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Chronische Wunden
Auf der Suche nach der besten Wundbehandlung
In der Behandlung chronischer Wunden wie den Ulzera verschiedener Genese führen an sich einleuchtende Konzepte auch immer wieder zu einer gewissen Ernüchterung, wenn sie nach den Massstäben der evidenzbasierten Medizin geprüft werden. Deren Ergebnisse seien keine Konkurrenz zur klinischen Erfahrung von Ärzten oder Pflegenden, sondern ergänzten sie, so Prof. Dr. Jürg Hafner, Leitender Arzt, Dermatologischen Klinik, Universitätsspital Zürich, am 23. Symposium der Schweizerischen Gesellschaft für Wundbehandlung.
Ausgehend von der Vorstellung, dass Wunden in einem feuchten Milieu besser heilen als in einem trockenen, wurden Hydrokolloidverbände mit viel Enthusiasmus propagiert. Später entstand die evidenzbasierte Medizin, die solche Gewissheiten einer faktischen Überprüfung unterzog. Wichtigste Quelle dafür sind die Cochrane-Reviews. Ein Vergleich zwischen Hydrokolloidverbänden und der Versorgung mit in Kochsalz getränkten Gazen bei venösen Ulzera zeigte nun eine Überlegenheit der Hydrokolloide – aber auch einen, wenn auch nicht signifikanten, Trend zu besseren Resultaten mit medizinischem Honig im Vergleich zu Hydrokolloiden (1). Ein anderer Review bei diabetischen Fussulzera fand ein neutrales Ergebnis für den Vergleich von Hydrokolloid und Kochsalz, konnte also keine Überlegenheit belegen (2). Was ist es nun? Prof. Hafner zitierte dazu den berühmten Kernphysiker Enrico Fermi: «Before I came here I was confused about this subject. Having listened to your lecture I am still confused. But on a higher level».
KURZ UND BÜNDIG
• Die Behandlung chronischer Wunden sollte immer auf zwei Säulen beruhen: der Therapie der Ursache und der lokalen Wundbehandlung.
• Evidenzbasierte Studien zur Therapie chronischer Wunden sind herausfordernd, da die zugrunde liegenden Ursachen vielfältig sind.
• Den strengen Kriterien der evidenzbasierten Medizin konnten auch beliebte herkömmliche Therapien nicht immer standhalten, wie Metaanalysen zu Hydrokolloidund Silberverbänden zeigen.
• Neuere Verfahren müssen einer evidenzbasierten Prüfung unterzogen werden, bevor sie als Goldstandard gelten dürfen.
Erst die Ursache suchen, dann entsprechend behandeln Einen Wegweiser bietet die Vorstellung, dass die Behandlung chronischer Wunden immer auf zwei Säulen beruhen sollte: der Therapie der Ursache (und allfälliger kausaler Kofaktoren) und der lokalen Wundbehandlung mit den Optionen von Débridement, Wundauflage, Hautersatz und Hauttransplantation. Bei venösen Ulzera bieten Kompressionsmethoden einen kausalen Ansatz. Dies dokumentiert auch eine Metaanalyse von Behandlungsstudien bei kleinen venösen Ulzera, die sogar eine therapeutische Überlegenheit der Kompressionsstrümpfe im Vergleich zu Kompressionsverbänden statistisch belegen konnte (3).
Auch die Vorstellung, dass bestehende venöse Ulzera zuerst abheilen sollten, bevor man die ursächliche Varikose chirurgisch saniert, musste fallen gelassen werden. Ebenso erwies sich die Überzeugung, dass die meisten Betroffenen eine Insuffizienz der tiefen Venen hätten, mittlerweile als unzutreffend, denn tatsächlich zeigen rund 50% nur eine oberflächliche Varikose bei intakten tiefen Venen. In solchen Fällen bewirkt eine Abtragung der oberflächlichen Varikose eine raschere Abheilung des Ulkus und seltenere Rezidive (4).
Goldstandard für die Evidenz ist die kontrollierte, randomisierte Studie, noch übertroffen durch die übergreifende Metaanalyse mehrerer derartiger Studien. Das ist keine Konkurrenz zur klinischen Erfahrung von Ärzten oder Pflegenden, das ergänzt sich, wie Prof. Hafner festhielt.
