Transkript
SCHWERPUNKT
Vulvodynie
Multimodales Behandlungskonzept
Die Vulvodynie als idiopathische Erkrankung muss von anderen, mit Schmerzen einhergehenden Vulvapathologien abgegrenzt werden und gilt als Ausschlussdiagnose. Da die ideale Therapiestrategie individuell verschieden ist, kann die Begleitung der Vulvodyniepatientin anspruchsvoll sein. Der Definition realistischer Therapieziele wird daher grosse Bedeutung beigemessen. In dieser Zusammenfassung wird der Fokus auf das multimodale Therapiekonzept gelegt.
GIAN-PIERO GHISU, JOANNIS DEDES, DANIEL FINK
Gian-Piero Ghisu
Definition des Krankheitsbilds Vulvodynie
Chronische, über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten bestehende, idiopathische vulväre Schmerzen werden unter dem Begriff Vulvodynie zusammengefasst (1). Infektiöse, entzündliche, neoplastische, neurologische, iatrogene und durch Trauma oder Hormonmangel bedingte Erkrankungen sind häufig auch von vulvären Schmerzen begleitet. Diese Pathologien werden therapeutisch anders angegangen und müssen daher von der Vulvodynie – eine Ausschlussdiagnose – abgegrenzt werden. Obige Definition der Vulvodynie unterscheidet weiter, ob sie a) lokalisiert (z.B. Vestibulodynie, Klitorodynie), ge-
neralisiert oder gemischt (= sowohl lokalisiert als auch generalisiert) b) provoziert (z.B. bei Penetration, Berührung), spontan oder gemischt auftritt.
Dazu wichtig sind Aussagen über c) den Beginn des Auftretens der Beschwerden
(primär oder sekundär) und d) den zeitlichen Verlauf (intermittierend, persistie-
rend, konstant, unmittelbar, verzögert). Kombinationen von erklärbarem und nicht erklärbarem Schmerz sind möglich.
Merkpunkte
I Die Vulvodynie ist eine Erkrankung, die durch chronische, seit mindestens drei Monaten bestehende, idiopathische Schmerzen charakterisiert ist.
I Das Behandlungskonzept ist multimodal und besteht aus mehreren Elementen, die sich für eine bestimmte Patientin mehr oder weniger eignen.
I Das Finden und Kombinieren der für die Patientin am besten geeigneten Therapieansätze erweist sich als Erfolg versprechend.
I Die medikamentöse Therapie erfolgt im off label use und sieht den Einsatz verschiedener topisch anzuwendender Präparate und Präparatkombinationen, systemisch wirksamer Antidepressiva und Neuroleptika sowie zu injizierender Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen vor.
Zu Beginn realistische Behandlungsziele setzen
Sinnvoll ist, noch vor Einleitung allfälliger Therapien realistische Behandlungsziele zu definieren. Die Kenntnis darüber, dass die Symptome nicht immer beseitigt und periodisch zu- oder abnehmen können, die ideale Therapie zum Teil nur durch Ausprobieren gefunden werden kann und keine «one size fits all»-Behandlung existiert, dürfte Compliance und Vertrauensverhältnis verbessern. Sind diese Voraussetzungen gegeben, kann das Behandlungskonzept der Vulvodynie besprochen werden. Es basiert auf einem multimodalen Ansatz, in dem schulmedizinische, physio- und psychotherapeutische sowie komplementärmedizinische Elemente enthalten sind. Das multimodale Therapiekonzept der Vulvodynie ist in Tabelle 1 zusammengefasst.
Verhaltenscheck
Die Exploration bereits adaptierter Verhaltensstrategien ermöglicht es aufzuzeigen, welche für eine Beschwerdepersistenz förderlich beziehungsweise einer Linderung nicht zuträglich sind. In Tabelle 2 finden sich entsprechende Tipps zur Selbsthilfe (2). Lindernd können sich etwa Kältepackungen auswirken, welche alle 4 bis 6 Stunden während 10 bis 15 Minuten angewendet werden. Ein mit einer halben Tasse Epsomsalz (Bittersalz oder Magnesiumsulfat) versetztes Sitzbad kann ebenfalls Abhilfe verschaffen (3), was auch für feuchtigkeitsspendende Präparate gilt. Gels und andere alkoholhaltige oder wärmende Produkte können sich allerdings auch irritierend auswirken. Entspannungsübungen und Bewegung sind dem Stressabbau und der Linderung von Vulvodyniebeschwerden zuträglich. Dabei sind mechanisch reizende Aktivitäten wie Fahrradfahren oder «Spinning» eher ungeeignet.
