Transkript
PSYCHIATRIE
Wirksamkeit von Psychedelika bei psychiatrischen Störungen
Aktueller Stand der klinischen Evidenz
Psychedelika eröffnen neue Möglichkeiten in der Behandlung von schwer behandelbaren psychiatrischen Störungen. Gleichzeitig machen methodische Grenzen und das weiter zu prüfendes Sicherheitsprofil eine sorgfältige Indikationsstellung sowie gezielte Nachsorge- und Integrationsangebote erforderlich. Für eine sichere und wirksame Anwendung braucht es zudem strukturierte Weiterbildungen und klare Behandlungsstandards.
von Anja Vandersmissen1,2, Morten Lietz3 und Rainer Krähenmann1,4
Einleitung
Die Behandlung und Forschung von psychiatrischen Störun-
gen mittels Psychedelika war in den 1950er-
und 1960er-Jahren weit verbreitet, mit
geschätzt 40 000 behandelten Pati-
enten und über 1000 publizierten
wissenschaftlichen Studien. Nach
einer längeren Phase, in der die
Behandlung und Forschung in den
meisten Ländern verboten war, ist
seit den 2000er-Jahren das Inter-
esse an Psychedelika erneut ent-
Anja Vandersmissen
(Foto: zVg)
standen (1). Klassische Psychedelika wie LSD, Psilocybin, Dimethyl-
tryptamin (DMT) und Ayahuasca
wirken primär über den Serotonin-
2A-Rezeptor (5-HT2A), wobei auch
5-HT2C-, 5-HT1A- sowie dopami-
nerge und noradrenerge Systeme
beteiligt sind (2). Methylendioxy-
methylamphetamin (MDMA) hin-
gegen fördert die Freisetzung von
Serotonin, Noradrenalin und Dopa-
min, wirkt vor allem auf das emo-
tionale Erleben (2) und wird daher
Morten Lietz
(Foto: zVg)
als Entaktogen bezeichnet. Obwohl MDMA nicht zu den klassischen
Psychedelika zählt, erscheint es
in wissenschaftlichen und gesell-
schaftlichen Diskursen dennoch
häufig im Zusammenhang mit die-
sen, da es historisch zeitgleich in
psychotherapeutischen Settings
eingesetzt und regulatorisch ähn-
lich eingestuft wurde, weswegen
es auch in diesem Artikel inkludiert
wird. Mehrere Studien haben po-
tenzielle psychologische Wirkme-
Rainer Krähenmann
(Foto: zVg)
chanismen psychedelischer Substanzen im Kontext psychiatrischer
Störungen beschrieben, darunter
erhöhte psychologische Flexibilität, emotionale Durchbrucherlebnisse und psychologische Einsichten. Darüber hinaus werden Zuwächse in Sinnfindung, Selbstwirksamkeit, Verbundenheitsgefühlen und dem Persönlichkeitsmerkmal Offenheit als durch die psychedelische Erfahrung unterstützte Prozesse diskutiert (3).
Auf neurobiologischer Ebene entfalten klassische Psychedelika ihre Wirkung vor allem über 5-HT2A-vermittelte Signalwege, die nicht nur einzelne Rezeptoren ansprechen, sondern ganze neuronale Netzwerke beeinflussen. Funktionelle Bildgebungsstudien berichten konsistent über eine gesteigerte globale Konnektivität, insbesondere im Assoziationskortex, welcher für die Verknüpfung von Sinneseindrücken mit Erinnerungen und höheren kognitiven Funktionen wie Selbstwahrnehmung und Planung zuständig sind. Typischerweise geht dies mit einer verstärkten Kopplung zwischen sensorischen und höherassoziativen Arealen sowie erhöhter thalamokortikaler Vernetzung einher (4–6). Ebenfalls zeigt sich eine reduzierte Aktivität der Amygdala während der akuten Wirkung von klassischen Psychedelika, welche zur veränderten emotionalen Erfahrung betragen könnte (7). MDMA hingegen beeinflusst insbesondere Netzwerke der Emotionsregulation und sozialen Kognition. Die bisherige Evidenz hierzu ist jedoch noch sehr begrenzt (4). Zudem gibt es Hinweise, dass Psychedelika eine Phase erhöhter neuronaler Plastizität einleiten, die sich unter anderem in Veränderungen an Synapsen und dendritischen Strukturen zeigt. Während Tierstudien konsistent eine Aktivierung plastizitätsbezogener Gene und synaptischer Wachstumsprozesse nachweisen, deuten erste klinische Befunde, wenn auch noch uneinheitlich, in eine ähnliche Richtung (8). Psychedelika scheinen die Dynamik des Default Mode Network (DMN) und anderer Hirnnetzwerke zu verändern (9). Da das DMN bei Depressionen mit selbstbezogenen Grübelprozessen assoziiert ist, könnte eine vorübergehende Veränderung seiner Aktivität dazu beitragen, rigide Denk- und Erlebens-
1Psychiatrische Dienste Thurgau (Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Konstanz) 2Psychologisches Institut, Universität Zürich 3Molecular Psychiatry Lab, Universität Fribourg 4D epartement für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, Universität Zürich
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muster zu lockern und kognitive Flexibilität zu fördern. Diese Befunde könnten erklären, weshalb psychedelische Erfahrungen mit einer Auflösung rigider Denkmuster und erhöhter kognitiver Flexibilität einhergehen.
