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KONGRESSBERICHT
SGDV 2022
Notfall wegen Juckreiz
«Verkratzt, verkratzt, verkratzt»
Chronischem Pruritus können sehr komplexe Ursachen zugrunde liegen, weshalb die therapeutischen Optionen individuell auf jeden einzelnen Patienten abgestimmt werden sollten. Dr. Markus Streit vom Kantonsspital Aarau berichtete an der Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie (SGDV) in Bern von einem extrem hartnäckigen Fall, der ihn jahrelang begleitete und dem schliesslich geholfen werden konnte.
Angefangen hatte alles im Dezember 2010, als plötzlich juckende Papeln an den Händen, später auch an den Armen und Beinen auftauchten. Der extreme Juckreiz, verbunden mit dem unstillbaren Wunsch zu kratzen, trieb den 56-jährigen Mann nach 7 Wochen auf die Notfallstation des Kantonsspitals Aarau; eine vorangegangene topische Behandlung mit einer Kortisonsalbe hatte keine Wirkung gezeigt. Zwar litt der Architekt unter diversen Krankheiten, wie Hypertonie oder einem Schlafapnoesyndrom, von Hautkrankheiten war er zuvor jedoch noch nie heimgesucht worden. Allerdings habe man eine gewisse atopische Disposition festgestellt, berichtete Streit bei der Vorstellung dieses interessanten Falls am SGDV-Kongress. Nach der ausführlichen Abklärung und der Analyse von Hautbiopsien wurde die Diagnose «Juckreiz aufgrund von pruritoartiger atopischer Dermatitis» gestellt (1). Es folgten eine topische Glukokortikoidtherapie mit Clobetasol sowie Kaliumpermanganat-Bäder, eine Hydroxyzinbehandlung und eine UV-Therapie in Verbindung mit Zinkleimbandagen. Tatsächlich besserte sich sein Zustand innerhalb von 2 Monaten massiv.
Markus Streit bei der Fallvorstellung (Foto: Klaus Duffner)
«Was machen wir jetzt?»
Allerdings habe nach Abnahme der Zinkleimverbände der Juckreiz und damit das Kratzen von Neuem begonnen, berichtete Streit. Durch nachfolgende Steroidinjektionen (Triamcinolon) im März 2011 konnte die Situation einigermassen stabil gehalten werden. Nach einem ferienbedingten Absetzen der Behandlung kam es jedoch zu einem Rückfall, dem wiederum mit Ciclosporin begegnet wurde. Auch Ciclosporin zeigte eine gute Wirkung, allerdings verschlimmerte sich mit dem Ausschleichen des Medikaments die Situation erneut. Also wurde wieder mit Ciclosporin behandelt, was jedoch – neben Schwindel und Unwohlsein – die arterielle Hypertonie aus dem Ruder laufen liess, weshalb dann ganz darauf verzichtet wurde. Auch während einer Hospitalisation im Jahr 2012 in Zürich, bei der an den Unterschenkeln zusätzlich ein hypertropher Lichen planus festgestellt wurde, versuchte man mit Triamcinolon-Injektionen, lokalen Steroidsalben und Zinkleimverbänden dem Juckreiz Herr zu werden. Wie schon bei der ersten derartigen Behandlung kam es zu einer – allerdings nicht nachhaltigen – Hautverbesserung. So habe der Architekt bei seiner Rückkehr nach Aarau im Jahr 2013 ausgeprägte knotige Läsionen an den Beinen entwickelt, alles sei «verkratzt, verkratzt, verkratzt» gewesen, wie sich Streit erinnerte. Wiederum nur kurz halfen Prednisolon-, Kryo-, UV-B- oder Capsaicin- bzw. Triamcinolontherapien – nichts brachte längerfristig den erwünschten Erfolg. Zwar wurde mit einer Radiotherapie (10 Sitzungen) im Jahr 2014 eine deutliche Linderung des Juckreizes erreicht, die Läsionen zeigten sich davon jedoch unbeeindruckt. Zwischen 2016 und 2017 beschritt man mit dem mehrmonatigen Einsatz des Interleukin-12/23-Hemmers Ustekinumab neue Wege, leider ohne jeglichen Erfolg – im Gegenteil, die Läsionen an den Beinen breiteten sich noch stärker aus. Eine Creme-PUVABehandlung Anfang 2018 brachte zwar äusserlich eine gewisse Besserung, dem Juckreiz war damit jedoch auch nicht beizukommen (Abbildung 1). Einen recht guten Einfluss zumindest auf den Juckreiz hatte
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im Jahr 2019 hingegen Gabapentin, aber hier war die Wirkung ebenfalls nur von kurzer Dauer, sodass der starke Juckreiz und das damit verbundene Kratzen die Läsionen wieder aufflammen liessen. Auch die Behandlung mit Pregabalin im Folgejahr wurde aufgrund der fehlenden Effektivität nach 6 Monaten wieder abgebrochen. «Einmal mehr stellte sich die Frage: Was machen wir jetzt?», berichtete Streit.