Physiotherapie
Die Wirksamkeit der Beckenbodenrehabilitation in der Behandlung der Vulvodynie gilt als erwiesen (4).
16 GYNÄKOLOGIE 1/2019
SCHWERPUNKT
Tabelle 1:
Multimodales Therapiekonzept der Vulvodynie
Vulvodyniepatientinnen weisen myofasziale Triggerpunkte auf, die sowohl im kleinen Becken als auch äusserlich, etwa vulvär, abdominal, an den Oberschenkelaussen- und -innenseiten sowie gluteal, am Beckenkamm und im Kreuzbereich lokalisiert sein können. Hier kommt es zu einer mit Tonuserhöhung einhergehenden entzündlichen Reaktion, die zu Durchblutungsstörungen und einem abnormen neuronalen Muster führen kann. Die daraus resultierende Muskelverkürzung und die Abnahme der Beweglichkeit sind schliesslich beispielsweise für die Dyspareunie mitursächlich, welche dann wiederum zur Tonuserhöhung führt und damit zu einem Teufelskreis. Die Beckenbodenrehabilitation wirkt der Muskelverkürzung entgegen und führt zur Abnahme der Muskelverspannung, wodurch der Schmerz abnimmt und die Funktion wiederhergestellt wird. Techniken zur Becken- und Rumpfstabilisierung, Bindegewebelockerung, Triggerpunktbehandlung, Biofeedback und Elektrostimulation kommen dafür zur Anwendung. Ein «Stretching» von Abdominalmuskulatur, Hüfte, Becken, unteren Extremitäten und Kreuz sowie Entspannungsübungen, manuelle Techniken und der Einsatz von vaginalen Dilatatoren beinhaltenden Heimprogrammen werden ergänzend empfohlen.
Psychologischer Ansatz
Im vor über 40 Jahren auf die Vulvodynie übertragenen «Angst-Vermeidungs-Modell» (5) wird die Aktivierung von Vermeidungsmechanismen durch Angst vor Schmerzen oder Versagen als Ursache einer Erhöhung der Beckenbodenspannung angesehen, welche wiederum eine bestimmte Intention (Penetration) verunmöglicht. Während solche Mechanismen beim akuten Schmerz durchaus Sinn ergeben, indem sie zum Beispiel die Wundheilung nach einer Verletzung ermöglichen, führen sie bei Chronifizierung zu Funktionseinbussen und zu Depressionen. Der psychologische Therapieansatz fokussiert auf die Schmerzreduktion, die Wiederherstellung der Sexualfunktion und die Stärkung der partnerschaftlichen Beziehung. Die Wirksamkeit der auch paarbasiert möglichen kognitiven Verhaltenstherapie dürfte es mit jener der Vestibulektomie, der Steroidbehandlung, des Biofeedbacks oder der Physiotherapie aufnehmen; die Nebenwirkungen sind vernachlässigbar und die Wirksamkeit bis 2½ Jahre nach Therapieabschluss anhaltend (6). Durch das Führen eines Schmerztagebuchs können schmerzbeeinflussende Faktoren und negative Copingstrategien (Katastrophisierungstendenzen, Hypervigilanz etc.) erkannt und angegangen sowie Bewältigungsstrategien erarbeitet werden.
