von Psychedelika bei der Behandlung psychischer Erkrankungen hingewiesen. Bereits seit 2014 sind mit Bewilligung durch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) eingeschränkte medizinische Anwendungen möglich; dies jedoch nur nach vorherigem Antrag an das BAG zur Durchführung eines individuellen Heilversuchs. Aufgrund des zunehmenden Interesses wurden von der Schweizer Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP) Empfehlungen erarbeitet und im Jahr 2024 publiziert, die den aktuellen Stand des Wissens wie auch die noch vorhandenen Wissenslücken zum Einsatz der Psychedelika, speziell vom Psylocybin Lysergsäurediethylamid (LSD), von Dimethyltryptamin (DMT, wirksamer Bestandteil von Ayahuasca) und MDMA (3,4Methylendioxy-N-methylamphetamin) detailliert zusammenfassen (15). Dort sind die möglichen Indikationen, die Kontraindikationen, Neben- und Wechselwirkungen mit anderen Substanzen wie auch die Voraussetzungen und Empfehlungen für die Durchführung detailliert beschrieben. Indikationen sind vornehmlich therapieresistente Depressionen, Angsterkrankungen, Alkoholabhängigkeit und posttraumatische Belastungsstörungen. Die Psychedelika fallen dabei unter die Third-Line-Behandlungsstrategie. Sie kommen dann zur Anwendung, wenn die Patienten auf die erste (Standard-)Behandlung und eine zweite evidenzbasierte Strategie bei Therapieresistenz nicht ansprechen. Die Kriterien zum Einsatz von Psychedelika sind streng: Die betreffende Erkrankung muss durch dokumentiertes Therapieversagen als unheilbar eingestuft sein, ein positiver Effekt für die Erhaltung der Autonomie muss zu erwarten und die Indikation muss durch Studien untermauert sein (16). Eine weitere Third-Line-Strategie ist die Behandlung mit Esketamin bei therapieresistenter Depression, deren intranasale Anwendung seit 2020 in der Schweiz zugelassen ist und für die bereits eine recht hohe Evidenz vorliegt (15).
Was hat Sie am meisten gefreut? Sehr erfreulich war im vergangenen Jahr die Meldung, dass der Bundesrat die Einführung eines neuen Arzttarifsystems auf das Jahr 2026 beschlossen hat und dieses das von der FMH entwickelte TarDoc weitgehend übernehmen soll, ergänzt durch einzelne Pauschalen. Das nicht mehr zeitgerechte Tarifsystem Tarmed wird somit abgelöst, wodurch sich für die Psychiatrie und Psychotherapie einige Verbesserungen ergeben werden. Diese Nachricht ist nicht nur für das Fachgebiet der Psychiatrie und Psychotherapie, sondern auch für die weiteren medizinischen Fachgebiete sicher sehr erfreulich. Sehr erfreulich ist auch das Abstimmungsergebnis vom vergangenen November, bei dem die Stimmbevölkerung
die Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Einheitliche Finanzierung der Leistungen, EFAS) mit 53,3% angenommen hat. Das bietet die Möglichkeit zu einer sachgerechteren, flexibleren und damit auch effizienteren Behandlung v.a. bei den chronischen Erkrankungen (wie Schizophrenie oder auch Demenz) in unserem Fachgebiet. Beide politischen Entscheide bieten somit die Grundlage für eine effizientere Finanzierung, aber vor allem auch für eine individuell besser abgestimmte Behandlung. Erfreulich ist auch die Entwicklung des im Januar 2023 eingeführten Anordnungsmodells «psychologische Psychotherapie». Mittlerweile ist dieses in den Regelbetrieb übergegangen. Nachdem im ersten Jahr der Einführung noch Unsicherheiten und Vorbehalte bestanden haben, wird es mittlerweile von den meisten Psychiatern als recht unproblematisch empfunden. Insbesondere ist die Überprüfung der Weiterführung der psychotherapeutischen Behandlung nach den angeordneten 30 Stunden durch Kinder- und Jugend- sowie Erwachsenenpsychiater mittlerweile weitgehend in die Routine übergegangen. Als sehr erfreulich erleben wir auch weiterhin die gute interdisziplinäre klinische Zusammenarbeit mit den Kollegen und Kolleginnen der Somatik, vor allem im Hinblick auf die Behandlung psychisch kranker Patienten mit somatischen Komorbiditäten, wie auch den guten Austausch in gemeinsamen Fort- und Weiterbildungen. Dies wie auch weitere Faktoren (Outing bekannter Personen des öffentlichen Lebens wie z.B. Sportler und Medienstars) führen zur weiteren Entstigmatisierung der Psychiatrie und vor allem der Patienten mit psychischen Erkrankungen.
