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BERICHT
Neue Klassifikation der Harnwegsinfekte
«Lokalisiert» ist das neue «unkompliziert»
Die European Association of Urology (EAU) hat an ihrem Jahreskongress neue Guidelines vorgestellt. Unter anderem wurde die Klassifizierung der Harnwegsinfekte geändert. Dies mit dem Ziel für mehr Klarheit, denn von der Klassifikation hängt die weitere Therapie ab. Aktualisiert wurden auch die Empfehlungen für die unkomplizierte Zystitis mit der Ergänzung von nicht antibiotischen Therapien wie z.B. der Phytotherapie.
Harnwegsinfektionen (HWI) umfassen ein breites Spektrum klinischer und pathologischer Zustände, die verschiedene Teile des Harntrakts betreffen. Jede dieser Erkrankungen weist eine eigene Epidemiologie sowie einen spezifischen natürlichen Verlauf auf und induziert besondere diagnostische Überlegungen. Eine präzise Unterscheidung sei deshalb entscheidend, da sie die Behandlung und Prognose massgeblich beeinflusse, so Prof. Dr. Gernot Bonkat, Merian Iselin Klinik, Basel. Daher sei eine standardisierte Terminologie in diesem Bereich unerlässlich.
Aktuelle Guidelines unterscheiden häufig zwischen unkomplizierten und komplizierten Harnwegsinfektionen. Nach diesen Definitionen treten unkomplizierte HWI bei sonst gesunden, nicht schwangeren Frauen auf, während alle anderen HWI als kompliziert gelten. Diese Klassifikation sei zwar einfach, berge jedoch Risiken, da sie die initiale Patientenbehandlung und die Auswahl der Therapie erheblich beeinflussen könne, wie Prof. Bonkat zu bedenken gab.
Neue Begriffe für genauere Therapie Das Leitlinien-Gremium der EAU mit Prof. Bonkat als Vorsitzendem hat deshalb ein neues Klassifikationsschema für
HWI vorgeschlagen, das die Konsistenz in der klinischen Praxis verbessern und einen umfassenden Rahmen zum Verständnis der verschiedenen klinischen Erscheinungsformen bieten soll. Die vorgeschlagene Klassifikation verzichtet dabei auf die Begriffe «unkompliziert» und «kompliziert» und legt stattdessen den Fokus auf die Unterscheidung zwischen «lokalisierten» und «systemischen» Harnwegsinfektionen anhand klinischer Anzeichen und Symptome (Tabelle). Eine lokalisierte HWI (z.B. Zystitis) zeigt keine Anzeichen oder Symptome einer systemischen Infektion und ist unabhängig vom Geschlecht. Zu den Symptomen gehören Dysurie, Drang, häufige Miktionen, Inkontinenz, purulenter Ausfluss aus der Urethra, Druck oder Krämpfe im unteren Abdomen. Eine systemische HWI charakterisiert sich dagegen durch Anzeichen und Symptome einer systemischen Infektion mit oder ohne lokalisierte Symptome, die von einem beliebigen Ort des Harntrakts ausgehen, unabhängig vom Geschlecht. Zu den Symptomen zählen Fieber oder Hypothermie, Rigor/Schüttelfrost, Delir, Hypotonie, Tachykardie, Schmerz oder Empfindlichkeit am kostovertebralen Winkel.
Nach dieser neuen Definition können HWI entweder als lokalisierte Infektion (z.B. Zystitis) oder als systemische
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Tabelle: Klassifikation von Harnwegsinfekten (HWI)
Lokalisierte HWI (z.B. Zystitis) Zystitis mit typischen Zeichen/Symptomen (z.B. Frequenz, Drang, suprapubischer Schmerz) keine Zeichen/Symptome einer systemischen Infektion gilt für beide Geschlechter eventuell vorhandene Risikofaktoren sollten mitbehandelt werden
Quelle: mod. nach (1)
Systemische HWI HWI mit typischen Zeichen/Symptomen (z.B. Fieber, Schüttelfrost)
auch typische lokale Symptome möglich (z.B. bei Pyelonephritis oder Prostatitis) eventuell vorhandene Risikofaktoren sollten mitbehandelt werden
Infektion (z.B. Pyelonephritis, Prostatitis usw.) auftreten. Beide Formen können von Risikofaktoren begleitet sein, die den klinischen Verlauf erschweren und den Behandlungserfolg gefährden.
Lokalisierte HWI können in der Regel ambulant behandelt werden, wohingegen komplexere systemische HWI unter Umständen eine Blutabnahme, bildgebende Verfahren (z.B. Ultraschall, Schnittbildgebung), intravenöse antibiotische Therapie und eine stationäre Aufnahme nötig machen können.