Die Substanzen stehen unter dem Betäubungsmittelgesetz, was die Anwendung grundsätzlich auf klinische Studien beschränkt. Jedoch gibt es in der Schweiz, Kanada, Australien und seit neuestem Deutschland und Neuseeland Programme für begrenzte medizinische Anwendung, welche bestimmten Ärzten die Anwendung von ausgewählten Substanzen für einzelne psychiatrische Störungen erlauben. In der Schweiz erteilt das Bundesamt für Gesundheit seit 2014 für LSD und MDMA und seit 2021 auch für Psilocybin eine solche Ausnahmebewilligung. Im Rahmen dieser Ausnahmebewilligung wurden 2024 in der Schweiz 723 Patienten mit typischerweise zwei bis vier Substanzsitzungen behandelt, wobei ca. 100 Ärzte dazu die Berechtigung haben (10). Kriterien für die Ausnahmebewilligung sind das unzureichende Ansprechen auf bisherige Therapien (Therapieresistenz) und eine schwere Beeinträchtigung der Lebensqualität durch die Erkrankung.
Klinische Evidenz Die klinische Evidenz zur Wirksamkeit psychedelischer Substanzen variiert stark zwischen den verschiedenen Störungsbildern Störungsbildern. Die Abbildung zeigt eine Übersicht über Anwendungsbereiche mit etablierten sowie neuen, potenziellen Anwendungsbereichen psychedelischer Substanzen.
Erkrankungen mit fortgeschrittener klinischer Evidenz Die Wirksamkeit der Anwendung von Psilocybin bei Depressionen, vor allem therapieresistenten Depressionen ist bisher am besten untersucht (11–16). Ähnlich gut untersucht sind die Substanzen LSD und Psilocybin bei Depressionen und existenziellen Ängsten im Zusammenhang mit schweren körperlichen Erkrankungen wie terminalen Krebserkrankungen (17–20). Eine kürzlich publizierte Metaanalyse, die 72 randomisierte, kontrollierte Studien mit insgesamt 12 105 Teilnehmern analysierte, zeigte, dass Psilocybin, neben Elektrokonvulsionstherapie und Ketamin/Esketamin eine bevorzugte Behandlungsmethode für therapieresistenten Depressionen ist (21). In einer Studie, in der die Behandlung von depressiven Patienten mit Psilocybin mit dem Antidepressivum Escitalopram verglichen wurde, erzielte Psilocybin ähnliche Effekte auf Depressivität und überlegene Verbesserungen bei Wohlbefinden, Angst sowie Arbeitsund Sozialfunktion (22).
Die Reduktion von Angstsymptomen wurde in diversen Studien als Komorbidität untersucht. Die Metaanalyse von Leger und Unterwald (23) untersuchte die Reduktion von Angstsymptomen in neun Studien (sowohl open-label als auch randomisiert kontrolliert) bei Patienten mit einer chronischen Krankheit wie Krebs, HIV/AIDS oder Depression und die Autoren berichten eine starke Effektgrösse bezüglich der Angstreduktion (Cohen’s d = 1,26). Zudem gibt es
Grafik: Moritz Lietz
Abbildung. Etablierte und neue potenzielle Anwendungsbereiche psychedelischer Substanzen. Klinisch belegte Indikationen (unten) umfassen PTBS, Suchterkrankungen, Depression und Angst am Lebensende. Neu untersuchte Anwendungsfelder (oben) beinhalten Schlafstörungen, chronische Schmerzen, Essstörungen, Autismus-Spektrum- Störungen und Zwangsstörungen.
auch randomisiert kontrollierte Studien, in denen Psychedelika-assistierte Therapie (PAT) bei Patienten mit Angststörungen als Primärdiagnose (Angststörung/Panikstörung, generalisierte Angststörung) untersucht wurden. Obwohl fast alle Studien reduzierte Angstsymptome berichten, sind nicht alle Veränderungen statistisch signifikant, möglicherweise aufgrund der kleinen Stichprobengrösse (24).
