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FIRST-TO-DISCUSS-Newsletter Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Menopause (SGEM)
Einfluss einer Hormonsubstitution (HRT) auf das Risiko für eine Depression
Hintergrund: Erst im August 2022 wies das Positionspapier der Nordamerikanischen Menopause Gesellschaft (NAMS) (1) darauf hin, dass 1. die antidepressive Wirkung von Östrogenen ähnlich stark ist wie die von Antidepressiva,
wenn sie depressiven Frauen in der Perimenopause mit oder ohne Hitzewallungen verabreicht werden (Level II), und 2. transdermales Östradiol mit sequenziellem, mikronisiertem Progesteron depressive Symptome bei euthymischen Frauen in der Perimenopause vorbeugen kann. (Level II). Diese Statements werden nun von einer prospektiven Kohortenstudie (Level IV) in Frage gestellt.
Zusammenfassung der Studie
In einer dänischen, registerbasierten, prospektiven Kohortenstudie wurden alle Frauen, die im Zeitraum zwischen 1995 und 2017 45 Jahre alt wurden, eingeschlossen (n = 825 238). Das Follow-up endete 2018 und war somit für die eingeschlossenen Frauen unterschiedlich lang (ca. 1–23 Jahre). Während des Follow-up wurden 13 069 Frauen (1,6%) aufgrund einer Depression hospitalisiert (Inzidenz 17,3 Fälle pro 10 000 Personenjahre). Während des Follow-up begannen 189 821 Frauen (23%) eine systemische HRT (Östrogen mono; ET), eine Östrogen-Gestagen-Kombination (EPT) oder lokale Hormonersatztherapie (HRT). Das mediane Alter bei HRT-Start war 55 Jahre. Im Median wurden 33 HRT-Verschreibungen eingelöst, wobei zirka zwei Drittel der Frauen mindestens 5 Verschreibungen einlösten, am häufigsten für eine lokale HRT (lokal 65,8% vs. ET 7,8% vs. EPT 26,4%). Die Prävalenz einer früheren Depression war insgesamt gering (2,4%), wobei HRT-Anwenderinnen seltener davon betroffen waren als Nichtanwenderinnen (1,2% vs. 2,8%). Die Prävalenz einer früheren Anwendung von Antidepressiva (19%) und Schlafmedikamenten (14,4%) war jedoch deutlich höher! Das Ziel der Studie war es, die Assoziation zwischen einer HRT und einer späteren Depressionsdiagnose zu untersuchen. Die Assoziationen wurden unter Verwendung von Cox-Proportional-Hazards- und Fixed-Effects-Poisson-Regressionsmodellen untersucht. Alle Hazard Ratios (HR) wurden für Bildungsniveau, Ehestatus, Geburten, frühere Anwendung von hormonalen Kontrazeptiva und Schlafmedikamenten (aber nicht Antidepressiva!) und Komorbiditäten (Diabetes, Bluthochdruck, Apoplex, Herzerkrankung, frühere Depression) adjustiert.
Resultate Nur eine systemische, nicht aber eine lokale HRT war mit einem erhöhten Risiko für eine hospitalisierungspflichtige Depression ver-
bunden – und dies vor allem bei 48- bis 50-jährigen HRT-Starterinnen (HR: 1,50; 95%-KI: 1,24–1,81) sowie überwiegend im 1. Jahr nach Beginn einer Behandlung mit ET (HR: 2,03; 95%-KI: 1,21–3,41) bzw. EPT (HR: 2,01; 95%-KI: 1,26–3,21). Die Fallzahlen waren allerdings recht klein: Von den 649 279 45-jährigen Frauen ohne Depression in der Vorgeschichte wurden innerhalb des 1. Beobachtungsjahres 74 Frauen aufgrund einer Depression hospitalisiert (vs. 534 Nichtanwenderinnen). Eine lokale HRT ab 54. Lebensjahr war dagegen mit einem signifikant verringerten Depressionsrisiko verbunden. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass gegenüber Nichtanwenderinnen eine systemische HRT mit einem höheren Depressionsrisiko verbunden ist, insbesondere in den Jahren unmittelbar nach Behandlungsbeginn, während eine lokal verabreichte Hormonbehandlung mit einem geringeren Depressionsrisiko für Frauen ab 54 Jahren verbunden ist.
