Transkript
ERNÄHRUNG UND COVID-19
Ausgewogene Ernährung und gezielte Nahrungsergänzung
Effiziente Unterstützung bei der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie
Mette M. Berger, Heike Bischoff-Ferrari, Isabelle Herter-Aeberli, Michael Zimmermann, Jörg Spieldenner, Manfred Eggersdorfer
Aufgrund der aktuellen COVID-19-Pandemie hat ein Expertenpanel in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung SGE die Rolle der Ernährung für ein gut funktionierendes Immunsystem evaluiert. Vor diesem Hintergrund hat das Gremium folgende Schlussfolgerungen erarbeitet, die im Positionspapier «Nutritional status in supporting a well-functioning immune system for optimal health with a recommendation for Switzerland» ausgeführt sind:
• Eine mangelnde Zufuhr an wichtigen Nährstoffen kann das Immunsystem schwächen und das Risiko, die Schwere und die Dauer einer COVID-19Erkrankung negativ beeinflussen.
• Eine optimale Versorgung mit Nährstoffen erfolgt idealerweise über eine gesunde und ausgewogene Ernährung nach der Schweizer Lebensmittelpyramide. Gemäss der aktuellen Datenlage hält sich die Schweizer Bevölkerung jedoch zu wenig an diese Empfehlungen.
• Die Versorgung mit wichtigen Nährstoffen für die optimale Funktion des Immunsystems ist weitgehend unklar, eine Unterversorgung wird vermutet. Das trifft zu für Vitamin C, Omega-3-Fettsäuren, Selen und Zink. Bekannt ist hingegen, dass die Vitamin-D-Versorgung ungenügend ist. Eine Unterversorgung wird insbesondere in der älteren Bevölkerung ab 65 Jahren vermutet.
• Werden die Schweizer Ernährungsempfehlungen kurzfristig nicht eingehalten, können Nahrungssupplemente einer möglichen Unterversorgung entgegenwirken und ein gut funktionierendes Immunsystem unterstützen.
Das Expertengremium schlägt in der gegebenen COVID-19-Situation vor, dass die Kommunikation für eine ausgewogene Ernährung verstärkt wird und eine gezielte, an die Bedürfnisse angepasste Nahrungsergänzung zur Unterstützung eines gut funktionierenden Immunsystems im Falle einer ungenügenden Ernährung nachdrücklich empfohlen wird.
Mitglieder des Expertengremiums
Das Gremium setzt sich aus verschiedenen Disziplinen zusammen: • Prof. Mette M. Berger Médecine Intensive adulte et centre des brûles, Lausanne University Hospital
• Prof. Heike Bischoff-Ferrari Center on Aging and Mobility, University Hospital Zürich, City Hospital Waid & Triemli and University of Zürich,
Zürich
• Prof. Michael Zimmermann Human Nutrition Laboratory, Department of Health
Sciences and Technology, ETH Zürich
• Dr. Isabelle Herter-Aeberli Human Nutrition Laboratory, Department of Health
Sciences and Technology, ETH Zürich, Schweizerische Gesellschaft für Ernährung
• Dr. Jörg Spieldenner Innosuisse/Schweizer Lungenliga
• Prof. Manfred Eggersdorfer Department of Internal Medicine, University Medical
Center Groningen, 9713 GZ Groningen, The Netherlands
Die Experten sind besorgt über das Ausmass der COVID-19-Pandemie in der Schweiz und die unsicheren Zukunftsaussichten. Die Infektions- und die Sterberaten sind zwei- bis viermal höher im Vergleich zu Deutschland, Österreich, Dänemark, Norwegen
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Vergleich der Schweizer Ernährungsempfehlungen mit dem tatsächlichen Lebensmittelverbrauch
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Die nationalen Ernährungsempfehlungen für den täglichen Lebensmittelverbrauch (links) im Vergleich zum tatsächlichen Lebensmittelverbrauch (rechts; adaptiert nach Positionspapier, siehe QR-Code bzw. Link)
oder Finnland. Länder, die einen vergleichbaren sozioökonomischen Status haben. Das Risiko für eine länger andauernde Krise in der öffentlichen Gesundheit, eine mögliche zweite Welle und zusätzliche virale Infekte, wie Erkältung oder Grippe, nahm das Gremium im Mai 2020 zum Anlass, die Bedeutung eines gut funktionierenden Immunsystems genauer zu beurteilen. Der Fokus lag dabei auf der Rolle von Nährstoffen (Vitamine, Spurenelemente, Omega-3Fettsäuren) und wie diese die Gesundheit der Bevölkerung unterstützen können.