Die therapeutische Anwendung von Psychedelika bei Substanzgebrauchsstörungen wurde in zahlreichen klinischen Studien untersucht, insbesondere der Einsatz von LSD bei Alkoholabhängigkeit. Metaanalysen bestätigen dabei konsistent positive Effekte auf Abhängigkeitssymptome (25,26). Dennoch wird kritisiert, dass viele dieser älteren Studien nicht mehr den heutigen methodischen Standards entsprechen und somit die Evidenzsicherheit nicht ausreichend gesichert ist (27). Aufbauend auf positiven Ergebnissen einer moderneren Phase-II Studie mit Psilocybin bei Alkoholabhängigkeit (28) sind derzeit einige klinische Studien mit Psilocybin bei verschiedenen Substanzgebrauchsstörungen im Gang (29). Für die Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) liegen bereits Resultate aus Metaanalysen mit Phase-II- und Phase-III-Studien vor, die signifikante Reduktionen von PTBS-Symptomen durch MDMA-assistierte Psychotherapie zeigen (30,31).
Neue Anwendungsfelder Über die inzwischen gut untersuchten Indikationen hinaus gibt es Hinweise, dass klassische Psychedelika und MDMA auch bei weiteren psychiatrischen und somatischen Störungen therapeutisches Potenzial zeigen könnten. Erste Pilot-
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studien berichten über positive Effekte etwa bei EssstörungenundSchlafstörungenimRahmenvonMDMA-unterstützter PTBS-Therapie (32,33), bei Zwangsstörungen und körperdysmorpher Störung nach Psilocybin-Behandlung (34,35), sowie Hinweise auf analgetische Wirkungen bei chronischen Schmerzen, Migräne und Cluster-Kopfschmerzen durch Psilocybin und LSD (36–40). Des Weiteren deuten erste Studien darauf hin, dass MDMA soziale Ängste bei Erwachsenen mit Autismus-Spektrum-Störungen reduzieren kann (41,42).
Diese Befunde sind jedoch allesamt sehr vorläufig, beruhen meist auf kleinen Stichproben und lassen keine Schlüsse über die Generalisierbarkeit der Wirkung zu. Ob und in welchem Ausmass sich daraus tatsächlich neue Behandlungsoptionen entwickeln lassen, muss erst durch methodisch robuste, grössere Studien geklärt werden (36,43).
Vielversprechend ist, dass inzwischen für mehrere dieser Indikationen erste klinische Studien angelaufen sind. Dazu gehören Psilocybin-Studien bei Zwangsstörungen, Anorexia nervosa, Fibromyalgie und chronischen Schmerzen und LSDStudien bei Cluster-Kopfschmerzen. Für einen aktuellen Überblick über den Medikamentenentwicklungsprozess der verschiedenen Substanzen für spezifische Störungsgruppen verweisen wir auf den «Psychedelics Drug Development Tracker» von Psychedelic Alpha (siehe QR-Link).
Indikationsstellung, klinisches Vorgehen und therapeutische Modularisierung Die Indikationsstellung für eine PAT erfolgt nach klar definierten Kriterien, die kumulativ erfüllt sein müssen: 1. das Vorliegen einer entsprechenden Diagnose (Depression, Angststörungen, Alkoholabhängigkeit oder PTBS), 2. Nachweis von Therapieresistenz sowie 3. ein mindestens mittelbis schwerer Grad der Störung (44).
Das klinische Vorgehen folgt einem modularen Aufbau, bestehend aus Vorbereitung, Substanzsitzung und Nach-
Lesetipps
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LINKTIPP
Psychedelics drug development tracker
besprechung/Integration. PAT wird dabei als Add-on-Verfahren in bestehende Behandlungsprozesse (z.B. ambulante Psychotherapie) eingebettet, um Kontinuität und Einbettung in einen therapeutischen Gesamtrahmen zu gewährleisten. Während der Substanzsitzungen ist die sichere Begleitung durch mindestens zwei geschulte Fachpersonen vorgesehen. Bezüglich Dosierung und Behandlungsintensität wird empfohlen, in einem ersten Zyklus von sechs Monaten maximal drei Substanzsitzungen durchzuführen. Nach erneuter Indikationsprüfung kann ein weiterer Zyklus angeschlossen werden (44). Für weitere Informationen zur Durchführung und Indikationsstellung bei der PAT empfehlen wir die Behandlungsempfehlungen für die medizinische Behandlung mit Psychedelika der SGPP (44).
