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FOKUS PÄDIATRIE
Rezidivierende oder chronische Nasensymptome
Wann ist eine Adenoidektomie indiziert?
Eigentlich ist die Indikation zur Adenoidektomie klar formuliert. Doch im klinischen Alltag bleiben oft Fragen offen zur Rolle der Begleiterkrankungen, Therapieoptionen oder Operationsrisiken. Prof. Dr. Nicolas Gürtler, Leiter Pädiatrische ORL-Klinik am Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB), erläuterte die aktuellen Richtlinien, die heutigen Operationstechniken und -risiken und allfällige Therapiealternativen.
Trotz dieser klaren Richtlinien (siehe Kasten) bleiben einige Fragen offen. Die chronische Rhinosinusitis (pediatric chronic rhinosinusitis, CRS) muss korrekt diagnostiziert sein. Bei einer CRS sollten zwei der folgenden Symptome vorhanden sein: • Verstopfung der Nasenwege oder Ausfluss • begleitende Gesichtsschmerzen im Bereich der Kiefer-
oder Stirnhöhle oder Husten • Symptome länger als 12 Wochen andauernd • eine endoskopisch oder radiologisch verifizierte Episode
Adenoiditis; diese können eine Rhinosinusitis auch verschlimmern.
Lebensqualität stark vermindert Man muss sich bewusst sein, dass eine Rhinosinusitis die Lebensqualität der Kinder stark beeinträchtigt (3). Besonders störend ist der nächtliche Husten. Das Kind und die Eltern wachen auf und versuchen, die Symptome zu lindern. Hustende Kinder haben oft lange Schulabsenzen, auch weil ein infektiöser Husten befürchtet wird (4).
Endoskopische Zeichen sind Polypen, eitriger Ausfluss und Ödem, im Computertomogramm (CT) können sich typische Veränderungen zeigen (2).
Begleitende Krankheiten • Allergien • Reflux • seltene Krankheiten
Eine Adenoidektomie ist indiziert • Chronische Rhinosinusitis: bei ≥ 4 Episoden von
wiederkehrender eitriger Rhinorrhoe innerhalb von 12 Monaten bei einem Kind < 12 Jahren. Eine Episode sollte durch eine intranasale Untersuchung oder diagnostische Bildgebung dokumentiert werden. • Chronische rezidivierende Otitis media mit/ohne Paukenerguss • Nasenatmungsbehinderung, orthodontische Behandlung • Obstruktive Schlafapnoe (OSAS)
Quelle: Nguyen BK: Tonsillectomy and Adenoidectomy - Pediatric Clinics of North America (1)
5–13% der viralen Infektionen der oberen Atemwege im Kindesalter können zu einer akuten Rhinosinusitis führen. Daraus entwickelt sich in etwa 1–3% der Fälle eine chronische Form.
Eine Rhinosinusitis kann zusammen mit anderen Erkrankungen auftreten, wie allergischer Rhinitis und chronischer
Faktor Allergie Bisher ist nicht vollständig geklärt, ob es einen Zusammenhang zwischen Allergien und der Rhinosinusitis gibt. Die Studienlage ist widersprüchlich. Einerseits haben CT-Scans festgestellt, dass Kinder mit Allergien im Vergleich zu nicht allergischen Kindern einen höheren Score haben, der die Entzündungen und Verstopfungen in den Nasennebenhöhlen quantifiziert (5). Andererseits fand man bei Kindern mit chronischen Nasenproblemen eine vergleichbare Rate an allergischer Sensibilisierung wie bei Kindern ohne diese Nasensymptome (6).
Auch theoretische Überlegungen können für oder gegen die Rolle der Allergie sprechen. So führt einerseits eine Allergie zu Ödemen und Schwellungen, was Virusinfektionen begünstigt, jedoch verfügen Allergiker über ein trainiertes Immunsystem, was zu einer geringeren Infektionsrate führen könnte.
Faktor Reflux Kinder mit Refluxkrankheit haben in etwa 70% der Fälle nasale Symptome. Diese Kinder leiden häufig unter Erbrechen, Regurgitation, Dyspepsie, Appetitmangel und Bauchschmerzen (7,8). Ob und wie diese Kinder behandelt werden sollen, ist unklar.
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In Form eines nicht evidenzbasierten, sondern praktischen Ansatzes kann man diese Kinder für vier bis sechs Wochen mit einem Protonenpumpenhemmer behandeln. Lässt sich eine Symptombesserung erkennen, sollten die Kinder an einen Gastroenterologen überwiesen werden (7,8).
