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Jahresversammlung 2012 der SGR in Genf: Highlights
Interview mit Prof. Dr. Diego Kyburz, Rheumaklinik, USZ
Der Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie 2012 hat zahlreiche Rheumatologen aus Klinik und niedergelassener Praxis nach Genf geführt; das rege Interesse zeigte sich auch an den sehr gut besuchten Plenarsessions. Hauptthemen waren neben entzündlichem Rheumatismus und Biologikatherapie auch degenerative und extraartikuläre Manifestationen des Rheumatismus. Therapeutische Aspekte standen im Mittelpunkt der zahlreichen Satellitensymposien mit national und international renommierten Experten. ARS MEDICI sprach mit Professor Kyburz über seine persönlichen Kongress-Highlights.
W elche neurologischen Aspekte haben sich für den Rheumatologen als relevant herausgestellt? Bei der entsprechenden Session ging es um rheumatologische Krankheitsbilder, bei denen man mit relevanten neurologischen Problemen rechnen muss. Bei Kollagenosen, Vaskulitiden, aber auch bei der rheumatoiden Arthritis (RA) ist der Anteil von Patienten mit neurologischen Komplikationen nicht unerheblich. Die Rate kann zwischen 20 und 30 Prozent liegen und beim Mor-
bus Wegener bis auf 50 Prozent ansteigen. Daher sollte man mit den entsprechenden Manifestationen vertraut sein, seinen Blick dafür schärfen und bei unklaren Situationen konsequent abklären.
Besteht nicht auch das Risiko, dass die
neurologische Komponente von komple-
xen rheumatologischen Manifestationen
überlagert wird?
Diego Kyburz
Für den M. Wegener dürfte das nicht zutreffen, weil das einfach bekannt ist und
man danach sucht. Aber beim systemi-
schen Lupus erythematodes (SLE) besteht diese Gefahr
durchaus, gerade bei Fällen mit neuropsychiatrischer
Symptomatik ist die Diagnosestellung oft schwierig. Bei
der RA sieht man vor allem Kompressionssyndrome peri-
pherer Nerven und selten Myelopathien bei Befall der
Halswirbelsäule.
Welche Berührungspunkte sehen Sie zwischen Ophthalmologie und Rheumatologie? Besonders häufig ist die Sicca-Symptomatik beim Sjögren-Syndrom; leider sind die therapeutischen Möglichkeiten unverändert limitiert. Während eine kausale Thera-
pie des entzündlichen Drüsenumbaus meist nicht möglich ist, kann man jedoch durch künstliche Tränenflüssigkeit und andere unterstützende Massnahmen die Symptome lindern. Therapeutischer Nihilismus ist hier absolut fehl am Platz. Wichtig sind ausserdem jene Entzündungen wie die Uveitis, die visusbedrohend sein können. Man sollte bei rheumatologischen Erkrankungen, die von einer Uveitis begleitet sein können, frühzeitig und regelmässig ophthalmologische Kontrolluntersuchungen durchführen. Das gilt vor allem auch für die hinteren Uveitiden, die keine Beschwerden machen.
Für welche rheumatologischen Patienten stellt Denosumab eine Option dar? Denosumab ist als neue Option – als Alternative zu den Bisphosphonaten – zur Behandlung der Osteoporose zugelassen, mit gut belegter Wirkeffizienz. Speziell bei den rheumatologischen Patienten, bei denen der entzündliche Aspekt wesentlich ist, könnte Denosumab interessant sein, denn es wirkt antierosiv. Somit bietet sich diese Therapie für RA-Patienten mit Osteoporose an.
Anämie bei rheumatoider Arthritis, wie weiter? Die häufigste Ursache einer Anämie bei rheumatischen Erkrankungen ist die chronische Entzündung. Daher ist die Kontrolle der Entzündung massgeblich für die Korrektur der Anämie. Allerdings besteht bei diesen Patienten sehr häufig zusätzlich ein Eisenmangel, der sich in einer Grössenordnung von 50 Prozent bewegen dürfte. Solche Patienten müssen umfassend abgeklärt werden, unter Einbezug des Eisenstatus. Mit der Kontrolle der Anämie bessern sich dann meist auch belastende Symptome wie Müdigkeit und Erschöpfung.
2 Rheumatologie SGR 2012
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Neue Biologika – alte Biologika, Anhaltspunkte für den evidenzbasierten Einsatz? Als neue Wirkstoffklasse werden beispielsweise die oral anwendbaren JAK-Inhibitoren intensiv untersucht, doch sie sind noch nicht zugelassen. Und wir wissen bisher auch nicht, für welche Indikationen sie de facto in Frage kommen. Zum evidenzbasierten Einsatz der etablierten Biologika wäre zu sagen, dass inzwischen erste Head-to-HeadVergleiche zwischen Biologika publiziert sind (EULAR, 2012). Die AMPLE-Studie mit Vergleich zwischen Abatacept und Adalimumab hat gezeigt, dass die Therapie mit Abatacept + MTX derjenigen mit Adalimumab + MTX nicht unterlegen ist. Diese Äquivalenz betrifft die Responserate ebenso wie die radiologische Progression. Man hat also künftig die Wahl. Die ADACTA-Studie mit Tocilizumab erachte ich insofern als interessant, als man dort eine spezielle Situation untersucht hat. Man hat Patienten eingeschlossen, bei denen MTX aus unterschiedlichen Gründen nicht in Frage kam, weshalb sie eine Biologika-Monotherapie erhielten. In diesem Setting hat sich die Monotherapie mit Tocilizumab gegenüber einer alleinigen Therapie mit Adalimumab als überlegen erwiesen.