Sorgfältige Auswahl und Gruppierung der Patienten in Behandlungsstudien Dies lässt sich illustrieren am Beispiel der Silberverbände, für die auch ein richtiger Hype bestand. Ein Cochrane-Review zeigte auch hier im Vergleich mit Hydrokolloidverbänden ein neutrales Ergebnis, also keine Überlegenheit für Silber (5). Ein ganz ähnliches Bild ergibt sich für den Vergleich von medizinischem Honig bei venösen Ulzera (6). Basierend auf eher kleinen Fallzahlen (241 Honig vs. 235 Kontrollen) ist das Ergebnis mit einer Risk Ratio (RR) von 1,15 (95%-Konfidenzintervall
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Haut züchten mit allem, was dazu gehört
Motivation für die Forschung auf dem Gebiet des Hautersatzes sind die teils sehr ausgedehnten Verbrennungen bei kleinen Kindern, aber auch Erkrankungen wie der kongenitale melanozytäre Riesennävus, schwere Überrolltraumata oder entstellende hypertrophe Narben, erklärte PD Dr. Agnes Klar, Tissue Biology Research Unit, Chirurgische Klinik, Universitäts-Kinderspital Zürich. Für ausgedehnte Narben ist die Spalthauttransplantation der Goldstandard. Kommt die Gewinnung von Spalthaut an ihre Grenzen, sind Alternativen gefragt. Diese gibt es zum Teil schon kommerziell, etwa als epidermale, dermale oder dermo-epidermale Hautersatzprodukte aus gezüchteten autologen oder allogenen humanen Keratozyten. Die künstlich gezüchtete Haut unterscheidet sich von der normalen menschlichen Haut durch eine fehlende Vaskularisation in der Dermis, was die Einheilung verlangsamt und komplikationsanfälliger macht. Einen weiteren Schritt bedeutet daher die Vaskularisierung in vitro, bei der Keratinozyten, Fibroblasten und humane dermale mikrovaskuläre Endothelzellen (HDMEC) zu einem vaskularisierten Hautsubstitut gezüchtet werden. Wegleitend dafür ist die Erfahrung, dass autologe Vollhaut nach Inoskulation schon nach vier Tagen eine schnelle und effiziente Blutperfusion entwickelt. Noch klingt dies nach Zukunftsmusik, hat aber grosses Potenzial. Zurzeit gelingt es zum Beispiel, in 3D-Hydrogelen aus HDMEC oder aus autologen, durch Liposuktion gewonnenen Endothelzellen in vitro weitverzweigte Blutkapillarstrukturen zu züchten, die ein echtes Lumen ausweisen. Bei Versuchstieren sind solche gewebe-engineerten Kapillaren völlig funktionell. Noch beschäftigt sich die Forschung unter Dr. Klar aber mit präklinischen Analysen von humanen vorvaskularisierten (und auch pigmentierten) dermoepidermalen Hautsubstituten im Tiermodell und den Vorbereitungen zur Reinraumherstellung für Phase-I-Studien.
Quelle: «Translationale Hautforschung: From bench to bedside». 23. Symposium der Schweizerischen Gesellschaft für Wundbehandlung (SAfW), 26. September 2024, Technopark, Zürich
[KI]: 0,96–1,38) statistisch nicht signifikant. Bei diabetischen Fussulzera hingegen sind Unterdruckverbände mit einer RR von 1,49 (95%-KI: 1,11–2,01) wirksam (7).
Evidenzbasierte Studien zur Therapie chronischer Wunden sind herausfordernd, da die zugrunde liegenden Ursachen vielfältig sind (venöse, gemischte, arterielle, hypertensivischämische Ulzera). Entsprechend müssen verschiedene Patientengruppen aufgrund der Ursache (aber auch der Ausprägung der Läsion) gebildet werden. Eine solche Studie ist zum Beispiel auf dem Weg für ein von der Eidgenössischen
Löten statt nähen?
Aus verschiedenen Komponenten (Bioglas, Cer-Dioxid, Metallionen) hergestellte Nanopartikel in einem Nanoklebstoff haben im Hinblick auf die Wundheilung sehr attraktive Eigenschaften, erläuterte Prof. Dr. Inge Hermann, Ingenuity Lab, Universitätsspital Balgrist, EMPA, St. Gallen, Nanoparticle Systems Engineering Lab, MAVT, ETH Zürich. Der Nanoklebstoff bewirkt eine starke Gewebeadhäsion, eine rasche Hämostase und wirkt überdies zellprotektiv und antibakteriell, selbst auf intrazelluläre Pathogene. Im Tierversuch erwies sich Nanoklebstoff im Vergleich zu Fibrinklebern als deutlich wirksamer bei der Abheilung experimenteller subkutaner Serome und förderte das Einwachsen von Hauttransplantaten. Auch bei unzureichend eingeheilten Zahntransplantaten könnte der Nanoklebstoff dank seiner antibakteriellen Eigenschaften hilfreich sein.
