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Hypercholesterinämie & Hypertriglyzeridämie
Praxistipps zur Lipidsenkung
Zu hohe LDL-Cholesterin- und Triglyzerid-Werte haben eines gemeinsam: Sie steigern das kardiovaskuläre Risiko. Doch Triglyzeride können bei sehr hohen Werten auch ein Pankreatitisrisiko darstellen. Was in diesen Fällen zu tun ist, erläuterten Prof. Dr. Jean-Paul Schmid, Chefarzt Kardiologie und Departementsleiter Innere Medizin, Klinik Gais, und Prof. Dr. Philipp A. Gerber, Leitender Arzt für Endokrinologie, Diabetologie und klinische Ernährung, Universitätsspital Zürich, am AGLA-Kurs Klinische Lipidologie in Zürich.
Der LDL-Cholesterin(LDL-C)-Wert eines Neugeborenen liegt zwischen 0,8 und 1,8 mmol/l. Im Erwachsenenalter ist er je nach Weltregion auf mehr als das Doppelte angestiegen. In mediterranen Regionen beträgt er etwa 3–3,5 mmol/l, in den USA 4,5–5 mmol/l und in Nordeuropa 5 mmol/l. Was also treibt den LDL-C-Wert in die Höhe? Eine Ernährung mit hohem Anteil an gesättigten Fetten, Transfetten und Cholesterin und ein sitzender Lebensstil tragen zu erhöhten Werten bei. Ebenso Erkrankungen wie Diabetes, Hypothyreose, chronische Niereninsuffizienz, Adipositas und Alkoholabusus. Im Lauf der letzten 30 Jahre wurden die LDLC-Zielwerte jeweils nach den grossen Statin-Studien und zuletzt den Studien mit den PCSK9-Hemmern immer weiter gesenkt, sodass derzeit die Definitionen der European Society of Cardiology (ESC) abgestuft nach kardiovaskulärem Risiko bei 3,0 mmol/l bei tiefem Risiko, bei 2,6 mmol/l bei mittlerem Risiko, bei 1,8 mmol/l bei hohem Risiko und bei 1,4 mmol/l bei sehr hohem Risiko angesetzt sind.
Optionen zur Senkung Zur Senkung des LDL-C-Werts stehen verschiedene Medikamentenklassen zur Verfügung. Statine wirken über die kompetitive Hemmung der HMG-CoA-Reduktase (3-Hydroxy3-Methylglutaryl-Coenzym-A-Reduktase), was zu einer Senkung des LDL-C im Serum führt. Die Potenz kann durch die Wahl des Präparats und die Dosis gesteuert werden. Wird die Dosis eines Statins verdoppelt, erhöht sich seine Wirksamkeit um etwa 6% («rule of 6») (2). Mit den beiden potentesten Statinen Atorvastatin und Rosuvastatin ist in der Maximaldosierung jeweils die höchste Wirksamkeit bzw.
die stärkste mit Statinen mögliche LDL-C-Senkung zu erreichen (ca. 50%).
Ezetimib hemmt die Cholesterin-Absorption aus dem Dünndarm des über die Nahrung aufgenommenen sowie des über die Galle ausgeschiedenen Cholesterins. Ezetimib senkt den LDL-C-Spiegel um etwa 20%, in Kombination mit den stärksten Statinen ist damit eine Senkung von ca. 70% zu erreichen.
Bempedoinsäure hemmt die ATP-Citrat-Lyase, die der HMG-CoA-Reduktase vorgelagert ist. Dadurch wird die Cholesterin-Synthese gehemmt. Mit Bempedoinsäure ist eine LDL-C-Senkung von bis ca. 16–18% zu erwarten (3,4). Bempedoinsäure ist ein Prodrug, dessen Umwandlung in die aktive Substanz nur in der Leber erfolgt, sie wird in der Skelettmuskulatur nicht aktiviert. Somit kann Bempedoinsäure bei Statinunverträglichkeit eine Alternative darstellen. In einer OutcomeStudie bei Statin-intoleranten Patienten war der LDL-C-Wert mit Bempedoinsäure nach drei Monaten um 21,7% gegenüber dem Ausgangswert gesunken, nach 60 Monaten um 26,1%. Das Risiko für tödliche und nicht tödliche Myokardinfarkte verringerte sich im Vergleich zu Plazebo signifikant um 23%.
Eine weitere Möglichkeit, den LDL-C-Spiegel zu senken, stellen PCSK9-Hemmer dar. Dabei handelt es sich um monoklonale Antikörper, die an das Protein PCSK9 (Proproteinkonvertase Subtilisin Kexin Typ 9) binden und so die Aufnahme von LDL-C aus dem Blut in die Leber erhöhen. Das führt zu einer signifikanten Abnahme von LDL-C im Blut um etwa 60%. In Kombination mit einem hochwirksamen Statin kann eine Reduktion um etwa 75%, mit zusätzlich Ezetimib um 85% erreicht werden. Mit Inclisiran, einem Small-interfering-RNA-Wirkstoff (siRNA), lässt sich eine Senkung des LDL-C-Spiegels um etwa 50% erreichen. Die Wirkung beruht auf dem Abbau der mRNA von PCSK9.