Sicherheits- und Nebenwirkungsprofil In modernen Studien ist das Nebenwirkungsprofil von LSD, Psilocybin, DMT/Ayahuasca und MDMA relativ gut bekannt. Häufige, milde Nebenwirkungen sind beispielsweise vorübergehende Angst bzw. emotionale Labilität, Übelkeit/ Erbrechen (insbesondere bei Ayahuasca), Kopfschmerzen, Schwindel sowie kurzzeitige Blutdruck- und Pulsanstiege (45–48). In randomisierten Psilocybin-Studien (n = 528) traten diese Effekte gegenüber Kontrollen häufiger auf und klangen in der Regel innerhalb von 24–48 Stunden ab (48). Für MDMA-assistierte Psychotherapie werden ebenfalls vermehrt transiente unerwünschte Ereignisse beschrieben (z.B. autonome Aktivierung, somatische Beschwerden während/kurz nach der Gabe), die unter Überwachung meist selbstlimitierend bleiben (31).
Schwerwiegende oder anhaltende Ereignisse sind im sorgfältig gescreenten klinischen Rahmen selten, aber nicht ausgeschlossen. Eine Metaanalyse zu klassischen Psychedelika (LSD, Psilocybin, DMT, 5-MeO-DMT; n = 3500) fand keine schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse (serious adverse events, SAE) bei gesunden Freiwilligen und etwa 4% SAE bei Patienten mit vorgängigen neuropsychiatrischen Störungen. Die Genauigkeit dieser Schätzung leidet jedoch unter der heterogenen Erhebung und dem Mangel an strukturierter Nebenwirkungserfassung (46). Um diesem Defizit zu begegnen, werden derzeit neue strukturierte Erfassungsinstrumente entwickelt. Dazu zählt beispielsweise das Swiss Psychedelic Side Effects Inventory (SPSI), das Art, Schwere, Dauer, Beeinträchtigung und Kausalität über akute, subakute und persistierende Phasen hinweg erfasst (49).
Neben klassischen Nebenwirkungen ist ausserdem die sogenannte post-session emotional crisis (emotionaler Krisenzustand nach der Sitzung) zu erwähnen (50). Einzelfallberichte unterstreichen das Risiko schwerwiegender Ver-
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läufe, etwa der kürzlich beschriebene Suizid einer Patientin kurz nach Psilocybin-gestützter Therapie (51). Aus klinischer Erfahrung zeigt sich, dass akute Symptomverschlechterungen, einschliesslich suizidaler Krisen, insbesondere nach Substanzsitzungen auftreten können. Auch in klinischen Studien wurde berichtet, dass bis zu 20% der Teilnehmenden in der Woche nach einer Sitzung eine vorübergehende Zunahme von ängstlichen oder depressiven Symptomen erleben (11). Möglicherweise besteht eine Diskrepanz zwischen Patienten in der klinischen Routineversorgung und streng selektionierten Studienpopulationen mit unterschiedlichen Risikoprofilen.
Für weitere Informationen über Nebenwirkungen oder Medikamentenumstellung und Interaktionen verweisen wir die Behandlungsempfehlungen der SGPP (44).
Diskussion und Ausblick Die Benutzung von serotonergen psychedelischen Substanzen und MDMA zur Behandlung von verschiedenen psychiatrischen Störungen hat in den letzten Jahren erneut starkes Interesse auf sich gezogen. In vielen Ländern werden Patienten momentan im Rahmen von klinischen Studien mit PAT behandelt. Nur in wenigen Ländern (Schweiz, Kanada, Australien, Neuseeland & Deutschland) ist die begrenzte medizinische Anwendung erlaubt – für einzelne psychiatrische Störungen mit spezifischen Substanzen, bei welchen die klinische Evidenz als ausreichend eingestuft wird. Trotzdem sind die Substanzen noch keine zugelassenen Medikamente und es handelt sich weiterhin um ein experimentelles Therapieverfahren mit bislang unzureichend definierten Standards und Rahmenbedingungen für die medizinische Anwendung.