Die Schweizer Bevölkerung hält sich zu wenig an die Ernährungsempfehlungen
Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass die optimale Versorgung mit Nährstoffen zentral ist für ein resilientes Immunsystem, zur Minderung des Infektionsrisikos, der Schwere und der Dauer der Erkrankung. Nährstoffe spielen eine wichtige Rolle in Zellfunktionen, in der Funktion des Immunsystems und in der Unterstützung des Körpers zur Bekämpfung von Entzündungen (1–4). Aktuelle Untersuchungen belegen, dass an COVID-19 erkrankte Patienten bei einigen Mikronährstoffen sehr niedrige Werte aufwiesen. Insbesondere bei Patienten mit einem schweren Krankheitsverlauf und erhöhter Sterblichkeit wurde ein niedriger Vitamin-D-Blutspiegel festgestellt (5–9). Vitamin D hat ferner eine wichtige Funktion bei der Risikoreduktion von Infektionen der Atemwege (10). In den Wintermonaten mit weniger Sonnenexposition ist das Risiko für einen Vitamin-D-Mangel erhöht. Wissenschaftliche Daten zeigen, dass die Schweizer Bevölkerung mit wichtigen Lebensmittelgruppen nicht optimal versorgt ist (11). Daraus kann geschlossen werden, dass Vitamin D, Omega-3-Fettsäuren,
Selen und Zink ungenügend gedeckt sind. Das betrifft speziell ältere Menschen.
Ausgewogene Ernährung und Nahrungsergänzung als effektive Massnahme
Eine optimale Versorgung mit Nährstoffen erfolgt idealerweise über eine gesunde und ausgewogene Ernährung; Nahrungsergänzungsmittel können eine Unterversorgung oder Defizienz verhindern. Die Schweizer Bevölkerung hält sich grösstenteils nicht an die offiziellen Ernährungsempfehlungen und ist deshalb vermutlich mit wichtigen Nährstoffen unterversorgt (11). Neben Hygienemassnahmen und Abstandsregeln empfehlen die Experten deshalb eine Nahrungsergänzung als zusätzliche Massnahme, sofern eine ausgewogene Ernährung nicht eingehalten wird. Diese kann die bestehenden Nährstofflücken in
Weitere Informationen
Zum Positionspapier «Nutritional status in supporting a well-functioning immune system for optimal health with a recommendation for Switzerland», August 2020, gelangen Sie via:
www.rosenfluh.ch/qr/white-paper-sge
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der Bevölkerung, insbesondere bei Personen ab 65 Jahren, schliessen und so das Immunsystem unterstützen.
Nährstoffempfehlungen
Die folgenden Nährstoffe und Dosen werden von den Experten als Nahrungsergänzung für Erwachsene empfohlen, welche die Empfehlungen für eine ausgewogene Ernährung nicht einhalten können. Diese Mengen sollen pro Tag nicht überschritten werden: • Vitamin D: Supplementierung mit 2000 IE (50 μg)
pro Person und Tag senkt nachweislich das Risiko für Atemwegsinfektionen. • Vitamin C: Supplementierung mit 200 mg pro Person und Tag. Vitamin C spielt eine Schlüsselrolle bei der Immunabwehr; ein Mangel erhöht die Anfälligkeit für Infektionen wie Lungenentzündung. • Omega-3-Fettsäuren: Supplementierung mit 500 mg DHA und EPA pro Person und Tag, um Entzündungsrisiken zu reduzieren. • Selen: Supplementierung mit 50 bis100 µg pro Person und Tag, da der Selenstatus in der Schweizer Bevölkerung, wie in anderen europäischen Bevölkerungen, zum Teil niedrig ist. • Zink: Supplementierung mit 10 mg pro Person und Tag, da der Status in der Schweizer Bevölkerung zum Teil niedrig ist.
