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Den komplexen Mechanismen auf der Spur
Ernährung – Mikrobiom - Adipositas
Adipösen Menschen mangelt es oft an körperlicher Aktivität und einer ausgewogenen Ernährung. Es finden sich chronisch entzündliche Vorgänge und schliesslich verschiedene metabolische, hepatische und vaskuläre Veränderungen. Welche Rolle die Ernährung und das Darmmikrobiom bei dieser Entwicklung spielen, erläuterte Prof. Nathalie Delzenne, Universität Louvain, Belgien.
Bei Adipositas findet sich häufig eine Dysbiose, eine Veränderung der Zusammensetzung und Aktivität des Mikrobioms. Verschiedene nützliche Bakterien sind vermindert: Bifidobakterien, die beim Immunsystem eine grosse Rolle spielen, Faecalibacterium prausnitzii, das eine antientzündliche Wirkung hat, Akkermansia und weitere Butyrat-produzierende Bakterien, die zu einer intakten Darmbarriere beitragen. Gleichzeitig kommt es zu einer Erhöhung von potenziell schädlichen Mikroorganismen. Auch verändert sich die Zusammensetzung der bakteriellen Metaboliten, die eine Wirkung auch ausserhalb des Darms entfalten können: weniger kurzkettige Fettsäuren (Butyrat), mehr Ethanol oder Phenylacetat, um nur einige zu nennen.
Wird bei einer Dysbiose die Darmbarriere geschädigt, gelangen Bakterien durch die Darmwand (Endotoxämie) und entfalten so auch eine systemische Wirkung, etwa durch die Förderung von Entzündungsvorgängen und metabolische Effekte (1).
Faserstoff Inulin Inulin, eine aus der Zichorienwurzel gewonnene Oligofruktose, wird nicht im oberen Magendarmtrakt verdaut, sondern erst im Kolon von Bakterien fermentiert. Im Tierversuch zeig-
MERKPUNKTE
• Die Zusammensetzung des Darmmikrobioms hat einen Einfluss auf den Metabolismus. Bei adipösen Patienten findet man oft eine Dysbiose.
• Ernährung und insbesondere Ballaststoffe wirken als Präbiotika auf das Darmmikrobiom.
• Ballaststoffe können metabolische Wirkungen haben, sie modulieren die Integrität der Darmbarriere und die endokrine Funktion des Darms.
• Bei der individuellen Reaktion auf Lebensmittel spielt das Darmmikrobiom eine wichtige Rolle. Dies muss bei einer personalisierten Medizin und Ernährung berücksichtigt werden.
• Innovative Instrumente – wie die Analyse der Atemluft – könnten nützlich sein, um die Wechselwirkungen zwischen Darmmikrobiom und Wirtsorganismus als Reaktion auf die Ernährung zu untersuchen.
te Inulin verschiedene metabolische Effekte. Bei adipösen Mäusen senkte die Inulingabe die Triglyzeride, erhöhte die Glukosetoleranz und verringerte die Endotoxämie. Auch die Steatose in der Leber sowie die allgemeine Akkumulation von Fettgewebe konnten verringert werden. Bei der Untersuchung des Mikrobioms konnte gezeigt werden, dass sich vor allem Bifidobakterien vermehren, die ja Inulin verwerten (2,3).
Die Rolle von GLP-1 und GLP-2 Die GLP-Peptide (glucagon-like peptides) werden von den L-Zellen im Ileum und Kolon gebildet. GLP-1 fördert die Sättigung, senkt die Glykämie und fördert die Insulinwirkung, es wird aber im Serum durch das Enzym DPP-4 rasch abgebaut. Gleichzeitig wird GLP-2 produziert, das einen stärkeren lokalen Effekt hat, es hemmt die Entzündung und stärkt die Darmbarriere.