Update bei nicht antibiotischer Zystitisbehandlung Zur Behandlung der akuten Zystitis sowie zur Rezidivprophylaxe fanden auch nicht antibiotische und Phytotherapien Eingang in die Guidelines. Eine doppelblinde, multizentrische, randomisierte Nichtunterlegenheits-Phase-III-Studie zeigte, dass die pflanzliche Therapie mit Centaurii herba, Levisticii radix und Rosmarini folium (Canephron®) der Behandlung mit Fosfomycin-Trometamol bei akuter Zystitis nicht unterlegen ist. Die Kombination ist zur Verringerung von Zystitisepisoden und Antibiotikaverbrauch empfohlen (1).
Zu einem weiteren Phytotherapeutikum, einer Kombination aus Xyloglucan–Gelose–Hibiskus–Propolis (Cys-Control® Utipro® plus), zeigte eine multizentrische, randomisierte, doppelblinde, parallel geführte Studie Wirksamkeit hinsichtlich Symptomlinderung und Rezidivprophylaxe (1). Diese Kombination ist ebenfalls zur Verringerung von Zystitisepisoden und Antibiotikaverbrauch empfohlen (1).
Für eine abschliessende Empfehlung für oder gegen eine Verwendung von Cranberry-Produkten bei akuter Zystitis ist die Evidenzlage jedoch noch ungenügend. Hinsichtlich Prophylaxe gibt es systematische Reviews, die flüssigen Cranberry-Produkten einen Nutzen hinsichtlich verminderter Zystitishäufigkeit und Antibiotikaverbrauch bescheinigen. Hochstandardisierte Cranberry-Extrakt-Phytosome und hochdosierte Proanthocyanidine scheinen zur Prävention von Zystitisrezidiven ebenfalls wirksam zu sein (1).
Zur Verwendung von D-Mannose zur Linderung von Zystitissymptomen und zur Senkung der Zystitisepisoden ist die Evidenz widersprüchlich (1). Diese ist auch für eine Empfehlung zur Verwendung von Lactobazillen zur Zystitisphrophylaxe noch ungenügend (1).
Bei antibiotischer Therapie zu beachten Bei nicht geriatrischen Patientinnen sollte zunächst eine alleinige nicht antibiotische Therapie erwogen werden. Sollten nach gemeinsamer Entscheidungsfindung mit den Patientinnen Antibiotika erforderlich sein, kann deren Verbrauch mit dem Einsatz von nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen, Diclofenac oder von Phytotherapeutika reduziert werden.
Für geriatrische Patienten gibt es keine Evidenz zur symptomatischen Behandlung mit NSAR. Darüber hinaus gelten NSAR in dieser Altersgruppe als potenziell ungeeignete Medikamente mit verbundenen Risiken.
Unter Berücksichtigung der regionalen Resistenzlage sollten folgende orale Behandlungen für die Erstlinientherapie in Betracht gezogen werden: Fosfomycin-Trometamol 3 g Einzeldosis, Pivmecillinam (in der Schweiz nicht auf dem Markt) 400 mg dreimal täglich für drei bis fünf Tage, Nitrofurantoin 100 mg zweimal täglich für fünf Tage. Alternativ dazu können Cotrimoxazol (160/800 mg zweimal täglich für drei Tage) oder Trimethoprim (200 mg zweimal täglich für fünf Tage) verwendet werden. Cotrimoxazol und Trimethoprim sollten jedoch nur in Regionen mit bekannten Resistenzraten für Escherichia (E.) coli von < 20% als Medikamente der ersten Wahl erwogen werden (1).
Aminopenicilline sind aufgrund der weltweit hohen E.-coliResistenz für die empirische Therapie nicht mehr geeignet. Aminopenicilline in Kombination mit einem Beta-LaktamaseHemmer wie Amoxicillin/Clavulansäure sowie orale Cephalosporine werden aufgrund ökologischer Kollateralschäden nicht für die empirische Therapie empfohlen, können jedoch in ausgewählten Fällen verwendet werden. Fluorchinolone sollten ebenfalls nicht mehr zur Therapie einer Zystitis eingesetzt werden (1).
Valérie Herzog
Quelle: «Urinary tract infections in 2025: What's the face of the enemy? Is the classification of UTI changing? ». Jahreskongress der European Association of Urology (EAU), 21.–24. März 2025, Madrid
Referenz: 1. Bonkat G et al.: EAU Guidelines on Urological Infections, 2025. https://
uroweb.org/guidelines/urological-infections. Letzter Abruf: 8.4.25
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