Medikamentöse Therapie
Zu den meisten medikamentösen Therapieempfehlungen bei Vulvodynie finden sich in Bezug auf opti-
I Verhaltensänderung
I Beckenbodenrehabilitation
I Psychologischer Ansatz
I Medikamentöse Therapie:
Medikamente
Topisch
Systemisch
I Lidocain
I Antidepressiva
I Hormone
I Neuroleptika
I Capsaicin
I Gabapentin
I Amitriptylin-basierte Präparate
I Cromoglycin
I Komplementäre und alternative Therapien
I Chirurgie
I CO2-Laser-Therapie
Ad injectionem I Botox® I Steroide
Tabelle 2:
Tipps zur Selbsthilfe bei Vulvodynie
Verhaltenscheck Bevorzugen I Weisse Baumwollwäsche I Weiches, unparfümiertes WC-Papier I Binden oder Tampons aus
100% Baumwolle I Sitzbad, lauwarm oder kühl I Spülen nach Miktion I Miktion, bevor Blase allzu voll I Knie- und oberschenkellange Strümpfe I Lockere Hosen I Dermatologisch getestete Detergenzien
Vermeiden I Synthetische, farbige Unterwäsche I Strumpfhosen, «Panties», enge Kleidung I Nasse Badehose
(sofort durch trockene ersetzen) I Shampoo, Seifen, Parfüms, parfümierte
Cremes ➔ cave: atopische Dermatitis! I Weichspüler für Unterwäsche I Konstipation
malen Wirkstoff, geeignete Dosierung und idealen Applikationsweg wenig Daten, sodass Pharmaka zur Behandlung der Vulvodynie «off label» eingesetzt werden. Dennoch ist die medikamentöse Therapie als Teil des Behandlungskonzeptes nicht wegzudenken. Eine Zusammenfassung über die angewendeten Wirkstoffe findet sich in Tabelle 3. Viele der erwähnten Präparate oder Substanzkombinationen sind nur auf Magistralrezeptur erhältlich. Topisch angewendete Pharmaka weisen in Bezug auf das Profil systemischer Nebenwirkungen, auf die Anwendung und auf die Verfügbarkeit deutliche Vorteile auf. Sie können allerdings auch irritieren und im ungünstigen Fall eine Kontaktdermatitis bewirken. Als Medikamente der ersten Wahl, kommen topische Lokalanästhetika wie Lidocain und Hormone wie Estradiol (ggf. in Kombination mit Testosteron) zum Einsatz.
Topische Therapiemöglichkeiten I Lidocain: Die Lidocain-Creme (2–5%) ist nebenwir-
kungsarm, kann bei Bedarf angewendet werden und erweist sich in bis zu 50% der Fälle als wirksam (4). I Hormone: Der Wirkmechanismus des Estradiols bei Vulvodynie ist nicht geklärt. In einer Fallstudie konnte eine signifikante Wirksamkeit bei Frauen nachgewiesen werden, bei denen die Vulvodynie unter oralen Kontrazeptiva aufgetreten war (7). Zum Einsatz von Estradiol (0,01%) oder Estradiol
GYNÄKOLOGIE 1/2019
17
Tabelle 3:
Medikamentöse Therapie bei Vulvodynie
Topische Therapien Lokalanästhetika Lidocain-Creme 2–5% Hormone Estradiol-Creme 0,01% Estradiol 0,01%/Testosteron 0,05–0,1%-Creme Dehydroepiandrosteron (DHEA) Capsaicin 0,025–0,05%-Creme in hypoallerg. Trägersubstanz (nicht alkoholisch, da zusätzlich irritierend!)
Amitryptilin 2%/Ketamin 0,5%-Creme Amitryptilin 2%/Baclofen 2%-Creme
Gabapentin-Creme 4–10%
Cromoglycinsäure (5–10%) in Vaseline
Lokale Injektionen Triamcinolonacetat 0,1% und Bupivacain 0,25–0,5%
Botulinum Neurotoxin A (Botox®) 20–100 U
Systemische Therapien Antidepressiva (Wirkungseintritt nach 4–6 Wochen) Trizyklische Antidepressiva (TZA) I Amitryptilin (z.B. Saroten®) I Nortriptylin (z.B. Nortrilen®)
SNRI I Duloxetin (z.B. Cymbalta®) I Venlafaxin (z.B. Efexor®) Neuroleptika (Wirkungseintritt nach 3–4 Wochen) Gabapentin
Bei Bedarf
I Abends vestibulär auftragen I Versch. Empfehlungen Als Creme, z.B. von EuroVital I Vorbehandlung mit 5% Lidocain-Creme (10 Min.), dann I Capsaicin-Creme für 20 Min., dann abduschen I 12 Wochen I 3 x tgl. I v.a. bei generalisierter Vulvodynie mit Brennen
