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Resonanz
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Aufklären oder durchwursteln?
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Offene, transparente Rationierung bremst den Anstieg der Gesundheitskosten nicht, sondern fördert ihn sogar. Dies erklärt Markus Zimmermann-Acklin in der Zeitschrift «Soziale Medizin». England zum Beispiel müsste laut Zimmermann-Acklin die Zahl der Neurologen verdreifachen und die Zahl der spezialisierten Pflegeexperten verdoppeln, um die neuen Richtlinien des «Rationierungsgremiums» NICE (National Institute for Clinical Excellence) zur Behandlung von MS-Patienten zu erfüllen.
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RESONANZ

Stimmen zu Entwicklungen im Gesundheitswesen

Aufklären oder durchwursteln?
Offene, transparente Rationierung bremst den Anstieg der Gesundheitskosten nicht, sondern fördert ihn sogar. Dies erklärt Markus Zimmermann-Acklin in der Zeitschrift «Soziale Medizin». England zum Beispiel müsste laut Zimmermann-Acklin die Zahl der Neurologen verdreifachen und die Zahl der spezialisierten Pflegeexperten verdoppeln, um die neuen Richtlinien des «Rationierungsgremiums» NICE (National Institute for Clinical Excellence) zur Behandlung von MS-Patienten zu erfüllen. Es erstaune denn auch nicht, dass der Gesundheitsökonom Jürg H. Sommer «zugunsten eines eleganten Durchwurstelns (‹muddling through elegantly›) votiere». Nur so nämlich könne der Kostenanstieg gebremst werden. Das Konzept des eleganten Durchwustelns sei allerdings nicht mit allen Modellen der Arzt-PatientBeziehung (paternalistisches, informatives, interpretatives und deliberatives Modell) zu vereinbaren. Auf das interpretative (Arzt als Hermeneut) und auf das deliberative (Arzt als Lehrer und Freund) Modell sei in diesem Konzept zu verzichten; zudem müsse «der Aufklärungsauftrag des Arztes völlig neu definiert werden», und es sei «festzulegen, wer im Konfliktfall die Interessen des Patienten vertritt, wenn es denn der Arzt nicht mehr tut!» (rs)
Markus Zimmermann-Acklin: Vernünftig Grenzen setzen. Zur Kontroverse über die Rationierung im Gesundheitswesen. Soziale Medizin Nr. 1.04, Februar 2004, S. 49–53.
Folgenreiches «Mentalitätsgefälle»
Die Erwartungshaltung der Bevölkerung gegenüber den Sozialleistungen des Staates gehört gemäss einer kürzlich publizierten Studie mit zu den Faktoren, welche die kantonalen Kostenunterschiede in der Invalidenversicherung erklären. Als Indikatoren für hohe Erwartungen der Bevölkerung an den Staat wurden dabei eine höhere Staatsquote, ein tieferes Sozialkapital (d.h. ein geringerer Zu-

sammenhalt in sozialen Gruppen und geringere gegenseitige Unterstützungsbereitschaft) sowie ein geringerer Bevölkerungsanteil Deutschsprachiger verwendet. Mit diesem Ansatz machen die Sozialforscher, so meint Markus Schneider in der «Weltwoche», «Ursachen zu Wirkungen und Wirkungen zu Ursachen». Es sei ein «Teufelskreis»: Wenn eine hohe Staatsquote «für höhere Kosten im Gesundheitswesen oder höhere Invalidenzahlen» sorge, sei es «nur logisch», dass in der Folge «die Staatsquote tatsächlich steigt». Die wahre Ursache für die kantonalen Kostenunterschiede sieht Schneider in der unterschiedlichen «Mentalität» im «legeren Westen» des Landes mit seinen «staatszentrierten Problemlösungsroutinen» und im «strengen Osten». Dieses Mentalitätsgefälle manifestiere sich bei der Invaliditätsquote ebenso wie bei der Arbeitslosenquote, den Krankenkassenprämien, der Steuerbelastung, der Apothekendichte, der Kulturförderung, der Staatsverschuldung und dem «Beamtenapparat». Zum «legeren Westen» gehört gemäss Schneider neben der Romandie immer auch Basel-Stadt und zudem oft Basselland, manchmal Bern und etwas seltener Solothurn oder Luzern. (rs)
Quellen: Stefan Spycher, Jürg Baillod, Jürg Guggisberg, Marianne Schär Moser: Zusammenfassung der Studie «Analyse der interkantonalen Unterschiede innerhalb der Invalidenversicherung» (Projekt im Rahmen des NFP 45 «Probleme des Sozialstaats»), Bern, Dezember 2003. Und: Markus Schneider: Zwei bessere Hälften. Weltwoche, 11. April 2004.
Unvollständig informiert
Sind die auf Websites verschiedener Interessensgruppen (Verbände und Fachgesellschaften, staatliche Behörden, Verbraucherverbände) vermittelten Informationen zum Brustkrebsscreening ausgewogen und vollständig hinsichtlich Nutzen und Risiken des Brustkrebsscreenings? Dies untersuchte eine Studie aus Dänemark, welche Klaus Eichler im «Journal Club» der Website des Horten-Zentrums für praxisorientierte Forschung und Wissenstransfer (www.evimed.ch) vor-

stellt und kommentiert. «Zusammenfassend beurteilten», so Eichler, «die Autoren die Websites von Verbänden/Fachgesellschaften und von staatlichen Behörden als unausgewogen und unvollständig hinsichtlich der gegebenen Informationen.» Allerdings sei die Beurteilung der Websites ausschliesslich durch die Autoren selbst erfolgt. Eichler hätte gerne erfahren, ob die «relevanten Zielgruppen (Frauen, die sich informieren möchten)» den Informationsgehalt der Websites gleich beurteilen. (rs)
Klaus Eichler: Websites zum Brustkrebsscreening: Inhalt der Information abhängig von der Interessensgruppe. www.evimed.ch, Journal Club, 17. Februar 2004.
Spielplätze und Steuern gegen Übergewicht
Die grossen medizinischen Bedrohungen anfangs des 21. Jahrhunderts sind nicht Infektionskrankheiten wie SARS oder Vogelgrippe. Bedroht sind die Menschen dadurch, dass sie immer übergewichtiger werden und sich zu wenig bewegen. In den USA sind mehr als 60 Prozent der Menschen zu schwer. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Krebs sind die Folgen, die oft zum Tod führen. Dies schreibt die medizinische Zeitschrift «The Lancet». Public Health habe in den vergangenen zwei Jahrhunderten grosse Erfolge gehabt; sauberes Trinkwasser, die Kanalisation und Impfungen hätten viel zur Volksgesundheit beigetragen. Gegen die Fettleibigkeit hingegen gebe es heute keine koordinierte Strategie. Für die USA schlägt «The Lancet» vor, die Armut zu bekämpfen, weil oft arme und schlecht ausgebildete Menschen übergewichtig seien. Zudem sollten die Städte sicherer gestaltet werden, damit FussgängerInnen, Velofahrende und Kinder sich darin bewegen könnten. In der Schweiz wird derweilen, wie «24 heures» berichtete, über eine Fett- und Zuckersteuer nachgedacht. (bc)
Quellen: The catastrophic failures of public health. Editorial. The Lancet, Volume 363, Number 9411, 6. März 2004. Und: Faut-il taxer le gras? 24heures, 10. März 2004.

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