Kommentar
Die skandinavischen Registerstudien bestechen regelmässig durch ihre hohen Fallzahlen. Dennoch lohnt sich hier ein kritischer Blick. In der Studie von Wium-Andersen und Kollegen lag das Durchschnittsalter der Anwenderinnen bei HRT-Beginn in der Postmenopause, was sich auch in der bevorzugt lokalen HRT-Verschreibung widerspiegelt. Die Indikation für die Verschreibung einer systemischen HRT ist unklar, was bei Registerstudien auch nicht anders zu erwarten ist. Allerdings heisst es im Ergebnisteil, dass dies die erste Beobachtungsstudie sei, die Frauen, die eine HRT aufgrund einer klinisch diagnostizierten Depression begannen, prospektiv beobachte. Wenn das so stimmte, dann würde die Studie eher den Einfluss einer HRT auf das Hospitalisierungsrisiko (also den Schweregrad) einer Depression untersuchen. Wichtig an der Stelle ist, dass der Studienendpunkt die hospitalisie-
Prof. Dr. med. Petra Stute Leitende Ärztin Gynäkologische
Endokrinologie und Reproduktionsmedizin
Universitätsfrauenklinik
Inselspital Bern
Kommentierte Studie: Wium-Andersen MK et al.: Association of hor-
mone therapy with depression during meno-
pause in a cohort of Danish women. JAMA
Netw Open. 2022 Nov 1;5(11):e2239491. (LoE IV).
rungspflichtige Depression war. Andere,
auch schwächere, vielleicht auch positive
Affektveränderungen wurden nicht erfasst.
Die Prävalenz einer früheren Anwendung
von Psychopharmaka ist deutlich höher als
die der im Register dokumentierten frühe-
ren Depressionen; diese Diskrepanz wird
nicht geklärt. Auch wird für die frühere
Anwendung von Antidepressiva nicht adjus-
tiert!? Auch zur systemischen HRT bleiben
viele Fragen offen: Unklar ist, welche Präpa-
rate eingesetzt wurden, also welche Gesta-
gene, welcher Applikationsmodus (oral,
transdermal), welche Applikationsschemata
(sequenziell, kontinuierlich-kombiniert),
welche Dosis jeweils angewandt wurden.
Ausserdem wird die HRT-Therapiedauer
nicht angegeben, da nur in «eingelösten
Rezepten» gerechnet wird. Wie aber ist in
Dänemark die Verschreibungseinheit defi-
niert? Wie beispielsweise in Deutschland
mit maximal drei HRT-Packungen pro
Rezept? Oder eher wie in der Schweiz, wo
vorwiegend Jahresrezepte ausgestellt wer-
den? Oder ganz variabel?
Als Fazit bleibt, dass nach wie vor viele Fra-
gen zum Einfluss einer HRT auf die Stim-
mung offenbleiben. Eine einzelne Studie
sollte uns aber nicht davon abhalten, Frau-
en mit klimakterischem Syndrom die Erstli-
nientherapie HRT zu verschreiben.
n
Prof. Dr. med. Petra Stute E-Mail: petra-stute@insel.ch Internet: www.meno-pause.ch
Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel: keine.
Referenz: NAMS-Advisory Panel (The 2022 Hormone Therapy Position Statement of The North American Menopause Society): The 2022 hormone therapy position statement of The North American Menopause Society. Menopause. 2022 Jul 1;29(7):767-794.
GYNÄKOLOGIE 2/2023
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