als Leitsymptom I 3 x tgl. I v.a. bei Brennen als Leitsymptom I Mehrmals täglich I v.a. bei Juckreiz als Leitsymptom
I Max. 40 mg Steroid/Monat I Applikation an den Triggerpunkten bei lokalisierter
Vulvodynie I Mehrere Injektionsstellen I whs. Wirkung am besten, wenn in hypertonem
Beckenmuskel gespritzt I Evtl. auch mukosal wirksam
I Beginn mit 10–25 mg/Tag I Steigerung alle 7–10 Tage bis max. 50–75 mg/Tag I Max. Dosis: 150 mg/Tag; cave: ab 100 mg/Tag Fälle von
plötzlichem Herztod beschrieben I Duloxetin: 20–30 mg/Tag, evtl. Steigerung bis 60 mg/Tag I Venlafaxin: Mit 37,5 mg/Tag beginnen
I Nicht als Monotherapie geeignet I Evtl. besseres Ansprechen bei längerer KH-Dauer und
Verzicht auf orale Kontrazeptiva I Beginn mit 100 mg/Tag abends I Nach 3–4 Tagen Steigerung auf 3 x 100 mg/Tag I Falls gut toleriert: alle 7–14 Tage steigern I Max. Dosis: 3 x 1200 mg/Tag
(0,01%)-/Testosteron (0,05–0,1%)-Gemischen gibt es verschiedene Empfehlungen (7, 8). Ob Menopausenstatus, Serumestradiol und vaginale Atrophie mit der Ausprägung der Vulvodynie korrelieren, ist unklar. Eine symptomatische Atrophie sollte aber auf jeden Fall unabhängig davon angegangen werden. Als Alternative gilt die DHEA-Creme (Dehydroepiandrostendion, via Internet erhältlich), ein bioidentisches Hormon, welches von Estron zu Estradiol aromatisiert wird. Der Wirkstoff ist in den USA zur Behandlung des genitourinären Syndroms in der Menopause zugelassen; zum Einsatz bei der Vulvodynie gibt es keine Daten. I Capsaicin: Die aus der Pfefferschote gewonnene Substanz führt zur Desensibilisierung bei Brennen und Schmerzen. Es finden sich zwei Beobachtungsstudien, die den Einsatz von Capsaicin (0,025–0,05%) als erfolgreich gesehen haben; in beiden Arbeiten erfolgte allerdings eine Vorbehandlung mit Lidocain (9). Eine Capsaicin-Thera-
pie kommt in der Regel nach Versagen anderer Therapieoptionen, etwa vor einer Vestibulektomie, zum Einsatz. I Amitriptylin-basierte Kombinationen: Gemische von Amitriptylin 2% und Ketamin 0,5% (10) oder Amitriptylin 2% und Baclofen 2% (11) können vor allem bei der generalisierten Vulvodynie mit Brennen als Leitsymptom versucht werden. I Gabapentin: Die 4- bis 10%ige GabapentinCreme gilt gerade bei der lokalisierten, «brennenden» Vulvodynie als mögliche Alternative (12). I Cromoglycinsäure: Ist die Vulvodynie in erster Linie durch Beschwerden juckender Natur charakterisiert, kann eine Anwendung von 5- bis 10%iger Cromoglycinsäure in Vaseline versucht werden. Die Wirksamkeit ist allerdings nicht erwiesen (13).
Injektionstherapien I Kortison-/Analgetikakombination: Die Steroidin-
jektion dürfte im Vergleich zur lokalen Anwen-
18 GYNÄKOLOGIE 1/2019
SCHWERPUNKT
dung von entsprechenden Cremes zur Triggerpunktbehandlung vorteilhafter sein. Es gibt dazu unterschiedliche Empfehlungen bezüglich des anzuwendenden Steroids und des beizumischenden Analgetikums. Gute Erfahrungen haben wir mit Triamcilononacetat 0,1% und Bupivacain 0,25–0,5% gesammelt, wobei sich die Konzentration des Lokalanästhetikums nach der zu infiltrierenden Fläche richtet. I Botulinum-Neurotoxin A (Botox®): Die etwa 3 Monate anhaltende Wirkung des Präparates vermindert die Tonuserhöhung im Beckenboden und wird wohl besser bei intramuskulärer als vestibulärer Anwendung gewährleistet. In Bezug auf den idealen Applikationsort, die Dosierung, die Behandlungsanzahl, den zu infiltrierenden Muskel und die Patientinnen, die gut auf Botox® ansprechen, besteht Unklarheit. In den meisten Publikationen werden 20 bis 100 U Botox®, eventuell an mehreren Stellen (zur besseren Verteilung), injiziert (4).