Wie beurteilen Sie das kardiovaskuläre Risiko bei RA – wurde es bisher unterschätzt? Das ist sicherlich ein wichtiges Thema bei RA, denn die kardiovaskulären Komplikationen liegen in einer ähnlichen Grössenordnung wie bei Diabetes-Patienten und repräsentieren die Todesursache Nummer eins bei der RA. Daher ist es unerlässlich, die klassischen Risikofaktoren zu kontrollieren, angefangen bei der Hypertonie über die Dyslipidämie bis hin zum Rauchen. Dazu wird demnächst übrigens ein Schweizer Konsensuspapier veröffentlicht werden, mit Guidelines für die Praxis. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass die Entzündungsaktivität – und damit auch die konsequente Basis-
therapie – einen Einfluss hat auf die kardiovaskulären Komplikationen: von MTX weiss man beispielsweise, dass es diese Komplikationsrate senkt.
Was gibt es Neues beim systemischen Lupus erythematodes? Für die Behandlung des SLE steht nun erstmals ein Biologikum zur Verfügung, das kürzlich in der Schweiz eingeführte Belimumab. Bisher sind unsere praktischen Erfahrungen noch limitiert, aber man darf gespannt sein, wie sich Belimumab im klinischen Praxisalltag etablieren wird.
Swiss Clinical Quality Management (SCQM) – was hat diese Initiative gebracht? Ich möchte das SCQM als Erfolgsgeschichte bezeichnen, denn es hat zu einer Reihe von Publikationen geführt, mit internationaler Anerkennung. Beim SCQM handelt es sich zwar in erster Linie um eine Forschungsplattform, doch können auch Rheumatologen in der Praxis beim individuellen Patientenmanagement davon profitieren: sie können mit diesem Tool die Therapie und das Monitoring optimieren.
Das unabhängige Webportal Rheuma Schweiz bietet allen interessierten Ärzten ein Slide-Set zur RA – welche Idee steckt dahinter? Das Slide Set wurde von anerkannten Experten realisiert, mit Roche Pharma Schweiz als Sponsor. Diese Dias sind frei verfügbar und können von den Ärzten für eigene Vorträge genutzt werden – entweder im Original oder in modifizierter Form. www.rheuma-schweiz.ch
Besten Dank für das interessante Gespräch!
Das Interview führte Renate Weber.
Stationäre Rehabilitation: Verbesserung bei Arthrose mit Komorbiditäten
Die Autoren untersuchten, wie sich eine multidisziplinäre stationäre Reha bei Arthrose-Patienten auf den Verlauf von Schmerzen, Funktionseinschränkungen und das psychosoziale Wohlbefinden auswirkt. Diese Parameter wurden bei der Anmeldung rund 1 Monat vor Reha-Beginn, unmittelbar vor Beginn und nach deren Abschluss dokumentiert. In der prospektiven kontrollierten Kohortenstudie absolvierten Patienten mit Coxarthrose (n=88) und Gonarthrose (n = 164) ein umfassendes stationäres Reha-Programm. Für die Beurteilung des allgemeinen Gesundheitszustands wurde der SF36 herangezogen, und für die Arthrose-spezifischen Aspekte der WOMACScore. Der SF36-Score vor und nach der Reha wurde mit publizierten Normwerten verglichen. Um kontrollierte Effektstärken zu ermitteln, hat man die Effekte der Phase vor der Reha korrigiert.
Bei 45,3 Prozent der Patienten mit Coxarthrose und bei 51,8 Prozent mit Gonarthrose wurden vier oder mehr Komorbiditäten diagnostiziert. Verglichen mit den Normwerten waren zu allen Messzeitpunkten der körperliche Gesundheitszustand (vor allem Schmerz und Funktion) – und in etwas geringerem Ausmass auch das psychosoziale Wohlbefinden – signifikant verschlechtert. Nach Abschluss hatten sich die Scores für Schmerzen, funktionelle Behinderung und psychisches Befinden nachhaltig, klinisch relevant gebessert. Die Resultate sind mit denjenigen vergleichbar, die in RCTs mit einer ambulanten Reha bei Patienten mit weniger Komorbiditäten erzielt wurden.
Quelle: Angst F, et al., Effects of inpatient rehabilitation in hip and knee osteoarthritis – a prospective controlled cohort study, Poster, Schweizerische Gesellschaft für Rheumatologie, Jahreskongress 2012, 19. bis 21. September in Genf.
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