Transkript
RESONANZ
Stimmen zu Entwicklungen im Gesundheitswesen
Mehrdeutige Übergangspflege
Immer öfter wird heute im Gesundheitswesen der Begriff «intermediate care» («Übergangspflege») gebraucht; doch er wird sehr unterschiedlich verstanden. Dies beklagen René J. F. Melis et al. im «British Medical Journal». Gemeinsamer Nenner aller Definitionen sei einzig, dass es sich um etwas «Dazwischenliegendes» handle. Oft sei zudem von einer «Förderung der Selbstständigkeit» und/ oder von einer «Verhütung unnötiger Spitaleinweisungen» die Rede. Doch während beispielsweise in Grossbritannien meist Institutionen gemeint seien, die älteren Patienten den Übergang vom Spital nach Hause erleichtern, werde der Begriff international – insbesondere in den USA und in Japan – oft für alters- und pflegeheimähnliche Angebote gebraucht; einige Autoren gebrauchten den Begriff gar zur Bezeichnung von niederschwelliger Intensivpflege (Überwachungsstation) im Akutspital. Angesichts der vielfältigen Begriffsverwendung bestehe kaum Aussicht auf eine völlige Klärung; zumindest für die Wissenschaft seien aber eine einheitliche Definition sowie eine einheitliche Terminologie für die verschiedenen Unterformen anzustreben. Bis dahin sei es empfehlenswert, die verschiedenen Ansätze nach ihrem Ziel und nicht nach ihrem Namen zu klassifizieren. (rs)
Melis et al.: What ist intermediate care? BMJ 2004; 329: 360–361. Internet: www.bmj.com
Psychiatrisch unterversorgt?
Möglicherweise haben Frauen und Männer einen unterschiedlichen Zugang zu psychiatrischen Leistungen. Dies ist der Zusammenfassung einer kürzlich in Buchform erschienenen genderbezogenen Datenanalyse zu entnehmen. Während Frauen nämlich in allen Altersgruppen, vor allem aber im erwerbstätigen Alter, höhere ambulante Psychiatriekosten aufweisen als Männer, sind im psychiatrischen Spitalbereich bei den 20- bis 40-Jährigen die Kosten der Männer höher als jene der Frauen. «Möglicherweise kommen Männer», so die
Autoren, «erst in einer späteren Krankheitsphase» – sprich zu spät – «mit der Psychiatrie in Kontakt, nämlich dann, wenn eine Hospitalisierung nicht mehr vermeidbar ist.» Hinweise auf Lücken in der psychiatrischen Versorgung finden sich auch in einem Arbeitsdokument des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums: «Ältere Menschen nehmen im Psychiatriebereich (...) eher psychiatrische Kliniken als Psychiater und Psychiaterinnen in Anspruch. (...) Hier fehlt möglicherweise bei den niedergelassenen Psychiatern die notwendige Kompetenz.» Um eindeutig zu beurteilen, ob eine Unterversorgung vorliege, wären allerdings epidemiologische Informationen erforderlich, die es bisher repräsentativ für die Schweiz nicht gebe. Immerhin erlaubten die «übereinstimmenden» Ergebnisse der Schweizerischen Gesundheitsbefragung und des Datenpools von Santésuisse die Aussage, «dass Jugendliche und Betagte, insbesondere Männer, psychiatrisch/psychotherapeutisch bezüglich ambulanter Behandlungen deutlich unterversorgt sind». (rs)
Quellen: Paul Camenzind, Claudia Meier (Hrsg.): Gesundheitskosten und Geschlecht. Zusammenfassung einer Publikation in der Buchreihe des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums. Und: Isabelle Sturny et al.: Daten zur Versorgung psychisch Kranker in der Schweiz, Arbeitsdokument 4, Schweizerisches Gesundheitsobservatorium. Internet: www.obsan.ch
Frauenfeindliche Professorin?
Der steigende Frauenanteil im Medizinberuf führe zu einem professionellen Macht- und Statusverlust. Diese Befürchtung äusserte die britische Medizinprofessorin Carol Black in einem Interview. In der Folge wurde ihr von verschiedenster Seite Frauenfeindlichkeit unterstellt. «Zu Recht?», fragt sich Iona Heath im «British Medical Journal», und sie kommt zum Schluss: Erst wenn die gravierenden Einkommens- und Chancenunterschiede zwischen Frauen und Männern im Berufsleben aufgehoben sind, wird der direkte Zusammenhang zwischen Status und Geschlecht verschwinden. Ob diese Entwicklung
durch die – jedenfalls zutreffende – Aussage von Carol Black gefördert oder gebremst werde, bleibe eine offene Frage. (rs)
Iona Heath: Women in medicine. BMJ 2004; 329: 412–3. Internet: www.bmj.com
Betreuungsunterschiede legitim?
Laut dem «Beobachter» sind sich die Spitäler und die Krankenversicherer einig: «Um die Zusatzversicherungen wieder attraktiver zu machen, sollen privat und halbprivat Versicherte von Fall zu Fall mehr oder bessere Leistungen erhalten als allgemein Versicherte.» Zwar beteuerten die Spitalverantwortlichen, dass es heute noch keine Betreuungsunterschiede gebe. Aber es gebe Hinweise darauf, dass dies nur teilweise stimme beziehungsweise sich schon bald ändern könnte: So wollten die öffentlichen Zürcher Spitäler privat und halbprivat Versicherten neben mehr Komfort künftig auch mehr medizinische und pflegerische Leistungen bieten. Und die angefragten Spitaldirektoren fänden es «legitim», sich zu überlegen, ob Privatversicherte künftig beispielsweise ein neueres Modell eines Herzschrittmachers erhalten sollten als Grundversicherte. (rs)
Christoph Schilling und Urs Zanoni: Zusatzversicherungen – Auf allgemeinen Wunsch (Ratgeber). Beobachter 18/2004.
Nachteile «nur» für Arme und Kranke
Höhere Franchisen führten gemäss zahlreichen übereinstimmenden Studien tendenziell tatsächlich zu einer geringeren Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen und zu einer Kostensenkung. Dies sagte Joseph Newhouse, Professor für Gesundheitsökonomie in Harvard, in einem Interview in «24 heures». Im Allgemeinen habe dies auch keine nachteiligen Auswirkungen auf die Gesundheit. Dies gelte allerdings nicht für die über 65-Jährigen und nicht für arme und für kranke Personen. (rs)
Elisabeth Nicoud: Un marché non régulé? – Un désastre. 24 heures, 29. Mai 2004. Internet: www.managedcareinfo.net
Managed Care 7 ● 2004 45