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Dachverband der Schweizer Ärztenetzwerke
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Thesen zur KVG-Revision aus Sicht der Schweizerischen Ärztenetzwerke, vertreten durch deren
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Vorbemerkungen: Das ungebremste Wachstum der Ausgaben für das Gesundheitswesen in der Schweiz ist umso beunruhigender, als in der gleichen Zeit ein nur geringfügiges Wirtschaftswachstum zu verzeichnen ist und damit der Anteil der Gesundheitskosten am Bruttosozialprodukt ein beängstigendes Mass angenommen hat. Die Ärztinnen und Ärzte, die in Netzwerken organisiert sind, leiten daraus die Erkenntnis ab, dass in Zukunft die ärztliche Tätigkeit nicht mehr ohne Rücksicht auf ökonomische Aspekte ausgeübt werden kann. Ebenso unbestritten ist für sie, dass das bisherige hohe Niveau der Versorgung unter den künftigen Reformen nicht leiden darf. Die Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit und des Ausgleichs zwischen Gesunden und Kranken dürfen nicht aufgegeben werden. Ökonomische Verantwortung übernehmen bedeutet für die Netzwerke, das vorhandene Potenzial an Rationalisierungmöglichkeiten auszuschöpfen und die Effizienz im Dienste des Patienten zu steigern. Das Verweigern von medizinisch begründeten Leistungen kann hingegen nie Teil der ärztlichen Tätigkeit sein. Die Rationierung von Leistungen, sofern sie je nötig werden sollte, ist eine nicht delegierbare Aufgabe der Politik und der demokratisch gewählten Behörden. Es ist den Ärztinnen und Ärzten in den Netzwerken klar, dass der Erfolg einer Reform von vielen Einzelschritten abhängt, die nur im Verbund den vollen Nutzen bringen.
These 1: Die bisherige Politik zielte einseitig auf die Regulierung des Angebots durch die Einführung des Zulassungsstopps für Arztpraxen. Dies führt zwangsläufig zur Diskriminierung der Jungärzte und hätte bei Fortsetzung eine gefährliche Überalterung vor allem in den Grundversorgerpraxen zur Folge. Die Regulierung des Angebots über die Zulassung von Praxen ist dirigistisch, diskriminierend und eines liberalen Staates unwürdig. Sie ist zum frühestmöglichen Zeitpunkt aufzuheben.
These 2: Die bisherige Regelung, dass mit der Praxisbewilligung automatisch das Recht auf Abrechnung zulasten der Sozialversicherung verbunden ist, hat in gewissen, vor allem städtischen Regionen zu einer hohen Konzentration von Praxen geführt. Dabei wird aber oft übersehen, dass andernorts, vor allem in der Grundversorgung, ein deutliches Unterangebot an medizinischen Leistungen besteht. Die Schweiz weist ein Ungleichgewicht der Verteilung sowohl in geografischer Hinsicht wie auch in Bezug auf das Verhältnis von Grundversorger- zu Spezialarztpraxen auf. Diesen Tendenzen soll in erster Linie durch marktwirtschaftliche Massnahmen entgegengetreten werden, zum Beispiel, indem die Attraktivität der Arbeit in der Grundversorgung gesteigert und Ärztenetzwerke gefördert werden. Von einer Aufhebung des Kontrahierungszwangs ist hingegen kaum eine regulierende Wirkung zu erwarten. Sie würde die Macht der Versicherer einseitig und auch zum Nachteil der Patienten anwachsen lassen.
These 5: Der Versicherte, ob gesund oder als Patient, muss vermehrt in die Prozesse einbezogen werden und auch mehr Verantwortung übernehmen. Eine Erhöhung des Selbstbehaltes auf mindestens 20 Prozent und eine entsprechende Anpassung des Maximalbetrages ist sinnvoll und steigert das Interesse an einem massvollen Umgang mit Leistungen des Gesundheitswesens. Die Versicherer dürfen nur einen auf 20 Prozent erhöhten Selbstbehalt verrechnen, wenn sie den Patienten die Möglichkeit anbieten, sich in einem Ärztenetzwerk-Modell mit tieferem Selbstbehalt zu versichern.
These 6: Mit der Förderung von Ärztenetzwerken mit Budgetmitverantwortung steht die aus unserer Sicht innovativste Idee zur Diskussion. Die Budgetmitverantwortung soll das Interesse der Leistungsanbieter an den ökonomischen Implikationen ihrer Entscheide fördern. Es ist hingegen nicht die Meinung, dass die Netzwerke die Rolle der Versicherer übernehmen sollen. Netzwerke bringen doppelten Nutzen durch vermehrte Koordination und gezielte Steuerung der Prozesse. Der Patient profitiert von klaren Abläufen ohne Umwege, die Kostenträger von den durch Effizienzsteigerung erzielten Einsparungen. Wichtigste Massnahme, um die Attraktivität der Netzwerke zu steigern, ist die Senkung des Selbstbehaltes für Netzwerkversicherte. Davon profitieren vor allem die Patientinnen und Patienten, welche regelmässig Leistungen beanspruchen müssen. Bei ihnen besteht auch das grösste Potenzial zum verbesserten Einsatz der Mittel.
Daraus ergeben sich folgende Forderungen: 1. Der Zulassungsstopp für Praxiseröffnungen ist auf den frühest-
möglichen Zeitpunkt und ersatzlos aufzuheben. 2. Es sind Massnahmen zu ergreifen, welche die Attraktivität der
Grundversorgerpraxen und der Ärztenetzwerke steigern. Auf eine generelle Aufhebung des Kontrahierungszwangs ist zu verzichten. 3. Die monistische Spitalfinanzierung ist mit der anstehenden Reform zu verwirklichen. 4. Die Finanzierung der Pflege bei Krankheit soll weiterhin über die Krankenversicherung erfolgen. 5. Der Selbstbehalt soll auf mindestens 20 Prozent angehoben werden, mit entsprechender massvoller Anhebung des Maximalbetrages. 6. Die Berechtigung, den Selbstbehalt auf 20 Prozent zu erhöhen, soll jenen Versicherern vorbehalten werden, welche Ärztenetzwerk-Versicherungsmodelle mit reduziertem Selbstbehalt anbieten.
These 3: Das bisherige Entschädigungssystem im Gesundheitswesen ist undurchsichtig und in vielen Bereichen durch Quersubventionierungen und Zweckentfremdung der Gelder geprägt. Eine verbesserte Kostenkontrolle verlangt zwingend auch mehr Transparenz der Finanzströme. Ein wichtiges Element zur Verbesserung der Transparenz ist der Übergang zur monistischen Finanzierung im stationären Sektor. Dieser sollte bereits im Rahmen des anstehenden Reformschritts angestrebt werden.
Dr. med. M.-A. Fischer-Taeschler Präsident med-swiss.net
These 4: Die Pflege bei Krankheit ist Teil der umfassenden medizinischen Betreuung der Patienten. Sie muss deshalb im Rahmen der Grundversicherung abgegolten werden. Eine separate Versicherung birgt die Gefahr einer zusätzlichen, wenig transparenten Finanzierung mit entsprechenden Abgrenzungsschwierigkeiten. Eine ganzheitliche Betreuung im Sinne des Care-Managements würde dadurch behindert.
26 Managed Care 4 ● 2004