Nach 5 Tagen Juckreiz verschwunden
Das Jahr 2022 brachte mit dem Einsatz des JAK-Inhibitors Upadacitinib endlich die ersehnte Besserung. «Der Patient berichtete, dass bereits nach 5 Tagen der Juckreiz verschwunden sei», erklärte Streit. Nach 4 Monaten waren auch die knotigen Läsionen deutlich zurückgegangen, und nach einem halben Jahr konnte eine weitestgehende Abheilung mit Übergang in reizlose, flache Vernarbungen festgestellt werden (Abbildung 2). Eine jahrelange Odyssee war damit beendet. Die ausgezeichnete und rasche Wirkung von JAK-Inhibitoren auf Juckreiz ist seit den Studien zum JAK-Inhibitor Tofacitinib bei Patienten mit Plaquepsoriasis bekannt. In 2 Phase-III-Studien hatte man bereits 2016 eine verblüffende Wirkung auf Juckreiz gegenüber Plazebo mit schnellem und massivem Rückgang des Pruritus innert Tagen festgestellt – und damit eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität (2). Entsprechend beeindruckend war das Ende der «Juckreizgeschichte» einer 61-jährigen Rheumapatientin, die trotz unterschiedlicher wirkungsloser oder mit starken Nebenwirkungen verbundener Therapieversuche seit 5 Jahren unter chronischer Prurigo bzw. unter stark «juckenden Knoten» an Armen, Händen und Stamm gelitten hatte. Als in Zusammenarbeit mit dem Rheumatologen eine Umstellung der Rheumamedikation von Leflunomid auf Tofacitinib erfolgt sei, sei bereits nach einem Tag der Juckreiz verschwunden, berichtete der Dermatologe. Schliesslich wurde in Aarau ein 75-jähriger Patient mit Urtikaria-Historie und intermittierendem massivstem Juckreiz zugewiesen. Obwohl seine kurzzeitigen Juckreizanfälle klar Histamin-abhängig waren, zeigten Antihistaminika keine Wirkung. Auch Omalizumab, systemische Kortikosteroide, Ciclosporin und Dupilumab waren nicht effektiv. Wiederum war es ein JAK-Inhibitor, nämlich Baricitinib, mit dem der Juckreiz in kurzer Zeit vollkommen gestoppt werden konnte. Allerdings stellte sich – so wie bei den anderen JAK-Hemmern – der Pruritus nach dem Absetzen dieser Medikamente in kurzer Zeit wieder ein. Die Wirkungsweise dieser «small molecules» werde letztlich mit der Blockade der IL-4-Rezeptoren und JAK 1 an den Nerven und der damit verbundenen Weiterleitung des für das Jucken verantwortlichen Reizes erklärt, so Streit (3). Bislang fehlen grosse Studien für die Behandlung des chronischen Juckreizes
Abbildung 1: Zerkratzte Prurigo-Knoten (2018) (Foto: Markus Streit)
Abbildung 2: Abgeflachte Vernarbungen nach Upadacitinib (2022) (Foto: Markus Streit)
mit JAK-Inhibitoren. Trotzdem zeigen die beeindru-
ckenden Beispiele, dass den Betroffenen mit dem
(Off-label-)Einsatz solcher Medikamente rasch gehol-
fen werden kann.
s
Klaus Duffner
Referenzen: 1. Ständer S et al.: S2k Guidelines for the diagnosis and treatment of chronic pruritus
update – short version. J Dtsch Dermatol Ges. 2017;15(8):860-872. 2. Feldman SR et al.: Tofacitinib improves pruritus and health-related quality of life up
to 52 weeks: Results from 2 randomized phase III trials in patients with moderate to severe plaque psoriasis. J Am Acad Dermatol. 2016;75(6):1162-1170.e3. 3. Oetjen LK et al.: Sensory Neurons Co-opt Classical Immune Signaling Pathways to Mediate Chronic Itch. Cell. 2017;171(1):217-228.e13.
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