Systemische Therapien Systemische Therapien umfassen den Einsatz von Antidepressiva und Neuroleptika. Der Wirkungseintritt bei trizyklischen Antidepressiva (TZA) und selektiven Norepinephrin-Wiederaufnahmehemmern (SNRI) ist etwa 4 bis 6 Wochen nach Therapieeinleitung zu erwarten. I TZA: Sie sind in der Therapie chronischer
Schmerzsyndrome etabliert und werden gewöhnlich in tieferen Konzentrationen eingesetzt als bei der Depression. Bei der Vulvodynie werden am häufigsten Amitriptylin oder Nortriptylin eingesetzt. Die Therapieeinleitung erfolgt mit 10 bis 25 mg/Tag; die Dosis wird alle 7 bis 10 Tage bis maximal 50 bis 75 mg/Tag gesteigert. Kleinere, retrospektive Analysen bestätigen deren Wirksamkeit; diese konnte allerdings in 2 plazebokontrollierten Studien nicht reproduziert werden (4). Aufgrund des besseren Nebenwirkungsprofils im Vergleich zu den TZA gelten die SNRI als gute Alternative zur Behandlung neuropathischer Schmerzen: Die Therapieeinleitung mit Duloxetin erfolgt mit 20 bis 30 mg/Tag mit allfälliger Dosissteigerung bis 60 mg/Tag, die Behandlung mit Venlafaxin wird gewöhnlich mit 37,5 mg/Tag gestartet. Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer wie Fluoxetin oder Quetiapin werden zur Behandlung der Vulvodynie nicht empfohlen. I Neuroleptika: Für die Behandlung neuropathischer Schmerzen sind Gabapentin, Pregabalin und Carbamazepin von der FDA zugelassen (14), wobei zur Therapie der Vulvodynie das Gabapentin am besten untersucht ist. In verschiedenen kleinen Studien und Fallbeschreibungen wurde
eine Wirksamkeit in bis zu 80% der Fälle beschrieben. In einer kürzlich erschienenen Cross-overStudie wurde dem Gabapentin im Vergleich zu Plazebo allerdings kein Vorteil zugeschrieben (15). Die alleinige Gabe von Gabapentin zur Behandlung der Vulvodynie muss daher als ungenügend erachtet werden; in Kombination mit anderen Therapiemodalitäten hat die Substanz jedoch nach wie vor ihren Stellenwert.
Komplementäre und alternative Therapien
Diese Behandlungsoptionen haben generell einen positiven Effekt auf chronische Schmerzen und gelten als nebenwirkungs- respektive risikoarm. Jedoch werden sie in der Regel nicht von der Krankenversicherung bezahlt und sind relativ kostspielig. In 2 kleineren prospektiven Studien wird die Akupunktur als wirksame Therapie der Vulvodynie beschrieben (16). Wenige, aber vielversprechende Resultate zeigen auch die Hypnose und die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS).
Chirurgische Möglichkeiten
Die Operationstechniken bei der Vulvodynie haben mit der Zeit eine Evolution erfahren; die posteriore Vestibulektomie gehört zu den derzeit am ehesten praktizierten Eingriffen (17). Dabei erfolgt zwischen zwei parallelen Inzisionen von 2 bis 10 Uhr, unmittelbar am Hymenalsaum und auf der Hart’schen Linie, eine Deepithelialisierung. Die scheidenwärts über eine kurze Distanz folgende Lösung der Vagina von der Unterlage ermöglicht einen spannungsfreien Wundverschluss. Bei gut ausgewähltem Kollektiv werden Erfolgsraten von bis zu 88% beschrieben (17). Als mögliche Komplikationen des Eingriffs sind Vernarbungsprobleme (2%), Bartholini-Zysten (5–7%) und Rezidive (7%) zu nennen. Obschon die Vestibulektomie nicht zu den Erstlinientherapien bei Vulvodynie zählt, sollte sie gerade nach frustranen konservativen Therapien, ausgeprägter Dyspareunie über einen längeren Zeitraum und bei nicht konstant bestehenden Schmerzen sowie bei provozierbarer Vulvodynie in Betracht gezogen und den Betroffenen nicht vorenthalten werden.
Lasertherapie
Neuere Daten sprechen der CO2-Lasertherapie bei Vulvodynie zunehmende Bedeutung zu. In einer Pilotstudie profitierten rund zwei Drittel der Patientinnen von dieser Therapie (18). Die geringe Fallzahl, der fehlende Vergleich mit Plazebo, die Wahl des «subjektiven Befindens» als Endpunkt und das kurze Follow-up von nur 4 Monaten sind als Schwachpunkte der genannten Arbeit zu erwähnen. Zur Lasertherapie sind somit weitere Studien nötig.