In frühen Tierversuchen konnte gezeigt werden, dass bei einer Fütterung von Inulin während 4–8 Wochen mehr GLP-1 produziert und gleichzeitig das abbauende Enzym DPP-4 vermindert wurde, die GLP-1-Wirkung wurde also verstärkt (4). Später zeigte sich, dass bei der Fütterung von Inulin auch eine Zunahme von Akkermansia und anderen günstig wirkenden Bakterien stattfand. Auch GLP-2 wurde erhöht, was die Barrierefunktion verbessert und die Endotoxämie verringert (5–7).
Dass wirklich GLP-1 und GLP-2 für die positiven Effekte verantwortlich waren, konnte bestätigt werden, denn wenn mit Inulin gleichzeitig GLP-1- und GLP-2-Rezeptorantagonisten gegeben wurden, konnte der positive Effekt von Inulin verhindert werden (4,8–10).
Metaboliten von Bakterien modulieren die endokrinen Funktionen Tierversuche zeigen, dass sich vor allem die kurzkettigen Fettsäuren, die durch die Fermentation des Inulins im Darm entstanden sind, spezifisch an die Rezeptoren der L-Zellen binden und damit die Produktion von GLP-1 und anderen Hormonen anstossen (10). Andere Ballaststoffe fördern die Integrität der Darmbarriere (11).
Wirkung beim Menschen – Food4Gut Die Erkenntnisse aus Tierversuchen sollten nun auch an Menschen geprüft werden. Eine kontrollierte multizentrische
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Interventionsstudie (Food4Gut) untersuchte an 150 adipösen Probanden die Wirkung von Inulin während dreier Monate. Die Plazebogruppe wurde aufgefordert, mehr Gemüse zu essen, dabei wurden inulinarme Varianten empfohlen. Die Interventionsgruppe sollte inulinreiches Gemüse, wie Topinambur, Schwarzwurz, Lauch und Artischocke, essen und erhielt zusätzlich ein Inulinsupplement. Beide Gruppen senkten die Energieaufnahme, und so war eine Verbesserung des BodyMass-Index (BMI) und des systolischen Blutdrucks bei allen zu beobachten. Die Interventionsgruppe erreichte insgesamt eine stärkere Gewichtsabnahme und eine stärkere Verbesserung der Leberwerte und der Insulinämie. Dabei konnte man zwischen den Gruppen auch Unterschiede der Häufigkeit der verschiedenen Bakterien des Darmmikrobioms beobachten (12).
Allerdings fielen die Resultate bezüglich Gewichtsreduktion und Veränderung des Darmmikrobioms individuell extrem unterschiedlich aus. Es zeigte sich, dass bei Probanden mit Metformintherapie das Inulin eine deutlich geringere Wirkung hatte (12,13). Eine mögliche Erklärung ist, dass Metformin selbst einen Einfluss auf das Mikrobiom und die Produktion von kurzkettigen Fettsäuren hat.
Inulin beeinflusste auch das Essverhalten, in der Interventionsgruppe kam es zu einer stärkeren Restriktion der Nahrungsaufnahme. Die GLP-1-Konzentration, die ja den Appetit beeinflusst, war erhöht, das Abbauenzym DPP-4 erniedrigt. In der Plazebogruppe konnte dies nicht beobachtet werden. Somit konnten gewisse tierexperimentell gewonnene Erkenntnisse beim Menschen bestätigt werden (Neyrinck et al., unpublished data).
In dieser Studienpopulation konnte man auch nachweisen, dass Inulin bei Probanden mit einer stärkeren körperlichen Aktivität stärker wirkte – bezüglich Reduktion des BMI, Verbesserung des Metabolismus und günstiger Veränderungen des Mikrobioms (14).
Ernährungsumstellung: Responder und Nonresponder Eine frühe Studie zeigte, dass die Resultate einer veränderten Ernährung individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt sind. In einer Gruppe von 49 adipösen oder übergewichtigen Personen war die Diätintervention bei einer geringeren Variabilität des Darmmikrobioms weniger erfolgreich (15). Spätere Studien konnten dann nachweisen, dass bei einem höheren Vorkommen an Akkermansia und Butyrococcus die Gewichtsabnahme stärker ausfiel (12) und ein hoher Gehalt an Coprococcus die Stimmung verbesserte (16). Die Menge der Bifidusbakterien hingegen hatte keinen Einfluss.