Empfehlung des Expertengremiums
Möglichkeiten zur Behandlung von COVID-19 Patienten und die Suche nach einem wirkungsvollen Impfstoff bleiben entscheidend für die Bekämpfung der Pandemie, ebenso das strikte Einhalten von Hygienemassnahmen und Abstandsregeln. Ein gesundes, gut funktionierendes Immunsystem ist auf wichtige Nährstoffe in optimalen Mengen angewiesen. Im Zusammenhang mit der gegenwärtigen COVID-19-Pandemie schlägt das Expertengremium vor, dass die verantwortlichen Gesundheitsbehörden auf Bundes- und Kantonsebene eine Nahrungsergänzung mit Vitamin D, Vitamin C, Omega-3-Fettsäuren sowie Selen und Zink für die Bevölkerung, die die Schweizer Ernährungsempfehlungen nicht einhält, insbesondere für Personen ab 65 Jahren, nachdrücklich empfehlen. Die weiteren wissenschaftlichen Erkenntnisse zu COVID-19 und Ernährung werden kontinuierlich gesichtet und diskutiert. Sie fliessen laufend in die Kommunikation ein.
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Ernährungsgewohnheiten überprüfen
Quelle: www.blv.admin.ch;Postkarte Ernaehrungs-App DE.indd 1 Stichwort Schweizer Lebensmittelpyram29i.0d8.2e018 10:45:40 Referenzen 1. Maggini S et al.: Immune function and micronutrient requirements change over the life course. Nutrients 2018; 10(10): 1531. 2. Elmadfa I, Meyer AL: The role of the status of selected micronutrients in shaping the immune function. Endocr Metab Immune Disord Drug Targets 2019; 19(8): 1100–1115. 3. Calder PC et al.: Optimal nutritional status for a well-functioning immune system is an important factor to protect against viral infections. Nutrients 2020; 12(4): 1181. 4. Gombart AF et al.: Review of micronutrients and the immune system-working in harmony to reduce the risk of infection. Nutrients 2020; 12(1): 236. 5. Brenner H et al.: Vitamin D Insufficiency and deficiency and mortality from respiratory diseases in a cohort of older adults: potential for limiting the death toll during and beyond the COVID-19 pandemic? Nutrients 2020; 12(8): 2488. 6. Marik PE et al.: Does vitamin D status impact mortality from SARSCoV-2 infection? Med Drug Discov 2020; 6: 100041. 7. D’Avolio A et al.: 25-Hydroxyvitamin D concentrations are lower in patients with positive pcr for SARS-CoV-2. Nutrients 2020; 12(5): 1359. 8. Dofferhoff ASM et al.: Reduced vitamin K status as a potentially modifiable risk factor of severe COVID-19 [published online ahead of print, 2020 Aug 27]. Clin Infect Dis 2020; ciaa1258. 9. Cena H, Chieppa M: Coronavirus disease (COVID-19-SARS-CoV-2) and nutrition: is infection in italy suggesting a connection? Front Immunol 2020; 11: 944. 10. Martineau AR et al.: Vitamin D supplementation to prevent acute respiratory tract infections: systematic review and meta-analysis of individual participant data. BMJ 2017; 356: i6583. 11. Chatelan A et al.: Major differences in diet across three linguistic regions of switzerland: results from the first national nutrition survey menuCH. Nutrients 2017; 9(11): 1163.
Die Ernährungsgewohnheiten können über 4 oder mehr Tage mit der App MySwissFoodPyramid vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen unter www.myswissfoodpyramid.ch überprüft werden. Wichtige Ernährungshinweise werden dabei vermittelt. Zudem finden Interessierte praktische Informationen und Rezepte unter www.sge-ssn.ch.
Korrespondenzadresse: Dr. Manfred Eggersdorfer Professor for Healthy Ageing Münchwilerstr. 20 4332 Stein dr.eggersdorfer@gmail.com Interessenlage: Die Autoren deklarieren keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Beitrag.
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