Und was hat Sie am meisten geärgert? Wie bereits im letzten Jahr erwähnt, ist die mangelnde Verfügbarkeit verschiedener wichtiger Psychopharmaka auch im vergangenen Jahr ein grosses Thema gewesen. Neben Lorazepam (Temesta®), das weit verbreitet v.a. bei psychischen Akutsituationen, aber auch bei bestimmten Diagnosen langfristig angewendet wird, sind auch bei weiteren Medikamenten Engpässe aufgetreten. Beispielsweise war das bei Atomoxetin (Strattera®), das als einziges ADHSMedikament nicht auf der Dopingliste steht und somit für Leistungssportler mit ADHS und notwendiger medikamentöser Behandlung essenziell ist, oder auch Bupropion (Wellbutrin®), das ausser bei Depressionen auch bei ADHS eingesetzt werden kann, der Fall. Diese Problematik konnte auch im letzten Jahr nicht zufriedenstellend gelöst werden. Hier müssen aus unserer Sicht schnell Lösungsmöglichkeiten erarbeitet werden (17,18). Unerfreulich ist auch der sich weiter verschärfende Fachkräftemangel. Dieser betrifft das gesamte medizinische Fachgebiet, aber die Psychiatrie und Psychotherapie und noch mehr die Kinder- und Jugendpsychiatrie in besonderer Weise. Bisher ist es nicht gelungen, das Fachgebiet attraktiver zu machen und mehr Facharztkandidaten, die in der Schweiz studiert haben, zu akquirieren. Da auch immer
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weniger Ärzte mit einem Studienabschluss aus dem benachbarten Ausland kommen, müssen zunehmend Mediziner aus dem nicht deutschsprachigen Ausland, die dort in einer anderen Sprache studiert haben, eingestellt werden. Dies ist insbesondere im Fachgebiet der Psychiatrie und Psychotherapie ein Problem, da gerade bei der ArztPatienten-Beziehungsgestaltung sowie in der Psychotherapie eine hohe Sprachkompetenz notwendig ist, um die Sprachnuancen, die auch mit nonverbalen Äusserungen einhergehen können, zu verstehen und zu bewerten. Die psychiatrischen Institutionen, in denen ein Hauptteil der Facharztweiterbildung stattfindet, sind hier vor grosse Herausforderungen gestellt, da sie nicht nur das Facharztwissen und die notwendigen Fertigkeiten vermitteln, sondern auch die fachbezogene Sprachkompetenz weiter entwickeln müssen. Einen Vorteil bietet die Einstellung von ausländischen Ärzten jedoch im Hinblick auf die Versorgung fremdsprachiger Patienten mit nicht ausreichenden Deutschkenntnissen, die dann besser in ihrer Muttersprache behandelt werden können. In diesem Bereich (transkulturelle Psychiatrie) sind die Angebote noch selten, sodass hier ein grosser Entwicklungsbedarf besteht.
Was ist Ihre wichtigste «Message» für die Kolleginnen und Kollegen in der Hausarztpraxis? Wie in den letzten Jahren immer wieder betont, ist der zeitnahe, offene und transparente Austausch zwischen den Psychiatern und den Hausärzten unabdingbar. Dies weil a) viele Patienten mit psychischen und neuropsychiatrischen Erkrankungen sich primär Hilfe bei Hausärzten suchen und b) bei vielen dieser Patienten, die dann in die Behandlung von Psychiatern kommen, eine medizinisch-somatische Mitbehandlung notwendig ist. Dies ist nicht nur, aber in verstärktem Masse in der Alterspsychiatrie der Fall. Diese Patienten leiden neben der psychischen Erkrankung häufig an mehreren somatischen Komorbiditäten, die sich dann auch wieder auf die psychische Gesundheit auswirken können. Hier ist ein ganzheitlicher Ansatz gefragt, an dem Hausärzte und Psychiater in gleicher Weise beteiligt sein müssen. Für Hausärzte ist daher eine gute Kenntnis der psychischen Erkrankungen und vor allem deren Behandlungsmöglichkeiten von grosser Relevanz. Gemeinsame Fortbildungen wie auch gemeinsame Qualitätszirkel können hierzu den Austausch und das gegenseitige Verständnis fördern, um weiterhin eine gute, respekt- und vertrauensvolle Zusammenarbeit zu ermöglichen.
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