KURZ UND BÜNDIG
• Die LDL-C-Zielwerte richten sich nach dem kardiovaskulären Risiko.
• Bei moderater Hypertriglyzeridämie ist die Senkung des kardiovaskulären Risikos das Ziel.
• Bei schwerer Hypertriglyzeridämie muss das Pankreatitisrisiko prioritär reduziert werden.
Wenn die Triglyzeride erhöht sind Zwar variieren die Triglyzerid(TG)-Spiegel nach Mahlzeiten und Fastenzustand, doch sind die Unterschiede nicht genügend gross, um die Patienten für eine Screening-Messung einzubestellen, so Prof. Gerber. Erst wenn die TG-Konzentration im nicht nüchternen Zustand 5 mmol/l übersteigt, ist eine Messung im Nüchternzustand empfohlen (5,6). Werte zwischen 2 und 10 mmol/l bezeichnen eine moderate Hypertriglyzeridämie, Werte > 10 mmol/l ein schwere (6).
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Bei hohen Werten kommen Adipositas, Insulinresistenz, Diabetes, Alkohol-, Zucker- und Fruktosekonsum als häufigste Ursachen infrage sowie einige Medikamente (Kasten).
In 5–10% der Fälle können auch primäre Hypertriglyzeridämien die Ursache sein. Bei TG-Werten zwischen 2 und 10 mmol/l liegen die Gründe bei multifaktoriellen oder polygenen Hypertriglyzeridämien, bei einer kombinierten Hyperlipoproteinämie oder einer Dysbetalipoproteinämie. Bei Letzterer sind Xanthome unter der Haut sichtbar. Bei hohen Werten > 10 mmol/l sollte an eine multifaktorielle oder monogenetische Chylomikronämie sowie an Lipodystrophie-Syndrome mit teilweise oder komplett fehlendem Fettgewebe gedacht werden, wie Prof. Gerber erklärte.
Als eine der klinischen Folgen einer Hypertriglyzeridämie kann sich eine Pankreatitis entwickeln. Das Risiko dafür steigt mit der Anzahl stattgehabter Pankreatitiden. Patienten mit hohen TG, aber ohne Pankreatitisepisode in der Vorgeschichte haben jedoch ein tiefes Risiko (7). Eine weitere klinische Folge von hohen TG-Werten sind atherosklerotische kardiovaskuläre Erkrankungen.
Therapie der Hypertriglyzeridämie: Lebensstil mit starkem Einfluss Bei moderater Hypertriglyzeridämie steht die Senkung des kardiovaskulären Risikos im Vordergrund. Dazu empfiehlt die Arbeitsgruppe Lipide und Atherosklerose (AGLA) in erster Linie eine Änderung des Lebensstils. Massnahmen hierfür sind der Verzicht auf Alkohol und Mono- bzw. Disaccharide, der Ersatz von Transfett- und gesättigten Fettsäuren durch ungesättigte Fettsäuren wie Omega-3-Fettsäure-reiche Pflanzenöle und Meerfisch. Die Steigerung der täglichen körperlichen Aktivität und das Vermeiden von Übergewicht gehören ebenfalls zu den nicht medikamentösen Interventionen. Falls diese Massnahmen nicht ausreichend sind, kann der Einsatz von Statinen erwogen werden (6).
Sinkt damit jedoch nur das LDL-C auf den Zielwert gemäss der Risikokategorie, aber nicht die Non-HDL-Cholesterin(HDL-C)Werte, ist eine Erhöhung der Statindosis empfohlen. Bei hohem und sehr hohem kardiovaskulären Risiko können zusätzlich zu den Statinen auch Omega-3-Fettsäuren (4 g/Tag) oder Icosapent-Ethyl (Vazkepa®) (2 × 2 g/Tag) verabreicht werden (6).