GYNÄKOLOGIE 1/2019
19
SCHWERPUNKT
Zusammenfassung
Die Vulvodynie geht mit idiopathischen, chronischen
Vulvaschmerzen über eine Zeitdauer von mindestens
3 Monaten einher. Nach Ausschluss erklärbarer, mit
Vulvaschmerzen assoziierter Erkrankungen und der
Definition einer realistischen Zielsetzung zur Behand-
lung dieser chronischen Krankheit kann der Inhalt
des multimodalen, interdisziplinären, individualisier-
ten und patientinnenorientierten Therapiekonzeptes
besprochen werden: Neben dem Verhaltenscheck
und der Besprechung allgemeiner Verhaltensemp-
fehlungen wird der Physio- und der Psychotherapie
einen grossen Stellenwert beigemessen. Für die me-
dikamentöse Therapie können zahlreiche Substanzen
und Kombinationen davon zur topischen und systemi-
schen Anwendung sowie Injektionen berücksichtigt
werden. Gerade bei provozierbarer, lokalisierter Vulvo-
dynie kann auch die Vestibulektomie zielführend sein.
So gelten auch alternative Therapiemöglichkeiten wie
Akupunktur, Hypnose und TENS als risikoarme und
prüfenswerte Massnahmen.
I
Dr. med. Gian-Piero Ghisu (Korrespondenzadresse) E-Mail: gian-piero.ghisu@usz.ch
Dr. med. Joannis Dedes Prof. Dr. med. Daniel Fink
Klinik für Gynäkologie Universitätsspital Zürich Frauenklinikstrasse 10 8091 Zürich
Quellen: 1. Bornstein J et al.: 2015 ISSVD, ISSWSH and IPPS Consensus Terminology and Classification of Persistent Vulvar Pain and Vulvodynia. Obstet Gynecol 2016; 127(4): 745. 2. National Vulvodynia Association. Self-help tips. www.nva.org/for-patients/selfhelp-tips (Accessed on January 12, 2017). 3. Stenson AL.: Vulvodynia: Diagnosis and Management. Obstet Gynecol Clin N Am 2017; 44: 493. 4. Goldstein AT.: Vulvodynia: Assessment and Treatment. J Sex Med 2016; 13(4): 572. 5. Spano L, Lamont JA.: Dyspareunia: a symptom of female sexual dysfunction. Can Nurse 1975; 71(8): 22. 6. Bergeron S et al.: A randomized clinical trial comparing group cognitive-behavioral therapy and a topical steroid for women with dyspareunia. J Consult Clin Psychol 2016; 84(3): 259. 7. Burrows LJ, Goldstein AT.: The treatment of vestibulodynia with topical estradiol and testosterone. Sex Med 2013; 1(1): 30. 8. www.nva.org/what-is-vulvodynia/treatment/ (Accessed on November 14, 2016). 9. Steinberg AC et al.: Capsaicin for the treatment of vulvar vestibulitis. Am J Obstet Gynecol 2005; 192(5): 1549. 10. Poterucha TJ et al.: Topical amitriptyline-ketamine for treatment of rectal, genital, and perineal pain and discomfort. Pain Physician 2012; 15(6): 485. 11. www.nva.org/wp-content/uploads/2015/01/Haefner-Vulvodynia-Guideline2005.pdf 12. Boardman LA et al.: Topical gabapentin in the treatment of localized and generalized vulvodynia. Obstet Gynecol 2008; 112(3): 579. 13. Nyirjesy P et al.: Cromolyn cream for recalcitrant idiopathic vulvar vestibulitis: results of a placebo controlled study. Sex Transm Infect 2001; 77(1): 53. 14. Dobecki DA.: Update on pharmacotherapy guidelines for the treatment of neuropathic pain. Curr Pain Headache Rep 2006; 10(3): 185. 15. Brown CS et al.: Gabapentin for the Treatment of Vulvodynia: A Randomized Controlled Trial. Obstet Gynecol. 2018; 131(6): 1000. 16. Schlaeger JM et al.: Acupuncture for the treatment of vulvodynia: a randomized wait-list controlled pilot study. J Sex Med 2015; 12: 1019. 17. Tommola P et al.: Surgical treatment of vulvar vestibulitis: a review. Acta Obstet Gynecol Scand 2010; 89(11): 1385. 18. Murina F et al.: Fractional CO2 Laser Treatment of the Vestibule for Patients with Vestibulodynia and Genitourinary Syndrome of Menopause: A Pilot Study. J Sex Med 2016; 13(12): 1915.
Interessenkonflikte: keine.
20 GYNÄKOLOGIE 1/2019