Die stärkste klinische Evidenz besteht für den Einsatz von Psilocybin bei therapieresistenten mittelgradigen bis schweren Depressionen ohne psychotische Symptome. In der Schweiz wird zudem die Evidenz für die Behandlung folgender psychiatrischer Störungen mit klassischen Psychedelika als ausreichend eingestuft: therapieresistente mittelschwere bis schwere Angststörungen sowie therapieresistente mittelschwere bis schwere Alkoholabhängigkeit. Das gilt ebefalls für Depressionen und Ängste im Kontext schwerer, palliativ behandelter Erkrankungen. Für die Behandlung mittelgradiger bis schwerer posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) besteht zudem eine ausreichende Evidenz für den Einsatz von MDMA. Des Weiteren gibt es erste Hinweise auf positive Effekte von klassischen Psychedelika oder MDMA bei Essstörungen, Schlafstörungen, Zwangsstörungen, chronischen Schmerzen und Autismus-Spektrum-Störung. Es gibt jedoch einige Besonderheiten im Zusammenhang mit der Psychedelikaforschung, die zu Verzerrungseffekten bei den bisherigen randomisiert kontrollierten Studien führen können, wie z.B. starke Erwartungseffekte, geringe Fallzahlen und Schwierigkeiten bei der Verblindung (13). Des Weiteren sollte der mediale Hype in der breiteren Öffentlichkeit mit in den vergangenen Jahren übertrieben positiven Berichtserstattungen berücksichtigt werden, ebenso wie die Gefahr
des Umschlagens in übertrieben negative Berichterstattung bis hin zum erneuten Verbot bei unerwünschten Ereignissen (44). Abschliessend lässt sich sagen, dass die Evidenzlage in verschiedenen Bereichen noch ungenügend ist, z.B. bezüglich Langzeitnebenwirkungen und Nachhaltigkeit der Therapieeffekte, Indikationsstellung und Patientenauswahl, der optimalen Dosierung und Frequenz der Behandlung, den Mechanismen der therapeutischen Wirkung sowie der Rolle der Psychotherapie und der ethischen Aspekte der Therapie.
Wie eingangs erwähnt, gibt es in der Schweiz bereits vereinzelte ambulante und stationäre Angebote für PAT. Dennoch ist eine breitere Implementierung in der klinischen Praxis mit einigen Herausforderungen verbunden. PAT ist mit einem hohen zeitlichen und personellen Aufwand verbunden, zudem sind Fragen der Kostenübernahme durch Krankenkassen nicht geklärt. Ein weiterer relevanter Aspekt für die zukünftige Behandlung ist die Ausbildung und Zertifizierung von Fachpersonen, unter anderem weil sich die Behandlung deutlich zu bisher verfügbaren Psychopharmakatherapien unterscheidet. Demnächst wird es für Psychiater in der Schweiz möglich sein, den Fähigkeitsausweis Psychedelikatherapie zu erlangen. Durch diesen vom Schweizerischen Institut für Weiter- und Fortbildung (SIWF) anerkannten Fähigkeitsausweis soll ein Goldstandard für die Fortbildung in Psychedelikatherapie geschaffen werden.
Korrespondenzadresse: Anja Vandersmissen, Psychologin Psychiatrische Dienste Thurgau Seeblickstrasse 3 8596 Münsterlingen E-Mail: anja.vandersmissen@stgag.ch
Interessenlage: Die Autoren haben keine Interessenskonflikte anzugeben.
Merkpunkte
• Ausreichende Evidenz: Psilocybin zeigt Wirksamkeit bei therapieresistenten Depressionen, Angststörungen und Alkoholabhängigkeit; MDMA bei posttraumatischer Belastungsstörung.
• Aktuelle Forschung: Phase-III-Studien untersuchen derzeit Depressionen, PTBS und existenziellen Distress bei palliativ behandelten körperlichen Erkrankungen. Weitere mögliche Anwendungsgebiete z.B. Ess-, Schlafund Zwangsstörungen, chronische Schmerzen oder Autismus-Spektrum-Störungen werden derzeit in ersten klinischen Studien untersucht.
• Anwendung in der Schweiz: Der therapeutische Einsatz von Psilocybin, LSD und MDMA ist mit Ausnahmebewilligung vom BAG möglich, bleibt jedoch ein experimentelles Verfahren mit nicht zugelassenen Medikamenten.
• Offene Fragen: Noch unzureichend erforscht sind Langzeitnebenwirkungen, Nachhaltigkeit der Effekte, Indikationskriterien, Dosierung, Wirkmechanismen, Rolle der psychotherapeutischen Begleitung und ethische Aspekte.
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PSYCHIATRIE
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