Was Diäten bringen und welche für einen Gewichtsverlust am geeignetsten sind, war Fragestellung einer randomisierten Vergleichsstudie. Dabei absolvierten 322 adipöse Personen während zweier Jahre eine Low-Fat-, eine mediterrane oder eine Low-Carb-Diät. Nach zwei Jahren führten die Low-Carbund die mediterrane Diät zu einem signifikant grösseren Gewichtsverlust im Vergleich zur Low-Fat-Diät (4,7 bzw. 4,4 vs. 2,9 kg) (8). Im Vergleich zur Low-Fat-Diät sanken unter der Low-Carb-Diät auch die TG-Spiegel signifikant stärker (–0,27 vs. –0,03 mmol/l) (8). Mit Sport lässt sich ein fruktosebedingter TG-Anstieg ebenfalls senken, wie eine viertägige Untersuchung bei jungen Männern ergab. Die eine Gruppe hatte eine normale Ernährung und machte keinen Sport, die zweite Gruppe hatte 30% Fruktoseanteil in ihrer Diät und trieb Sport und die dritte Gruppe hatte ebenfalls den hohen Fruktosean-
Ursachen für eine sekundäre Hypertriglyzeridämie
Häufig Adipositas Insulinresistenz/Typ-2-Diabetes Alkohol-, Zucker- und Fruktosekonsum
Weitere Schwangerschaft Niereninsuffizienz HIV Hypothyreose Myelom systemischer Lupus erythematodes
Medikamente (Auswahl) Thiazide Betablocker Östrogene Kortikosteroide Retinoide antiretrovirale Therapien Antipsychotika
Quelle: Prof. P. Gerber, AGLA-Kurs 2025
teil, trieb aber keinen Sport. Die Ergebnisse zeigten, dass die Sportlichen ihren gestiegenen TG-Spiegel mit der Bewegung auf das Niveau der Kontrollgruppe senken konnten, während er bei den Unsportlichen hoch blieb (9).
Pankreatitisrisiko senken Bei einer schweren Triglyzeridämie ist das Ziel einer Behandlung nicht mehr, nur das kardiovaskuläre zu senken, sondern auch jenes für eine akute Pankreatitis, so Prof. Gerber. Auch hier muss der Lebensstil angegangen werden. Dabei soll auf eine fettreduzierte Nahrung umgestellt werden. Streich- und Kochfette sollten durch mittelkettige Triglyzeridfette (z.B. Palmkernöl, Kokosöl, Milchfett) ersetzt, Kohlenhydrate und einfache Zucker reduziert, das Körpergewicht sollte gesenkt und auf Alkohol verzichtet werden. Eventuelle Grunderkrankungen wie ein dekompensierter Diabetes oder Alkoholabusus sollten behandelt sowie LDL-C- und Non-HDL-C-Werte mit Lipidsenkern reduziert werden. Liegt allerdings bereits eine akute Pankreatitis vor, ist eine orale Nahrungsaufnahme zu meiden, und der Patient muss rehydriert werden. Nach Abklingen kann die orale Nahrungsaufnahme mit vielen kleinen Mahlzeiten wieder aufgenommen werden. Die Senkung der hohen TG kann pharmakologisch mit Fenofibrat (Lipanthyl®), Omega-3-Fettsäuren (4 g/Tag) oder Icosapent-Ethyl (2 × 2 g/Tag) unterstützt werden.
Valérie Herzog
Quelle: AGLA-Kurs Klinische Lipidologie, 31. Januar 2025, Zürich
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Referenzen: 1. Mach F et al.: 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of
dyslipidaemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk. Eur Heart J. 2020;41(1):111-188. doi:10.1093/eurheartj/ehz455 2. Jones PH et al.: Comparison of the efficacy and safety of rosuvastatin versus atorvastatin, simvastatin, and pravastatin across doses (STELLAR* Trial). Am J Cardiol. 2003;92(2):152-160. doi:10.1016/ s0002-9149(03)00530-7 3. Ray KK et al.: Safety and Efficacy of Bempedoic Acid to Reduce LDL Cholesterol. N Engl J Med. 2019;380(11):1022-1032. doi:10.1056/ NEJMoa1803917 4. Nissen SE et al.: Bempedoic Acid and Cardiovascular Outcomes in Statin-Intolerant Patients. N Engl J Med. 2023;388(15):1353-1364. doi:10.1056/NEJMoa2215024 5. Nordestgaard BG et al.: Fasting is not routinely required for determination of a lipid profile: clinical and laboratory implications including flagging at desirable concentration cut-points-a joint consensus statement from the European Atherosclerosis Society and European Federation of Clinical Chemistry and Laboratory Medicine. Eur Heart J. 2016;37(25):1944-1958. doi:10.1093/eurheartj/ehw152 6. Arbeitsgruppe Lipide und Atherosklerose: AGLA Pocketguide 2025 Prävention der Atherosklerose. www.agla.ch. Letzter Abruf 10.3.25 7. Sanchez RJ et al.: The association of triglyceride levels with the incidence of initial and recurrent acute pancreatitis. Lipids Health Dis. 2021;20(1):72. Published 2021 Jul 18. doi:10.1186/s12944-021-014888 8. Shai I et al.: Weight loss with a low-carbohydrate, Mediterranean, or low-fat diet. N Engl J Med. 2008;359(3):229-241. doi:10.1056/ NEJMoa0708681 9. Egli L et al.: Exercise prevents fructose-induced hypertriglyceridemia in healthy young subjects. Diabetes. 2013;62(7):2259-2265. doi:10.2337/db12-1651
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