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EDITORIAL
Mut fassen, Tabus brechen
Das Gesundheitspersonal ist im stationären und ambulanten Alltag regelmässig mit unangenehmen Themen konfrontiert – Tabuthemen. Besonders Inkontinenz, Sexualität, Gewalt oder Armut beeinflussen die Lebensqualität vieler älterer Menschen und Menschen mit chronischen Erkrankungen erheblich. Um über diese schambehafteten Themen sprechen zu können, muss ein Bedarf erkannt und Courage aufgebracht werden.
In unserer Gesellschaft sind «Alter» und «Sterben» oft a priori tabuisiert. Aus geriatrischer und palliativmedizinischer Sicht ist es jedoch besonders wichtig, diese Themen aufzugreifen. Hierbei stossen wir aber auf Hürden, da auch für das Gesundheitspersonal das Gespräch über Tabuthemen, besonders mit älteren Menschen oder Menschen am Lebensende, eine Herausforderung darstellt. Umfragen zeigen, dass das Bedürfnis zwar erkannt, jedoch nicht benannt wird. Das Gefühl der eigenen Inkompetenz steht dabei im Vordergrund. Das Ansprechen der Anliegen gestaltet sich häufig schwierig, da vielfach die geeigneten Worte, die Zeit oder die Rahmenbedingungen fehlen. Überdies ergeben sich aus geriatrischer Sicht besondere Herausforderungen an die Kommunikation, zumal ältere Menschen sensorische oder auch kognitive Defizite aufweisen können, die das An-
sprechen von Tabuthemen zusätzlich erschweren. Auch in der Palliativmedizin kommen weiterführende Wünsche aufgrund des nahen Lebensendes vielfach nicht zur Sprache.
Lebensqualität im Alter und am Lebensende stärken Um Tabuthemen in jedem Lebensalter und in allen Lebens- sowie Krankheitssituationen ansprechen zu können, sind Aufklärung und Mut seitens des Gesundheitspersonals notwendig. Dies betrifft nicht nur Ärzte und das Pflegepersonal, sondern auch alle anderen therapeutisch Involvierten. Die Kommunikationsfertigkeiten sollten deshalb schon früh in der Ausbildung und im Berufsalltag geübt werden, damit das Ansprechen unangenehmer Themen leichter gelingt und die Lebensqualität der betroffenen Patienten verbessert werden kann.
Zum Umgang mit der Gewalt im Alter finden Sie einen Beitrag im Heft, der dabei helfen soll, subtile Zeichen zu erkennen, und weiterführende Empfehlungen für alle bietet, die sich mit der Problematik näher befassen möchten.
Bettina von Rickenbach Co-Chefärztin Akutgeriatrie und Palliative Care, Spital Affoltern
ars medici 8 | 2025 271