Faktor Polypen und Biofilm Ein Nasenpolyp kann allein aufgrund seiner Grösse zu einer Verstopfung der Nasenwege führen, das Sekret gelangt nicht nach aussen und kann eine Entzündung begünstigen. Zudem bilden die Adenoide oft auch ein Reservoir für Bakterien, eingebettet in einem Biofilm, die mit Antibiotika nur sehr schwer zu behandeln sind (9). Diese Besiedelung konnte durch eine Untersuchung von resezierten Adenoiden bestätigt werden. Auf Adenoiden bei chronischer Rhinosinusitis fanden sich in 95% der Fälle bakterienhaltige Biofilme, bei einer Kontrollgruppe nur 2% (10).
Nicht invasive Therapien Man muss immer fragen, ob die Eltern oder eine andere Person im Haushalt raucht. Passivrauchen ist für diese Kinder sehr schädlich. Eltern müssten dahingehend beraten werden.
Als allgemeine Therapie können bei chronischer Rhinosinusitis symptomlindernde Massnahmen angewandt werden: Befeuchtung der Schleimhäute, NaCl-Spülung der Nasenwege, auch Absaugung von Sekret und Hochlagerung des Kopfes beim Schlafen.
Sinupret®, ein Pflanzenextrakt, kann begleitend zur Behandlung eingesetzt werden (11). Bei rezidivierenden Atemwegsinfektionen kann Broncho-Vaxom® als Immunstimulans verabreicht werden (12).
Intranasale Kortikosteroide wirken entzündungshemmend und können zu einer Verkleinerung der Rachenmandeln führen. Doch sie sollten nicht länger als sechs bis acht Wochen gegeben werden. Falls es immer wieder zu Rückfällen kommt, sollte eine Operation erwogen werden (13).
Zwei seltene Krankheiten – gehäufte Rhinosinusitiden Auf cystische Fibrose (CF) wird heute eigentlich bei Geburt getestet, allerdings ist es möglich, dass der Test zu diesem Zeitpunkt falsch negativ ist. Kinder mit CF haben eine Prävalenz von 100% für eine chronische Rhinosinusitis, begünstigt durch oft hypoplastische Sinus und andere anatomische Varianten.
Die primäre ziliäre Dyskinesie (PCD) ist eine seltene genetische Krankheit. Bei den Neugeborenen tritt oft eine akute Atemstörung auf, in 50% der Fälle besteht ein Situs inversus. Die Kinder leiden unter chronischem produktivem Husten und rezidivierend unter Bronchitis, Sinusitis und Otitis. Allerdings ist die klinische Ausprägung sehr variabel.
Adenoidektomie Die Adenoidektomie ist ein wirksames chirurgisches Verfahren bei Kindern bis 12 Jahre mit chronischer Rhinosinusitis (14). Präoperativ wird mittels eines Fragebogens ein erhöhtes
Blutungsrisiko ausgeschlossen. Auch sollte immer nach weiteren Symptomen gesucht werden, wie beispielsweise Ohrenbeschwerden mit Hörverlust oder Paukenerguss, sowie nach Hinweisen auf eine obstruktive Schlafapnoe. Ebenfalls zu prüfen ist, ob eine verdeckte Gaumenspalte vorliegt.
Besondere Aufmerksamkeit erfordern Kinder unter drei Jahren, die perioperativ respiratorisch Probleme entwickeln, weil nicht nur die Nase von der Entzündung betroffen ist, sondern die ganzen Luftwege inklusive der Bronchien.
Meist wird primär eine Adenoidektomie vorgenommen, was in den meisten Fälle ausreichend ist. Eine endoskopische Sinusoperation erfolgt – wenn notwendig – meist erst in einem zweiten Schritt, dies kann allenfalls bei älteren Kindern der Fall sein.
In der Regel wird die Operation mit sogenannten Ringmessern durchgeführt und eine bipolare Diathermie zur Blutstillung angewandt. Zudem wird die Operation in der Regel unter Kontrolle eines Endoskops vorgenommen, was eine bessere Übersicht und Überwachung der Blutung ermöglicht und die Rezidivrate senkt.
Seit etwa zwanzig Jahren kann mit dem sogenannten Coblator operiert werden, der das Gewebe mittels Radiofrequenz verödet. Allerdings ist der Aufsatz Einwegmaterial, recht teuer und wird nicht immer erstattet. Es gibt jedoch Hinweise, dass die eigentlich schon geringe Blutungsrate nach Adenotomie mit diesem Instrument praktisch auf null gesenkt werden kann (15).
Wenige Nebenwirkungen Die Komplikationen bei Adenotomie sind selten. Auftreten können Blutungen, Infektionen und eine velopharyngeale Insuffizienz, dies besonders bei anatomischen Varianten wie einer submukösen Spalte (16).
Bei gewissen Kindern können ein Schiefhals oder Schmerzen bei Kopfbewegungen auftreten. Dabei handelt es sich um eine Lymphknotenschwellung oder eine Reizung der Faszie. In diesen Fällen wird laut Prof. Gürtler am UKBB eine Behandlung mit Antibiotika empfohlen.