Ein weiteres Einsatzgebiet für neuartige Nanopartikel ist eine Lötpaste aus Albumin, Gelatine und Nanoteilchen, die mittels Laser erhitzt werden. Dieses computergestützte robotische System (iSoldering) erlaubt im Tierversuch den offenen oder endoskopischen Verschluss von Schleimhautläsionen. Ausgedehnte Versuche an Ratten und Schafen verliefen erfolgreich und eröffnen den Ausblick auf eine elegante Strategie zur atraumatischen, nahtlosen Gewebefusion, versprach Prof. Hermann. Denkbar ist der zukünftige Einsatz solcher Verfahren beispielsweise beim Duraverschluss, beim Verschluss von intestinalen Lecks oder bei der Versorgung von Gefäss- und Nervenverletzungen.
Quelle: «Innovating Medical Materials and Technologies». 23. Symposium der Schweizerischen Gesellschaft für Wundbehandlung (SAfW), 26. September 2024, Technopark, Zürich
Technischen Hochschule (ETH) Zürich entwickeltes Verfahren, das auf gleichzeitiger optischer und magnetischer Stimulation (concurrent optical and magnetic stimulation, COMS) beruht (8). Hierfür müssen nun an vielen verschiedenen Zentren Patienten für eine randomisierte Studie gesammelt werden, um einen statistisch ausreichenden Vergleich zu erlauben (z.B. 50 COMS vs. 50 Kontrollen).
Das Inhalationsanästhetikum Sevofluran kann in flüssiger Form auf die Wunde aufgebracht werden. Es entfaltet eine stark schmerzlindernde Wirkung und scheint darüber hinaus gefässerweiternde Effekt zu haben, welche die Wundheilung fördern können. Ob das in klinisch relevantem Ausmass zutrifft, wird erst eine randomisierte, kontrollierte Studie belegen können. Eine breite Evidenzbasis liegt zum Beispiel für verschiedene Hautäquivalente (Lebendhaut, Amnion- und Chorion-Allograft, Fischhaut) schon vor, hier seien die Hausaufgaben gemacht worden, wie Prof. Hafner betonte.
Halid Bas
Quelle: «Still confused, but on a higher level». 23. Symposium der Schweizerischen Gesellschaft für Wundbehandlung (SAfW), 26. September 2024, Technopark, Zürich
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Referenzen: 1. Ribeiro CT et al.: Hydrogel dressings for venous leg ulcers. Cochrane
Database Syst Rev. 2022 Aug 5;8(8):CD010738. doi:10.1002/14651858. CD010738.pub2 2. Dumville JC et al.: Hydrocolloid dressings for healing diabetic foot ulcers. Cochrane Database Syst Rev. 2012 Feb 15:(2):CD009099. doi:10.1002/14651858.CD009099.pub2 3. Amsler F et al.: In search of optimal compression therapy for venous leg ulcers: a meta-analysis of studies comparing diverse [corrected] bandages with specifically designed stockings. J Vasc Surg. 2009 Sep;50(3):668-74. doi:10.1016/j.jvs.2009.05.018 4. Gohel MS et al.: A Randomized Trial of Early Endovenous Ablation in Venous Ulceration. N Engl J Med. 2018 May 31;378(22):2105-2114. doi:10.1056/NEJMoa1801214 5. Vermeulen H et al.: Topical silver for treating infected wounds. Cochrane Database Syst Rev. 2007 Jan 24;(1):CD005486. doi:10.1002/14651858.CD005486.pub2 6. Jull AB et al.: Honey as a topical treatment for wounds. Cochrane Database Syst Rev. 2015 Mar 6;2015(3):CD005083. doi:10.1002/14651858.CD005083.pub4 7. Liu Z et al.: Negative pressure wound therapy for treating foot wounds in people with diabetes mellitus. Cochrane Database Syst Rev. 2018 Oct 17;10(10):CD010318. doi:10.1002/14651858.CD010318.pub2 8. Traber J et al.: Concurrent Optical- and Magnetic-Stimulation-Induced Changes on Wound Healing Parameters, Analyzed by Hyperspectral Imaging: An Exploratory Case Series. Bioengineering (Basel). 2023 Jun 23;10(7):750. doi:10.3390/bioengineering10070750
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