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FEEDBACK
Leserbrief
Untaugliche Annahmen – falsche Resultate!
Zu: K. Beck, U. Kunze, W. Oggier: Selbstdispensation: Kosten treibender oder Kosten dämpfender Faktor? «Managed Care» 6/2004
Alle Jahre wieder bescheren uns neue Autoren die immer gleichen Studien. Sie verwenden dazu zwar unterschiedliche Annahmen und Untersuchungsmethoden. Dennoch zitieren sie sich gegenseitig und versuchen, ihre meist fragwürdigen Ergebnisse in den Medien populistisch zu verkaufen. Die Studie als solche ist dabei unwichtig. Es nimmt sich sowieso kaum jemand die Zeit, sie nachzurechnen. Und wenn doch, dann sah es für gewisse Autoren auch schon schlecht aus. Ich erinnere mich an eine mitten im Zürcher Abstimmungskampf 2003 erschienene Tessiner Studie eines Professors. Die Medien, insbesondere der «Tages-Anzeiger», fanden, die Studie eigne sich hervorragend für eine gegen die ärztliche Medikamentenabgabe gerichtete Schlagzeile. Sie wurde genüsslich zitiert. Die Entschuldigung des Professors, der sich verrechnet hatte – was ein Zürcher Arzt herausfand –, ging dann selbstverständlich unter. Ähnlich empfinde ich die in «Managed Care» veröffentlichte Studie. Auch diese wurde zuerst in «CASH» mit den Worten breitgetreten, sie weise «eindeutig» nach, dass die Medikamentenkosten in Kantonen mit Selbstdispensation (SD) höher seien als in Nicht-SD-Kantonen. Zumal sie aus der Feder dreier «renommierter Fachleute» (?) stamme. Noch schlimmer finde ich aber die in «CASH» zitierte Unterstellung eines Autors, dass der Arzt oft das Präparat abgebe, das für ihn ökonomisch am vorteilhaftesten sei. Diese unzulässige Unterstellung passt höchstens zur Schlagzeile und zum Kommentar im «CASH». Sie passt aber nicht zum Autor einer wissenschaftlichen Studie. Vor allem dann nicht, wenn die Resultate aufgrund
einer mehr als fragwürdigen Datenund Hypothesenwahl zustande kamen. Und genau hier setzt meine Kritik am Artikel an. Die Autoren erläutern zwar korrekt, dass die heutigen Medikamentenkosten pro versicherte Person und pro Kopf in den SD-Kantonen eindeutig tiefer seien. Alle Statistiken zeigen dies seit Jahren. Auch die Santésuisse akzeptiert dieses Faktum mittlerweile. (Sollte sie auch, sie liefert ja schliesslich die Zahlen.) Dann stellen die drei Autoren aber die umstrittene Hypothese auf, dass zahlreiche andere sozioökonomische Faktoren ebenfalls einen Einfluss auf die Medikamentenkosten hätten. Okay, das mag sein. Wenn dann aber Kantone mit einem hohen Anteil an romanischer Sprache gleich doppelte «Bonuspunkte» erhalten, weil ihre Einwohner erstens einer anderen Kultur entstammen und zweitens öfter zum Arzt rennen als Deutschschweizer, dann schlägt dies dem Fass doch den Boden heraus. Zumal es genau die Westschweizer Kantone und das Tessin sind, welche allesamt ein SDVerbot haben. Noch schlimmer ist aber, dass die mehr als fragwürdige Datendefinition gewählt wird, die anfallenden Medikamentenkosten nicht dem Wohnortskanton des Versicherten, sondern dem des Leistungserbringers zuzuordnen. Nur und wirklich nur bei dieser Zuordnung ergibt sich das in der Zeitung «CASH» in breiten Lettern unters Volk gebrachte Ergebnis. Sonst nicht! Eine Zuordnung, die nicht nur unüblich, sondern höchst problematisch ist. Zumal der «Grenzverkehr» von Patienten zwischen SD- und NichtSD-Kantonen wohl eher marginal, wenn nicht gar vernachlässigbar
klein sein dürfte. In der Ostschweiz gehen die Patienten zumindest zum eigenen Hausarzt im Dorf und so lange als möglich auch zu den eigenen Spezialisten im Kanton. Davon abgesehen sollte man eigentlich gar keinen «offiziellen» Datensätzen mehr trauen. Wer beispielsweise weiss, dass die Santésuisse alle Rechnungen der beiden grossen Schweizer Versandapotheken den in Solothurn und im Thurgau ansässigen SD-Ärzten anlastet, der traut keiner Zahl im Gesundheitswesen mehr. Die Studien sind dann jeweils noch die Krönung. Sie stehen auf einem wackligen Zahlenfundament und versuchen mit noch umstritteneren Annahmen und Hypothesen die «falsch wahrgenommene Realität» richtig darzustellen. Faktum ist und bleibt aber, dass heute alle verschreibungspflichtigen Medikamente beim Arzt günstiger sind als beim Apotheker. Die Einführung der Patienten- und der Dossierführungstaxe hat dafür gesorgt. Die Patienten wissen dies. Deshalb wollen sie ihre Medikamente auch immer öfter vom Arzt beziehen. Dort sind sie nämlich günstiger und praktischer zu haben.
Dr. rer. publ. HSG Sven Bradke Geschäftsführer der Ärzte mit Patientenapotheke APA c/o Mediapolis AG Röschstrasse 18 9006 St. Gallen
26 Managed Care 7 ● 2004