Das sogenannte Grisel-Syndrom ist eine atlantoaxiale Subluxation, die sehr selten vorkommt, etwas häufiger bei Kindern mit Down-Syndrom. Bei solchen Risikokindern muss auf die Kopfhaltung während der Operation geachtet werden.
Adenoidektomie verbessert Lebensqualität In einer eigenen Untersuchung bei 77 Kindern konnte eine sehr hohe Zufriedenheit von über 96% der Eltern festgestellt werden, wie Prof. Gürtler berichtete. Wenn die Indikation stimmt, bringt die Operation den betroffenen Kindern viel (17).
Barbara Elke
Quelle: Kongress pädiatrie schweiz, 22./23. Mai 2025, Bern; «Adenoidectomy for recurrent or chronic nasal symptoms in children», Prof. Dr. med. Nicolas Gürtler, Leiter Pädiatrische ORL, HNO-Universitätsklinik, Universitätsspital Basel, Universitäts-Kinderklinik beider Basel
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Referenzen: 1. Nguyen BK, Quraishi HA: Tonsillectomy and Adenoidectomy - Pediatric
Clinics of North America. Pediatr Clin North Am. 2022;69(2):247-259. doi:10.1016/j.pcl.2021.12.008 2. Baumann I et al.: Pädiatrische chronische Rhinosinusitis [Pediatric chronic rhinosinusitis]. HNO. 2024;72(4):250-256. doi:10.1007/ s00106-023-01405-8 3. Brietzke SE et al.: Clinical consensus statement: pediatric chronic rhinosinusitis. Otolaryngol Head Neck Surg. 2014;151(4):542-553. doi:10.1177/0194599814549302 4. Ahmed S et al.: Rhinosinusitis and its impact on quality of life in children. Br J Hosp Med (Lond). 2022;83(3):1-11. doi:10.12968/ hmed.2021.0589 5. Ramadan HH et al.: Correlation of allergy and severity of sinus disease. Am J Rhinol. 1999;13(5):345-347. doi:10.2500/105065899781367500 6. Leo G et al.: Chronic rhinosinusitis and allergy. Pediatr Allergy Immunol. 2007;18 Suppl 18:19-21. doi:10.1111/j.1399-3038.2007.00626.x 7. Phipps CD et al.: Gastroesophageal reflux contributing to chronic sinus disease in children: a prospective analysis. Arch Otolaryngol Head Neck Surg. 2000;126(7):831-836. doi:10.1001/archotol.126.7.831 8. Megale A et al.: Gastroesophageal reflux disease: Its importance in ear, nose, and throat practice. Int J Pediatr Otorhinolaryngol. 2006;70(1):8188. doi:10.1016/j.ijporl.2005.05.021 9. Shin KS et al.: The role of adenoids in pediatric rhinosinusitis. Int J Pediatr Otorhinolaryngol. 2008;72(11):1643-1650. doi:10.1016/j. ijporl.2008.07.016 10. Coticchia J et al.: Biofilm surface area in the pediatric nasopharynx: Chronic rhinosinusitis vs obstructive sleep apnea. Arch Otolaryngol Head Neck Surg. 2007;133(2):110-114. doi:10.1001/archotol.133.2.110 11. Guo R et al.:Herbal medicines for the treatment of rhinosinusitis: a systematic review. Otolaryngol Head Neck Surg. 2006;135(4):496-506. doi:10.1016/j.otohns.2006.06.1254 12. Schaad UB: OM-85 BV, an immunostimulant in pediatric recurrent respiratory tract infections: a systematic review. World J Pediatr. 2010;6(1):5-12. doi:10.1007/s12519-010-0001-x 13. Fokkens WJ et al.: Executive summary of EPOS 2020 including integrated care pathways. Rhinology. 2020;58(2):82-111. doi:10.4193/ Rhin20.601 14. Ayoub NFet al.: American Academy of Otolaryngology-Head and Neck Surgery (AAO-HNS) Report on Artificial Intelligence. Otolaryngol Head Neck Surg. 2025;172(2):734-743. doi:10.1002/ohn.1080 15. Calvo-Henriquez Cet al.: Coblator adenoidectomy in pediatric patients: a state-of-the-art review. Eur Arch Otorhinolaryngol. 2023;280(10):4339-4349. doi:10.1007/s00405-023-08094-7 16. Saibene AM et al.: Endoscopic adenoidectomy: a systematic analysis of outcomes and complications in 1006 patients. Acta Otorhinolaryngol Ital. 2020;40(1):79-86. doi:10.14639/0392-100X-N0150 17. Leitmeyer K et al.: Adenotomy in Childhood: Quality Aspects. 2025, Submitted.
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