Um zu prüfen, ob die unterschiedliche Effizienz mit bestimmten Bakterien im Zusammenhang steht, wurde der Stuhl von verschiedenen adipösen Probanden auf adipöse Mäuse übertragen. Es zeigte sich, dass anschliessend an die Stuhltransplantation von Respondern die Inulingabe typischerweise eine Reihe Bakterien förderte, unter anderem Akkermansia, während einige andere Bakterien vermindert wurden (17).
Inulin ist nicht der einzige untersuchte Faserstoff. So wurde eine Reihe Studien auch mit anderen Ballaststoffen gemacht, die ebenfalls Effekte auf die Adipositas und die damit verbundenen metabolischen Veränderungen hatten (18–22).
Projekt FiberTag Einschränkend muss gesagt werden, dass sich die Studien zu den Interaktionen zwischen Mikrobiom und Ernährung auf das Stuhlmikrobiom fokussieren, während der obere Magendarmtrakt weniger häufig in die Untersuchungen einbezogen wird, auch im Urin oder Serum werden diese Metabolite selten gesucht.
Um die Kinetik der Interaktion zwischen Ernährung, Mikrobiom und Organismus mit neuen Diagnosetools besser zu verstehen, wurde das Projekt FiberTag initiiert. Es soll insbesondere die Aufnahme von Ballaststoffen durch Messung von Biomarkern feststellen, die mit dem Darmmikrobiom zusammenhängen (23,24).
Ein neuer, innovativer Weg ist es, Metaboliten in der Atemluft zu messen. Pro Tag atmet ein Mensch durchschnittlich 12 000 Liter Luft. Bisher werden vor allem O2 und CO2 zur Bestimmung des respiratorischen Quotienten gemessen oder Aceton bei Ketoazidose. Nun versucht man mittels neuer Technologien 1500 Stoffe in der Atemluft zu identifizieren (25).
Bisher haben schon einige Studien die Ausatemluft als diagnostisches Tool genutzt, z.B. bei der Frühdiagnose von Karzinomen des oberen Gastrointestinaltrakts, des Pankreas oder der Leberzirrhose (26–28).
Eine erste Studie wollte diese Technik nun auch zur Beurteilung der Interaktion von Ballaststoffen und Mikrobiom einsetzen. Bei gesunden Probanden wurde untersucht, welchen Einfluss der Ballaststoffgehalt des Frühstücks hat. Die Probanden bekamen an einem Tag ein ballaststoffarmes, am anderen Tag ein ballaststoffreiches Frühstück, anschliessend das gleiche Mittag- und Abendessen. Die Atemluft wurde dann mittels einer Flow-Tube Mass Spectometry mehrmals über den Tag gemessen. Das ballaststoffreiche Frühstück führt nach etwa fünf Stunden zu anderen Signalen. Man erwartet, dass man durch die Messung gewisser Metabolite die Dynamik der Fermentation besser verstehen kann. Auch wenn sich ein bestimmter Metabolit noch nicht einem spezifischen Bakterium zuordnen lässt, kann man gewisse Muster erkennen, welche Bakterien eher gefördert und welche gehemmt werden. Und: Man muss sich bewusst sein, dass es sich um einen dynamischen Zustand handelt, gewisse Metaboliten eines Bakteriums bilden das Substrat für andere Bakterien (Autuori, Neyrinck et al., unpublished data).
Barbara Elke
Quelle: Symposium – Feeding the bicrobiota 2025. Genf und online, 6. 2.2025. Vortrag: «Obesity and gut microbiota», Prof. Nathalie Delzenne, University of Louvain, Louvain Drug Research Institute, Belgium
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